Der Deutsche Bundestag, Anfang Dezember.
"Ich schließe die Aussprache."
Bundestagspräsident Norbert Lammert kommt seiner Aufgabe nach: Die Abgeordneten stimmen über den Einsatz der Bundeswehr in Syrien ab.
"Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze einzunehmen."
Doch: Nicht alles Abgeordneten sind an diesem, vielbeachteten Tag in der Hauptstadt. Einige fehlen, wie beispielsweise ein CDU-Abgeordneter aus Niedersachsen, Wahlkreis Rotenburg I - Soltau-Fallingbostel. Reinhard Grindel, war nicht Berlin, sondern in Düsseldorf. Der Grund: In seinem Ehrenamt als Schatzmeister des Deutschen Fußball-Bundes, kurz DFB, nahm er an einer Präsidiumssitzung des Verbands teil. Und statt in Berlin seine Abstimmungskarte einzuwerfen, beschloss Grindel mit seinen DFB-Präsidiumsmitgliedern den Rahmenterminplan für die Saison 2016/17, den Aufbau einer Futsal-Nationalmannschaft - und fuhr mit den Delegierten in der Altstadt Riesenrad. Wenn die Sorge bestanden hätte, dass die Mehrheit für einen Bundeswehreinsatz infrage gestanden hätte, wäre er selbstverständlich im Plenarsaal gewesen, ließ Grindel zwar mitteilen. Fakt aber ist: Der Fußball geht vor.
Vorschriften aus der DFB-Zentrale?
Gerade für Grindel, der neuer DFB-Präsident werden will und gegen den Vorwurf im Raum steht, er habe sich aus der DFB-Zentrale politische Vorschriften machen lassen. Glaubwürdige Dementis dazu stehen zwar aus, dennoch sieht es so aus, dass Grindel im Jahr 2016 die Tradition der konservativen Politiker an der DFB-Spitze fortführen könnte. Auch Gerhard Mayer-Vorfelder war Landesminister, Theo Zwanziger Regierungspräsident, beide in der CDU. Politik und Fußball spielen Doppelpass. Nicht nur personell und inhaltlich, sondern auch medial:
"Ja, es war ein Nervenspiel. Ich habe so gezittert und gebebt."
Brasilien, 14. Juli 2014. Bereits seit einigen Minuten ist die deutsche Nationalmannschaft Fußball-Weltmeister, doch Bundespräsident Joachim Gauck ist noch immer freudetrunken von seiner Feier mit den Spielern:
"Das hatte ich mir natürlich nicht vorgenommen. Ich bin ja eigentlich Präsident und muss ein bisschen gesetzter wirken."
Wenn Kanzlerin und Bundespräsident mit den Weltmeistern feiern
Gauck war nicht alleine in Brasilien. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel war auf der Tribüne - und später in der Kabine. Es war, nach Auskunft des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, die einzige gemeinsame Auslandsreise der beiden Staatsoberhäupter. Aus protokollarischen Gründen sollen solche gemeinsamen Auftritte vermieden werden, eigentlich mit gutem Erfolg: Die bis dato letzte gemeinsame Auslandsreise der beiden Verfassungsorgane lag fast 13 Jahre zurück. Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder waren damals zusammen in Yokohama, Japan - beim WM-Endspiel 2002.
Dass der Fußball auch die Kraft hat, protokollarische Ordnungen über den Haufen zu schmeißen, war nicht immer so: Am Abend des 4. Juli 1954, dem Tag des ersten deutschen WM-Erfolgs der Geschichte, trafen sich der damalige Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer zum Abendessen. Adenauer hatte das Spiel vorher im Radio gehört - ob es beim Essen überhaupt Thema war, ist nicht überliefert. Nur ein Zitat von Heuss von der Auszeichnung der Spieler mit dem silbernen Lorbeerblatt: "Gutes Kicken", so Heuß damals, "ist noch keine Politik."
"Liebe Weltmeister, herzlich Willkommen."
Im Jahr 2014, wenige Woche nach dem Erfolg, gab es wieder ein silbernes Lorbeerblatt. Dazu war die komplette Mannschaft ins Schloss Bellevue gekommen. Und 60 Jahre nach dem ersten Erfolg, macht der heutige Bundespräsident Gauck deutlich, dass Fußball eben doch mehr ist, als nur Sport:
"Und so eigentümlich es klingt, kann man manchmal, ohne dass man an das Große und Ganze einer Gesellschaft denkt, doch tatsächlich für dieses Große und Ganze der Gesellschaft etwas tun."
Ebenfalls wieder im Saal: Bundeskanzlerin Angela Merkel und auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière:
"Die Kanzlerin ist so was wie halb adoptiert in dieser Mannschaft wahrscheinlich und ich kenne auch viele ganz gut, da gibt es schon eine große Nähe."
Annehmlichkeiten für den Fußball
Doch diese Nähe bringt - ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt - auch Annehmlichkeiten für den Fußball: Als der Bremer Senat seine Pläne öffentlich machte, die Polizeimehrkosten bei Risiko-Spielen künftig der Deutschen Fußball-Liga, kurz DFL, in Rechnung zu stellen, entzogen DFB und DFL dem Stadtstaat Bremen ein wenige Monate später angesetztes Länderspiel - und bekam dafür den Segen des Sportminister de Maizière:
"Wenn das eine ein unfreundlicher Akt gegenüber der DFL war, dann habe ich ein gewisses Verständnis dafür, dass die die sagen: Also, einen Gefallen müssen wir Euch jetzt nicht noch tun."
Auch Privilegien wie eine Gemeinnützigkeit des millionenschweren DFB, Steuerbefreiungen von Großereignissen oder auch der Anspruch Immobilien oder Flächen für Projekte wie das neue DFB-Kompetenzzentrum in Frankfurt am Main oder das Fußballmuseum in Dortmund kostenfrei oder zu günstigen Konditionen zu bekommen, sind ein Ergebnis einer wohlwollenden Öffentlichkeit - und guter Lobby-Arbeit. Der Fußball ist gut vernetzt - und scheint diese Macht auch zu nutzen:
"Das überrascht mich nicht, denn die Politiker im Landtag, aber auch in der Regierungsverantwortung kriegen ja genau mit, welche Ansinnen vonseiten des Sportes an sie herangetragen werden."
Sagt Politikwissenschaftler Jürgen Mittag von der Sporthochschule Köln zu einer exklusiven Deutschlandfunk-Umfrage unter den Landtagsabgeordneten in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen: Dreiviertel der Befragten stimmten der Aussage zu, dass der Fußball eine Machtstellung habe. Doch dass das nicht Stein gemeißelt sein muss, zeigt aktuell Diskussion um die Vergabe der WM 2006, meint Mittag:
"Wenn der Politiker als rational denkender und handelnder Mensch merkt, hier habe ich nichts zu gewinnen, sondern eher zu verlieren, dann werden Dinge auch infrage gestellt."
Doch ob das geschieht, bleibt abzuwarten. Denn: Laut der Deutschlandfunk-Umfrage würden sich nämlich auch drei Viertel der befragten NRW-Abgeordneten als "Fußball-Fans" bezeichnen.