Archiv

Schottland und der Brexit
Widerstand gegen einen EU-Ausstieg wächst

In Großbritannien wird am 9. Juni neu gewählt. Die britische Regierungschefin Theresa May ist überzeugt: Die Konservativen werden die Wahl gewinnen und in ihrem Kurs für den Brexit gestärkt. Doch im nördlichen Teil der britischen Insel sorgt der Ausstieg aus der EU für reichlich Unmut.

Von Silke Fries |
    Demonstration für die Unabhängigkeit Schottlands
    Demonstrationszug für die Unabhängigkeit Schottlands im Oktober 2016 (picture-alliance/dpa/Robert Perry)
    Christopher Pears steht in der Nähe des schottischen Parlaments in der historischen Stadtmitte - vor ihm ein Dudelsack-Pfeifer, und viele Touristen, die ein Selfie mit dem Mann im Schotten-Rock schießen. Christopher Pears ist ein gutes Beispiel, wie Großbritannien sein kann: Der große blonde Mann ist in England geboren, in Schottland aufgewachsen und er ist mit einer Schottin verheiratet. Und stolz darauf – auch auf Großbritannien.
    "Ich bin stolz, Schotte zu sein und ich bin stolz, Engländer zu sein. Großbritannien ist großartig."
    Diskussionen kochen hoch
    Aber jetzt – wo Neuwahlen anstehen in Großbritannien und der Brexit kommen soll, kochen die Diskussionen hoch. Auch im Krankenhaus, in dem Christopher Pears als Krankenpfleger arbeitet. Ok, sagt Pears, Großbritannien sei einzigartig, aber das mit dem Abschied aus der Europäischen Union sei eventuell doch nicht so gut gut durchdacht. Denn in den Krankenhäusern gehe nichts ohne Festlands-Europäer.
    "Wir haben viel Personal aus den EU-Ländern – vom Arzt bis zur Reinigungskraft. Wir hoffen alle, dass die auch nach dem Brexit hier in Schottland bleiben dürfen. Denn ohne die können wir unser Nationales Gesundheitssystem vergessen."
    Und nicht nur das, sagt die Schottin Kathryn Leslie. Anders als ihr Mann Christopher hat sie gegen den Brexit gestimmt, sie ist für ein unabhängiges Schottland. Die 33-Jährige hat einen sicheren Job in der Stadtverwaltung von Edinburgh. Aber um die Zukunft ihres Sohnes macht sie sich Sorgen.
    "Ich weiß nicht, was auf ihn zukommt. Das ist ja alles unklar: die Brexit-Folgen, ob es ein zweites Unabhängigkeits-Referendum in Schottland gibt. Ich weiß nicht, welche Welt auf ihn wartet. Aber ich halte das alles für politischen Schwachsinn. Ich glaube nicht, dass wir viel erreichen werden."
    Regierungschefin Sturgeon fürchtet Einschnitte
    Die britische Premierministerin May geht davon aus, dass trotz Neuwahlen der Brexit-Kurs fortgesetzt werden kann. Schottlands Regierungschefin Sturgeon fürchtet harte Einschnitte – ihr wäre ein unabhängiges Schottland lieber. Je früher, desto besser.
    In der Nähe des mittelalterlichen Stadtkerns von Edinburgh mit den düsteren Gassen und vielen engen Treppenabgängen schiebt der Taxifahrer John Dunn seine karierte Tweedmütze in den Nacken. Der 62-Jährige zeigt auf sein Smartphone und sagt: Wir können doch nicht in technischen Fragen Fortschritte machen und in der Politik die Zeit um dreißig Jahre zurückdrehen. Bei so viel Kopflosigkeit müsse Schottland wieder unabhängig von werden.
    "Das hängt natürlich von der Londoner Regierung ab, denn die Schottische Regierung kann ein Unabhängigkeitsreferendum nur mit deren Zustimmung abhalten. Und ich glaube, die englische Regierung hat Angst davor. Denn dann würden sich die Schotten wohl verabschieden. Denn beim ersten Referendum hat London nur das Blaue vom Himmel versprochen, wenn wir ein Teil Großbritanniens bleiben würden. Geschehen ist fast nichts."
    Viele Europäer gehen freiwillig
    Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Gastronomie – nichts gehe ohne die rund drei Millionen Festlandeuropäer. Viele aber gingen bereits jetzt freiwillig, sagt Taxifahrer John Dunn.
    "Im Süden Englands gibt es wirklich eine ausländerfeindliche Stimmung gegen die Osteuropäer hier. Und wenn diese Leute dann entscheiden, in ihre Heimatländer zurückzugehen, dann wird es hier jede Menge unbesetzte Stellen geben und das Personal wird schlicht fehlen. Klar ist, dass viele Einheimische diese Jobs gar nicht machen wollen."
    Das sehen auch Verena und Thomas Jantzen so. Das Pfarrer-Ehepaar betreut die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in Schottland und Nordost-England. Verena Jantzen sitzt zwischen ihren Kindern auf dem Boden im Pfarrhaus in Edinburgh und fährt die Strecken auf einer Landkarte mit dem Finger ab – hunderte Kilometer Fahrt trennen die Gläubigen von Aberdeen über Glasgow bis Newcastle. Was alle eint: Die Unsicherheit.
    "In manchen Unternehmen werden durchaus Arbeitsplätze überflüssig werden, und auch die Drittmittelfinanzierung durch die EU wird sich sicher verändern. Und viele unserer Gemeindemitglieder arbeiten im universitären Bereich. Und viel beschäftigen sich durchaus mit der Frage, was denn die langfristige Perspektive im Land sein kann."
    Vor allem in binationalen Familien werde der Wunsch nach einem britischen Pass diskutiert. Der aber sei nicht so einfach zu erfüllen: Erst braucht es eine permanente Aufenthaltsgenehmigung bevor die Staatsbürgerschaft beantragt werden kann. Das kann Monate dauern. Dass es wegen des Brexits zu einer Abspaltung Schottlands von England kommt, hält Pfarrerin Jantzen dennoch für unwahrscheinlich. Denn was hieße das?
    "Im schlimmsten Fall eine Grenze durch Schottland und England, wobei das für alle eigentlich unvorstellbar ist. Wir arbeiten regelmäßig im Norden Englands und da über eine Grenze zu fahren oder gar ein Visum produzieren zu müssen ist, glaube ich, undenkbar."
    Rund 20 Kilometer östlich von Edinburgh liegt Gullane, ein verschlafenes Nest zwischen saftig grünen Golfplätzen, Schafherden und einem sandig weichen Nordseestrand. Hier geht alles eine Nummer ruhiger zu als in der schottischen Hauptstadt – nur ab und zu hört man das leise Schlagen von Golfbällen, selten hält ein Bus.
    Brexit-Folgen sind spürbar
    In einem roten Backsteinhaus steht Falko Burkert vor einem flackernden Wandkamin, an kleinen Tischen sitzen Schotten, vor sich Tee und ein Stück Torte. Vor zwanzig Jahren kam Burkert ins Land, mittlerweile gilt er vielen hier als einer besten Konditoren. Der blonde Schwabe sagt, seit der Brexit-Ankündigung gebe es schon jetzt bei seinem Händler nicht mehr alle Backzutaten aus Deutschland. Aber allein aus Angst vor den Brexit-Folgen einen britischen Pass zu beantragen – für ihn keine Option.
    "Ich seh´s aus Prinzip nicht ein. Ich bin in das Land gekommen, weil die Möglichkeit besteht zu reisen in Europa, und das möchte ich mir nicht nehmen lassen. Wenn das so wäre, dass es zu der harten Entscheidung kommt, naja, dann müsste ich meinen Koffer packen."