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Schwere Kerne aus Russland

Physik. - Während Russland die Abwanderung unterbezahlter Wissenschaftler zu beklagen hat, ist im russischen Kernforschungszentrum von Dubna ein interessantes Phänomen zu beobachten: Denn hier finden deutsche Wissenschaftler ein selbst gewähltes Exil.

Von Wolfgang Pietsch |
    Wie schon zu Sowjetzeiten stehen die Fischer am Ufer der Wolga – unterhalb der langen Promenade. Es ist nach den großen Umbrüchen der letzten Jahre ein Zeichen von Konstanz in Dubna, einer russischen Kleinstadt, zwei Autostunden vor den Toren von Moskau. Im Dubnaer Vereinigten Institut für Kernforschung trafen sich vor der Wende die besten Physiker aus allen Staaten des Warschauer Paktes. Ursprünglich ein streng geheimes Forschungszentrum für Stalins Atomwaffenprojekt, war das Institut später eine relativ offene Einrichtung. Für sowjetische Verhältnisse ungewöhnlich, gab es sogar intensive Kontakte zu westlichen Einrichtungen wie dem Genfer CERN. Man lebte in Dubna privilegiert, wohnte in schicken Landhäusern. Zu DDR-Zeiten gab es viele Gründe nach Dubna zu gehen, erzählt der Mathematiker Wolfgang Kleinig. Er arbeitet seit 1990 hier und ist Sprecher der etwa zehnköpfigen deutschen Gruppe:

    "Wenn man hier war, dann waren damals die Chancen, dass man zu einer Konferenz oder so was auch im westlichen Ausland fahren konnte, viel größer, als wenn man sich in der DDR befand. Und es gab auch gewisse finanzielle Vorteile, das muss man auch noch dazu sagen. "

    Anfang der 90er Jahre lebten in Dubna rund 45 Wissenschaftler aus der DDR – meist mit ihren Familien. Es stellte sich die Frage, wie das vereinigte Deutschland mit diesem Erbe umgehen würde. Professor Alexei Sissakjan, der am 1. Januar 2006 die Leitung des Instituts übernehmen wird, sagt, dass diese Zeit der Unsicherheit lange vorbei ist:

    "Ich halte die Zusammenarbeit mit Deutschland heute für vorbildlich. Wir kooperieren mit 75 wissenschaftlichen Zentren und Universitäten. Zwischen 300 und 400 gemeinsame wissenschaftliche Veröffentlichungen erscheinen jedes Jahr. "

    So kommen beispielsweise viele deutsche Geologen nach Dubna. Sie nutzen den dortigen gepulsten Neutronenreaktor zur Strukturuntersuchung von Gesteinsproben. Eine enge Zusammenarbeit besteht auch mit der Darmstädter Gesellschaft für Schwerionenforschung GSI bei der Suche nach neuen superschweren chemischen Elementen. Professor Anatoli Mesenzew ist Vizedirektor am Dubnaer Fljorow-Laboratorium, an dem diese Experimente durchgeführt werden. Der Forscher erzählt von einem regen Wissenschaftler- und Ideenaustausch:

    "Wir verwenden eine etwas andere Methode als die Physiker in Darmstadt. Aber auch die Experimente dort gehen zum Teil auf Ideen unseres wissenschaftlichen Leiters Professor Oganessian zurück. Unser Laboratorium nimmt an den Versuchen in Deutschland teil, dafür fahren regelmäßig Wissenschaftler nach Darmstadt. "

    Kooperation unter Konkurrenten. Deutsche und Russen teilten sich in den letzten Jahrzehnten die Erfolge: Nachdem in Darmstadt die Elemente 107 bis 112 synthetisiert werden konnten, wurden 113 bis 116 alle am Fljorow-Laboratorium entdeckt. Mit ihrer Erfahrung bei Planung und Bau von Teilchenbeschleunigern beteiligen sich Dubnaer Wissenschaftler auch am neuen internationalen Beschleunigerzentrum FAIR, das in Darmstadt von 2007 bis 2014 entstehen soll. Beispielsweise werden die supraleitenden Spulen, die einmal die Teilchen auf ihrer Bahn halten sollen, nach Vorbild ähnlicher Bauteile eines Dubnaer Ringbeschleunigers entwickelt. Verglichen mit den Experimentalphysikern sind für den Mathematiker Wolfgang Kleinig die Vorteile eines Arbeitsplatzes in Dubna eher ideeller Natur:

    "Hier sind auch gute Wissenschaftler, und das ist in der Theorie zum Beispiel ein wesentlicher Punkt. Und auch wenn das hier – außer meinem persönlichen Chaos – nicht gerade alles neu aussieht, es funktioniert alles. Wir haben hier eine sehr gute Internetanbindung und auch was Rechentechnik betrifft, ist alles da."

    Kleinig erzählt, dass das Computernetz entscheidend von deutscher Seite mitfinanziert worden sei. Die Bundesrepublik überweist rund eine Million Euro pro Jahr. Das Geld ist projektgebunden und sorgt auch dafür, dass die deutschen Wissenschaftler an ihren Anlagen reibungslos arbeiten können.