Ruben Neugebauer: Wir haben im letzten Jahr festgestellt, dass viele von den Flüchtlingsbooten in Seenot, die wir gefunden haben, kein Satellitentelefon dabei hatten. Das bedeutet, dass die keine Möglichkeit haben, einen Notruf selber abzusetzen, um damit ein Schiff zur Rettung ranzuholen, sondern diese Boote sind darauf angewiesen, dass sie gefunden werden.
Auf dem Radar sind diese Boote oft schwer zu sehen, weil die oft aus Plastik sind und das auf dem Radar einfach nicht so gut zu sehen ist. Aus dem Grund haben wir uns dazu entschieden, eine Mission in der Luft zu starten. Es geht uns einfach darum, einen Überblick zu bekommen über die Situation auf dem Mittelmeer, die ja auch immer komplizierter wird, und zum einen unseren humanitären Einsatz dadurch zu ergänzen. Und zum anderen geht es uns natürlich auch darum, der Europäischen Union auf die Finger zu gucken, die gerade schon wieder Anstalten macht, so was Ähnliches wie den Türkei-Deal mit Libyen zu planen, und das geht natürlich gar nicht. Auch da ist es so, dass wir aus der Luft eine sehr gute Übersicht haben werden, was dort vor Ort passiert.
Zerback: Und da mal ganz praktisch gefragt: Wie genau helfen Sie denn dann vor Ort?
"Wichtigstes Tool - ein Satellitenrouter an Bord"
Neugebauer: Genau. Wir haben ein Ultraleichtflugzeug vom Typ C42. Das ist ein kleines Flugzeug, mit dem wir dann in dem Gebiet vor der libyschen Patrouille fliegen werden. Wenn wir ein Boot in Seenot entdecken, dann haben wir verschiedene Möglichkeiten an Bord, wie wir das melden können. Zum einen - und das ist das wichtigste Tool - ist ein Satellitenrouter an Bord. Das bedeutet, wir können dann per E-Mail die Rettungskräfte informieren. Das sind zivile Rettungsschiffe, die da vor Ort sind, wie zum Beispiel unser Schiff, die Sea Watch, oder auch andere Schiffe von den Organisationen, die da vor Ort sind, wie zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen oder SOS Mediterranee.
Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir sowohl ein Schlauchboot als auch ein Schiff in der Nähe sehen, das Schiff vielleicht aber das Schlauchboot noch nicht gesehen hat, und dann können wir einfach hinfliegen zu dem Schiff und dem Bescheid geben, dass dort ein Boot ganz in der Nähe ist.
Zerback: Nun hat die EU ja selber auch Schiffe, Flugzeuge, Hubschrauber, auch Drohnen im Einsatz, unter anderem in der EU-Operation Sophia. Wie läuft denn da die Zusammenarbeit? Wie organisieren Sie die?
"Forderung nach legalen Einreisewegen"
Neugebauer: Die Zusammenarbeit läuft an sich sehr gut. Es gibt die Rettungsleitstelle in Rom, die in erster Linie dafür zuständig ist, das zu koordinieren. Das machen die auch und das läuft an sich super. Auch die Zusammenarbeit mit den militärischen Kräften hat sich da stark verbessert im Vergleich noch zum letzten Jahr. Da gibt es durchaus eine sehr gute Kooperation. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass der Unterschied zwischen uns und der Mission von der EU der ist, dass wir das verknüpfen auch mit einer Forderung nach legalen Einreisewegen, und die Europäische Union macht ja die Seenotrettung nebenher. Die wollen eigentlich abschrecken, die wollen eigentlich, dass da niemand kommt. Die wollen Schlepper bekämpfen, was ihnen, sagen wir mal, nur äußerst mittelmäßig gelingt. Und denen geht es nicht darum, sichere Fluchtwege zu etablieren.
Zerback: Aber nun habe ich Sie so verstanden, das sagt ja auch schon der Name Sea Watch, Sie beobachten und dokumentieren. Selber Seenotrettung betreiben Sie jetzt aber gerade mit der Sea Watch Air ja eigentlich nicht?
Neugebauer: Mit dem Flugzeug ist es so, dass wir insofern zu der Seenotrettung beitragen, dass wir Boote sehr viel früher melden können. Das bedeutet, dass es vielleicht bei Booten, die wir rechtzeitig melden, dann gar nicht zur Katastrophe kommt.
Zerback: Aber was tun Sie denn, wenn ein Boot kentert und Sie vielleicht nicht schnell genug Hilfe holen können, das aber aus dem Luftraum verfolgen? Das ist ja eine schwierige Situation.
EU setzt die Toten vor der afrikanischen Küste zur Abschreckung ein
Neugebauer: Das ist natürlich eine schwierige Situation und für diese Situation, in die wir da eventuell kommen könnten, ist einzig und allein die Europäische Union verantwortlich, die die Leute ja zwingt, auf diese Boote zu gehen, indem jegliche legale Einreisewege verweigert werden. Man könnte Flugzeuge ja noch ganz anders einsetzen.
Man könnte ja auch die entsprechende EU-Richtlinie kippen, die im Moment dazu führt, dass Fluggesellschaften dafür aufkommen müssen, wenn Leute zurückgeführt werden. Das könnte man ja einfach kippen, dann könnten die Leute sich ganz normal ein Flugticket kaufen oder ein Fährticket. Dann würden wir in diese Situation nicht kommen, weil das, was wir mit dem Flugzeug da machen, ist natürlich Symptombekämpfung und auch Seenotrettung bleibt immer gefährlich. Auch unsere Rettungsschiffe, zum Beispiel unser Schiff, die Sea Watch II, ist kürzlich erst zu einem Einsatz gekommen, wo ein Holzboot bereits gekentert war, als sie da vor Ort angekommen sind.
Die haben es dann geschafft, noch 20 Leute lebend aus dem Wasser zu ziehen, aber mussten dann auch reihenweise Tote bergen, und das ist eine Situation, in die wir natürlich nicht kommen wollen, aber da sind nicht wir für verantwortlich, sondern das ist die Europäische Union, die diese Situationen wissentlich und willentlich zulässt und die die Toten vor der afrikanischen Küste auch zur Abschreckung einsetzt.
Zerback: Jetzt machen Sie sich gleich auf den Weg Richtung Mittelmeer-Raum mit dem Flugzeug. Das wird erst mal überführt. Der Einsatz, der startet erst in den kommenden Wochen. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Neugebauer: Na ja, es sind natürlich eine ganze Reihe von Trainingsmaßnahmen notwendig, um sich auf so einen Flug vorzubereiten. Notfallmaßnahmen werden da trainiert, was mache ich, wenn uns dann doch mal der Motor ausfällt und wir dann auf dem Wasser runtergehen müssen. Dafür ist das Flugzeug mit einem Gesamtrettungssystem ausgestattet. Das ist ein Fallschirm, wo dann das gesamte Flugzeug am Fallschirm hängt. Außerdem haben wir eine Rettungsinsel dabei, auf die sich dann die Piloten retten können, und entsprechende Notsender. Da sind wir dran und das werden wir in den nächsten Wochen sicherlich hinkriegen, sodass wir dann auch den Einsatz starten können.
Etwas, vor dem man nicht die Augen verschließen darf
Zerback: Das sind jetzt alles sehr praktische, pragmatische Vorbereitungen. Wie bereiten Sie sich denn ganz persönlich darauf vor, auch auf das menschliche Elend, was Sie dazu sehen bekommen werden?
Neugebauer: Na ja. Es ist so: Das, was wir da sehen, ist die tägliche Realität an unseren Außengrenzen und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Ich habe das auch schon im letzten Jahr bei meinem Einsatz auf dem Sea Watch Schiff gemacht und ich denke, dass das etwas ist, wo man nicht die Augen vor verschließen darf. Natürlich macht man sich Gedanken darüber, was man da sehen wird, aber für mich macht das auch ein Stück einfacher, zumindest etwas tun zu können und da was zu machen, als mit diesem Wissen zu leben. Wenn mich mal spätere Generationen fragen, was ich gemacht habe, als die Europäische Union die Leute vor Afrika hat sterben lassen, dann möchte ich nicht sagen, ich habe zugeschaut.
Zerback: … sagt Ruben Neugebauer, Projektleiter von Sea Watch - er, der als Pilot dann ab Juli auch selbst im Einsatz sein wird mit einem Flugzeug für Flüchtlinge. Besten Dank.
Neugebauer: Vielen Dank auch!
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