Benedikt Schulz: Über den Übergang von Primarstufe auf weiterführende Schulen in Bayern haben wir gerade gesprochen. Und jetzt blicken wir in unser Nachbarland, in die Schweiz. Auch dort gibt es derzeit Streit darüber, wer aufs Gymnasium gehen darf und wer nicht. Auch in der Schweiz hängt das von der Leistung des jeweiligen Schülers oder der Schülerin ab, aber darüber hinaus hängt es vor allem davon ab, in welchem Kanton man zur Schule geht. In manchen Kantonen wechseln circa zwölf Prozent eines Jahrgangs aufs Gymnasium, in anderen, zum Beispiel im Kanton Basel, fast jeder zweite. Und dort, in Basel, ist man in der Politik jetzt der Meinung, das sind zu viele.
Damit es weniger werden, müssen Lehrer einen bestimmten Notendurchschnitt einhalten. Die Klassendurchschnittsnote darf höchstens 5,0 betragen – das entspricht etwa 2,0 nach deutschem Notensystem – theoretisch, unabhängig von den tatsächlichen Leistungen in der Klasse. Was ist davon zu halten? Über die Situation in der Schweiz spreche ich jetzt mit Franz Eberle, Gymnasialpädagoge am Institut für Erziehungswissenschaften an der Uni Zürich. Hallo, Herr Eberle!
Franz Eberle: Hallo, Herr Schulz!
Schulz: Direkt mal an Sie die Frage: Es muss ein Klassendurchschnitt eingehalten werden, um die Quote zu senken. Was ist davon zu halten?
Eberle: Man möchte ja mit dieser Maßnahme ein Problem lösen, das Problem zu hoher Gymnasialquote. Und da stellen sich zwei Fragen, nämlich, ist die hohe Gymnasialquote tatsächlich zu hoch, ist das tatsächlich ein Problem? Und die zweite Frage ist, wenn ja, ist die Maßnahme die richtige Lösung. Das wäre dann Ihre Frage, die Sie gestellt haben. Die erste Frage beantworte ich klar mit ja. Wenn jeder Zweite aufs Gymnasium kommt, dann ist das zu hoch. Ist die Maßnahme die richtige Lösung? Für mich ist es eine nicht optimale Lösung an der Oberfläche. Man kann das vielleicht so als Notmaßnahme durchgehen lassen, aber man zäumt quasi das Pferd am Schwanz auf.
Anspruchsvollerer Unterricht
Ich denke, man muss das Problem an der Wurzel anpacken und ganz vorn beginnen. Wenn nämlich in Basel die Gymnasialquote zweieinhalb mal so hoch ist wie zum Beispiel im Kanton St. Gallen, dann sind nicht einfach die Basler zweieinhalb mal so klug wie die St.-Galler. Es sind offenbar auch die Leistungsanforderungen eben bei der Zulassung tiefer sind. Und diese Leistungsanforderung sollte man erhöhen.
Das kann man machen, indem man die Prüfungen anspruchsvoller macht, sodass es nicht mehr so leicht ist, eine gute oder sehr gute Note zu erreichen. Und dazu sollten halt die Basler auch in die anderen Kantone schauen. Welche Prüfungsaufgaben stellen diese, und wie werden diese benotet? Wie sieht man das, dass dort wahrscheinlich die Anforderungen eben schon ein bisschen anspruchsvoller sind, weil wenn man einfach den Notenschnitt in der Notenskala, wenn man einfach den nach unten senkt, dann werden möglicherweise einfach zu leichte Aufgaben härter bewertet. Aber das Anspruchsniveau der verlangten Schulleistungen steigt nicht zwingend, und man sollte jetzt konkret in Basel den Unterricht und die Prüfungen anspruchsvoller machen und nicht einfach den Notenschnitt senken.
Schulz: Aus deutscher Perspektive ist die Zahl – jeder Zweite wechselt aufs Gymnasium – ja eigentlich gar nicht so viel. Aber man muss natürlich dazu wissen, dass, wer in der Schweiz die Maturität, also diesen Schulabschluss am Gymnasium, im Anschluss praktisch an jeder Hochschule jedes Fach studieren darf. Es gibt nicht so etwas wie einen Numerus Clausus bei Ihnen.
Eberle: Genau.
Das Ziel ist eine breitgefächerte Bildung
Schulz: Sollte man Zugangsbeschränkungen einführen an den Schweizer Hochschulen?
Eberle: Man könnte, wenn man einfach die Gymnasialquote erhöhen würde. Dann müsste man das vielleicht sogar machen, dass man Zulassungsbeschränkungen machen würde. Das könnte man schon machen. Das würde einfach zur Folge haben, dass das Gymnasium dann mehr auf einzelne Fächer ausgerichtet wäre und dass das zulasten gehe einer breiten Allgemeinbildung von Maturantinnen, Maturanten, die ich als sehr wichtig erachte. Wir haben genügend Fachleute später, und die sollen über ihren Tellerrand hinausblicken können, wenn es darum geht, anspruchsvolle Aufgaben auch in der Gesellschaft zu lösen. Das ist ein wichtiges Ziel des Gymnasiums, und da braucht es eben eine breite, breitgefächerte Bildung. Sobald Zulassungsbeschränkungen da sind, also wenn man sich auf die Bewältigung von Zulassungsbeschränkungen spezialisiert und fokussiert, dann geht das immer zulasten der Breite der Ausbildung. Das möchte eigentlich niemand. In der Schweiz schaut man diese Zugangsberechtigung mit einer Schweizer Matura ohne Prüfungen, ohne Numerus Clausus zum Studium, das man wählen möchte und wählt, schaut man als sehr hohes Gut an.
Fachkräftemangel auch in der Schweiz
Schulz: Über die Zahl der Abiturienten beziehungsweise daran anschließend über die Zahl der Akademiker haben wir hier in Deutschland ja auch eine Diskussion, und das schon seit einigen Jahren. Die einen meinen, wir brauchen noch viel mehr Akademiker, und das melden auch regelmäßig internationale Bildungsexperten zurück. Und die anderen sagen, der Fachkräftemangel ist aber zu groß, es sollen viel mehr junge Leute eine Ausbildung machen. Wie diskutiert die Schweiz über diese Frage?
Eberle: Der Fachkräftemangel ist in der Schweiz natürlich auch ein heißes Thema. Nur ist es so, der Fachkräftemangel zeigt sich nicht in allen Fachbereichen gleich. Zum Teil haben wir überschüssige Zahlen an Absolventen, die nicht so schnell eine Arbeitsstelle finden, und zum Teil haben wir echte Mangelbereiche, wo wir zu wenig Absolventinnen und Absolventen haben. In der Schweiz hat man ja nicht nur die universitären Studien, sondern man hat auch die Möglichkeit, wie in Deutschland natürlich auch, über die Fachhochschule einen Tertiärabschluss zu erwerben. Und das ist die Richtung, die man eher forciert in der Schweiz. Und da gibt es auf der Sekundarstufe zwei die Berufsmaturität, die wird in der Regel parallel zu einer Lehre erworben. Und damit erwerben sich die jungen Leute die Zugangsberechtigung zu spezifischen Fachhochschulstudien. Und das möchte man forcieren, nämlich in den Bereichen, wo wir Mangel haben, dass dort die jungen Leute ermuntert werden, dass sie sich doch auch eine Berufsmatura erwerben könnten. Das ist der eine Weg.
Der andere Weg von den Universitäten her, von der ETH, also der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich her zum Beispiel, da versucht man einfach, die Ingenieurstudien, die naturwissenschaftlichen Studienrichtungen, die sogenannten MINT-Studien, die versucht man attraktiver zu machen. Und das wirkt auch schon. In den letzten Jahren ist die Zahl der Studierenden an der ETH in Zürich beispielsweise markant gestiegen.
Schulz: Das sagt Franz Eberle. Er ist Gymnasialpädagoge am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität in Zürich. Herr Eberle, ich danke Ihnen ganz herzlich!
Eberle: Bitte, gern!
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