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Sicherheit
"Die Polizei braucht ausreichend Personal"

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, spricht sich weiterhin gegen die Vorratsdatenspeicherung aus. Diese schränke grundlegende Freiheitsrechte ein, ohne zu helfen, sagte er im Deutschlandfunk. Nötig seien andere Maßnahmen.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Mario Dobovisek | 17.01.2015
    Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag
    Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag (imago/IPON)
    Der Staat dürfe wegen einzelner Ereignisse keine grundlegenden Freiheitsrechte einschränken, sagte Hofreiter: "In einer freiheitlichen Demokratie ist es notwendig, dass Menschen miteinander telefonieren können und sich sicher sind, dass der Staat diese Informationen nicht sammelt." Man dürfe nicht Schwerkriminelle und alle Bürger in einen Topf werfen.
    In Frankreich gebe es seit 2006 die Vorratsdatenspeicherung, die Täter von Paris seien zudem bekannt gewesen. "In solchen Fällen ist es selbstverständlich möglich, dass diese Menschen überwacht werden", so Hofreiter. "Aber dafür braucht man ausreichend Personal." Daran fehle es derzeit aber, sodass die Polizei Hinweise und Informationen nicht ausreichend analysieren könne. Zudem gebe es Personalprobleme bei der Überwachung und der Bekämpfung von Straftaten im Internet.
    Als wichtigen Schritt zur Verbrechensbekämpfung nannte der Grünen-Politiker die Angleichung der Datenschutzstandards in Europa. Dass diese derzeit stark voneinander abwichen, erschwere der Polizei die Zusammenarbeit über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg. Terrorismus dagegen kenne keine Grenzen.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Im Moment reagieren Polizei, Politik und Medien äußerst nervös auf Meldungen wie jene, die uns gestern aus Paris erreicht hat: Geiselnahme in einer Postfiliale bei Paris. Nach kurzer Zeit stellte sich der Geiselnehmer, offenbar ein polizeibekannter Krimineller, jedenfalls kein islamistischer Terrorist. Doch zeigt uns dieser Zwischenfall, wie tief doch die Spuren nach den Attentaten von Paris sind. Verbunden mit den Antiterrorrazzien in Belgien und Berlin und den Hinweisen, die die Polizei täglich erreichen. Auftrieb für all jene, die schärfere Sicherheitsgesetze fordern - und so liegt sie wieder auf dem Tisch, die langumstrittene Vorratsdatenspeicherung. Dagegen protestieren die Grünen - auch Fraktionschef Anton Hofreiter, jetzt am Telefon. Ich grüße Sie, guten Morgen!
    Anton Hofreiter: Guten Morgen!
    Dobovisek: Es liegen offenbar Terrorhinweise vor, darüber berichtet "Der Spiegel". Die Hauptbahnhöfe in Berlin und Dresden sollen besonders gefährdet sein demnach. Was bedeutet das für die Sicherheitsdebatte? Ändert sich Ihre Meinung in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung?
    Hofreiter: Herr de Maizière hat ja selber diese Terrorhinweise bewertet. Für uns in der Opposition ist es noch mal schwieriger zu bewerten, was die vielen einzelnen Terrorhinweise bedeuten. Auf die einzelnen Terrorhinweise muss das BKA, muss die Bundespolizei, muss die Polizei entsprechend vernünftig reagieren. Aber auf einzelne Terrorhinweise können Sie keine grundlegenden Freiheitsgesetze abschaffen. Terrorhinweisen muss nachgegangen werden, da muss ermittelt werden, bei Terrorhinweisen muss gesichert werden, und das schafft man am besten durch eine gut ausgestattete Polizei, die ausreichend Geld und Personal hat.
    Dobovisek: Bleiben wir doch kurz bei der Vorratsdatenspeicherung, also wer mit wem wann wie lange von wo aus und womit telefoniert oder Internetkommunikation betreibt. Diese Daten werden ohnehin gesammelt. Ihr Telefonanbieter, Herr Hofreiter, weiß jetzt ganz genau, mit wem Sie gerade telefonieren. Spätestens auf der Rechnung wird es en détail dann auftauchen. Wo schränkt das denn, die vorübergehende Speicherung, die Freiheit ein?
    Hofreiter: Die vorübergehende Speicherung, wenn sie, wenn alles am Ende bei der öffentlichen Hand, beim Staat landet, ist natürlich problematisch. Weil Sie sich natürlich am Ende überlegen, mit wem telefoniere ich, muss das wirklich sozusagen bei der öffentlichen ..., beim Staat landen, muss das wirklich am Ende sozusagen dann bearbeitet werden. Das heißt, das ist keine schöne Sache, wenn der Staat weiß von jedem Menschen potenziell, mit wem er am Ende telefoniert. Und Sie wissen, die Auseinandersetzung, die es bei Journalisten gibt, Sie wissen, die Auseinandersetzung, die darum geht, um Informantenschutz, Sie wissen, die Auseinandersetzung, die jetzt darum geht, bei Informantenschutz gegenüber Rechtsanwälten, auch bei Abgeordneten, die erhalten auch regelmäßig Informationen, wo die Leute sehr, sehr nervös sind darüber, dass sie uns die Informationen geben. Das heißt, in einer freiheitlichen Demokratie ist es notwendig, dass Menschen miteinander telefonieren, miteinander sprechen können und sich sicher sind, nicht, dass es die Telefonabrechnung bedeutet, das ist vollkommen harmlos, sondern sich sicher sind, dass nicht die Polizei oder der Staat entsprechend dabei das mitschneidet beziehungsweise die Information, wer mit wem telefoniert, mitschneidet.
    "Wird nicht dadurch besser, dass man die gesamte Bevölkerung überwachen lässt"
    Dobovisek: Ein Richter darf bei Verdacht auf schwerste Kriminalität Abhörmaßnahmen anordnen, also das mitschneiden. Warum nicht das Auslesen der reinen Verbindungsdaten auf richterliche Anordnung?
    Hofreiter: Ein Richter darf anordnen, dass bei schweren Straftaten man sogar, was man sagt, mitschneidet, ja. Aber das ist ein ganz großer Unterschied, ob alle Bürger, wovon ein nur ganz, ganz geringer Teil schwere Straftaten begeht, die ganzen Verbindungsdaten, das heißt, wer mit wem redet, abgespeichert und entsprechend benutzt werden kann. Sie können ja nicht schwere Kriminelle und alle unschuldigen Bürger dieses Landes in eins werfen. Der Unterschied ist beliebig groß. Und deshalb, wenn man sich die schrecklichen Anschläge von Paris anschaut: In Frankreich gibt es seit 2006 die Vorratsdatenspeicherung. Die Menschen waren bekannt, die diese Terroranschläge begangen haben. Es waren polizeibekannte Terroristen. Der eine saß sogar schon viele, viele Monate im Gefängnis. In so einem Fall ist es selbstverständlich möglich, dass diese Menschen überwacht werden. Aber dafür braucht man ausreichend Personal, dafür braucht man ausreichend Ausstattung, dafür braucht man ausreichend Möglichkeiten. Und das wird nicht dadurch besser, dass man die gesamte Bevölkerung überwachen lässt. Es wird sogar eher komplizierter in meinen Augen und lenkt von der eigentlichen Debatte ab, dass wir nämlich, wie gesagt, ausreichend Kapazitäten brauchen, um wirklich mit den potenziell gefährlichen Terroristen umgehen zu können.
    Dobovisek: Auf die Kapazitäten der Polizei können wir gleich noch mal zurückkommen. Lassen Sie uns noch einen kleinen Moment bei der Vorratsdatenspeicherung bleiben, Herr Hofreiter. Gestern, auch hier bei uns im Programm, haben Union und SPD eine zügige Neuregelung, eine zügige Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung gefordert. Könnten Sie sich Bedingungen vorstellen, unter denen auch die Grünen zustimmen würden?
    Hofreiter: Ich weiß nicht, warum immer wieder auf die Vorratsdatenspeicherung rekurriert wird. Ich habe bereits erwähnt, in Frankreich gibt es die Vorratsdatenspeicherung seit 2006. Die Grundlage für die Vorratsdatenspeicherung ist vom Europäischen Gerichtshof als mit den Grundrechten, grundrechtswidrig aufgehoben worden. Er hat nicht gesagt, dass so was prinzipiell unmöglich ist, aber die jetzigen Grundlagen sind mit den Grundrechten nicht vereinbarbar. Wir haben gesehen, es hilft nichts. Wir haben gesehen, es schränkt die Grundrechte ein. Wir haben gesehen, es führt zur, letztlich, in Teilen der Überwachung der gesamten Bevölkerung. Also warum hält man sich immer wieder damit auf, und warum macht man nicht Dinge, die wirklich was helfen? Wir haben zum Beispiel ein großes Problem in Europa damit, dass wir ganz unterschiedliche Datenschutzstandards in den einzelnen europäischen Ländern haben und deshalb die Zusammenarbeit zwischen Polizei über die Grenzen hinweg - und Terrorismus kennt nun mal keine Grenzen - extrem erschwert ist, weil man nämlich immer wieder drüber diskutieren muss, welcher Datenschutzstandard gilt in dem Land, welcher gilt in dem Land und welcher gilt in dem Land. Und die Polizei tut sich deshalb sehr, sehr schwer, über die Landesgrenzen, also über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg zu kommunizieren.
    "Datenschutzstandards in der EU harmonisieren"
    Dobovisek: Sinnvolle und rechtsstaatliche Maßnahmen werden wir unterstützen, haben Sie auf Ihrer Internetseite der Fraktion geschrieben. Dann helfen wir der Großen Koalition doch mal auf die Sprünge. Was wäre denn aus grüner Sicht sinnvoll und rechtsstaatlich?
    Hofreiter: Sinnvoll und rechtsstaatlich wäre, dass man die Datenschutzstandards innerhalb der Europäischen Union harmonisiert, dass die Polizeien über die nationalen Grenzen hinweg besser zusammenarbeiten können. Im Moment können sie das entsprechend nicht, weil sie nämlich sich immer nur streiten, wer welche Daten verwenden darf. Das wäre zum Beispiel eine sinnvolle Maßnahme. Dann hätten wir weitaus geringere Schwierigkeiten, dass sich die Polizeien über die Nationalstaatsgrenzen hinweg koordinieren können. Das wäre eine der wirklich dringenst notwendigen Maßnahmen. Und wie gesagt, eine weitere dringlich notwendige Maßnahme wäre eine bessere Ausstattung, wie ich bereits erwähnt habe, der Polizei.
    Dobovisek: Was fehlt denn der Polizei?
    Hofreiter: Der Polizei fehlt zum Beispiel in manchen Bereichen Personal. Die Polizei hat nicht ausreichend Personal, um in vielen Bereichen ausreichend zu analysieren. Sie hat zum Teil Personalprobleme bei der Überwachung. Sie hat auch immer wieder Probleme mit ausreichender Computerkapazität, um im Internet - das betrifft viele Straftaten -, um im Internet ausreichende Analysen vorzunehmen. Und da braucht man einfach gut qualifizierte Menschen, und zwar in ausreichender Anzahl. Dafür braucht man Geld.
    Dobovisek: Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter über die Sicherheitsdebatte nach den Anschlägen von Paris. Ich danke Ihnen für das Gespräch im Deutschlandfunk!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.