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Schuldenstreit mit Griechenland
"Tsipras muss Wahlversprechen über Bord werfen"

Griechenlands Problem sei, dass die Strukturreformen in den Hintergrund getreten seien, sagte Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik im DLF. Unter den aktuellen Bedingungen könne Griechenland nicht wettbewerbsfähig werden. Sollte die Entscheidung für den Euro fallen, müsse Ministerpräsident Tsipras endlich die Klientelwirtschaft beenden.

Matthias Kullas im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Der griechische Ministerpräsident Tsipras in Brüssel
    Der griechische Ministerpräsident Tsipras in Brüssel (AFP/THIERRY CHARLIER)
    Daniel Heinrich: Zunächst geht es um Griechenland. Immer wieder Griechenland, könnte man schon fast sagen. Am Nachmittag war der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras mit Vertretern der EU-Kommission, der EZB und dem IWF zusammengekommen. Das Treffen war Vorbedingung für das Treffen der Euro-Finanzminister am Abend, und dieses Treffen wurde dann nach eineinhalb Stunden wieder abgebrochen. Einige der Teilnehmer waren im Anschluss richtig sauer.
    Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Matthias Kullas, Experte für Wirtschafts- und Fiskalpolitik am Centrum für Europäische Politik in Freiburg. Herr Kullas, ein Krisengipfel um Griechenland jagt ja momentan den nächsten. Warum sind die Verhandlungen mit Griechenland eigentlich so schwierig?
    Matthias Kullas: Nun, Tsipras wurde ja gewählt, weil er die Zusammenarbeit mit der Troika beenden will, und er muss jetzt einsehen, dass er einfach viele seiner Versprechen, Wahlversprechen über Bord werfen muss. Um so wenig wie möglich konsolidieren zu müssen, um so viel wie möglich von seinen Versprechen doch noch einhalten zu können, ist es für ihn taktisch eigentlich am geschicktesten, so spät wie möglich seine Angebote zu machen, weil dann stehen die Eurostaaten ein Stück weit mit dem Rücken zur Wand, denn sie wollen keinen Grexit riskieren und können dann nur noch bedingt reagieren und dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sie ihm ein Stück weit entgegenkommen.
    Heinrich: Sie haben jetzt die Regierung Tsipras schon angesprochen. Angenommen Sie wären einer der Berater von ihm, was würden Sie ihm denn in der jetzigen Situation raten?
    Kullas: Ich glaube, er muss erkennen, dass das, was er versprochen hat vor der Wahl, nicht möglich ist. Also das, was Schäuble immer gesagt hat: "Regieren ist ein Rendezvous mit der Realität", und darauf muss er einfach das Land und seine Partei einschwören. Er muss einfach klar sagen, dass es die Möglichkeit, im Euro zu bleiben und keine Reformen zu machen, nicht gibt und dass letztendlich das Land sich entscheiden soll: Will es Reformen und im Euro bleiben, oder will es aus dem Euro austreten.
    Heinrich: Momentan hat man ja so ein bisschen den Eindruck, dass diese Strukturreformen, die ja eigentlich nötig wären, in den Hintergrund rücken. Athen hat jetzt vorgeschlagen, die Unternehmenssteuern anzuheben, der IWF hat das wiederum abgelehnt, fordert Rentenkürzung und vor allem die Senkung der Rüstungsausgaben. Auf welche Bereiche müsste man sich denn jetzt gerade vor allem konzentrieren?
    Kullas: Ich gebe Ihnen vollkommen Recht. Das Problem der Strukturreformen ist in den Hintergrund getreten. Ich denke, das ist aber das eigentliche Problem. Griechenland ist nicht wettbewerbsfähig, das Land konsumiert zu viel und letztlich muss das Land eine wettbewerbsfähige Wirtschaft bekommen, wenn es langfristig im Euro bleiben will. Das sind Fragen, die momentan überhaupt nicht diskutiert werden. Wenn man sich die Sachen anschaut, die diskutiert werden, letztendlich sind das Haushaltskonsolidierungen. Das ist auch wichtig, aber das ist halt nur ein Punkt. Da sollte man darauf achten, dass eher Ausgaben gesenkt werden und nicht Steuern erhöht werden, denn das ist für die Wirtschaft verträglicher.
    "Reformen nicht umgesetzt"
    Heinrich: Kann man denn Griechenland überhaupt wettbewerbsfähig machen?
    Kullas: Stand jetzt würde ich sagen nein, denn momentan ist es so, dass die griechische Bevölkerung und die griechische Regierung einfach nicht zu den notwendigen Reformen bereit ist. Das heißt, was wir in den vergangenen Monaten und Jahren gesehen haben ist, dass da eine Regierung und eine Bevölkerung widerwillig Reformen beschlossen hat und die dann aber einfach nicht angewandt hat, nicht umgesetzt hat, weil es von der Bevölkerung und von der Verwaltung ohnehin klar war, wir wollen das ja gar nicht, das wurde uns ja nur erzwungen. Solange das nicht aufhört, kann das Land nicht wettbewerbsfähig werden. Die Unsicherheit über die Zukunft wird immer weitergehen. Es wird immer wieder nicht klar sein, tritt Griechenland aus, bleibt Griechenland im Euro. In diesem Szenario wird das Geld weiter ins Ausland transferiert von den Griechen. Die Griechen werden das Geld von den Banken abheben und das ist kein Rahmen, bei dem sich eine Wirtschaft entwickeln kann.
    Heinrich: Was müsste denn passieren, damit das geschehen kann?
    Kullas: Ich denke ganz klar. Letztlich müssen die Griechen einfach eine Entscheidung treffen. Sie müssen ganz klar vor die Wahl gestellt werden, was wollt ihr. Wollt ihr im Euro bleiben und euch an die Regeln halten oder nicht. Dann muss sich das Land entscheiden und dann muss es eine Regierung geben, die sich einfach dann auch hinter diese Reformen stellt und sagt okay, wir wollen diese Reformen. Wir machen diese Reformen nicht, weil die Troika, weil die Institutionen uns dazu zwingen, sondern wir haben erkannt, es ist notwendig, und wir stehen dazu und wollen das und wir hören auf mit der Klientelwirtschaft, wir hören auf, hier bestimmte Gruppen, Staatsbedienstete, Reiche zu begünstigen und dadurch Arme und Leute, die nicht im Staat beschäftigt sind, einfach stärker zu belasten. Das muss aufhören.
    Heinrich: Am 30. Juni läuft das Hilfsprogramm jetzt aus. Zweimal ist das schon verlängert worden. Ministerpräsident Tsipras sagt, der Grexit sei "der Anfang vom Ende des Euro". Wie begegnen Sie denn Befürchtungen, dass jetzt Währungsspekulanten darauf warten, dass das erste Land aus dem Euro ausscheidet?
    Kullas: Der Ausdruck Währungsspekulanten hört sich schon so an, als wären das wirklich jetzt nur irgendwelche Leute, die Gewinn machen wollen mit irgendwelchen Spekulationen. Ich glaube, diese Frage ist wirklich sehr real und das trifft schon normale Lebensversicherungen, eine Versicherung, der ich mein Geld gebe und die einfach irgendwas damit machen muss und Staatsanleihen kauft. Und die Frage ist natürlich klar: Diese Lebensversicherung muss sich die Frage stellen, tritt ein anderes Land aus oder nicht. Und die Antwort, die ich sagen kann: Ich weiß es nicht. Wir haben das bisher noch nicht gehabt. Wir wissen noch nicht mal, wie das formaljuristisch gehen kann. Das ist eine sehr große Unsicherheit, die damit einhergeht, und ich glaube, viel wird davon abhängen, wie sich Griechenland entwickelt, wenn es denn tatsächlich ausgetreten ist.
    Kein Schuldenschnitt bei Austritt Griechenlands
    Heinrich: Halten Sie es denn für realistisch, dass es für die Griechen sogar positiv sein könnte, wenn sie aus dem Euro austreten?
    Kullas: Das ist eine sehr schwierige Frage. Einerseits ja. Andererseits, weil die können letztendlich abwerten, und die ganzen Reformen, die sie jetzt nicht machen wollen, müssen sie dann nicht mehr machen, weil dann einfach die Abwertung automatisch für eine gewisse Wettbewerbsfähigkeit sorgt. Andererseits haben sie natürlich einen sehr hohen Schuldenberg immer noch und den haben sie auch, wenn sie austreten, und dann müsste es einen Schuldenschnitt geben. Aber ich glaube nicht, dass die anderen Eurostaaten ein Interesse haben, Griechenland diese Schulden zu erlassen, wenn sie austreten, aus verschiedensten Gründen. Zum einen, weil einfach es eine ganze Menge Länder gibt, die ärmer sind als Griechenland, wahrscheinlich auch dann noch, und die sagen, warum sollen wir Griechenland Schulden erlassen. Das zweite ist, dass schlicht man auch hier kein positives Signal für andere Länder setzen will, die dann auch auf die Idee kommen und sagen, wir könnten ja unsere Schulden los werden, indem wir einfach aus dem Euro austreten. Ich denke, vor dem Hintergrund glaube ich nicht, dass es einen großen Schuldenschnitt geben wird, und ich glaube, dass diese Schuldenlast, die Griechenland dann hat, sehr schwer auf der griechischen Wirtschaft und auf Griechenland lasten wird, und ich glaube von daher, dass es nicht leicht wird für Griechenland, da wieder auf die Beine zu kommen bei einem Austritt.
    Heinrich: Welche Länder hätten Sie da im Hinterkopf?
    Kullas: Ich denke einfach an Italien, die sehr, sehr hoch verschuldet sind, aber auch an andere Länder. In Portugal und in Spanien gibt es mittlerweile linke Strömungen, und das sind alles Länder, wo man sich das überlegen könnte, dass letztendlich ein Land dann diesen Weg wählt, den Griechenland wählt, wenn man sagt, na ja, wir bringen, wie die Griechen das jetzt gemacht haben, die heben das ganze Bargeld ab, sie sichern ihr Vermögen, dass wenn sie austreten eigentlich der Einzelne kaum mehr einen Vermögensverlust hat, und dann kriegen wir auch die Schulden dazu erlassen.
    Heinrich: Das sagt der Wirtschaftsexperte Matthias Kullas. Ich bedanke mich für das Gespräch!
    Kullas: Sehr gern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.