Archiv

Sacharow-Preis für Jesidinnen
"Diese Kriminellen müssen strafrechtlich verfolgt werden"

Die Jesidinnen Nadija Murad Bassi Taha und Lamija Adschi Baschar aus dem Irak sind mit dem Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit des EU-Parlaments ausgezeichnet worden. In ihrer Heimat hatten sie unsägliches Leid durch die Terrormiliz IS erfahren - und sich seitdem für weitere Opfer eingesetzt.

    Die beiden stehen nebeneinander und sehen in die Kamera. Baschars Gesicht ist von einer Minenexplosion schwer gezeichnet.
    Die Sacharow-Preisträgerin Nadia Murad. (pa/dpa/epa/Seeger)
    "Ich bitte Sie, uns zu versprechen, dass Sie so etwas nie wieder zulassen werden", sagte Baschar bei der Preisverleihung in Straßburg. "Diese Kriminellen müssen strafrechtlich verfolgt werden."
    Der Forderung schloss sich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bei der Zeremonie an: "Der Internationale Strafgerichtshof muss die Verbrechen durch den sogenannten Islamischen Staat untersuchen." Schulz würdigte die beiden Preisträgerinnen als "außergewöhnliche junge Frauen". Sie seien Heldinnen, die unbeschreibliche Gräueltaten erlitten hätten. "Das Schicksal dieser beiden Frauen erinnert uns an unsere Pflicht."
    Nach dem Holocaust hätten sich die Europäer "nie wieder" geschworen, Und nun sehe man, wie ganze Völker, Regionen, Städte, Dörfer von der Landkarte verschwänden. Kinder würden verschleppt, Frauen versklavt. "Dennoch weigern wir uns manchmal, diesen Menschen Schutz zu gewähren", kritisierte der Parlamentspräsident.
    "Sie berührten und demütigten uns"
    Das Martyrium von Nadia Murad (23) und Lamija Adschi Baschar (18) begann vor mehr als zwei Jahren, am 3. August 2014. An diesem Tag überfiel die Terrororganisation "Islamischer Staat" den Heimatort der beiden Frauen im irakischen Sindschar-Gebirge. Die Extremisten töteten alle Männer und älteren Frauen des Ortes, darunter auch sechs Brüder Nadias und ihre Mutter. Die jüngeren Frauen und Kinder wurden versklavt.
    Ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "MORE THAN 5 000 KILLED EZIDIS VICTIMS" in die Kamera.
    Jesiden demonstrieren in Berlin (picture alliance / dpa / Wolfram Kastl)
    "Wir wurden mit einem Bus in eine andere Region gebracht", so erzählte Nadia später in einer bewegenden Rede vor den Vereinten Nationen. "Sie berührten und demütigten uns. Wir kamen nach Mossul, zusammen mit Tausenden anderen jesidischen Familien. Wir wurden wie Geschenke unter den IS-Kämpfern ausgetauscht. Ein Mann suchte mich aus und zwang mich zu sich nach Hause. Er vergewaltigte mich, folterte mich. Als ich versuchte, zu fliehen, brachte er mich zu den Wächtern. Sie vergewaltigten mich alle gemeinsam, bis ich ohnmächtig wurde."
    Zwangsheirat, Vergewaltigung, vergebliche Fluchtversuche
    Mithilfe einer Nachbarsfamilie gelang Nadia nach einigen Monaten schließlich die Flucht. Sie konnte aus dem IS-Gebiet herausgeschmuggelt werden und schaffte es nach Deutschland. 2015 sprach sie vor dem UNO-Sicherheitsrat über ihre Geschichte. Nadia ist UNO-Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel geworden und versucht, Flüchtlingen aus dem Irak und aus Syrien zu helfen. Ihre Leidensgenossin und Co-Preisträgerin Lamija ist weniger bekannt, obwohl sie es noch schwerer hatte: Auch sie wurde in Mossul zwangsverheiratet und vergewaltigt, unternahm mehrere Fluchtversuche, um dem IS zu entkommen - doch sie wurde immer wieder gefasst.
    Erst im April dieses Jahres konnte sie schließlich entkommen, doch IS-Kämpfer verfolgten sie. Eine Tretmine explodierte, tötete zwei ihrer Gefährten und verletzte Lamija schwer. Sie ist nahezu völlig erblindet. Trotz ihrer schweren Verletzungen konnte sie ihre Verfolger abschütteln und schaffte es schließlich nach Deutschland. Hier wurde sie medizinisch behandelt und engagiert sich mittlerweile in Aufklärungskampagnen.
    (mg/fwa)