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Senftleben (CDU)
"Ende der Koalition in diesem Jahr"

Die Beteiligten der GroKo würden noch in diesem Jahr feststellen, dass es so nicht weitergehen könne, sagte Brandenburgs CDU-Parteichef Ingo Senftleben im Dlf. Es nerve ihn und die ganze Öffentlichkeit, dass die Regierung seit ihrem Beginn eher im Krisen- als im Regierungsmodus sei.

Ingo Senftleben im Gespräch mit Stephan Detjen |
04.05.2019, Brandenburg, Schönefeld: Ingo Senftleben (CDU), Brandenburgs Landesvorsitzender, spricht auf dem Landesparteitag der Brandenburger CDU. Der Parteitag will das Wahlprogramm für die Landtagswahl beschließen. Foto: Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Anstelle zuzuhören, was die jungen Menschen zu sagen hätten, hätten die Unionsparteien eine Diskussion über die Schulpflicht geführt, kritisierte Senftleben (CDU) im Dlf (picture alliance / dpa / Bernd Settnik )
Stephan Detjen: Ingo Senftleben, herzlich willkommen im Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio.
Ingo Senftleben: Vielen Dank, hallo.
Detjen: Herr Senftleben, vor einem Jahr haben Sie bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, weil sie eine Regierungszusammenarbeit der CDU in Brandenburg mit den Linken in den Raum gestellt haben. Jetzt, ein gutes Jahr später, können Sie sich drei Monate vor der Landtagswahl in Brandenburg ernsthafte Chancen ausrechnen, die SPD nach 29 Jahren dort an der Regierung abzulösen. Das eine – Zusammenarbeit, wie auch immer, von CDU mit Linken – wie das andere – ein CDU-Ministerpräsident in Brandenburg – war vor ein paar Jahren noch vollkommen undenkbar. Ist in der Politik inzwischen alles möglich?
Senftleben: Na ja, also ich glaube, dass Regierungswechsel immer schon möglich war, aber natürlich in Brandenburg nach 30 Jahren fast, dann vielleicht doch etwas wie ein kleines Wunder auch dann geschehen kann. Und deswegen, wir erleben ja gerade eine Zeit, wo die Politik in Aufruhr ist, wo sich Dinge auch korrigieren, wo die alten Gewissheiten ein Stück weit vorbei sind. Und deswegen kann man auch in Brandenburg davon reden, ja, in diesem Jahr ist ein Regierungswechsel möglich, weg von der SPD. Und ich finde auch, nach 30 Jahren im Land Brandenburg merkt man auch, dieses Land braucht neuen Schwung. Die Politik muss Schwung in das Land bringen. Und deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn wir es an der Spitze auch der Regierung dann umsetzen können.
Detjen: Aber zu den Befunden, und auch das hätte man noch vor Kurzem kaum für möglich gehalten, gehört, dass im Augenblick in Brandenburg, ebenso in Sachsen, bei der Europawahl die AfD die stärkste politische Kraft im Land ist. Wie kann das sein? Wie kommt es dazu?
Senftleben: Na ja, bei der Kommunalwahl waren wir stärkste Kraft, vor wenigen Tagen, vor der AfD und der SPD. Bei der Europawahl, wie Sie richtig gesagt haben, war die AfD vor der CDU. Das war nicht schön. Das ist nicht schön. Das ist auch ein Signal, dass wir bessere Politik machen müssen, mehr zuhören müssen, mehr reagieren müssen, auch nach vorne denken, mutig nach vorne denken müssen bei den Themen, was wir auf Bundesebene, aber auch im Land offensichtlich zu wenig getan haben als CDU. Aber ich glaube schon, dass bei der Kommunalwahl man gesehen hat, dass wenn es um Landesthemen geht, wenn es um Menschen geht, die man vor Ort kennt, dann ist die AfD nicht so stark aufgestellt. Also, von daher ist mir schon für die Landtagswahl etwas wohler zumute. Aber unabhängig davon, wir müssen noch einen langen Weg gehen. Wir haben noch 86 Tage, dann ist die Landtagswahl. Und deswegen wird die Landtagswahl bis dahin auch zu entscheiden sein. Und wir haben noch einen langen Wahlkampf vor uns.
Populisten an Inhalten messen
Detjen: Aber trotzdem muss ja dieser Befund - eine Partei wie die AfD schafft bei einer entscheidenden Wahl, wo die Menschen gesehen haben, da geht es um was, so war das ja bei der Europawahl, steigende Wahlbeteiligungen, dass die sich der AfD zuwenden. Was ist Ihre Erfahrung, auch aus den Gesprächen, die Sie führen, was finden die Menschen an der AfD attraktiver als an den politischen Kräften, die das Land Brandenburg so lange geprägt haben – der SPD, der CDU, auch den Linken.
Senftleben: Ich glaube nicht, dass es um Attraktivität der AfD geht, sondern es geht darum, was andere falsch gemacht haben. Und, wenn ich mir derzeit die große Koalition anschaue in Berlin, eigentlich seit dem ersten Tag der Neuauflage, ist es ja eher ein Krisenmodus. Ständig Krisensitzungen, Selbstbeschäftigung. Also, das Regierungshandwerk kommt gar nicht zum Vorschein, die Beschlüsse kommen gar nicht zum Vorschein. Und, wenn du auf Bundesebene kein Vertrauen in die Große Koalition haben kannst, dann ist natürlich auch das auf Landesebene nicht einfach so wegwischbar. Zweitens glaube ich, dass in Ostdeutschland immer noch nicht wir es geschafft haben, diese wirkliche Vereinigung unseres Landes auch hinzubekommen. Wir haben immer noch große Unterschiede, gerade auch beim Lohneinkommen unter anderem. Bei der Rente gibt es große Unterschiede und bei vielen anderen Fragen auch. Und die Leute in Ostdeutschland, in Brandenburg fragen sich natürlich zu Recht: Wann sind wir eins? Wann sind wir wirklich auch auf Augenhöhe? Und diese Frage ist in der Politik bisher nicht ausreichend beantwortet worden. Stichwort Grundrente und die Einführung davon. Und deswegen ist die AfD dann eine Partei, die man auch aus Protest vielleicht wählen kann, um den anderen Parteien zu sagen und zu zeigen: So geht es nicht weiter. Und dritter Punkt: Ich glaube, dass wir in Brandenburg, alle Parteien auch in Deutschland insgesamt mit Populisten falsch umgegangen sind. Wir haben sie noch mehr in eine Opferrolle gebracht, indem wir alle auf sie eingehackt haben, indem wir auch ständig versucht haben, auch die Wähler in eine rechtsextreme Ecke zu stellen. Und ich glaube, man muss mit Populisten anders umgehen, sie nämlich an Inhalten stellen. Und man darf schon gar nicht die Wähler einer Partei wie der AfD ein Stück weit auch stigmatisieren. Das haben wir zu lange und zu oft gemacht, als ganze Gesellschaft. Und deswegen ist die AfD auch dadurch stärker geworden, als man sie eigentlich hätte machen müssen.
Detjen: Aber muss man sich dann nicht doch eingestehen, dass man an bestimmten Punkten im politischen Diskurs, in diesem Land zurzeit und in Europa ja auch, an harte und nicht überwindbare Dissense stößt: was die Vorstellung Deutschlands und von Nationalstaaten im künftigen Europa angeht, was die Frage der Migration angeht, was die Fragen von Vielfalt in einer Gesellschaft angeht, auch neuerdings, was Klimaschutz angeht.
Mangelnde Infrastruktur auf dem Land erzeuge Unsicherheit
Senftleben: Ja, natürlich. Also, auf der einen Seite ist es ja so, dass Menschen das Gefühl haben, für Flüchtlinge wurde vieles getan, da ging alles und für sie selber ist manches nicht so schnell möglich gewesen. Und dieses Gefühl ist einfach da. Das kann man nicht wegwischen. Und trotzdem sagen die Menschen aus meiner Sicht …
Detjen: Ist das Gefühl richtig? Stimmen Sie den Leuten zu, wenn sie Ihnen das sagen?
Senftleben: Nein, man kann es schon erklären, aber trotzdem haben die Leute ja recht, wenn wir feststellen, du rufst den Arzt an und bekommst keinen Termin. Es ist trotzdem auch richtig, wenn Menschen sagen, der Bus fährt nicht mehr. Wir wohnen selbst auf dem Dorf. Wenn meine große Tochter am Wochenende zu Freundinnen fahren möchte, geht das nicht, weil der Bus am Wochenende nicht fährt. Denn er fährt nur in der Woche zu der Schule, aber nicht mehr an anderen Stellen. Und so gibt es viele Punkte, wo – noch einmal – die Menschen das Gefühl haben, der Staat hat sich nicht mehr um sie gekümmert oder dafür gesorgt, dass sie auch da, wo sie zu Hause sind, auch eine gute, ich sage mal, Sicherheit im umfassenden Sinne auch erfahren können. Und das andere: Ich erlebe auch, dass wir immer weniger die Möglichkeit haben, auf Themen sich gemeinsam zu verständigen, dass es immer mehr das Schwarz und das Weiß gibt und immer weniger die Möglichkeit gibt, auch Verständigung herbeizuführen. Das stelle ich auch fest. Aber ich glaube, noch einmal, dass wir als Politik, egal, was wir jetzt machen an vielen Formaten im Gespräch, ob online, ob analog, ob per E-Mail, ob vor Ort am Tisch, es geht nicht nur so sehr um das Reden, sondern um das Handeln. Und ich glaube, an dem Handeln, an der Tat ist noch ein Stück weit zu arbeiten oder noch lange nicht das Gefühl da, dass wir auch verstanden haben. Und da kann rausfahren ins Land, wer möchte. Wir müssen vor allen Dingen die Themen anpassen, anpacken und dann auch entsprechend ändern.
"An einer schnellen Integration auch wirklich arbeiten"
Detjen: Sie haben jetzt selber gesagt, dass dann doch das Thema Flüchtlinge immer wieder eine Rolle spielt. Wir nähern uns jetzt wieder dem Sommer. Vor vier Jahren um diese Zeit rückte die Flucht- und Migrationskrise dann massiv ins öffentliche Bewusstsein. Die Bundeskanzlerin hat vor vier Jahren gesagt: ‚Wir schaffen das‘. Wenn Sie gefragt werden: ‚Wie ist das in Brandenburg?‘ ‚hat Brandenburg das geschafft?‘ Was hat Brandenburg geschafft in diesen vergangenen vier Jahren?
Senftleben: Also, natürlich haben wir viele Aufgaben geschafft. Und ich will mal deutlich machen, dass aus meiner Sicht damals auch der Satz von Frau Merkel, den sie ja nicht wiederholen möchte, wie sie selbst gesagt hat, aus meiner Sicht auch eine Anspruchshaltung war. Also, wenn wir eine Aufgabe haben, egal, wie groß die ist, ich muss ja das Gefühl haben, ich kann diese Aufgabe irgendwie hinbekommen. Und wir haben in Brandenburg, auch mit Schwierigkeiten, ja, aber wir haben alle Flüchtlinge, die bei uns angekommen sind, aufnehmen können. Wir haben sie gut auch in dann weiteren Einrichtungen untergebracht, auch in Wohnungen. Und was ich natürlich jetzt feststelle, ist, dass wir den nächsten Schritt schaffen müssen, nämlich die Integration in die Gesellschaft. Und da gibt es viele Aufgaben. Das beginnt bei der Schule. Haben wir genug Lehrerinnen und Lehrer, die Deutschunterricht anbieten können? Gerade in Grundschulen sind, wo zum Teil sehr viele Flüchtlinge ohne Sprachkenntnisse, auch Kinder und Jugendliche, angekommen sind. Haben wir es geschafft, auf dem Arbeitsmarkt auch schnell Leute zu vermitteln? Wir haben heute immer noch die Situation, dass Menschen, die hergekommen sind, seit Jahren auf Möglichkeit warten, irgendwo arbeiten zu können, weil wir auch bürokratisch einfach nicht hinterherkommen. Und auch das Thema Deutschkurse. Auch da stellt man halt fest, es gibt zu viele bürokratische Dinge, die uns immer noch stören, an einer schnellen Integration auch wirklich arbeiten zu können. Und wir haben als CDU in Brandenburg auch vorgeschlagen, dass wir ein anderes Gesetz zur Integration machen, dass wir also nicht nur festlegen, was sind die Rechte von Flüchtlingen, sondern auch ihre Pflichten. Und ich finde, das muss gleichermaßen auch eine Rolle spielen. Und deswegen, wir haben einen großen Schritt geschafft. Wir haben alleine in Brandenburg mit ihnen zusammen im letzten Jahr bei 14.000 neuen Arbeitsstellen, diese besetzen können mit 9.000 Ausländern oder Flüchtlingen. Das heißt, eine hohe Zahl von neuen Jobs sind besetzt worden mit Leuten, die nach Deutschland gekommen sind, auf welchem Weg erst mal auch immer. Und das zeigt ja, wir brauchen A die Fachkräfte, wir brauchen die Fachleute. Und wir haben auch Möglichkeiten zu integrieren.
Aber es gibt an so vielen Stellen, das sagt mir auch die Wirtschaft, so viel Bürokratie, die einfach bremst und hemmt, wenn es darum geht, junge Leute auch einzustellen. Ich selbst habe ein Unternehmen besucht, die haben 15 Leute eingestellt, Flüchtlinge, wo sie nicht wissen, ob die morgen noch da sind, aufgrund von unsicherem Aufenthaltsstatus. Und, wenn der Unternehmer sagt, ich möchte die anderen behalten, weil die alle gut sind, aber ich weiß nicht, ob die morgen noch da sind, dann ist das Unsicherheit ohne Ende für alle Beteiligten. Und das ist nicht gut. Da muss es gute und klare Entscheidungen geben.
"Entscheidung zum Einwanderungsgesetz ausdrücklich richtig"
Detjen: Die CDU hat aber, wenn man sich die Rhetorik in Erinnerung ruft, in der letzten Zeit vor allen Dingen von Verschärfung von Abschieberegelungen gesprochen. Auf Druck der SPD vor allen Dingen sind Einwanderungsregeln auch erlassen worden. Es hat eine Einigung in der Koalition, auch in dieser Woche noch mal gegeben über ein ganzes Gesetzespaket, das eben auch die Anwerbung, die Einwanderung von Arbeitskräften erleichtern soll. Aus brandenburgischer Sicht, wo in vielen Regionen des Landes Arbeitskräfte gebraucht werden, sind das die Regeln, die Sie brauchen oder brauchen Sie dann noch mehr Vereinfachungen, noch mehr Erleichterung?
Senftleben: Zu allererst: Wir brauchen natürlich auch eine klare Regelung für Menschen, die hierhergekommen sind und nicht hierbleiben können, aufgrund von nicht berechtigten Asylanträgen zum Beispiel. Und ich sage ganz klar, wir werden den deutschen Arbeitsmarkt auch nicht in Brandenburg allein mit Fachkräften aus Deutschland selber in Zukunft auch ausreichend ausstatten können. Wir haben bereits heute an so vielen Stellen Fachkräftemangel. Und ich sage deshalb auch ganz klar: Jeder Mensch, der zu uns kommen möchte und der uns hier helfen möchte, der mitarbeiten möchte, muss auch eigentlich willkommen sein. Wir sollten uns darüber auch freuen, dass wir als Deutschland mit unserer ganzen Geschichte, die wir haben, heute ein Land sind, das weltweit anerkannt ist für auch ein Stück weit Offenheit – im Kopf, aber auch im Herzen. Und deswegen, glaube ich, brauchen wir Regelungen. Und diese Entscheidung jetzt zum Einwanderungsgesetz finde ich ausdrücklich richtig. Sie kommt wie immer mal etwas zu spät, aber wir haben jetzt zumindest die Regelung und ich würde mich auch darüber freuen, dass wir auch denjenigen, die hergekommen sind als Flüchtlinge, die jetzt einen Job haben, die Möglichkeit geben, auch hierzubleiben, einfach auch, weil sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können und selbst gestalten können.
AKK noch eine Chance geben
Detjen: Das Deutschlandfunk Interview der Woche mit Info Senftleben, Vorsitzender der CDU in Brandenburg und Spitzenkandidat bei der bevorstehenden Landtagswahl am 1. September. Herr Senftleben, Politik wird gerade in dieser Zeit, in dieser Medienlandschaft, in der wir uns auch bewegen, über Personen vermittelt. In Ihrem bevorstehenden Landschaftswahlkampf, an welchen Personen, an welchen konservativen Politikern würden Sie sich eher orientieren, an Sebastian Kurz in Österreich oder an Daniel Günther in Schleswig-Holstein?
Senftleben: Also, natürlich eher an Daniel Günther.
Detjen: Was lernen Sie von der Popularität Robert Habecks, die den Grünen gerade zu einem solchen Aufschwung verhilft?
Senftleben: Dass man offensichtlich in der Politik, auch ohne, dass man ständig über Fachthemen redet, eine hohe Zustimmung erfahren kann, und dass ansonsten man einfach feststellen muss, dass Personen immer mehr auch entscheiden über den Erfolg einer Partei oder vielleicht auch über den Nichterfolg einer Partei.
Detjen: Hat Annegret Kramp-Karrenbauer als neue CDU-Vorsitzende das nötige Charisma, um auch eine möglicherweise schon vorgezogene Bundestagswahl erfolgreich für die CDU zu bestehen?
Senftleben: Also, ich habe sie ja gewählt auf dem Parteitag in Hamburg. Deswegen kann ich die Frage mit ja beantworten, auch, wenn momentan nicht jede Äußerung von ihr auch glücklich war und auch öffentlich gut kommentiert wurde. Aber man sollte ihr auch die Chance geben, in diesem Amt auch noch mehr die Punkte zu machen. Und sie hat ja auch bewiesen im Saarland über viele Jahre hinweg, dass sie sehr wohl das Land als auch die Partei gut voranbringen kann.
Detjen: Sie hat ja auch bei der Vorstandsklausur, die die CDU am letzten Wochenende, Anfang dieser Woche gemacht hat – Sie haben daran teilgenommen – hat Annegret Kramp-Karrenbauer gesagt: ‚Wir haben Fehler gemacht‘. Wie ist Ihre Analyse? Wo sind da die hauptsächlichen Fehler gewesen? Wo ist da Korrekturbedarf?
Senftleben: Also, ich glaube, der größte Fehler war, dass wir es nicht geschafft haben nach der Bundestagswahl, eine Koalition aufzustellen mit der FDP und den Grünen, weil ich schon glaube, dass Jamaika unserem Land die Möglichkeit gegeben hätte auch ein Stück weit, Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden über die Breite hinweg, zu verbinden. Also, Themen der Liberalen und Themen der Grünen, aber auch Themen der Christdemokraten. Ähnlich, wie das ja auch jetzt Daniel Günther in der Jamaika-Koalition macht. Und ich glaube, das hätte uns in der Öffentlichkeit geholfen, auch wegzukommen von diesem Schwarzweißdenken. Und wir hätten vor allen Dingen auch im Bundestag eine der beiden Volksparteien, wie man immer bisher gesagt hat, mit der SPD gehabt. Und ich glaube, dass aus meiner Sicht das Grundthema nicht im Heute zu suchen ist, sondern vor allen Dingen darin zu suchen ist, dass wir es nicht geschafft haben nach der Bundestagswahl, eine andere Koalition als die jetzige aufzustellen. Und am Ende musste der Bundespräsident ja die SPD ein Stück weit zwingen, gegen ihren eigenen Willen in die Große Koalition einzusteigen. Das war kein guter Beginn. Und vom Gefühl her seit dem ersten Tag ist es auch eher eine, na, ja, mit schlechter Stimmung ausgestattete Große Koalition.
Ende der Koalition noch in diesem Jahr wahrscheinlich
Detjen: Jetzt wird ja hier seit dem Rücktritt von Andrea Nahles darüber spekuliert, wir lange diese Große Koalition noch hält. Kommt es zu Neuwahlen? Kommt es noch mal zu einer Neuauflage von Jamaika-Verhandlungen? Drei Zeitpunkte laufen hier bei uns im internen Deutschlandfunk-Wettbüro.
Senftleben: Okay. Die wären?
Detjen: Bruch der Koalition und Neuwahlen noch in diesem Jahr. Neuwahlen Anfang nächsten Jahres, im Frühjahr nächsten Jahres. Oder die Koalition macht weiter, hält durch bis zum Ende. Worauf würden Sie tippen?
Senftleben: Also, auf die erste Variante. Also, ich kann mir nicht vorstellen …
Detjen: Also, Neuwahlen noch in diesem Jahr, Ende der Koalition?
Senftleben: Ja, das Ende der Koalition in diesem Jahr. Was danach kommt, ist jetzt nicht das Thema dabei gewesen, sondern ich glaube, eine SPD, die mit sich selbst im Unklaren ist, die auch ziemlich schwankt, die auch wirklich fast um die Existenz kämpfen muss, die jetzt Personaldiskussionen zu führen hat, das ist auch eine Belastung für eine Regierungsarbeit. Und die Diskussionen werden ja innerhalb der SPD noch einige Zeit auch anhalten. Und wir bekommen als Union parallel natürlich auch eine Diskussion über Personalfragen, je mehr auch wir als Union in dieser schwierigen Situation dann auch mitleiden. Das ist einfach dann so. Und deswegen, glaube ich persönlich, werden die Beteiligten irgendwann feststellen noch in diesem Jahr, dass es so nicht weitergehen kann. Obwohl man natürlich auch sagen muss, wir haben einen Koalitionsvertrag. Der bietet genügend Substanz und Potenzial, auch vernünftig zu entscheiden, vernünftig zu regieren. Aber wie gesagt, seit Beginn an sind wir eigentlich eher im Krisenmodus als im Regierungsmodus. Und das nervt mich persönlich und ich glaube, auch die ganze Öffentlichkeit in unserem Land.
Detjen: Wird das Thema Klima das alles überlagernde und überragende Thema eines nächsten Bundestagswahlkampfes sein?
Senftleben: Also, das ist sehr spekulativ, denn die Frage ist ja erst mal: Wann ist die Bundestagswahl und was ist bis dahin noch so auch …
Union habe auf Fridays for Future "komplett falsch reagiert"
Detjen: Gehen wir mal von Ihrer Hypothese aus, noch in diesem Jahr.
Senftleben: Dann wird auf jeden Fall eher das Klima eine große Rolle spielen, klar. Und ich finde auch zu Recht, denn, wenn junge Menschen auf die Straße gehen, was sie ja freitags machen, dann ist das ja ein Hinweis darauf, dass offensichtlich da vieles aus der Generation heraus betrachtet nicht richtig läuft. Und ich finde, dass gerade junge Leute das Recht haben oder vielleicht auch die Pflicht haben, darauf hinzuweisen, dass sie auch gerne in ihrer Zukunft eine vernünftige Umwelt und Situation vorfinden wollen in der Natur. Und deswegen glaube ich, haben wir da als Politik, gerade auch als Union, komplett falsch reagiert, indem wir die Diskussion geführt haben: Dürfen die freitags demonstrieren oder auf die Straße gehen? Und wir haben zu wenig zugehört, was eigentlich uns zu sagen haben. Und deswegen ist klar, das Thema "wo geht die Welt hin, wo sind wir morgen zu Hause" ist eine entscheidende Frage. Und deswegen ist es klar, dass dieses Thema mit vielleicht zwei, drei anderen Themen im Bundestagswahlkampf, wann auch immer der stattfinden wird, zu den wirklich wichtigen Themen werden könnte. Und ich glaube auch, dass wir als Union da auch richtig gute Antworten finden können. Wir haben ja auch schon über viele Jahrzehnte hinweg in diesem Bereich gute Antworten gegeben. Und wir haben da einfach ein Stück weit jetzt vielleicht auch mit Selbstbeschäftigung verbunden oder auch mit Diskussionen zum Thema Flüchtlingspolitik ein Stück weit dieses Thema aus den Augen verloren.
"20 Jahre Zeit für einen sinnvollen und guten Strukturwandel"
Detjen: Sie selbst kommen aus einer Braunkohleregion, aus der Lausitz. Das ist Ihre Heimat. Was heißt das für Sie im bevorstehenden Landtagswahlkampf in diesem Herbst? Wie führen Sie da einen Wahlkampf? Geht es da nicht, spitz gesagt, gerade in dieser Region um die Frage: Klima oder Arbeitsplätze?
Senftleben: Also, spitz betrachtet geht es darum. Aber ich bin auch da an der Stelle dafür, zu sagen: Was sind eigentlich die Chancen? Wir haben jetzt noch 20 Jahre bis zum Ausstiegsdatum aus der Braunkohle. Das heißt, wir haben 20 Jahre Zeit für einen sinnvollen und guten Strukturwandel. Wir haben nicht nur Zeit, wir bekommen auch sehr viel Aufmerksamkeit, Gesetze werden gemacht. Wir bekommen sehr viel Geld. Und deswegen glaube ich, hat diese Lausitzer Region und alle anderen Kohleregionen auch eine riesige Chance, wirklich sich fitzumachen, vielleicht einmalig auch in der Geschichte. Und deswegen sollten wir das eher anpacken. Und ich habe ja selbst schon angekündigt, als Regierungschef würde ich auch Akzente setzen wollen. Wir haben noch drei Dörfer in Brandenburg mit ungefähr 800 Einwohnern zusammen, die nicht wissen, ob sie noch in den nächsten Jahren bleiben dürfen, oder ob sie der Kohle weichen müssen. Und ich habe gesagt, ich würde als Regierungschef den Beschluss nicht fassen, dass die Dörfer weichen müssen. Und ich möchte auch damit ein Signal setzen, dass wir also sagen, wir haben jetzt noch aktive Braunkohletagebauer. Die werden weiterbetrieben bis zu einem vernünftigen Ausstiegsszenario. Aber weitere neue Tagebauer wird es nicht geben, damit auch die Menschen in der Region feststellen, es gibt auch da ein Ende. Und wir haben auch einen gewissen Druck, erfolgreich zu sein. Denn Sie dürfen nicht vergessen, in der Lausitzer Region, wo ich herkomme, haben wir viel der Braunkohle zu verdanken. Das ist gar keine Frage. Aber wir haben auch 130 Dörfer verloren in über 100 Jahren. Und das sind auch Heimatfragen, Heimatgefühle, die sind einfach dann auch wichtig. Und ich war neulich bei einem Gespräch vor Ort. Da hat mir ein älterer Herr gezeigt beim Blick auf den See, wo mal der Friedhof war, wo seine Großeltern und Eltern begraben waren. Und als er mir davon berichtet hat und mir sagte, wie es dann bei der Verabschiedung war, das sind Emotionen, die man sich nur vorstellen kann, wenn man da vor Ort war. Und ich möchte ganz einfach, dass wir Menschen das Gefühl nicht geben, dass sie Heimat aufgeben müssen, damit andere einen Job haben. Sondern wir müssen einen vernünftigen Weg finden bei der Frage von Arbeitsplätzen, aber auch bei der Frage von: Was ist Heimat?
"Wir brauchen den Flughafen"
Detjen: Zwei Themen, Herr Senftleben, muss ich am Ende dieses Interviews noch ansprechen. Ein weniger erfreuliches, ein höchsterfreuliches. Fangen wir mit dem unerfreulicheren an. Wenn Sie Ministerpräsident von Brandenburg werden sollten: wann würden Sie als Ministerpräsident Brandenburgs die rote Kordel am Flughafen Berlin Brandenburg durchschneiden?
Senftleben: Ja, diese Frage würde ich auch gern beantworten wollen. Wir haben ja immer erlebt, dass nach Wahlen plötzlich der Eröffnungstermin nicht mehr gehalten werden konnte. Und deswegen habe ich mich entschieden, auch für den Fall des Wahlerfolges, sofort nach dem Wahlerfolg jemanden hinzuschicken, der was von Flughafenbau versteht und mir und der ganzen Region, dem ganzen Land mal wirklich auch zu ermitteln und herauszufinden: Wie ist wirklich der Eröffnungshorizont und der mögliche Zeitfaktor dabei? Wir brauchen den Flughafen. Das ist ganz klar. Ich würde sagen, der Eröffnungstermin, der jetzt geplant ist, 2020, ist sehr wackelig. Das sagen uns auch viele Experten. Und deswegen habe ich auch eingefordert von der jetzigen Regierung, von Herrn Woidke, dass man die Wahrheit vor der Wahl sagt und nicht wie 2014 und 2017 und 2016 erst nach der Wahl den Menschen reinen Wein einschenkt. Und deswegen bin ich mal sehr gespannt, ob noch bis zur Landtagswahl wir eine wirklich belastbare Aussage haben: Termin kann gehalten werden oder eben auch nicht.
Detjen: Also, dann doch ein Thema für die übernächste Ministerpräsidentin von Brandenburg. Gibt es ja dann vielleicht auch mal. Alles ist denkbar. Das schöne Thema am Ende, es muss in einem Sender angesprochen werden, der aus Köln ausgestrahlt wird. Sie sind – man kann sich das kaum vorstellen – glühender FC Köln-Fan, obwohl aufgewachsen in Brandenburg. Das hat was mit rheinischer Verwandtschaft zu tun, habe ich gelernt. Aber müssen Sie, wenn Sie Ministerpräsident werden sollten, nicht von Amts wegen dann doch Cottbus-Fan werden?
Senftleben: Na ja, es gibt ja eine gewisse Freundschaft zwischen Cottbus und Köln, denn es gab mal eine Spielzeit, ich weiß gar nicht, 2002 war das, da sind beide Mannschaften am selben Tag aufgestiegen, nachdem der 1. FC Köln in Cottbus 2:0 verloren hat. Und seit diesem Tage gibt es dann zwischen diesen Vereinen dann doch eher mehr Beziehung gemeinsam als Trennendes. Und beide haben ja auch Rot-Weiß in ihren Vereinsfarben. Also, von daher gibt es so viel gemeinsam. Also, ich habe sowohl zu Hause mehrere Fanschals vom 1. FC Köln als auch einen von Energie Cottbus. Und deswegen schlägt mein Herz also für den 1. FC Köln. Natürlich in der 1. Liga und jetzt natürlich für Energie Cottbus, damit sie hoffentlich wieder aufsteigen und wir dann auch wieder in der Region, in der Lausitz Profifußball erleben können.
Detjen: Was kann man als Politiker von den wundersamen Ab- und Aufstiegen des FC Köln lernen?
Senftleben: Man sollte auch bei Abstiegen die Freude nicht ganz vergessen, was das Leben einem bietet, und wenn der Aufstieg kommt, immer daran denken mit Demut, es könnten auch wieder schlechtere Tage kommen, also von daher … entscheidend ist aber, an die Chance zu glauben, aufzustehen, aufs Spielfeld zu gehen, aufzustehen, aufs Spielfeld zu gehen, das Spiel zu spielen und einfach an den Erfolg zu glauben. Das ist, glaube ich, für alle Seiten wichtig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.