Christoph Heinemann: Gar nicht einfach, die vielen Gesichtspunkte der Themen Sicherheit, Flüchtlinge und Asyl zusammenzufassen und zu gewichten. Aus Leipzig werden Randalen rechter Hooligans gemeldet, Übergriffe auf Migranten aus verschiedenen Städten, an der deutsch-österreichischen Grenze werden Flüchtlinge abgewiesen, wenn sie in einem anderen Land Asyl beantragen. Damit wird die sogenannte Dublin-Verordnung wieder angewandt. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet heute, dass nach Statistiken Kölner Ermittler 40 Prozent der nordafrikanischen Zuwanderer innerhalb eines Jahres straffällig werden. Bei Syrern beträgt die Quote 0,5 Prozent. Söhne marokkanischer und tunesischer Familien müssten möglichst schnell das Geld für die Schleuser beschaffen. Unterdessen haben vier Flüchtlinge aus Duisburg und Mülheim an der Ruhr sich in einem offenen Brief zu den Silvesterübergriffen an Bundeskanzlerin Merkel gewandt. In dem Schreiben bekunden sie Entsetzen und Abscheu angesichts der Vorfälle in Köln, Hamburg und Stuttgart, an denen vermutlich Migranten und Flüchtlinge beteiligt waren. Andererseits zeigen sie sich auch schockiert über flüchtlingsfeindliche und islamfeindliche Reaktionen in Politik und Öffentlichkeit.
Am Telefon ist Jan Korte, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Deutschen Bundestag und Mitglied des Innenausschusses des Bundestages. Guten Tag!
Jan Korte: Schönen guten Tag.
Heinemann: Herr Korte, Sie haben die Meldung der "Süddeutschen Zeitung" gehört. Nach Statistiken Kölner Ermittler werden 40 Prozent der nordafrikanischen Zuwanderer innerhalb eines Jahres straffällig. Kann man diese Menschen oder Menschen aus diesen Ländern noch ins Land lassen?
Korte: Ja was heißt noch ins Land lassen? Die kommen hier ja nicht hin, weil sie aus Nordafrika sind, und deswegen sind sie kriminell, sondern es gilt ...
Heinemann: Ziemlich genau so begründet das die "Süddeutsche Zeitung".
Korte: Ja, aber es gilt das Strafrecht. Wer hier strafbare Handlungen durchführt, muss nach dem Strafrecht verurteilt werden. Das gilt für alle. Zum zweiten ist natürlich zu gucken, wenn diese Zahlen stimmen - ich höre es gerade zum ersten Mal, werde mir das natürlich angucken, die Statistiken -, ist natürlich auch soziologisch zu gucken, woran liegt das denn eigentlich, was sind das denn für Gründe. Weil man ist ja nicht, nur weil man aus einem bestimmten Land kommt, kriminell, sondern das muss ja Gründe und Ursachen haben und die muss man sich natürlich in der Tat genau angucken, keine Frage.
Heinemann: Jetzt fragen sich vielleicht die einen oder anderen Bürgerinnen und Bürger, wieso müssen Steuerzahler Zuwanderer ernähren, die dann Straftaten begehen.
Korte: Zunächst einmal ist das Asylrecht ein Menschenrecht, um das mal klar zu sagen.
Heinemann: Auch für Straftäter.
Korte: Ja gilt für Straftäter jetzt auf einmal kein Menschenrecht mehr, oder wie? Wir sind in einem demokratischen Rechtsstaat.
"Das Strafrecht gilt für alle"
Korte: Gilt das Asylrecht für Straftäter?
Korte: Jeder Deutsche, der straffällig ist, muss der Justiz überführt und übermittelt werden, genauso wie jemand mit einem Migrationshintergrund. Die Menschen sind noch alle gleich. Das ist Artikel eins des Grundgesetzes. Das ist ja wohl nicht verhandelbar, sondern es muss geguckt werden, wenn diese Zahlen stimmen, was sind die Ursachen dafür, und es gibt ein Strafrecht. Das gilt für alle, ob man nun Migrationshintergrund hat oder nicht. Das gilt für Deutsche genauso wie für jemand, der aus Nordafrika hier hinkommt und hier lebt. Das ist doch gar keine Frage.
Heinemann: Deutet denn nicht die Zahl, die hohe Zahl von 40 Prozent - das sind Zahlen von Ermittlern; das hat sich die "Süddeutsche Zeitung" nicht ausgedacht - darauf hin, dass mit einer gewissen Absicht diese Leute hier herkommen und gilt dann noch das Asylrecht?
Korte: Ich habe ja gerade gesagt, es ist zu analysieren, wenn die Zahlen denn stimmen, warum ist diese Quote dort so hoch. Das muss sich genau angeguckt werden. Nur was ich jetzt bestimmt nicht mache, weil das machen schon Sigmar Gabriel und andere, die ganz einfachen Antworten auf hoch komplexe Fragen zu geben. Daran wird sich Die Linke bestimmt nicht beteiligen.
Heinemann: Welche Antworten kritisieren Sie?
Korte: Na ja, im Moment Symbolpolitik und Geschwätz kennt ja zurzeit keine Obergrenze mehr in dieser gesamten Debatte. Wenn ich die Vorschläge von Sigmar Gabriel aus der "Bild"-Zeitung lese, kriminelle Asylbewerber in ihre Heimat zurückzuschicken und dort die Haft im Heimatland anzutreten, ja das ist alles Geschwätz sozusagen. Es gibt die Genfer Flüchtlingskonvention, die gilt. Wollen wir das alles nicht mehr beachten? Soll ich jetzt einen Kriminellen, der zum Beispiel einen syrischen Fluchthintergrund hat, in Assads Folterkeller schicken, um dort die Haft zu verbüßen? Das ist doch wirklich nicht die richtige Linie, sondern wir müssen doch auch mal ein bisschen gucken, was in dieser Gesellschaft hier gerade abgeht, wie über Menschen geredet wird. Ich bekomme das selber mit bei meinen Bürgersprechstunden, was ich auf den Straßen und Plätzen höre, und ich finde, es ist auch Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass es bestimmte humanistische Mindeststandards gibt, wie über Menschen geredet wird, und dass alle Menschen gleich sind. Und dass es bei Flüchtlingen schwarze Schafe gibt genauso wie unter Deutschen, dass es dort Idioten gibt und dort Idioten gibt, das ist doch klar.
"Natürlich will keiner Täter schützen"
Heinemann: Herr Korte, Entschuldigung. Sigmar Gabriel hat mit keiner Silbe gesagt, dass Menschen nach Syrien abgeschoben werden sollen, aber nach Tunesien, Marokko und Algerien kann man das vielleicht schon machen. Oder wollen Sie Täter schützen?
Korte: Was ist das für eine Frage? Täter Schützen - natürlich will keiner Täter schützen. Es gibt ein Strafrecht, das ist anzuwenden für jeden. Für jeden, der hier in Deutschland sich aufhält, ist, wenn er straffällig wird, das Strafrecht anzuwenden. Was denn sonst?
Heinemann: Wieso muss man Leute mit einem so hohen Prozentsatz an mutmaßlichen Straftätern in das Land lassen? Das ist eine Frage, die sich viele Menschen stellen werden.
Korte: Ja wie wollen Sie das denn regeln? Sehe ich das an der Grenze? Sehe ich das im Gesicht jemandem an? Soll ich sagen, wer schwarze Haare hat, ist potenziell kriminell? Das kann es doch nicht sein, sondern es gilt nach wie vor, jeder Mensch hat das Recht, Asyl zu beantragen. Es gibt ein Verfahren. Wenn er hier bleiben kann, einen Aufenthaltstitel hat, dann muss er sich an Recht und Gesetz halten, wie das jeder andere auch tun muss und wenn er das nicht tut, gibt es die Polizei, die Ermittlungsbehörden und schließlich die Justiz.
Heinemann: Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet heute auch über einen Fachbegriff in arabischen Ländern, einen Fachbegriff für überfallartige Sexualdelikte. Werden Frauen durch Zuwanderer in Deutschland verstärkt Opfer?
Korte: Nein, das glaube ich nicht. Zunächst gilt es ja mal, erstens Mitgefühl und Anteilnahme mit den Opfern zu zeigen. Das ist jetzt das Entscheidende. Da helfen auch keine anderen Verweise. Denen muss schnell und umfangreich geholfen werden. Was richtig ist, dass über sexualisierte Gewalt in dieser Gesellschaft gesprochen wird, und zwar egal ob sie von Menschen mit Migrationshintergrund begangen werden, oder von Leuten auf dem Oktoberfest. Diese Debatte muss geführt werden und sie muss gesamtgesellschaftlich geführt werden und in Gänze muss sexualisierte Gewalt geächtet werden in diesem Land, und das wäre jetzt was, wo alle daran mitarbeiten müssen. Das ist gar keine Frage.
"Sensibilisierung für übelste sexuelle Übergriffen"
Heinemann: Kann man erwachsene Männer, die durch ihre kulturelle Prägung bestimmte Frauen als Freiwild betrachten, erziehen?
Korte: Was heißt erziehen? Was heißt kulturelle Prägung? Das hat ja vor allem nichts mit dem Asylrecht zu tun, sondern das ist ja insgesamt eine Frage in der Gesellschaft, was es für Frauenbilder gibt. Das ist doch die Frage, die wir angehen müssen. Und natürlich muss - das ist auch keine Frage - geguckt werden, wie sind öffentliche Räume, wie können sie so gestaltet werden, dass dort Frauen keine Angst haben müssen vor Übergriffen. Und das hat natürlich auch was mit Staatsversagen zu tun, indem man natürlich zum Beispiel, um mal ganz konkret zu werden, jahrelang die Polizei in den Ländern auf Verschleiß gefahren hat, Personal abgebaut hat. Das rächt sich bitter in solchen Situationen. Und man braucht natürlich auch eine Sensibilisierung für diese Art von übelsten sexuellen Übergriffen. Das ist die zweite Linie, die natürlich angegangen und durchgesetzt werden muss, dass man diese Problematik vor allem auch erkennt.
Heinemann: Herr Korte, es gibt Berichte über Gewalttäter, die Menschen mit Migrationshintergrund angreifen und schwer misshandeln. Woher kommt die Brutalisierung im Land?
Korte: Na ja, ich habe das ja eingangs schon gesagt, und das ist nun wirklich - - Nehmen Sie die Sprache. Die Sprache verrät etwas über den Zustand der Gesellschaft. Wenn man sich die sozialen Medien anguckt, wenn man sich anguckt, dass über Menschen als Viehzeug gesprochen wird, also eine richtige Entmenschlichung vorgenommen wird, dann ist der nächste Schritt, physische Gewalt anzuwenden, natürlich die logische Folgerung daraus. Deswegen ist es in der Verantwortung wirklich von allen, von Medien, Politik, sich dem entgegenzustellen, denn ich glaube schon, dass wir jetzt eine Auseinandersetzung haben in Deutschland und übrigens in Europa, in welche Richtung geht es. Geben wir Freiheit auf? Lassen wir den Ressentiments und dem Hass freien Lauf? Oder verteidigen wir die Werte des Grundgesetzes, die Würde des Menschen? Das ist im Moment, finde ich, die Kernaufgabe, um die es eigentlich geht.
Heinemann: Jan Korte, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Deutschen Bundestag und Mitglied des Innenausschusses. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Korte: Ich danke auch. Tschüss!
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