Archiv

Samenspende
Leben im Ungewissen

In Deutschland werden jährlich mehr als 1000 Säuglinge geboren, die mittels Samenspende gezeugt wurden. Das Verfahren stellt die Gesellschaft vor ethische Herausforderungen. Die Spender bleiben gegenüber den sozialen Eltern anonym. Doch die Kinder haben das Recht zu erfahren, von wem sie abstammen.

Von Burkhard Schäfers |
    Zu Besuch in einer Münchner Samenbank: Das Labor befindet sich in einem Ärztehaus. Auf dem Boden stehen mehrere schmale, hohe Container, sie sehen aus wie Gasflaschen.
    "Das sind Metalltanks, in denen Stickstoff ist, und viele kleine Behälter, in denen die Stickstoffröhrchen sind, das sieht so aus wie dünne Strohhalme. Und in denen sind jeweils die Spermien gelagert."
    Eingefroren bei minus 170 Grad haben diese theoretisch eine Lebensdauer von vielen Jahren, sagt Constanze Bleichrodt, Geschäftsführerin der Münchner Samenbank. Die Psychologin berät Paare, die ungewollt kinderlos sind und über eine künstliche Befruchtung mittels Samenspende nachdenken. Dabei müssen sowohl der Spender als auch das Paar etliche Informationen über sich preisgeben: beruflicher Werdegang, Talente und Begabungen, Blutwerte und Infektions-Parameter.
    "Wenn wir diese ganze Info haben, dann versuchen wir, einen Spender zu suchen, der möglichst viel Ähnlichkeit hat mit dem Mann. Wonach wir nicht suchen können, sind Persönlichkeitseigenschaften. Für uns ist die Optik, die biologischen Parameter und dann noch so Dinge wie Bildungshintergrund - danach versuchen wir, einen möglichst guten Abgleich zu finden für das Paar."
    Keine Designer-Babys
    Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Befruchtung der Eizelle mit Spendersamen gelingt, liegt bei jedem Versuch bei knapp 20 Prozent. Frauen Mitte 30 benötigen durchaus sechs bis acht Versuche. Die Samenspende habe hierzulande nichts damit zu tun, ein Designer-Baby zu kreieren, betont Psychologin Bleichrodt.
    "Ich denke, das sind oft Eltern, die sich das sehr gut überlegt haben. Da geht’s nicht darum, mal eben etwas zu optimieren, dass jetzt hier ein Paar mit Hauptschulabschluss sitzt und sagt, wir wollen aber unbedingt einen Akademiker. Das sollte nicht die Motivation sein, weshalb man eine Samenspende macht."
    In Deutschland gibt es zahllose Paare, die ungewollt kinderlos sind. Experten betrachten die Samenspende als eine Möglichkeit, diesen Paaren zu helfen. Was für die Eltern ein Segen sein mag, hat tief greifende Folgen für die sogenannten Spenderkinder und deren Identität. Über viele Jahre erfuhren die meisten Betroffenen nicht, wer ihr leiblicher Vater ist. Denn die Spender bleiben gegenüber den sozialen Eltern anonym, nur die Samenbank ist im Besitz der Kontaktdaten. Inzwischen, nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom vergangenen Februar, haben Kinder das Recht zu erfahren, von wem sie abstammen. Das allerdings wirft Fragen auf, sagt Reiner Anselm, Professor für Theologische Ethik an der Universität Göttingen.
    "Die Ausgangsfrage, denke ich, ist berechtigt: Man möchte wissen, wo man herkommt. Jetzt muss man aber auch sagen, die Position tendiert leicht dazu, die Bedeutung der genetischen Abstammung vielleicht zu überschätzen. Eine Zeit lang haben wir die vielleicht unterschätzt, in dem wir gesagt haben, das wesentliche ist soziale Elternschaft und nicht genetische Elternschaft. Aber die Frage ist: Was weiß ich dann, wenn ich es weiß?"
    Unterhaltsforderungen und erbrechtliche Ansprüche
    Trotzdem, sagt der evangelische Theologe, sollten Eltern den Kindern von deren Herkunft erzählen. Obwohl immer mehr Spenderkinder dieses Recht einfordern, fehlt bisher eine gesetzliche Grundlage. Manche Samenbanken vernichten die Unterlagen nach einigen Jahren. Deshalb fordern Betroffene ein unabhängiges, zentrales Spender-Register. Das befürwortet auch Ethiker Reiner Anselm.
    "Das ist wahrscheinlich wirklich der einzig gangbare Weg. Weil, über so lange Zeiträume überhaupt Kontakte herzustellen, ist schwierig. Was ich für schwierig hielte: Ein zugesichertes Recht, was dann aus irgendwelchen Gründen, dass man den Spender nicht mehr ausfindig machen kann, dass man ihn nicht mehr erreichen kann, dass es dann daran scheitert. Das stelle ich mir als sehr große Belastung für die Kinder vor, wenn es an solchen Dingen scheitert."
    Auch die Spender leben derzeit im Ungewissen: Theoretisch könnten sie sich eines Tages mit Unterhaltsforderungen oder erbrechtlichen Ansprüchen konfrontiert sehen. Ein weiteres Thema: Wie geht die Gesellschaft mit den wirtschaftlichen Interessen der Samenbanken um? Immerhin kostet ein einzelner Befruchtungsversuch mehrere Hundert Euro. Kosten, die bislang die Paare tragen und nicht die Krankenkassen.
    "Mit guten Gründen sagen wir, dass wir eigentlich den ganzen Bereich des medizinischen Hilfehandelns nicht primär von ökonomischen Interessen abhängig machen wollen. Wir sollten die Samenspende als einen Bereich der Medizin definieren, und dann gelten entsprechende Standards: Dann muss das allgemeine Krankenversicherungswesen da stärker mit eintreten, also es muss dann auch zur öffentlichen Aufgabe werden."
    "Es ist nicht für jeden was"
    Noch findet das Thema Samenspende eher geringe Beachtung. So hat sich auch der Deutsche Ethikrat bislang nicht positioniert. Betroffenen geht es deshalb darum, Politik und Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Psychologin Constanze Bleichrodt von der Münchner Samenbank plädiert für einen sachlichen Umgang - so ließen sich Vorurteile abbauen:
    "In dem Moment, wo es um Gene geht, kommt sehr viel Emotion mit ins Spiel. Aber wenn man’s runter bricht, ist es mehr wie eine Organspende. Aber es ist nicht für jeden was: Es gibt Männer, die können sich nicht vorstellen, dass die wichtigen Dinge, die sie dem Kind mitgeben, außerhalb der Gene liegen. Und die sind sicher nicht geeignet, so eine Behandlung zu machen, weil ich glaube, das gibt für alle Beteiligten kein gutes Ergebnis."