Mchaiga, ein Dorf im feuchtwarmen Hügelland nahe der Stadt Meru im Osten Kenias. Ziegen tun sich gütlich an frischem Maisstroh; der kleine Moses spielt mit einem Fahrradreifen; seine Mutter Sella Wanya spricht über ihren Umgang mit Mais, dem Hauptnahrungsmittel der Kenianer.
"Traditionell hängen wir frisch geernteten Mais erstmal zwischen unsere Hütten – mit den Blättern noch auf den Kolben. Später schälen wir die Kolben und legen die Körner auf den Erdboden – zum Trocknen unter der Sonne. Bei Regen schieben wir eine Plane über den Mais. Ist der Mais schließlich trocken, füllen wir ihn in Nylonsäcke und legen die, damit keiner sie klaut, unter unser Bett."
"Ideale Bedingungen für den Schimmelpilz Aspergillus flavus", sagt bitter lächelnd Claus Aluda. Der Ernährungswissenschaftler arbeitet für das renommierte International Food Policy Research Institute, kurz IFPRI, in Washington D. C.. Aspergillus flavus, der in feuchtwarmen Regionen vor allem Mais befällt, produziert sogenannte Aflatoxine. Diese Pilzgifte schädigen bei Mensch und Tier Zellmembranen, Erbgut, Nerven- und Immunsystem.
In der Region Meru hat das IFPRI ein lange Zeit rätselhaftes Phänomen erforscht: Kleinkinder hier sind in weit höherem Maße chronisch mangelernährt und unterentwickelt, als Kinder im trockenen Norden Kenias. Dies, obwohl Armut und Ernährungsgewohnheiten in etwa gleich sind.
Studie in Kenia
Der einzige Unterschied: Die Aflatoxin-Belastung des Grundnahrungsmittels Mais liegt im Osten weit höher als im Norden. Verursachen Aflatoxine also, neben anderen Körperschäden, auch chronische Mangelernährung?
Um das wissenschaftlich sauber zu prüfen, führt das IFPRI seit 2012 eine aufwendige medizinische Studie in der Region Meru durch: In mehreren Dörfern wie Mchaiga haben die Forscher alle Familien mit Kleinstkindern sorgsam über Aflatoxine aufgeklärt und ihnen Mittel an die Hand gegeben, die Belastung zu reduzieren: Dreschmaschinen für den Mais; schwarze Planen, auf denen die Körner relativ schnell trocknen; luftdichte Säcke zum Lagern der Maisvorräte. In etlichen Vergleichsdörfern dagegen blieb alles beim Alten.
"Wir nahmen Blutproben von den Müttern, maßen deren Größe und Gewicht sowie das Geburtsgewicht der Kinder. All dies sowohl in den Dörfern, wo wir intervenierten, als auch in den Vergleichsdörfern. Wir untersuchten die Kinder nach einem Jahr, nach zwei Jahren – und verglichen die Daten. Und tatsächlich stellten wir überaus signifikante Unterschiede bei der Entwicklung der Kinder fest."
Ein klares Ergebnis des IFPRI-Forschungsprojekts, das im Detail demnächst veröffentlicht werden soll: Aflatoxine verursachen tatsächlich chronische Mangelernährung, bei Kindern – und das schon im Mutterleib.
"Aflatoxine schädigen den menschlichen Embryo. Die Gifte gelangen über die Plazenta in den Organismus des Kindes, das dann weniger Nährstoffe aufnimmt. Als Konsequenz ist das Geburtsgewicht sehr gering und das Kind darauf programmiert, Wachstumsdefekte zu entwickeln."
Womöglich werden Mikrovilli im Darm geschädigt
Offen sei bisher, wie genau Aflatoxine chronische Mangelernährung verursachen, sagt Claus Aluda. Es gebe jedoch starke Hinweise, dass die Gifte die Mikrovilli im Darm schädigen. Diese fadenförmigen Zellfortsätze schaffen jene gewaltige Oberfläche, die der Darm benötigt, um ausreichend Nährstoffe zu absorbieren. Jede Schädigung der Mikrovilli reduziert die Aufnahme von Nährstoffen.
Im Lichte der neuen Forschungsergebnisse müsse der jahrzehntelang vernachlässigte Kampf gegen die Aflatoxine dringend intensiviert werden, sagt in Nairobi Suleiman Asman, der Leiter des IFPRI-Projekts:
"Kinder werden geboren. Und sie sind bereits belastet mit Aflatoxinen. Ihre Entwicklung ist von nun an unwiderruflich beeinträchtigt. Diese Kinder werden zu langsam wachsen und auch geistig zurückbleiben. Und in der Schule werden sie die Anforderungen nicht erfüllen – nicht, weil das ihrer Veranlagung entspricht, sondern weil sie bereits im Mutterleib geschädigt wurden. Könnte man das rückgängig machen, wäre die Situation einfacher. Aber man kann es nicht rückgängig machen."
Um die Situation zu verbessern, müssten Bauern, Mühlenbesitzer und Händler aufgeklärt werden über die unsichtbaren Gifte, so Suleiman Asman. Auch Kleinbauern müssten Zugang bekommen zu preisgünstigen Methoden, Mais effizient zu trocknen und zu lagern; Und biotechnologische Methoden, um den giftigen Schimmelpilz durch ungiftige Varianten zu verdrängen, müssten ihren Weg auf die Felder der Bauern finden. Solange all das nicht geschehe, raubten Aflatoxine Jahr für Jahr Millionen Kindern jede Chance auf ein gesundes Leben.