Betrug im Skilanglauf - das klebt wie Pech und Schwefel aneinander, seit eh und je. Bei der olympischen Premiere 1924 in Chamonix gewann der Norweger Thoralf Haug zweimal Gold als Langläufer sowie Bronze in der Nordischen Kombination. Wobei er genau wusste, dass seine Kombinations-Punkte frei erfunden waren.
Als ihm 1974 der Schriftsteller Jakob Vaage auf die Schliche kam, gab die Familie Haug diese Medaille kleinlaut zurück. Was die Verehrer des 1934 verstorbenen Olympia-Helden empörte. Sie gründeten daraufhin 2014 den Verein "Freunde des Ski-Königs."
Betrug im Skilanglauf: Als bei Olympia 1964 in Innsbruck endlich auch die Frauen in die Loipe durften, gewann die Russin Klawdija Bojarskich alle Rennen. "Herr Bojarskich" nannte alle Welt die offenbar konkurrenzlos dahin gleitende Russin. Als das Internationale Olympische Komitee (IOC) 1967 Geschlechtskontrollen einführte, beendete die 28-Jährige Knall auf Fall ihre Karriere. Doch bei den Spielen 2014 in Sotschi erinnerte plötzlich eine Sonderbriefmarke (15 Kopeken) an die Jahrzehnte lang Totgeschwiegene. Ohne jede Erklärung.
Doping interessiert nicht
Wer erinnert sich an solche Vorfälle, wenn am 30. Dezember im schweizerischen Lenzerheide der Start zu achten Tour de Ski erfolgt? Erfunden vom dreimaligen norwegischen Olympiasieger Vegard Ulvang, nachdem übrigens jener Jet benannt wurde, mit dem betuchte Osloer zum Shopping ins Londoner "Harrod's" fliegen.
Nach wem denn auch sonst? Karrieren im Skilanglauf münden schließlich oft im Business oder in der Politik. Wie im Falle der Südtirolerin Manuela di Centa. Ob zuvor gedopt wurde, wie bei Ulvang vermutet, oder ob, wie bei di Centa, Doping sogar bewiesen wurde, ändert daran nichts. Nehmen wir das Beispiel di Centa: Die Olympiasiegerin startete am 21. Dezember 1993 im schwedischen Falun - ohne aufzufallen - mit einem unerlaubten Hämatokritwert von 51,3 Prozent; normal sind 45 Prozent. Bei den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer, wo sie zwei goldene, zwei silberne und eine bronzene Medaille gewann, wurde ihr Hämatokritwert, diesmal nachweislich mit Hilfe des Blutdoping-Präparates EPO, erneut auf über 50 Prozent angehoben. Ebenfalls unbemerkt.
In dem finnischen Dokumentarfilm "Sinivalkoinen Vahle" (Die blau-weisse-Lüge) von 2004 wird obendrein behauptet, Manuela di Centa habe unter ihrem damaligen finnischen Trainer Jarmo Punkkinen mindestens bis 1988 systematisches Blutdoping betrieben. Einspruch erhob sie dagegen nicht; geschadet hat es der bekennenden Berlusconi-Anhängerin schließlich zu keiner Zeit. Von 1997 bis 1999 arbeitete sie sogar in der Anti-Doping-Kommission des IOC, dessen Ehrenmitglied sie seit 2010 ist.
In keiner anderen Sportart existiert ein engeres Netzwerk zwischen Athleten und Funktionären
In diesen Tagen ereifert sich nun alle Welt über das seit Generationen bestehende russische Staatsdoping. Dabei ist der Skilanglauf doch schon seit Jahrzehnten - weltweit - eine Branche für Intensiv-Doper. In keiner anderen Sportart existiert ein engeres Netzwerk zwischen Athleten und Funktionären, Doping-Kontrolleuren und Team-Ärzten, Firmen-Managern und Politikern. Und die Russen standen dabei fast immer im Mittelpunkt. In erster Linie Jelena Välbe, ihre derzeitige Verbandspräsidentin. Nicht nur, weil die Moskauerin 1997 in Trondheim alle WM-Goldmedaillen gewann, sondern, weil sie damals das Dopingvergehen ihrer Teamkollegin Ljubow Jegerowa öffentlich gemacht hat.
Elena Välbe, damals per Mikrofon im Skistadion zu Trondheim: "Entschuldigung für die Situation mit Ljubow Jegerowa, Entschuldigung König und Publikum." Bilder und Worte, die seinerzeit um die Welt gingen, als die fünfmalige Olympiasiegerin Jegerowa in ihrem privaten Lada mit dem Kennzeichen M77 18EL bei Nacht und Nebel bereits fluchtartig Trondheim verlassen hatte. Heute sagt Jelena Välbe: "Ich weiß, dass wir Russen sauber sind."
Betrug ist im Skilanglauf Grundlage des Geschäfts
Eine allzu plumpe Lüge, denn in zwölf Ländern - und niemand weiß das besser, als Jelena Välbe - ist der Betrug im Skilanglauf zur Grundlage des Geschäftes geworden: In Norwegen, Schweden, Finnland, Estland, Russland, Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, Frankreich, Polen und in der Schweiz.
Seit mindestens dreißig Jahren, zum Beispiel, werde der norwegische Langlauf-Nachwuchs mit verbotenen Asthmamedikamenten an die internationale Spitze geführt, prangerte vor vier Jahren das angesehene schwedische Ski-Portal "Langrenn" an; im vorigen Sommer wurde dieser Vorwurf vom norwegischen Fernsehen NRK wiederholt - ohne Widerspruch. Selbst dann nicht, als der 13-malige Weltmeister Petter Northug die Vorfälle bezeugte.
Es gibt nun einmal kein skandinavisches Land ohne Ski-Skandale: Die Schwedinnen, zum Beispiel, feierten einige ihrer größten Erfolge - um ihre Weltmeisterin Marie-Helene Östlund - ausgerechnet unter Manuela di Centas finnischen Doping-Coach Jarmo Punkkinen; und zwar zwischen 1992 und 1994.
Mord? Freitod? The Show must go on!
Und Finnland? Das schlimmste Doping-Debakel, neben Olympia 2014 in Sotschi, gab es bei der WM 2001 im finnischen Lathi. Weil damals fast die gesamte finnische Nationalmannschaft ein Präparat benutzte, mit dem das Blutplasma angereichert wurde, schied ihr Super-Star Mika Myllylä sogar aus dem Leben. Myllylä, der gefeierte Olympiasieger und Weltmeister, der Vater dreier Kinder, wurde am 5. Juli 2011 in seiner Wohnung in Kokkola tot aufgefunden. Mord? Freitod? Wen kümmerte das? The Show must go on!
Myllyläs Landsmann Harri Kirvesniemi, 2001 gleichfalls des systematischen Verbands-Dopings überführt, nahm sich das alles nicht so zu Herzen. Er machte stattdessen als Vorstandsmitglied eines finnischen Ski-Herstellers Karriere - und stand sogar Modell für das WM-Maskottchen 2016 in seiner Heimatstadt Lathi. Umjubelt von der ganzen Nation, versteht sich!
Elofsson kapituliert vor den übermächtigen Gegnern
Und Deutschland? Bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City gewann der - nach langen Streitereien - für Spanien startende Allgäuer Johann Mühlegg drei Goldmedaillen. Nach dem Sieg über 50 Kilometer wurde er allerdings des Blutdopings überführt. Man wies ihm den Wirkstoff Darbepoetin nach, der gewöhnlich bei Nierenkranken die roten Blutkörperchen vermehren soll. Der damals hochfavorisierte Schwede Per Elofsson, 2001 und 2002 Gesamt-Weltcupsieger, hatte gegen Mühlegg nicht die Spur einer Chance. Am 26. Oktober 2005 trat er entnervt zurück. Mit nur 28 Jahren! Elofsson, der seine Blutwerte zuvor ständig öffentlich gemacht hatte, wusste genau, dass er gegen die Mühleggs dieser Welt auf ewig chancenlos bleiben würde.
Der Doping-Schock aus Salt Lake City saß tief - in Skandinavien und sogar in Russland. Die Stars hielten sich merklich zurück. In diese Lücke stieß der deutsche Cheftrainer Jochen Behle. Der Sauerländer, 1990 selbst Weltcup-Gesamtvierter, kannte die skandinavischen Trainings- und Doping-Systeme ebenso gut wie die der ehemaligen DDR. Und so stellte er von 2004 bis 2007 mit René Sommerfeldt - einst Mühleggs Trainingspartner -, Axel Teichmann und Tobias Angermann die jeweils besten Skilangläufer der Welt.
Doping spielt keine negative Rolle mehr
Der Betrug im Skilanglauf: Ausgerechnet in Baerum, der reichsten Gemeinde im wohlhabenden Norwegen, stellte die bis April 2018 wegen Dopings gesperrte Weltmeisterin Therese Johaug ihre acht, teilweise weltweit operierenden Sponsoren, vor. Allen voran der chinesische Telekommunikations-Konzern Huawei, der weltweit 170.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Das Verhalten dieser Sponsoren, vermuten jetzt gleich mehrere internationale Rating-Agenturen, deute an, dass sich die Welt im letzten Jahrzehnt gründlich verändert habe. Noch nach den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin seien die gedopten österreichischen Skilangläufer öffentlich geächtet worden, heute spiele Doping jedoch keine negative Rolle mehr. Das unterstreiche auch die Begeisterung für Johaug in den Social-Media-Kanälen. Diese habe - rund um den Globus - trotz ihres Dopings extrem zugenommen. Betrug im Skilanglauf - was soll das denn sein?