Wegen des Streits um Visaerleichterungen schien die Vereinbarung mit der Türkei vor Wochen noch vor dem Aus zu stehen. Die EU-Kommission zieht trotzdem eine positive Zwischenbilanz. 7.000 Flüchtlinge seien noch im Oktober 2015 pro Tag aus der Türkei über die Ägäis nach Europa geflüchtet, 1.700 seien es im März 2016 täglich gewesen. Seit Juni seien es nur noch durchschnittlich 85 pro Tag, teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch in einem Statusbericht mit.
"Schleusern das Handwerk gelegt"
"Dies verdeutlicht, dass den Schleusern das Handwerk gelegt werden kann", heißt es in dem Bericht der Kommission. Insgesamt leben nach Angaben des griechischen Flüchtlingskrisenstabs jedoch rund 14.000 Menschen auf den Inseln Lesbos, Kos, Chios, Leros und Samos.
Der im März geschlossene Flüchtlingspakt sieht vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Für jeden Syrer, den die Türkei dabei zurücknimmt, kann sie allerdings einen anderen Syrer auf legalem Weg in die EU schicken. Die EU hat sich bereit erklärt, über diesen sogenannten 1:1-Mechanismus bis zu 72.000 Syrer aufzunehmen. Nach aktuellen Zahlen der EU-Kommission wurden im Zuge der Vereinbarungen bislang 578 Menschen wieder in die Türkei zurückgebracht.
Als weiterhin problematisch stuft die EU-Kommission unter anderem das griechische Asylsystem ein. Das Land habe zwar Fortschritte gemacht. Unter anderem die Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge und der Zugang zu Verfahren für schutzbedürftige Antragsteller müssten aber weiter verbessert werden, heißt es in dem Bericht.
Streit mit Türkei über Visumerleichterungen ungelöst
Noch immer ungelöst ist der Streit um die Visumerleichterungen für türkische Staatsbürger, die ein Teil des Handels waren. Nach dem jüngsten Gutachten der EU-Kommission hat die Türkei noch immer mehrere Voraussetzungen nicht erfüllt, die Voraussetzung für eine Aufhebung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger sind.
Hauptstreitpunkt sind von der EU geforderte Änderungen an den türkischen Anti-Terrorgesetzen, die nach Auffassung von europäischen Rechtsexperten zur Verfolgung von Journalisten und Andersdenkenden missbraucht werden können. Die türkische Regierung argumentiert, dass sie die Terrorgesetze nach dem Putschversuch am 15. Juli derzeit nicht abändern kann.
Trotz dieser Probleme war in Deutschland zuletzt die Forcierung ähnlicher Abkommen mit nordafrikanischen Staaten diskutiert worden.
Probleme bei Umverteilung innerhalb Europas bleiben
In einem anderen Punkt kommt die EU kaum voran: Im September 2015 war die Umverteilung von 160.000 Asylsuchenden vor allem aus Griechenland und Italien beschlossen worden. Nach einem Jahr seien aber lediglich 5.651 Menschen, davon 4.399 aus Griechenland und 1.196 aus Italien, in andere Länder gebracht worden, erklärte die EU-Kommission. Deutschland nahm von ihnen 215 auf, Frankreich mit 1.952 die meisten. Niemand von diesen 160.000 aufgenommen haben von den EU-Staaten bisher Österreich, Dänemark, Polen und Ungarn. Menschenrechtler geißeln die Zustände in den griechischen Camps auf das Schärfste.
Die innenpolitische Sprecherin der europäischen Sozialdemokraten, Birgit Sippel, kritisierte die von der EU-Kommission vorgelegte Zwischenbilanz. "Der Bericht zieht leider ein übertrieben positives Resümee", sagte die SPD-Politikerin. Die Kommission habe die Aufgabe, Ländern, die ihren Verpflichtungen nicht nachkämen, die "Rote Karte" zu zeigen.
Der Vizekommissionspräsident Frans Timmermans sagte, es gebe einerseits "Bemühungen", die Zahl der Umverteilungen zu erhöhen. "Diejenigen, die mehr tun können, fordere ich jedoch dringend zum Handeln auf."
In Griechenland sinkt die Zuversicht. Rund 7.000 Flüchtlinge könnten "sofort" aus Griechenland in andere EU-Staaten wechseln, sagte der stellvertretende griechische Außenminister Nikos Xydakis der Zeitung "Die Welt". "Die meisten EU-Staaten nehmen uns viel zu wenige Flüchtlinge ab, einige Länder Antworten nicht einmal auf unsere Anfragen", klagt er.
(nch/fwa)