Von der damaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner sei nach dem Pferdefleischskandal ein Zehn-Punkt-Plan mit großem Tam-Tam angekündigt worden. Transparenz sei ein zentraler Punkt gewesen, geschehen sei aber nichts, ergänzte Ostendorff.
Seit einem Jahr würden die Grünen und die Verbraucherorganisation Foodwatch nachfragen, wo die 70.000 Tonnen Separatorenfleisch geblieben seien. Nach wie vor sei nicht klar, wo es sich befinde. Die Fleischindustrie solle erklären, ob es in Tierfutter oder in Lebensmitteln gelandet sei. Die Deklarationspflicht werde nicht eingehalten, das sei kriminell, so Ostendorff im Deutschlandfunk. Fleisch sei inzwischen ein Ramschprodukt, sei zum Billigheimer verkommen.
Das Interview mit Friedrich Ostendorff in voller Länge:
Peter Kapern: Ich hoffe, Sie haben bereits gefrühstückt. Wir kommen nämlich jetzt zu unserer Rubrik Pferdefleisch-Lasagne, Gammel-Döner und Ähnliches. Heute geht es um sogenanntes Separatorenfleisch. Das sind Fleisch- und Gewebereste, die von den Skeletten geschlachteter Tiere abgekratzt und dann weiterverarbeitet werden. Der Begriff Separatorenfleisch ist dabei eigentlich irreführend, denn weil das Zeug so minderwertig ist, darf es eben nicht als Fleisch verkauft werden. Alle Produkte, in denen dieses Separatorenfleisch enthalten ist, müssen deshalb gekennzeichnet werden, damit die Verbraucher sich dafür oder dagegen entscheiden können. Und jetzt kommt das große Mysterium der Fleischindustrie: 130.000 Tonnen Separatorenfleisch werden jedes Jahr in Deutschland produziert. 60.000 Tonnen davon gehen in den Export. Und die übrigen 70.000 Tonnen verschwinden im Nirgendwo. Es gibt jedenfalls kaum Lebensmittel, auf denen sich die Kennzeichnung befindet, dass sie mit Separatorenfleisch hergestellt werden. Die Organisation Foodwatch befürchtet einen massiven Lebensmittelskandal und hat deshalb die EU-Kommission gegen die Bundesregierung in Marsch gesetzt, weil die nichts tue.
Bei uns am Telefon Friedrich Ostendorff von den Grünen, stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Guten Morgen.
Friedrich Ostendorff: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Herr Ostendorff, 70.000 Tonnen Separatorenfleisch, das sind nach Berechnung von Foodwatch zwei Milliarden Bockwürstchen, eine gigantische Menge also, die sich ja wohl nicht in Nichts auflöst. Haben Sie eine Vorstellung, wo das Zeug bleibt?
Ostendorff: Ja! Natürlich wird es verarbeitet. Die entscheidende Frage ist, dass die Kennzeichnung hier scheinbar nicht ordnungsgemäß läuft, denn sonst wäre es ja nicht erklärbar, und das muss aufgeklärt werden. Das ist leider so, dass in der Fleischindustrie nach wie vor solche Dinge passieren. Fleisch ist immer wieder Thema von Skandalen, und das hat die Bundesministerin, seinerzeit noch Ilse Aigner, angekündigt, dass das der Vergangenheit angehören soll. Es gab den sogenannten Zehn-Punkte-Plan nach dem Pferdefleisch-Skandal. Wir fragen hier natürlich als Opposition heftig nach, was denn daraus geworden ist, warum es nach wie vor nicht klar ist, wo diese 70.000 Tonnen unterkommen, in welchen Produkten sie sich wiederfinden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben wenigstens einen Anspruch zu erfahren, wo dieses Separatorenfleisch verarbeitet worden ist.
"Seit Anfang des Jahres fragen wir nach"
Kapern: Diese Umrechnung in Bockwürstchen, die Foodwatch da vorgenommen hatte, unterstellt ja die Weiterverarbeitung zu Lebensmitteln. Sie gehen auch davon aus, dass das Zeug in Lebensmittel für Menschen landet. Muss man davon wirklich ausgehen, oder könnte das Zeug auch in Tiernahrung landen und deshalb gar keinen Skandal verursachen?
Ostendorff: Natürlich kann es auch in Tiernahrung sein, aber auch das wissen wir nicht. Es ist eben nicht klar, wo diese 70.000 Tonnen geblieben sind. Seit Anfang des Jahres fragen wir hier nach, Foodwatch auch, und jetzt hat es das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Diese Frage bewegt uns schon seit Monaten: Wo bleiben diese Mengen? Wenn es im Tierfutter ist, dann soll bitte die Industrie, die Fleischindustrie erklären, wo es ist, dass wir endlich Klarheit haben, wie die Pfade sind. Möglicherweise ist es so, aber wir wissen es nicht. Es ist eine mögliche Vermutung.
Kapern: Nun könnte man ja, Herr Ostendorff, auch mit etwas mehr Gelassenheit auf dieses Problem schauen und sagen, Separatorenfleisch ist ja nicht per se gesundheitsschädlich. Warum dann die Aufregung?
Ostendorff: Es ist nicht gesundheitsschädlich. Nein! Aber es ist natürlich ein sensibles Produkt, weil es so empfindlich ist. Diese mit Hochdruck vom Knochen abgepresste Fleischreste sind sehr empfänglich für Keime. Es ist eine offene Zellstruktur da, da die Zellen zerstört worden sind. Dadurch ist es möglich, dass Keime sehr schnell eindringen. Es ist ein hoch sensibles Produkt und wir müssen endlich wissen, wo dieses Produkt bleibt, wo es verarbeitet worden ist, damit mögliche Gefährdungen ausgeschlossen werden. Das ist die Frage, die wir hier stellen.
Kapern: Sie haben eben erinnert an den Pferdefleisch-Skandal. Auch da ging es um das Labeling. Sie haben daran erinnert, dass es damals einen Zehn-Punkte-Plan gegeben hat. Und Sie sagen nun, Sie fragen bei der Bundesregierung nach. Welche Versäumnisse aufseiten der Bundesregierung vermuten Sie da?
Ostendorff: Ja, dass nach wie vor dieses nicht klar ist, wie die Wege gegangen sind. Es wurde mit großem Tamtam angekündigt, Zehn-Punkte-Plan, so etwas wie beim Pferdefleisch-Skandal, dass Fleisch, was nicht für den Menschen schädlich ist, aber falsch deklariert, dass dieses Fleisch in die Produkte wandert, dass das der Vergangenheit angehört. Das sollte in Zukunft ausgeschlossen sein. Deswegen müssen wir jetzt hier wissen, was mit dem Separatorenfleisch ist, ob es wirklich skandalbehaftet ist, oder ob es ganz legal und nur vergessen worden ist. Alles das wissen wir nicht. Wir müssen es endlich erfahren.
"Die lückenlose Transparenz ist nach wie vor nicht da"
Kapern: Aber Sie gehen davon aus, dass die Behauptung, die sich auf den Fleischtheken so vieler Supermärkte findet, wo es heißt, die Herkunft unseres Fleisches können Sie vom Stall bis zum Teller nachvollziehen, dass diese Behauptung nach wie vor Schall und Rauch ist?
Ostendorff: Ja, natürlich. Wir wissen nach wie vor nicht, wo dieses Material herkommt, wo es verarbeitet worden ist, wo sind diese Knochen vom Fleisch gelöst worden. All das wissen wir nicht. Wir wissen nicht, wo sie hingegangen sind. Diese Transparenz, die versprochen worden ist, diese lückenlose Transparenz des Weges ist nach wie vor nicht da, und das war einer der zentralen Punkte von Ilse Aigners Zehn-Punkte-Plan, den sie damals als noch Bundesministerin aufgelegt hat nach dem Pferdefleisch-Skandal, und deswegen sagen wir, was ist daraus geworden. Wir werden hier heftig nachfragen: Was habt ihr jetzt endlich vor, dem zur Umsetzung zu verhelfen, was ihr groß angekündigt habt.
Kapern: Können Sie denn, statt nur Fragen zu stellen, auch Antworten geben? Wie lässt sich diese lückenlose Transparenz herstellen?
Ostendorff: Indem sauber deklariert wird. Wenn Separatorenfleisch im Produkt ist, muss das sich auf der Produktkennzeichnung wiederfinden.
Kapern: Aber wie lässt sich das durchsetzen? Offenbar ist die Lebensmittelindustrie ja dazu nicht in der Lage oder nicht willens.
Ostendorff: Das muss sie heute schon. Wenn sie es versäumt hat, ist es zu ahnden, ist es ein ahndungsfähiger Tatbestand, weil es heute schon deklariert werden muss. Das muss jetzt geklärt werden, ob diese Deklaration ordentlich umgesetzt wird.
Kapern: Aber wir machen doch immer wieder, Herr Ostendorff, die Erfahrung, dass die Deklarationspflichten offenbar nicht eingehalten werden.
Ostendorff: Ja! Das ist kriminell. Das muss geahndet werden. Da muss man tätig werden. Da muss auch das Strafrecht herangezogen werden, zu gucken, ob das ein ausreichend bewährter Straftatbestand ist. Scheinbar scheint ja das, was heute dort an Strafen möglich ist, nicht auszureichen, die Produzenten zu zwingen, ihrer Kennzeichnungspflicht nachzukommen.
"Fleisch ist zu einem Billigheimer verkommen"
Kapern: Steckt in der Fleischindustrie ein gehöriges Maß an Organisierter Kriminalität, oder wie sehen Sie die Sache?
Ostendorff: Mag es auch sein, ja. Aber es hat natürlich erst mal mit der großen Lage zu tun, dass Fleisch heute ein Ramschprodukt ist. Fleisch ist verkommen, zu einem Billigheimer. Eine Zahl nur: 70 Prozent des Schweinefleisches werden über Rabatte an den Theken verkauft. 70 Prozent Rabatt! Da muss man natürlich die Frage stellen, ob da ausreichend noch der Qualitätsbegriff Einzug hält, ob die Qualität noch ein entscheidendes Kriterium ist, oder ob es nur noch darum geht, weg und durch und hast Du nicht mehr gesehen. Das scheint, hier scheinbar das Gewissen zu beruhigen oder das Gewissen zu mildern, dass man einfach sagt bei dieser Rabattschlacht, ich kann es nicht anders, ich kriege meine Produktionskosten sonst nicht in den Griff, ich nehme jedes billige Mittel, Billigmacher, was geht, tue ich rein in meine Wurst. Denn in der Wurst - so haben es früher schon Metzger immer erzählt - weiß nur der Herrgott und ich, was da drin ist, und das scheint nach wie vor gang und gäbe zu sein. Aber wir wollen, dass wir endlich erfahren, dass wir das nicht dem Herrgott überlassen, sondern dass wir alle als Verbraucher es erfahren, was in der Wurst ist.
Kapern: Aber das Hauptproblem scheint ja dann offenbar zu sein, dass es den Menschen offenbar Wurst ist, was für Fleisch sie essen.
Ostendorff: Den Menschen, glaube ich, nicht. Es ist nach wie vor scheinbar so: Nachlässig wird dort gehandelt. Ich glaube, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sehr wohl erfahren wollen, was sie dort zu sich nehmen. Sie müssen sich momentan darauf verlassen, was sie erfahren. Aber ich glaube, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sehr wohl gerne wissen möchten, ob Separatorenfleisch sich in dem Produkt befindet oder nicht.
Kapern: Friedrich Ostendorff, der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, von den Grünen, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Ostendorff, danke, dass Sie für uns und unsere Hörer Zeit hatten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!
Ostendorff: Ja! Danke!
Kapern: Auf Wiederhören!
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