Es gibt einen Grund dafür, dass Menschen mit Narkolepsie immer wieder zusammenbrechen. Im Gehirn zirkuliert eine Art körpereigener Wachmacher, ein Hormon namens Orexin, und davon haben Narkoleptiker viel zu wenig. Jahrelang hatten Schlafforscher den Verdacht, dass eine Autoimmunreaktion dahinter steckt - dass der Körper selbst aus irgendeinem Grund die Orexin-bildenden Zellen im Gehirn zerstört. Nur beweisen konnten sie es nicht, sagt Emmanuel Mignot von der kalifornischen Stanford Universität.
"In den Jahren 2009, 2010 haben wir dann auf einmal immer mehr Fälle von Narkolepsie bei Kindern gesehen. Da gab es diesen Bericht aus Finnland, wonach einige Fälle durch den Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix ausgelöst worden sind. Aber: Auch in China gab es im Frühling 2010 plötzlich viel mehr Narkoleptiker. Die waren allerdings nicht geimpft, sondern richtig an der Schweinegrippe erkrankt."
Schweinegrippe-Virus ähnelt Orexin
Es muss also einen Zusammenhang geben zwischen diesen Narkolepsiefällen und dem Schweinegrippevirus - in einer Impfung sind ja zumindest Teile des Virus enthalten. Und tatsächlich:
"Wir haben gezeigt, dass das Schweinegrippe-Virus an einer Stelle fast genauso aussieht wie unser körpereigener Wachmacher Orexin. Und wenn die Menschen Immunzellen gegen die Viren bilden, geht das manchmal schief - die Immunzellen zerstören dann Orexin und greifen vermutlich auch die Orexin-bildenden Zellen im Gehirn an. Und dann erkrankt man an Narkolepsie."
Während der Schweinegrippe 2009 sind diverse Impfstoffe zum Einsatz gekommen, alle enthielten Viruspartikel. Doch warum hat ausgerechnet Pandemrix das Narkolepsie-Risiko erhöht? Es könnte am beigemischten Wirkverstärker liegen - dem Adjuvans AS03, das das Immunsystem zusätzlich anstacheln sollte.
"Ich glaube, dass an dem Wirkverstärker an sich erst einmal nichts verkehrt ist. Es ist nur so, dass er sehr mächtig ist, sehr stark. Und dass er die Immunantwort ziemlich pusht. Ich denke, dass die Viruspartikel im Impfstoff das eigentliche Problem waren, aber dass der Wirkverstärker das ganze noch potenziert hat."
Verkettung unglücklicher Umstände
Ist AS03 einfach zu stark? Oder hätte ein anderer Wirkverstärker in derselben Situation einen ähnlichen Effekt gehabt? Emmanuel Mignot weiß es nicht. Er ist sich aber sicher, dass verschiedene Faktoren zusammenkommen müssen, damit eine Narkolepsie ausgelöst wird - dass die Impfung oder Infektion alleine nicht ausreicht. Dafür spricht auch, dass Pandemrix in vielen Ländern in Europa zum Einsatz kam - aber dass das Risiko für Kinder, nach der Impfung zu erkranken, unterschiedlich hoch war. In Schweden war es drei Mal so hoch wie sonst, in Finnland und Irland sogar zwölf Mal. Auch in Deutschland wurde Pandemrix verimpft, das Narkolepsierisiko wird zurzeit aber noch untersucht.
"Gut möglich, dass es auch an den Umständen liegt. Als die Impfaktion in Nordeuropa begann, ist nämlich gleichzeitig schon die Schweinegrippe selbst über die Länder hinweggefegt. Vielleicht waren einige Kinder bereits mit der Schweingrippe infiziert und haben die Impfung obendrauf bekommen, wodurch die Immunantwort noch viel heftiger ausgefallen ist."
Auch andere Infektionen oder eine genetische Disposition könnten eine Rolle gespielt haben - eine Verkettung unglücklicher Umstände.
"Wir dürfen nicht vergessen, dass selbst in Finnland nur eines von 16.000 geimpften Kindern an Narkolepsie erkrankt ist. All die anderen nicht."
Falsche Behandlung
In Europa wird Pandemrix nicht mehr eingesetzt. Emmanuel Mignot findet das richtig. Aber der eigentliche Skandal, das sei für ihn, als Schlafmediziner, ein ganz anderer.
"Es war fürchterlich zu sehen, dass niemand in den betroffenen Ländern Ahnung hatte, wie man Kinder mit Narkolepsie richtig behandelt. Man kann den Kindern helfen, wieder ein fast normales Leben zu führen. Man muss aber wissen, wie. Es gibt spezielle Medikamente, die sehr teuer sind und in den Ländern kaum zu bekommen waren. Das mit Pandemrix war ein großes Unglück. Aber dass den Kindern nicht gut geholfen worden ist, war noch viel schlimmer."