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Schottland
Oder doch kein zweites Referendum?

In Schottland bleibt nach der Brexit-Entscheidung eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich zwar Thema. Doch inzwischen fragt sich nicht nur Regierungschefin Nicola Sturgeon, ob nicht andere Möglichkeiten sinnvoller wären.

Von Friedbert Meurer, London |
    Eine Person hält mehrere Papierflaggen in der Hand. Sowohl welche mit Schottlands Wappen als auch dem Union Jack.
    Schottland will in der EU bleiben. Aber auch im Vereinigten Königreich? (afp / Ben Stansall)
    David Carslaw ist Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in einer Kanzlei in Glasgow, die Kanzlei befindet sich in einem modernen Business-Center südlich des Flusses Clyde. Carslaws Kunden sind kleine und mittlere Betriebe sowie karitative Einrichtungen. Der Brexit sei für ihn selbst kein großes Thema, aber für seine Klienten. Die Bauern sorgen sich um ihre EU-Subventionen, außerdem sind sie auf Arbeitskräfte aus der EU angewiesen, die aber sollen ja eher jetzt von der Einwanderung abgehalten werden. "Der Brexit hat unseren Betrieben Unsicherheit gebracht. Darüber hinaus haben die Schotten mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt. Was also geschieht jetzt in der Zukunft?"
    Vor der juristischen Fakultät der Universität Glasgow sitzen die Studentinnen und Studenten in der Sonne und machen Pause. Gegenüber auf der anderen Straßenseite steht das prächtige neugotische Hauptgebäude aus dem 19. Jahrhundert. Glasgow hat eine sehr internationale Universität, die im Ranking weit oben steht. Alasdair Andersson kommt aus Glasgow und wohnt noch bei den Eltern. Auch er spricht davon, dass es jetzt unsicherer geworden sei, zum Beispiel ob man später so einfach überall noch in Europa arbeiten kann. "Es wird sich etwas verändern und das verschlechtert unsere Aussichten."
    Auch der Vize-Kanzler der Universität, Professor Murray Pittock, sieht im Brexit nur Nachteile: "Es kann Probleme für uns geben, wenn die EU-Fördergelder ausfallen. Das Königreich erhält zur Zeit ein Viertel der gesamten EU-Wissenschaftsförderung. Das hat erhebliche Auswirkungen für die Universität."
    Zweites Referendum zur Unabhängigkeit?
    Schottland will in der EU bleiben. Tags darauf wird die erste Ministerin Nicola Sturgeon das der neuen britischen Premierministerin Theresa May noch einmal deutlich machen, die eigens nach Edinburgh kommt. "Die Premierministerin weiß wie alle, dass ein zweites Referendum zur Unabhängigkeit jetzt auf dem Tisch liegt", erklärt Nicola Sturgeon anschließend. "Aber ich habe auch klargemacht, dass wir alle Optionen prüfen, um die Interessen und die Position Schottlands zu verteidigen."
    Alle Optionen - also auch andere als die Unabhängigkeit. Der Historiker und Vize-Kanzler der Universität Murray Pittock hat vor eineinhalb Jahren für die Unabhängigkeit geworben, er steht der Schottischen Nationalpartei nahe. Er weiß, dass ein zweites Referendum zur Unabhängigkeit auch schiefgehen kann - außerdem käme es jetzt noch zu früh.
    "Es ist möglich, über Alternativen nachzudenken. Über das umgekehrte Grönland-Modell zum Beispiel. Grönland verlässt die EU, gehört aber politisch weiter zu Dänemark. Oder Schottland bleibt in der EU und England geht raus. Das erfordert aber viel an politischer Flexibilität, an Vorstellungskraft und politischem Willen. Daran aber mangelt es in der EU und Politik immer." Professor Pittock hält deswegen die schottische Unabhängigkeit am Ende doch für die beste Lösung. Nicola Sturgeon werde diese Karte aber erst ganz am Schluss ziehen.
    Der Brexit verstärkt die ohnehin vorhandenen Spannungen zwischen Schottland und England. Louise Broadbent, die mit David Carslaw als Steuerberaterin in Glasgow arbeitet, ist halb Engländer, halb Schottin. Mit drei Jahren zog sie nach Glasgow. "Ja, definitiv, so ist das. Die Distanz zwischen Schottland und England wird größer. Es verstärkt jetzt noch einmal die negativen Gefühle derjenigen, die die Unabhängigkeit von Großbritannien haben wollten."