"Innovation heißt ja im Wortsinn Erneuerung. Um diese Erneuerung für unsere gesamte Lebenswelt ständig nach vorn treiben zu können, brauchen wir immer wieder neue Lösungen an Produkten, Lösungen an Technologien, und wir in Deutschland haben da eine besondere Stärke zu verzeichnen, nicht nur in Großunternehmen, sondern auch bei einer Reihe von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die weltweit knapp 50 Prozent der sogenannten hidden champions stellen, der Unternehmen, die mehrere Jahre lang hintereinander immer wieder die Weltmarktführerschaft technologisch nachweisen."
Raimund Neugebauer, der Präsident der Frauenhofer-Gesellschaft erklärt, was Deutschland wissenschaftlich, wirtschaftlich und industriell bis heute stark gemacht hat – es ist das hohe Innovationspotenzial, womit wir auch künftig in der globalen Konkurrenz punkten könnten, wenn es uns gelingt, dieses Niveau unter den Bedingungen des demografischen Wandels zu halten.
Das war überraschend: Ein Eröffnungsvortrag auf einer Demografie-Tagung, der nicht bei den Ängsten und Problemen angesichts einer alternden Gesellschaft ansetzt, sondern einen konstruktiven Weg einschlägt, der eine Perspektive vorgibt, wie der demografische Wandel gemeistert werden könnte, wo Gestaltungschancen liegen und nicht nur Risiken. Sascha Stowasser, vom arbeitgebernahen Institut für angewandte Arbeitswissenschaft in Düsseldorf griff das auf in seinen Überlegungen zu einem sogenannten demografiefesten Betrieb:
"Ein demografiefester Betrieb ist ein Betrieb, der wirklich mit dem demografischen Wandel umgehen kann, das heißt mit älteren Mitarbeitern die gleiche Produktivität, die gleiche Wettbewerbsfähigkeit hat wie mit jungen Mitarbeitern, der auch mit einer Situation klarkommt, dass vielleicht weniger Nachwuchs kommt, der als Betrieb also so attraktiv ist, um die verbleibenden Leute zu bekommen: das in der Summe ist ein demografiefester Betrieb."
Lange Zeit konnten die Personalchefs auf das hohe Angebot an gut ausgebildeten Nachwuchskräften setzen, junge strebsame Mitarbeiter, die dynamisch, mobil und besonders flexibel sind, weil sie in der Regel noch keine Familie gegründet haben, sozial ungebunden sind. Diese Beschäftigtengruppe ist auch in der gegenwärtigen digitalen Revolution besonders wichtig, weil sie für ihren Chef auch am Feierabend oder Wochenende per Mail erreichbar sind, wenn schwerwiegende Probleme auftreten oder Aufträge drängen, eben wenn der Betrieb sie braucht. Angesichts des einsetzenden Fachkräftemangels im Nachwuchsbereich aber kann diese Entwicklung nicht so weitergehen, erklärt Jan Dettmers, Arbeitspsychologe von der Universität Hamburg:
"Weil Unternehmen eben nicht mehr nur auf diese eine Beschäftigtengruppe zurückgreifen können. Vielmehr sind sie darauf angewiesen, dass sie auch die hoch qualifizierte alleinerziehende Frau ins Unternehmen integrieren können; auch den Mittvierziger, der vielleicht zu pflegende Angehörige zu Hause hat, dass auch dessen Bedürfnisse mitberücksichtigt werden, dass auch diese Personen mit ihren Bedürfnissen ins Arbeitsleben allgemein eingebunden werden, insofern ist dieses Thema "work life balance" nicht mehr nur ein Thema, was Erholungsprozesse betrifft oder was die Attraktivität von Arbeitgebern betrifft, sondern eine ganz zentrale Herausforderung, die Unternehmen bewältigen müssen, um ausreichend qualifiziertes Personal zu bekommen."
Work-Life-Balance, also ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben – das war in der Vergangenheit ein Schlagwort, mit dem Arbeitgeber begehrte Führungskräfte köderten, indem sie auf das Einkommen noch etliche Vergünstigungen für das Freizeitleben draufpackten. Nun jedoch erfährt der Begriff eine neue und viel umfassendere Bedeutung, erläutert Eva Bamberg, sie lehrt ebenfalls Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Hamburg:
"Ich sehe mindestens zwei Fragen. Die eine Frage ist, inwiefern haben Menschen Zeit und Kapazitäten für ihre Familie, für ehrenamtliche und soziale Tätigkeiten und für die Arbeitstätigkeit gleichermaßen, das ist die eine Frage, und die andere dass man sich überlegt, wie der Alternsprozess so gestaltet werden kann, dass Menschen möglichst lange gesund bleiben - das ist ja das ganz zentrale Thema und hier spielt work life balance die zentrale Rolle weil von einer work life balance letztendlich abhängig ist, ob man sich von den Belastungen, die man eventuell in der Erwerbsarbeit hat, gut erholen kann."
Bislang hat man sich in der Demografie-Forschung vor allem auf die älteren und alten Menschen konzentriert. Und in einzelnen Großunternehmen wurden spezielle Arbeitsplätze für ältere Mitarbeiter eingerichtet, so zum Beispiel in der Automobilindustrie das Projekt Silverline - wo im doppelten Wortsinn ergraute KFZ-Mechaniker bei gemäßigten Taktzeiten silberfarbene Sportwagen montierten. Aber inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der demografische Wandel die Gesellschaft im Ganzen betrifft und auf betrieblicher Ebene die gesamte Belegschaft, weil das Durchschnittalter bei späterem Renteneintritt immer weiter ansteigt. Deshalb lautet die demografische Herausforderung auch für die Unternehmen, wie man nicht nur die heute alten, sondern auch die jungen Mitarbeiter, also die künftigen alten für ein langes Erwerbsleiden körperlich und geistig fit erhalten kann.
Die Betriebe, so folgert Sascha Stowasser, müssten deshalb das Thema umfassend angehen. Er nennt dafür verschiedene Handlungsfelder:
"Beispielsweise Arbeitszeiten anzupassen an die Flexibilitätsanforderungen der Mitarbeiter, beispielsweise die Arbeitsgestaltung so zu machen, dass sie ständig Entlastungen neben der Belastung haben …. wenn ich beispielsweise auf die Automobilindustrie schaue, taktgebundene Fließfertigung, Mitarbeiter, die nach diesem Prinzip von morgens bis abends an einer Arbeitsstation stehen und immer die gleichen Handgriffe machen, die sind dann natürlich irgendwie gefährdet zum Beispiel im Schulterbereich, wenn sie über Kopf arbeiten, da gibt es aber schöne Modelle, Umsetzungen in der Automobilindustrie, die sagen: "Okay, vier Stunden machst du den Job, vier weitere Stunden wechselst du, machst einen anderen Job, damit der Rücken entlastet wird" - das ist eine Sache."
Sascha Stowasser betont, dass es kein allgemeingültiges Patentrezept für den demografiefesten Betrieb gebe. Vielmehr gelte es, sich in jedem Unternehmen die spezifischen Bedingungen und Anforderungen anzuschauen. Und daraufhin ein passendes Konzept zu entwickeln. Was für das eine Unternehmen ein sinnvolles Freizeitangebot darstellt, was für körperliche Fitness und Ausgleich sorgt, das könnte bei einem anderen Betrieb zum Bumerang geraten:
"Beispielsweise würde ich nie einem Fliesenlegerhandwerker empfehlen, dass er eine Fußball-AG aufmacht, denn die sind sowieso schon kniegeschädigt, und dann noch Fußball anzubieten als Freizeitsport bzw. als Ausgleich, das würde ich nicht machen, sondern wir müssen schauen, was ist Sache und was können wir im Unternehmen machen, Beispiele gibt es da schon sehr viele im Vergleich zu vor zehn Jahren."
Zwei Schlüsselkompetenzen haben sich für Sascha Stowasser herauskristallisiert, um den demografischen Wandel auf betrieblicher Ebene zu meistern: erstens eine Gesundheitsorientierung im weitesten Sinn, das schließt auf individueller Seite gute Ernährung, Ausgleichssport und vernünftige Lebensführung ein, und das sollte vom Unternehmen durch entsprechende Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitszeitregelungen unterstützt werden.
Die zweite Schlüsselkompetenz nennt Stowasser Prozessverbesserung. Darunter versteht er vor allem Produktivitätssteigerung und Innovation. Dafür seien lebenslanges Lernen nötig und betrieblich geförderte Weiterbildung:
"Wir haben moderne Produktionssysteme, und da ist der Mitarbeiter gefordert mitzudenken, die Prozesse nach vorne zu bringen, zu optimieren, das ist ein Joker unseres deutschen Standortes, nämlich immer besser zu sein als in der Vergangenheit, und da braucht man Leute, die geistig fit sind, die mitgehen mit der Technologie, die geistig nicht träge sind, sondern aktiv die Prozesse überdenken … die schauen, wo ist Verschwendung im Prozess, wo sind Dinge, die ich besser machen kann, das muss erst einmal gelernt sein, weil viele Mitarbeiter sagen: ‚Na gut, wenn ich jetzt an meinem Arbeitsplatz etwas verbessere, vielleicht bin ich dann bald weg, bin ich dann entbehrlich."
An dieser Stelle trifft Stowasser einen neuralgischen Punkt. Was motiviert und ermutigt den Mitarbeiter zu Verbesserungsvorschlägen, die vielleicht sogar innovativ sind. Innovation lässt sich durch Weiterbildungsprogramme allein nicht systematisch erzeugen, sie setzt auch ein ein gewachsenes Vertrauensverhältnis im Unternehmen voraus, so die Psychologin Antje Ducki, sie lehrt an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin:
"Innovatives Verhalten ist immer eine freiwillige Leistung, die über den normalen Aufgabenrahmen hinaus reicht, und ich werde mich nun dann freiwillig engagieren und mir Gedanken machen, wie man es besser machen könnte, wenn ich ein Fundament habe, wenn ich eine Bindung habe zu meinem Unternehmen und selbstbewusst genug bin und mich soweit mit meiner Aufgabe identifiziere, dass ich dann auch Innovation mit voranbringen kann."
Antje Ducki geht über den aus ihrer Sicht viel zu eng gefassten Begriff von Gesundheit hinaus, wie ihn Sascha Stowasser als Schlüsselkompetenz definiert hatte. Für sie gehört dazu auch seelische Gesundheit, psychische Stabilität:
"Wenn ich jetzt von Gesundheit rede, dann meine ich mehr als körperliche Unversehrtheit, zur Gesundheit gehört ein engagiertes selbstbestimmtes Leben, gehört psychische Gesundheit, das bedeutet, dass ich selbstbewusst bin, dass ich mir selber Anforderungen stelle, die ich dann auch erfolgreich lösen kann, dass ich zufrieden bin, dass ich stolz bin auf meine Arbeit - das sind alles Aspekte von psychischer Gesundheit."
Stolz sein auf seine Arbeit – dieses Gefühl kann man nicht für sich allein herstellen, es schließt Anerkennung durch andere ein, durch Kollegen, durch Vorgesetzte, letztlich erfordert es ein Unternehmensklima, in dem gegenseitige Wertschätzung gedeiht.
Insofern ist die Schlüsselkompetenz Innovation eine komplexe Angelegenheit, aber wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, so hängt sie nicht am Alter, erklärt Antje Ducki:
"Wir selber haben einmal eine Studie gemacht bei Siemens, indem wir das betriebliche Vorschlagswesen ausgewertet haben, die Vorschläge, die von älteren Beschäftigten gekommen sind, waren hochwertigere Vorschläge - in dem Sinne was daraus entsteht, was tatsächlich mehr Gewinn bringt - als die Vorschläge von den jungen Menschen. Das heißt Ältere sind innovationsfähig und können auch weiterhin Innovationen voranbringen, was für uns in Deutschland extrem wichtig ist, damit sie das aber können, müssen sie gesund sein."
Nun hat allerdings Reimund Neugebauer in seinem Eröffnungsvortrag nicht nur von Innovation allgemein gesprochen, er hat vielmehr zwei Typen von Innovation unterschieden:
"Sie können erneuern, indem Sie ständig das Vorhandene weiter entwickeln und verbessern. Das nennen wir die evolutionäre Innovation. Oder Sie haben völlig neue Ideen durch kognitive Forschung, durch Erkenntnis, theoretisch neue Ansätze, und dann bekommen sie völlig neue Produkte auf der Basis anderer Werkstoffe, anderer Wirkungsmechanismen und ähnlicher Dinge, und dann haben sie in der Regel einen länger anhaltenden Vorsprung. Und wir bei Fraunhofer sind der Meinung, das ist der entscheidende Punkt für Deutschland im globalen Wettbewerb mittel- und langfristig."
Mit dem ersten Innovationstyp, der Optimierung und kleine Verbesserung hervorbringt, hat Deutschland - so Neugebauers These - im globalen Wettbewerb jedoch keine große Chance. Hier hätten die großen Volkswirtschaften der Schwellenländer China, Indien und Brasilien langfristig die Nase vorn:
"Es bleibt uns also die Exzellenz, sprich durch Kognition immer wieder völlig Neues, Originäres am Markt zu platzieren. Die Schweizer haben das mit ihren Technologien in den letzten Jahren immer wieder gut geschafft und das ist, denke ich, eine große Chance für Deutschland in der Zukunft."
Aber hier stellt sich die Frage, ist nicht gerade die revolutionäre Neuerung, der wirkliche gedankliche Sprung, eine Domäne der jungen Leute, ihrer Leichtigkeit und Experimentierlust? Wir denken an Bill Gates, die jugendlichen Bastler in den Garagen des Silikon Valley. – Und stehen im Gegensatz dazu ältere reifere Menschen nicht eher für das Innovationsmodell der kleinen, aber realistischen Verbesserungen?
Psychologen wie Eva Bamberg betonen, dass die menschliche Fähigkeit zur Innovation im sozialen Zusammenspiel eine besondere neue Qualität erreicht:
"Man kann Innovation im Individuellen sehen, also wie innovativ oder kreativ ist die einzelne Person, oder man kann es als Gruppenleistung sehen, wie kreativ, innovativ ist die Gruppe. Wenn wir mal von der einzelnen Person ausgehen, dann sind die Kreativitätspotenziale in Abhängigkeit vom Alter unterschiedlich. Allein wenn Sie in der Wissenschaft bleiben, ist das je nach Wissenschaftsdisziplin völlig unterschiedlich, ob Menschen ihre Höchstleistungen im Alter von 32 oder 65 haben, das ist höchst interessant – Fazit: Die individuellen Innovationspotenziale, die sinken nicht im Laufe der Zeit, sondern die sind auch im höheren Alter noch vorhanden. Wenn wir uns jetzt die Gruppe anschauen, dann würde ich davon ausgehen, dass die innovativen Potenziale durch die Heterogenität der Gruppe zustande kommen, durch unterschiedliche Ansichten, unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Strategien. Und das würde dafür sprechen, dass Gruppen möglichst heterogen zusammengesetzt sind: jüngere und ältere, unterschiedliche Nationalitäten und unterschiedliche Geschlechtszugehörigkeit."
Innovation – jedenfalls in der komplexen Arbeitswelt, lässt sich nicht auf den Moment reduzieren, auf den berühmten Geistesblitz, darauf, dass jemand eine Idee hat. Damit die Idee zur Innovation wird, braucht es mehr, so Jan Dettmers:
"Zur Innovation gehört ein ganzer Prozess, der beginnt möglicherweise mit einer Idee, die als sinnvoll erachtet wird, und dann geht aber ein ganzer Prozess weiter, der darauf abzielt, Unterstützer für diese Idee zu gewinnen, die Idee im Unternehmen zu verbreiten und letztlich auch diese Idee umzusetzen."
Die Erfolgsformel für den demografischen Wandel liegt, jedenfalls was die Arbeitswelt angeht, im generationsübergreifenden Miteinander. Innovativ ist nicht der Einzelne, innovativ ist das Team, und je gemischter, auch altersgemischter es sich darstellt, desto Erfolg versprechender sind seine Konzepte. So jedenfalls ließe sich ein optimistisches Resümee aus der Tagung über den demografischen Wandel ziehen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat in diesem Sinne die überkommene Devise "Alt wird durch Jung ersetzt" durchgestrichen und das Motto ausgegeben: "Alt wird durch Jung – ergänzt".
Raimund Neugebauer, der Präsident der Frauenhofer-Gesellschaft erklärt, was Deutschland wissenschaftlich, wirtschaftlich und industriell bis heute stark gemacht hat – es ist das hohe Innovationspotenzial, womit wir auch künftig in der globalen Konkurrenz punkten könnten, wenn es uns gelingt, dieses Niveau unter den Bedingungen des demografischen Wandels zu halten.
Das war überraschend: Ein Eröffnungsvortrag auf einer Demografie-Tagung, der nicht bei den Ängsten und Problemen angesichts einer alternden Gesellschaft ansetzt, sondern einen konstruktiven Weg einschlägt, der eine Perspektive vorgibt, wie der demografische Wandel gemeistert werden könnte, wo Gestaltungschancen liegen und nicht nur Risiken. Sascha Stowasser, vom arbeitgebernahen Institut für angewandte Arbeitswissenschaft in Düsseldorf griff das auf in seinen Überlegungen zu einem sogenannten demografiefesten Betrieb:
"Ein demografiefester Betrieb ist ein Betrieb, der wirklich mit dem demografischen Wandel umgehen kann, das heißt mit älteren Mitarbeitern die gleiche Produktivität, die gleiche Wettbewerbsfähigkeit hat wie mit jungen Mitarbeitern, der auch mit einer Situation klarkommt, dass vielleicht weniger Nachwuchs kommt, der als Betrieb also so attraktiv ist, um die verbleibenden Leute zu bekommen: das in der Summe ist ein demografiefester Betrieb."
Lange Zeit konnten die Personalchefs auf das hohe Angebot an gut ausgebildeten Nachwuchskräften setzen, junge strebsame Mitarbeiter, die dynamisch, mobil und besonders flexibel sind, weil sie in der Regel noch keine Familie gegründet haben, sozial ungebunden sind. Diese Beschäftigtengruppe ist auch in der gegenwärtigen digitalen Revolution besonders wichtig, weil sie für ihren Chef auch am Feierabend oder Wochenende per Mail erreichbar sind, wenn schwerwiegende Probleme auftreten oder Aufträge drängen, eben wenn der Betrieb sie braucht. Angesichts des einsetzenden Fachkräftemangels im Nachwuchsbereich aber kann diese Entwicklung nicht so weitergehen, erklärt Jan Dettmers, Arbeitspsychologe von der Universität Hamburg:
"Weil Unternehmen eben nicht mehr nur auf diese eine Beschäftigtengruppe zurückgreifen können. Vielmehr sind sie darauf angewiesen, dass sie auch die hoch qualifizierte alleinerziehende Frau ins Unternehmen integrieren können; auch den Mittvierziger, der vielleicht zu pflegende Angehörige zu Hause hat, dass auch dessen Bedürfnisse mitberücksichtigt werden, dass auch diese Personen mit ihren Bedürfnissen ins Arbeitsleben allgemein eingebunden werden, insofern ist dieses Thema "work life balance" nicht mehr nur ein Thema, was Erholungsprozesse betrifft oder was die Attraktivität von Arbeitgebern betrifft, sondern eine ganz zentrale Herausforderung, die Unternehmen bewältigen müssen, um ausreichend qualifiziertes Personal zu bekommen."
Work-Life-Balance, also ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben – das war in der Vergangenheit ein Schlagwort, mit dem Arbeitgeber begehrte Führungskräfte köderten, indem sie auf das Einkommen noch etliche Vergünstigungen für das Freizeitleben draufpackten. Nun jedoch erfährt der Begriff eine neue und viel umfassendere Bedeutung, erläutert Eva Bamberg, sie lehrt ebenfalls Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Hamburg:
"Ich sehe mindestens zwei Fragen. Die eine Frage ist, inwiefern haben Menschen Zeit und Kapazitäten für ihre Familie, für ehrenamtliche und soziale Tätigkeiten und für die Arbeitstätigkeit gleichermaßen, das ist die eine Frage, und die andere dass man sich überlegt, wie der Alternsprozess so gestaltet werden kann, dass Menschen möglichst lange gesund bleiben - das ist ja das ganz zentrale Thema und hier spielt work life balance die zentrale Rolle weil von einer work life balance letztendlich abhängig ist, ob man sich von den Belastungen, die man eventuell in der Erwerbsarbeit hat, gut erholen kann."
Bislang hat man sich in der Demografie-Forschung vor allem auf die älteren und alten Menschen konzentriert. Und in einzelnen Großunternehmen wurden spezielle Arbeitsplätze für ältere Mitarbeiter eingerichtet, so zum Beispiel in der Automobilindustrie das Projekt Silverline - wo im doppelten Wortsinn ergraute KFZ-Mechaniker bei gemäßigten Taktzeiten silberfarbene Sportwagen montierten. Aber inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der demografische Wandel die Gesellschaft im Ganzen betrifft und auf betrieblicher Ebene die gesamte Belegschaft, weil das Durchschnittalter bei späterem Renteneintritt immer weiter ansteigt. Deshalb lautet die demografische Herausforderung auch für die Unternehmen, wie man nicht nur die heute alten, sondern auch die jungen Mitarbeiter, also die künftigen alten für ein langes Erwerbsleiden körperlich und geistig fit erhalten kann.
Die Betriebe, so folgert Sascha Stowasser, müssten deshalb das Thema umfassend angehen. Er nennt dafür verschiedene Handlungsfelder:
"Beispielsweise Arbeitszeiten anzupassen an die Flexibilitätsanforderungen der Mitarbeiter, beispielsweise die Arbeitsgestaltung so zu machen, dass sie ständig Entlastungen neben der Belastung haben …. wenn ich beispielsweise auf die Automobilindustrie schaue, taktgebundene Fließfertigung, Mitarbeiter, die nach diesem Prinzip von morgens bis abends an einer Arbeitsstation stehen und immer die gleichen Handgriffe machen, die sind dann natürlich irgendwie gefährdet zum Beispiel im Schulterbereich, wenn sie über Kopf arbeiten, da gibt es aber schöne Modelle, Umsetzungen in der Automobilindustrie, die sagen: "Okay, vier Stunden machst du den Job, vier weitere Stunden wechselst du, machst einen anderen Job, damit der Rücken entlastet wird" - das ist eine Sache."
Sascha Stowasser betont, dass es kein allgemeingültiges Patentrezept für den demografiefesten Betrieb gebe. Vielmehr gelte es, sich in jedem Unternehmen die spezifischen Bedingungen und Anforderungen anzuschauen. Und daraufhin ein passendes Konzept zu entwickeln. Was für das eine Unternehmen ein sinnvolles Freizeitangebot darstellt, was für körperliche Fitness und Ausgleich sorgt, das könnte bei einem anderen Betrieb zum Bumerang geraten:
"Beispielsweise würde ich nie einem Fliesenlegerhandwerker empfehlen, dass er eine Fußball-AG aufmacht, denn die sind sowieso schon kniegeschädigt, und dann noch Fußball anzubieten als Freizeitsport bzw. als Ausgleich, das würde ich nicht machen, sondern wir müssen schauen, was ist Sache und was können wir im Unternehmen machen, Beispiele gibt es da schon sehr viele im Vergleich zu vor zehn Jahren."
Zwei Schlüsselkompetenzen haben sich für Sascha Stowasser herauskristallisiert, um den demografischen Wandel auf betrieblicher Ebene zu meistern: erstens eine Gesundheitsorientierung im weitesten Sinn, das schließt auf individueller Seite gute Ernährung, Ausgleichssport und vernünftige Lebensführung ein, und das sollte vom Unternehmen durch entsprechende Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitszeitregelungen unterstützt werden.
Die zweite Schlüsselkompetenz nennt Stowasser Prozessverbesserung. Darunter versteht er vor allem Produktivitätssteigerung und Innovation. Dafür seien lebenslanges Lernen nötig und betrieblich geförderte Weiterbildung:
"Wir haben moderne Produktionssysteme, und da ist der Mitarbeiter gefordert mitzudenken, die Prozesse nach vorne zu bringen, zu optimieren, das ist ein Joker unseres deutschen Standortes, nämlich immer besser zu sein als in der Vergangenheit, und da braucht man Leute, die geistig fit sind, die mitgehen mit der Technologie, die geistig nicht träge sind, sondern aktiv die Prozesse überdenken … die schauen, wo ist Verschwendung im Prozess, wo sind Dinge, die ich besser machen kann, das muss erst einmal gelernt sein, weil viele Mitarbeiter sagen: ‚Na gut, wenn ich jetzt an meinem Arbeitsplatz etwas verbessere, vielleicht bin ich dann bald weg, bin ich dann entbehrlich."
An dieser Stelle trifft Stowasser einen neuralgischen Punkt. Was motiviert und ermutigt den Mitarbeiter zu Verbesserungsvorschlägen, die vielleicht sogar innovativ sind. Innovation lässt sich durch Weiterbildungsprogramme allein nicht systematisch erzeugen, sie setzt auch ein ein gewachsenes Vertrauensverhältnis im Unternehmen voraus, so die Psychologin Antje Ducki, sie lehrt an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin:
"Innovatives Verhalten ist immer eine freiwillige Leistung, die über den normalen Aufgabenrahmen hinaus reicht, und ich werde mich nun dann freiwillig engagieren und mir Gedanken machen, wie man es besser machen könnte, wenn ich ein Fundament habe, wenn ich eine Bindung habe zu meinem Unternehmen und selbstbewusst genug bin und mich soweit mit meiner Aufgabe identifiziere, dass ich dann auch Innovation mit voranbringen kann."
Antje Ducki geht über den aus ihrer Sicht viel zu eng gefassten Begriff von Gesundheit hinaus, wie ihn Sascha Stowasser als Schlüsselkompetenz definiert hatte. Für sie gehört dazu auch seelische Gesundheit, psychische Stabilität:
"Wenn ich jetzt von Gesundheit rede, dann meine ich mehr als körperliche Unversehrtheit, zur Gesundheit gehört ein engagiertes selbstbestimmtes Leben, gehört psychische Gesundheit, das bedeutet, dass ich selbstbewusst bin, dass ich mir selber Anforderungen stelle, die ich dann auch erfolgreich lösen kann, dass ich zufrieden bin, dass ich stolz bin auf meine Arbeit - das sind alles Aspekte von psychischer Gesundheit."
Stolz sein auf seine Arbeit – dieses Gefühl kann man nicht für sich allein herstellen, es schließt Anerkennung durch andere ein, durch Kollegen, durch Vorgesetzte, letztlich erfordert es ein Unternehmensklima, in dem gegenseitige Wertschätzung gedeiht.
Insofern ist die Schlüsselkompetenz Innovation eine komplexe Angelegenheit, aber wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, so hängt sie nicht am Alter, erklärt Antje Ducki:
"Wir selber haben einmal eine Studie gemacht bei Siemens, indem wir das betriebliche Vorschlagswesen ausgewertet haben, die Vorschläge, die von älteren Beschäftigten gekommen sind, waren hochwertigere Vorschläge - in dem Sinne was daraus entsteht, was tatsächlich mehr Gewinn bringt - als die Vorschläge von den jungen Menschen. Das heißt Ältere sind innovationsfähig und können auch weiterhin Innovationen voranbringen, was für uns in Deutschland extrem wichtig ist, damit sie das aber können, müssen sie gesund sein."
Nun hat allerdings Reimund Neugebauer in seinem Eröffnungsvortrag nicht nur von Innovation allgemein gesprochen, er hat vielmehr zwei Typen von Innovation unterschieden:
"Sie können erneuern, indem Sie ständig das Vorhandene weiter entwickeln und verbessern. Das nennen wir die evolutionäre Innovation. Oder Sie haben völlig neue Ideen durch kognitive Forschung, durch Erkenntnis, theoretisch neue Ansätze, und dann bekommen sie völlig neue Produkte auf der Basis anderer Werkstoffe, anderer Wirkungsmechanismen und ähnlicher Dinge, und dann haben sie in der Regel einen länger anhaltenden Vorsprung. Und wir bei Fraunhofer sind der Meinung, das ist der entscheidende Punkt für Deutschland im globalen Wettbewerb mittel- und langfristig."
Mit dem ersten Innovationstyp, der Optimierung und kleine Verbesserung hervorbringt, hat Deutschland - so Neugebauers These - im globalen Wettbewerb jedoch keine große Chance. Hier hätten die großen Volkswirtschaften der Schwellenländer China, Indien und Brasilien langfristig die Nase vorn:
"Es bleibt uns also die Exzellenz, sprich durch Kognition immer wieder völlig Neues, Originäres am Markt zu platzieren. Die Schweizer haben das mit ihren Technologien in den letzten Jahren immer wieder gut geschafft und das ist, denke ich, eine große Chance für Deutschland in der Zukunft."
Aber hier stellt sich die Frage, ist nicht gerade die revolutionäre Neuerung, der wirkliche gedankliche Sprung, eine Domäne der jungen Leute, ihrer Leichtigkeit und Experimentierlust? Wir denken an Bill Gates, die jugendlichen Bastler in den Garagen des Silikon Valley. – Und stehen im Gegensatz dazu ältere reifere Menschen nicht eher für das Innovationsmodell der kleinen, aber realistischen Verbesserungen?
Psychologen wie Eva Bamberg betonen, dass die menschliche Fähigkeit zur Innovation im sozialen Zusammenspiel eine besondere neue Qualität erreicht:
"Man kann Innovation im Individuellen sehen, also wie innovativ oder kreativ ist die einzelne Person, oder man kann es als Gruppenleistung sehen, wie kreativ, innovativ ist die Gruppe. Wenn wir mal von der einzelnen Person ausgehen, dann sind die Kreativitätspotenziale in Abhängigkeit vom Alter unterschiedlich. Allein wenn Sie in der Wissenschaft bleiben, ist das je nach Wissenschaftsdisziplin völlig unterschiedlich, ob Menschen ihre Höchstleistungen im Alter von 32 oder 65 haben, das ist höchst interessant – Fazit: Die individuellen Innovationspotenziale, die sinken nicht im Laufe der Zeit, sondern die sind auch im höheren Alter noch vorhanden. Wenn wir uns jetzt die Gruppe anschauen, dann würde ich davon ausgehen, dass die innovativen Potenziale durch die Heterogenität der Gruppe zustande kommen, durch unterschiedliche Ansichten, unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Strategien. Und das würde dafür sprechen, dass Gruppen möglichst heterogen zusammengesetzt sind: jüngere und ältere, unterschiedliche Nationalitäten und unterschiedliche Geschlechtszugehörigkeit."
Innovation – jedenfalls in der komplexen Arbeitswelt, lässt sich nicht auf den Moment reduzieren, auf den berühmten Geistesblitz, darauf, dass jemand eine Idee hat. Damit die Idee zur Innovation wird, braucht es mehr, so Jan Dettmers:
"Zur Innovation gehört ein ganzer Prozess, der beginnt möglicherweise mit einer Idee, die als sinnvoll erachtet wird, und dann geht aber ein ganzer Prozess weiter, der darauf abzielt, Unterstützer für diese Idee zu gewinnen, die Idee im Unternehmen zu verbreiten und letztlich auch diese Idee umzusetzen."
Die Erfolgsformel für den demografischen Wandel liegt, jedenfalls was die Arbeitswelt angeht, im generationsübergreifenden Miteinander. Innovativ ist nicht der Einzelne, innovativ ist das Team, und je gemischter, auch altersgemischter es sich darstellt, desto Erfolg versprechender sind seine Konzepte. So jedenfalls ließe sich ein optimistisches Resümee aus der Tagung über den demografischen Wandel ziehen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat in diesem Sinne die überkommene Devise "Alt wird durch Jung ersetzt" durchgestrichen und das Motto ausgegeben: "Alt wird durch Jung – ergänzt".