Der Pine Island Glacier ist nicht irgendein Gletscher, sondern einer der gewaltigsten in der ganzen Antarktis. Der Eisstrom bewegt sich Richtung Amundsen-See, und das immer schneller. Er gilt heute als Gletscher mit dem weltweit größten Eisverlust. David Vaughan, Wissenschaftlicher Direktor des Britischen Antarktis-Dienstes:
"Der Pine-Island-Gletscher ist rund 200 Kilometer lang, 40 Kilometer breit und im Durchschnitt zwei Kilometer hoch. Jedes Jahr verliert er inzwischen 40 Kubikkilometer Eis. Das ist eine enorme Menge! Fünf Prozent des globalen Meeresspiegel-Anstiegs gehen damit auf die Kappe dieses einen Gletschers."
Der Eis-Gigant wird dabei quasi von unten ausgehöhlt. Steigende Ozeantemperaturen nagen an dem Teil der Gletscherzunge, der sich weit in die Amundsen-See hinausschiebt, also am vorgelagerten Eisschelf.
Diese Entwicklung begann nicht erst in den 90er Jahren, als die globale Erwärmung richtig Fahrt aufnahm, sondern schon viel früher. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die David Vaughan und weitere Fachkollegen jetzt vorlegen. Darunter auch Martin Truffer. Der Schweizer Physiker forscht schon seit etwa 20 Jahren an der Universität von Alaska:
"Unsere Arbeit zeigt, dass sich der Gletscher praktisch schon seit dem Zweiten Weltkrieg zurückzieht - seit den 40er-Jahren."
Das lässt sich in Meeressedimenten nachlesen. Die Forscher sammelten sie bei einer Expedition in die Amundsen-See. Dabei trieben sie drei Bohrlöcher quer durch das ganze Eisschelf bis in den Meeresgrund. Dort, wo der Gletscher sich vom Boden löst und aufzuschwimmen beginnt. Und wo sich der Ozean wie ein Keil zwischen Eispanzer und Untergrund schiebt.
El Niño-Aktivität verantwortlich für Eisschmelze
Die Sedimentschichten verraten, wann dieser Loslösungsprozess begann. Denn sie lassen sich zeitlich datieren. Und sie zeigen gewisse stoffliche Veränderungen, sobald sie nicht mehr mit dem Gletscher in Kontakt sind, sondern mit dem Ozean, der sich unter das Eis geschoben hat. So kamen die Forscher zu ihrem überraschenden Befund: Das Ganze ging schon vor gut 70-Jahren los. Auslöser war offenbar eine wohlbekannte natürliche Klimaschwankung, so David Vaughan:
"Eis-Archive aus der Region sagen uns, dass sich die West-Antarktis in den 40er-Jahren stärker erwärmt hat. Damals gab es eine Phase mit ausgeprägter El Niño-Aktivität. Das scheint die Dinge in Bewegung gesetzt zu haben."
Obwohl die Amunden-See später wieder kühler wurde, erholte sich der Pine-Island-Gletscher nie von dem Wärmeschub. Für Martin Truffer ist das besorgniserregend, wie er sagt:
"Nachdem der El Niño abgeklungen war, hat der Gletscher noch Jahrzehnte lang reagiert und ist weiterhin geschrumpft. Das bedeutet: Wenn man Meerwasser erwärmt, kann man Schmelzprozesse anstoßen, die dann lange Zeit unumkehrbar sind."
Das lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen. Noch einmal der britische Antarktisforscher David Vaughan:
"Wenn sich der Klimawandel in der West-Antarktis immer stärker bemerkbar macht, wie erwartet, könnte es dort zu extremen Eisverlusten kommen. Denn wie unsere Arbeit zeigt, sind Gletscher dort ziemlich sensibel."