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Selbstfahrende Autos in Deutschland
Offene Fragen im Gesetzentwurf

Vereinzelt und probeweise fahren sie schon über Teststrecken, Firmengelände und Autobahnen: die selbstfahrenden Autos. Mit einem geänderten Straßenverkehrsgesetz will Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, die Voraussetzungen für autonomes Fahren in Deutschland schaffen. Doch für Opposition, Daten- und Verbraucherschützer geht sein Gesetzentwurf nicht weit genug.

Von Katharina Hamberger und Falk Steiner |
    Ein mit Bosch-Technik ausgestattetes Fahrzeugdes Typs Jeep Cherokee steuert am 07.01.2015 in Las Vegas, USA, im Rahmen der CES (Consumer Electronics Show) selbst.
    Fahren ohne selbst fahren zu müssen: Seit Jahrzehnten gibt es den Traum vom Automobil im eigentlichen Wortsinn. Doch momentan fehlen dafür in Deutschland noch die Rahmenbedingungen. (dpa)
    Angela Merkel: "Ich sag immer spaßeshalber: Das Auto wird eine fahrende Disko sein. Da kann ich meine Büroarbeit machen."
    Seit Jahrzehnten gibt es den Traum vom Automobil im eigentlichen Wortsinne: Ein sich selbst bewegendes Vehikel, eines, in dem es keinen Fahrer mehr gibt, das selbstständig lenkt, bremst und einparkt.
    Angela Merkel: "Vor fünf Jahren oder noch vor drei, vermute ich mal, für mich persönlich, hab ich gedacht, dass ich das autonome Fahren, also das Fahren ohne Fahrer, wahrscheinlich nicht mehr erleben werde. Ich hoffe mal, nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, wenn ich mir die durchschnittliche Lebenserwartung angucke, dass ich es noch erleben werde."
    Bundesregierung will autonomes Fahren fördern
    Die Bundesregierung will das autonome Fahren fördern. Denn das Mehr an Technik soll viele Vorteile bringen - so soll dadurch zum Beispiel das Stauproblem gelöst werden. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt:
    "Der Stau ist ja ein ökonomisches und ökologisches Thema, das ist einer der größten volkswirtschaftlichen Schäden, aber auch einer der größten Umweltfaktoren, die wir jeden Tag auf unseren Straßen miterleben. Das kann man natürlich durch Digitalisierung und automatisierte Fahrzeuge in den Griff kriegen."

    Zudem gilt automatisiertes Fahren als sicherer. Der SPD-Verkehrspolitiker Arno Klare sagt:
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt am 15.04.2016 im Bundeskanzleramt in Berlin eine Erklärung zu der Affäre um den TV-Moderator Jan Böhmermann ab.
    Hofft, das Zeitalter der selbstfahrenden Autos noch zu erleben: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) (dpa / picture alliance / Gregor Fischer)
    "95 Prozent aller Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen, nicht auf technisches, und hier diese sogenannte 'Vision Zero', also die Vision, dass es null Tote geben möge, zu realisieren, ist auch eines der Ziele, warum man dieses Projekt intelligente Mobilität verfolgt."
    Deutsche Autoindustrie soll diese Innovation nicht verschlafen
    Außerdem soll nicht noch einmal vorkommen, was schon bei der Elektromobilität passiert ist: Dass die deutsche Automobilindustrie Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren. Der Bundesverkehrsminister sagt:
    "Zukünftig wird es Erfolg von Automobilkonzernen nur geben, wenn man auch eine Führerschaft bei Digitalisierung, bei hochautomatisiertem Fahren schaffen kann."
    Doch die Technik ist dafür nur eine Voraussetzung. Die andere, das sind die Rahmenbedingungen, dass solche Autos überhaupt auf die Straße dürfen – und das ist Aufgabe des Bundes. Noch geht es dabei nicht um autonomes Fahren, um komplett selbstständig fahrende Autos. Sondern zunächst um die Vorstufen.
    Bislang ist es nach geltender Rechtslage möglich, dass erste Assistenzsysteme eingesetzt werden, also zum Beispiel, dass das Auto erkennt, wenn beim Rückwärtsfahren ein Gegenstand, zum Beispiel ein Poller im Weg steht. Die nächsten Schritte sind das teil- und das hochautomatisierte Fahren. Wenn es nach Dobrindt geht, soll Letzteres schon in fünf Jahren möglich sein.
    Viele offene rechtliche und ethische Fragen
    Dazu hat die Bundesregierung erst einmal eine Änderung des Wiener Übereinkommens auf den Weg gebracht, ein völkerrechtlicher Vertrag von 1968, der bislang nur besagt hat, dass der Fahrer jederzeit sein Fahrzeug beherrschen muss. Nun ist das Übereinkommen so erweitert worden, dass auch Systeme übernehmen dürfen. Dann gibt es zwar noch einen Fahrer, aber dieser greift nur noch ein, wenn die Computer das verlangen. Damit sind aber noch lange nicht alle rechtlichen und ethischen Fragen gelöst.
    "Wenn ich als Verbraucher in ein Auto steige, wo ich die Fahrfunktion an einen Computer, an das System abgeben kann, muss ich genau wissen, was darf ich denn tun, was muss ich aber tun, wenn das Auto sich bemerkbar macht und ein Fehler sichtbar wird. Oder das Auto mich auffordert, wieder die Fahraufgabe zu übernehmen."

    Erklärt Marion Jungbluth vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Auch Automobilhersteller und Versicherungswirtschaft wollen Rechtssicherheit. Das Bundesverkehrsministerium arbeitet derzeit an einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes:
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in einem VW
    Er will den Rechtsrahmen für autonomes Fahren klären: Der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) arbeitet derzeit an einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (picture alliance/dpa/Ole Spata)
    "Wir bekommen den Rechtsrahmen hier als allererstes Land auf der Welt, der dafür sorgt, dass diese Fahrzeuge dann auch rechtssicher eingesetzt werden können."
    Dobrindt will Straßenverkehrsgesetz nach der Sommerpause ändern
    Wenn es nach Alexander Dobrindt geht, soll das Straßenverkehrsgesetz bereits nach der parlamentarischen Sommerpause geändert werden. Allerdings ist der Entwurf bislang noch nicht einmal offiziell den anderen Bundesministerien zugeschickt worden. Als Grundvoraussetzung gilt es festzulegen, inwieweit der Fahrer tatsächlich dem Auto die Kontrolle überlassen darf.
    "Wahrnehmungsbereit", so heißt es im Moment im Gesetzentwurf, soll der Fahrer auch noch sein, wenn er die Steuerung an das System übergibt. Es wird, so wird es dann in der Begründung ausgeführt, eine "dauerhafte Grundaufmerksamkeit" vom Fahrer verlangt.
    "Grundaufmerksamkeit definieren wir so, dass der Fahrer für das automatisierte System ansprechbar bleiben muss. Das heißt in dem Moment, wo das System mit akustischen oder visuellen Signalen ihn auffordert, die Führerschaft des Fahrzeuges wieder zu übernehmen, muss er dazu in der Lage sein. Das heißt auf gut deutsch: Schlafen ist nicht erlaubt, Zeitunglesen, Videoschauen ist erlaubt."
    Verbraucherschützer kritisieren Unklarheit des Gesetzentwurfes
    Für den Verkehrsminister reicht das aus. Das sei wie beim Begriff der Rücksicht: Dieser sei auch nicht hundertprozentig definiert. Der SPD-Verkehrspolitiker Arno Klare sähe lieber mehr Klarheit:
    "Kann der sich jetzt, sagen wir mal scherzeshalber, mit Pokemon-Go beschäftigen und irgendwelche Viecher abschießen, die irgendwo auf der Autobahn sind? Oder muss der den Blick nach vorne haben, und muss der auch in der Lage sein, auch das zu überwachen, was da teilautomatisiert passiert? Also ich glaube, da müssen wir noch ein bisschen Gehirnschmalz verwenden."

    Und den Verbraucherschützern ist die Definition noch zu ungenau:
    Das Google Car: ein selbstfahrendes Auto im Test.
    Um selbst fahren zu können, benötigen die Autos eine Unmenge von Daten. Datenschützer fordern deshalb klare Regelungen zum Umgang mit den Fahrzeugdaten. (picture alliance / dpa / Google Handout)
    "Das könnte man sicherlich noch mal ein bisschen konkretisieren, damit auch wirklich klar ist, dass der Fahrer nicht, wenn er eigentlich eine E-Mail lesen darf, bearbeiten will und das auch erlaubt ist, gleichzeitig den Verkehr überwachen muss. Das ist was, was der Mensch nicht kann, und das sollte natürlich auch nicht von ihm verlangt werden, und das muss auch klar gestellt werden."
    Die Sensoren der automatisierten Systeme müssen eine Vielzahl an Objekten erkennen, einordnen und bewerten. Was bislang der Mensch am Lenkrad erledigt, muss jetzt in künstlicher Intelligenz abgebildet werden. Regnet es? Liegt da eine Plastiktüte auf der Fahrbahn? Oder doch ein Betonklotz? Und: Fährt das System für den einen Passagier anders als für den anderen?
    Datenschützer warnen vor Missbrauch von Fahrzeugdaten
    Es ist eine große Menge Daten, die in den Fahrzeugen anfallen. Der Präsident der bayerischen Landesdatenschutzaufsicht Thomas Kranig sagt:
    "Es gibt Daten, einerseits technische Daten, nenne ich sie mal, die Auskunft darüber geben, wie ich fahre. Wie ich mein Auto pflege, wann ich Inspektionen mache oder nicht mache. Das ist der eine Bereich. Das andere sind die Bewegungsdaten, wo bin ich denn unterwegs, wo fahre ich, wo stoppe ich. Es gibt auch die Möglichkeit zu erkennen, durch die Sitze, wie viele Personen fahren."
    Und diese Daten seien nur ein Teil der Problematik:
    "Ich kann ein sehr detailliertes Profil damit bilden, und wenn ich das dann noch verbinde mit der Einbindung von Smartphone/Tablets ins Auto, dann kann man sich vorstellen, dass dort eben ein sehr großes Bild mit interessanten Daten der Autofahrer, der Mitfahrer, entsteht. Das führt auf der anderen Seite auch dazu, dass sowohl Hersteller als auch Reparaturwerkstätten, Versicherungen, Pannendienste oder auch der Handel, der eben dann Werbung ausstrahlen will, wenn ich irgendwo an einem Geschäft vorbeifahre, ein enormes Interesse an diesen, ich nenn sie mal ganz pauschal 'Fahrzeugdaten', haben."
    Daten aus der Fahrzeugsensorik werden bereits von der Wirtschaft genutzt
    Kranigs Behörde ist Teil eines Arbeitskreises der Datenschutzbehörden der Bundesländer mit Autoherstellern. Die bayerischen Hersteller Audi und BMW, sagt Kranig, hätten schon frühzeitig mit den Behörden zusammengearbeitet, um die Probleme zu besprechen. Viele Fragen seien heute höchstens zu erahnen, andere sind bereits heute akut. Etwa dann, wenn ein Passagier sein Smartphone im Auto nutzt und das WLAN des Fahrzeuges verwendet.

    Manche Daten aus der Fahrzeugsensorik werden ebenfalls bereits genutzt. Stefan Schnorr, Abteilungsleiter für Digitalisierung und Innovation im Bundeswirtschaftsministerium, nennt als Beispiel einen Autohersteller, der auf die Daten der Regensensoren zugreift, die zum Beispiel in der Windschutzscheibe sitzen können:
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt
    Der Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Dobrindt sieht eine Blackbox vor, die Aktivierung und Deaktivierung der Fahrzeugautomatik speichern soll. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    "Diese Daten werden zentral beim Autohersteller gesammelt. Und was macht der Autohersteller mit den Daten des Regensensors? Er verkauft diese Daten an einen Wetterdienst. Und der Wetterdienst ist damit in der Lage, eine sehr viel passgenauere Wettervorhersage zu machen. Weil er weiß ganz genau aufgrund der Daten des Regensensors: Bewegt sich der Schauer schnell, bewegt er sich langsam, von wo nach wo bewegt er sich."
    Blackbox soll Aktivierung der Fahrautomatik aufzeichnen
    Diese Daten sind auch ohne Personenbezug nützlich. Es ließe sich aber eben auch herausfinden, welche Autowaschgewohnheiten ein Fahrer hat:
    "Es geht auch darum, dass die Daten, die zukünftig möglich werden, durch die viele Elektronik, die im Auto mit verbaut ist, auch ein Nutzen verbunden sein kann. Ob nun diese Daten einem Nutzen zugeführt werden, das entscheidet der Eigentümer des Autos", sagt der CSU-Minister Dobrindt.
    "Die Daten gehören den Menschen und die müssen entscheiden, ob sie bereit sind, dass diese Daten für andere Dinge verwendet werden oder nicht, das gilt für die Versicherungsbranche ganz genauso wie für andere Produkte, die man sich vorstellen kann, die einem Autofahrer zukünftig angeboten werden können."
    Doch welche Daten überhaupt? Ein Grundprinzip des Datenschutzes ist die Datensparsamkeit: Es sollen nur solche personenbezogenen Daten erhoben werden, die für eine Aufgabe notwendig sind. Der SPD-Verkehrspolitiker Arno Klare findet den Grundsatz überkommen:
    "Wir brauchen Unmengen Daten. Wir müssen schon Unmengen Daten haben, um Verkehrssteuerung vernünftig zu machen. Die Frage ist: Sind die Daten personenbezogen oder personenbeziehbar."
    An einer Stelle soll auf jeden Fall gespeichert werden, sieht der Gesetzentwurf aus dem Hause Dobrindt vor: Drei Jahre lang soll eine Blackbox Ort und Zeit der Aktivierung und Deaktivierung der Fahrautomatik speichern. SPD-Politiker Arno Klare will noch weiter gehen: Wie bei einem Flugzeug solle die Blackbox auch detailliert die Entscheidungen des Systems dokumentieren. Auch Bayerns Datenschützer Thomas Kranig hält eine Blackbox für nötig:
    "Man wird sicher sagen müssen, das Nutzungsrecht an diesen Fahrzeugdaten kann nicht einem alleine zustehen, also dem Fahrer oder dem Halter. Sondern es gibt auch den Automobilhersteller, der Produkthaftung hat, der Interessen hat, dass bestimmte Fahrdaten eben auch gespeichert werden."
    "Wer hat auf welche Daten Zugriff?"
    Aber damit würden automatisch Abgrenzungsprobleme auftreten:
    "Wer auf welche Daten Zugriff hat, man spricht untechnisch 'wem die Daten gehören', das ist eine der spannendsten Fragen im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren, die geklärt werden müssen, und da wird man sich im Einzelfall immer anschauen müssen: Welche Rechtsvoraussetzung gibt es, wer muss auf die Daten zugreifen, und wie kann man da ein vernünftiges Verhältnis haben, dass eben auch das Persönlichkeitsrecht der Fahrer noch beachtet wird."
    Für die Verbraucherschützerin Marion Jungbluth ist klar, dass die Begehrlichkeiten nur auf einem Wege eingehegt werden können:
    "Gefordert ist hier ein minimaler Datensatz, der wirklich halt die Zeit speichert und den Ort, wo ich die Fahraufgabe an das System abgegeben habe, und wann diese Funktion wieder beendet wurde. Das muss festgelegt sein, dass auch nichts weiter über diese notwendigen Daten hinaus gespeichert wird, und dass diese Daten logischerweise nicht an jemand anderes als an jemanden Berechtigten herausgegeben werden können."
    Datenschützer fordern speziellere Regelungen für Fahrzeugdaten
    Der bayerische Datenschützer Kranig will solche Abwägungen keinesfalls den Marktprozessen allein überlassen. Zusätzlich zum allgemeinen Datenschutzrecht fordert er speziellere Regelungen:
    "Weil wir so viele Interessenten an diesen Fahrzeugdaten haben, und es offensichtlich um extrem viel Geld geht. Und dass dort gesetzlich geregelt wird, wer auf welche Daten zugreifen darf."

    Doch genau hier gehen die Vorstellungen von Regierung und Opposition und Datenschützern auseinander. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms sagt:
    Das Logo der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. in Berlin.
    Mit jeder Stufe der Automatisierung müsse der Halter weiter aus der Haftung entlassen werden, fordert der Bundesverband der Verbraucherzentrale. (dpa/picture-alliance/Jens Kalaene)
    "Wir haben damals bei der Einführung der LKW-Maut einen großen Aufwand gemacht, und der hat sich bisher auch als sehr richtig erwiesen. Dass dort eine Staatsanwaltschaft nicht an die niedergelegten Daten rankommt."
    Anders als bei der LKW-Maut, wo zur Einführung 2005 die Datenspeicherung ausschließlich zum Zweck der Mauterhebung festgelegt wurde, plant das Verkehrsministerium in dem Entwurf unter anderem, dass schon bei "polizeilichen Straßenverkehrskontrollen" der Zugriff auf die Blackboxdaten möglich sein soll. Für Minister Dobrindt ist klar:
    "Wenn man Schuld hat, dann sollte man auch dafür einstehen und nicht das Problem haben, dass man als Schuldiger identifiziert wird. Aber die Blackbox hat ja eigentlich einen ganz anderen Hintergrund. Die Blackbox hat ja genau den Hintergrund, damit der Fahrer nachweisen kann: In dem Moment ist das System gefahren, der Computer ist gefahren, und ich kann das mittels der Blackbox zeigen, dass er gefahren ist und ich deswegen keine Schuld und keine Haftung habe."
    Unklarheit über die Verantwortlichen im Schadensfall
    Für die Grüne Wilms ist Dobrindts Gesetzentwurf hingegen unmöglich:
    "In einer Unfallsituation kann es ja für denjenigen, der das Fahrzeug geführt hat, sinnvoll sein, sowas zur Verfügung zu haben, um mich zu entlasten. Bloß: Es kann nicht sein, dass ich mich da automatisch auch belaste. Das gibt das deutsche Rechtssystem nicht her."
    Der Streit um die Blackbox gibt den Blick auf ganz grundsätzliche Haftungsfragen frei: Wer ist im Falle eines Schadens verantwortlich, wenn das System die Steuerung übernommen hat? Der Hersteller, der Fahrer, der Halter oder der Softwarehersteller? Dobrindt hält den Gesetzentwurf seines Hauses für schlüssig:
    "…heißt, dass der Fahrer, wie auch heute schon, wenn er sich ordnungsgemäß verhält, sein Fahrzeug normal bedient, ein Schaden eintritt, weil das Fahrzeug trotzdem anders reagiert hat, dann entsteht daraus für ihn keine Haftung, sondern dann liegt die Haftung beim Hersteller. Zukünftig wird das auch so sein, wenn das automatisierte System, das eingesetzt werden darf, Fehler macht, liegt die Haftung beim Hersteller."
    Fundamentale ethische Erwägungen müssen berücksichtigt werden
    Doch ob das dauerhaft so bleiben kann? Verbraucherschützerin Jungbluth bezweifelt das. Mit jeder Stufe der Automatisierung müsse der Halter weiter aus der Haftung entlassen werden. Stefan Schnorr, Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium, warnt aber schon einmal vor Risiken für die Wirtschaft:
    "In dem Augenblick, wenn eine Situation auftauchen würde, dass man sagt, bestimmte technische Entwicklungen sind in Deutschland nicht möglich, weil das Haftungsrisiko für die Beteiligten so groß ist, dass sie es nicht absehen können und damit bestimmte Dienstleistungen und Produkte gar nicht mehr auf den Markt bringen, muss eine Regelung her."

    Die könne aber auch von den Versicherungen kommen – zum Beispiel über Fondslösungen:
    Udo Di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht.
    Udo Di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, soll Vorsitzender der Ethikkommission werden. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    "Weil klar ist, derjenige, der von einem selbstfahrenden Auto verletzt wird oder gar getötet wird, der muss irgendwelche Ansprüche haben, den kann ich nicht alleine lassen und sagen, naja, musste mal gucken jetzt, aber ich bin‘s nicht gewesen, es war der Softwarehersteller, der Softwarehersteller sagt: Nee, meine Software war okay, aber im Zusammenwirken mit dem Auto funktionierte es nicht, also können beispielsweise solche Fonds helfen, Entwicklungen nach vorne zu bringen, ohne den Schutz der Betroffenen hintanzustellen."
    Hinter diesen, vordergründig formalrechtlichen Fragen stehen fundamentale ethische Erwägungen:
    "Was wir beim automatisierten Fahren tatsächlich brauchen, ist erst mal die Fragestellung, wie wollen wir eigentlich die Maschinen, die dann entscheiden, programmieren. Also wenn ich dort ein Kind habe und einen Rentner habe oder einen mittelalten Erwachsenen, und ich muss ausweichen, wie muss das System reagieren?"
    Ethikkommission soll ethische Fragen klären
    Grünen-Verkehrsexpertin Wilms ist mit solchen Fragestellungen vertraut. Bevor sie Politikerin wurde, hat sie sich bei der Berufsgenossenschaft Bahnen damit beschäftigt, wie Personen geschützt werden können, wenn eine U-Bahn keinen Zugführer mehr hat, wie die in Nürnberg. Schon seit hunderten von Jahren sei es ein rechtsphilosophischer Streit, ob man einem Menschenleben einen Wert beimessen dürfe, der gegen den eines anderen aufgewogen werden müsse, sagt Verbraucherschützerin Marion Jungbluth:
    "Nichtsdestotrotz finde ich es wichtig, dass man diese Fragen in einem breiten gesellschaftlichen Dialog überhaupt stellt, weil das natürlich Sachen sind, die irgendwann in dem Auto programmiert werden müssen, und die müssen auf einer Basis programmiert werden, die von der breiten Masse getragen wird."
    Der Bundesverkehrsminister hat zwei Grundforderungen formuliert:
    "Zum einen, dass ein Sachschaden immer Vorrang haben muss vor einem Personenschaden, und dass es keine Klassifizierung von Personen geben darf nach groß, klein oder was auch immer man sich da entsprechend vorstellen kann."
    Das klingt nach einfach umzusetzenden Vorgaben, die aber am Ende über Leben und Tod entscheiden. SPD-Verkehrsexperte Arno Klare sagt:
    "Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass man das einem Algorithmus überlässt. Also irgendwie wehrt sich in mir etwas dagegen. Das müssen Menschen entscheiden können, und ich muss dann auch Menschen dafür verantwortlich machen können, wenn er sich falsch entschieden hat. Aber noch einmal, das ganz technische System sollte so ausgelegt sein, dass diese Entscheidungssituation überhaupt nicht mehr eintritt."
    Kontrolle für Algorithmen, die über Leben und Tod entscheiden können
    Der Bundesverkehrsminister will nun eine Ethikkommission für genau diese Fragen einsetzen. Bislang steht nur deren Vorsitzender fest: der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio. Eine solche Ethikkommission befürwortet auch die Grüne Wilms. Wie Wilms zweifelt aber auch SPD-Politiker Arno Klare an einer schnellen Lösung:
    "Ich hab Philosophie studiert, ich weiß, dass keiner also die schlussendliche Wahrheit hat. Von daher wird’s das jetzt auch mit dieser Ethikkommission nicht geben. Aber ich erwarte mir schon Wegweisendes, insofern, dass geklärt wird, wo liegt die Letztverantwortung, und was darf ein Algorithmus entscheiden und was darf ein Algorithmus nicht entscheiden, oder können Algorithmen vor Gericht gestellt werden, in Anführungsstrichen. Und da erwarte ich mir schon sehr bahnbrechende Antworten."
    Offen ist, ob und wann die Technik die Vorgaben der Ethikkommission erfüllen kann. Werden Sensoren und Algorithmen Dinge weitgehend fehlerfrei von Menschen unterscheiden können? Sitzt in einem Einkaufswagen ein Kind? Algorithmen, die über Leben und Tod entscheiden können, brauchen Kontrolle. Doch was die Hersteller tatsächlich offenlegen müssen, das regelt der Gesetzentwurf des Verkehrsministeriums derzeit noch nicht - und auch nicht, welche Behörde am Ende prüft, ob diese Algorithmen auch dem Recht entsprechen.