Das katholische Gemeindezentrum in Duisburg-Marxloh. Ärzte bieten hier ehrenamtlich eine Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung an. Ein eigens aufgebauter Wartecontainer im Innenhof ist rappelvoll. Vor allem Rumänen und Bulgaren sind gekommen. Viele bringen auch ihre Babys und Kinder zum Arzt. Auch die Kinderkrankenschwester Sylvia Brennemann hilft hier und sagt:
"Wir werden hier mit einem No-Go-Area-Bericht nach dem nächsten förmlich erschlagen. Und ich finde, dass sich da die realistische Grundlage nicht mehr gezeigt. Letztlich polarisiert das nur den Stadtteil und hilft den Menschen im Stadtteil nicht weiter."
No Go-Area ist ein politischer Kampfbegriff. Die Gewerkschaft der Polizei nutzt ihn, um mehr Personal zu fordern. Die Duisburger Polizeiführung vermeidet ihn, um nicht den Eindruck zu erwecken, man habe die Kontrolle verloren. Denn natürlich würden sich die Beamten noch nach Duisburg-Marxloh trauen, sagt Polizeisprecher Ramon van der Maat. Allerdings hat sich seine Behörde schon im vergangenen Sommer Verstärkung besorgt.
"Mit den zusätzlichen Kräften der Bereitschaftspolizei haben wir, glaube ich, schon eine ganz ordentliche Wirkung erzeugt, das heißt wir haben uns deutlich wieder Respekt verschafft. Wir haben in dem knappen halben Jahr 75 Personen festgenommen. Wir haben über 4.000 Ordnungswidrigkeiten bzw. Verwarngelder erhoben."
Respekt verschaffen
Sich wieder Respekt verschaffen. Warum das in Duisburg-Marxloh nötig war, zeigt ein interner Polizeibericht. Darin ist zum Beispiel die Rede von libanesisch-stämmigen Großfamilien, die die Polizei als Autorität nicht anerkennen. Sie seien in der Lage, durch einen Telefonanruf mehrere hundert Leute zu mobilisieren. Straftaten gehörten zur Freizeitbeschäftigung, heißt es in dem Bericht weiter. Das alles vermischt sich in Duisburg mit einer steigenden Rockerkriminalität.
Duisburg-Marxloh ist keine Plattenbausiedlung, ganz im Gegenteil. Mit etwas Fantasie kann man an den ehemals schmucken Altbauten den Reichtum noch erkennen, den Kohle und Stahl vor noch gar nicht langer Zeit gebracht haben. Auf der quirligen Hauptstraße reihen sich türkische Brautmodegeschäfte aneinander. Die Meile ist berühmt dafür. Auch aus dem Ausland kommen Kunden. Allerdings immer weniger, meint Kenan, der hier in einem Fotostudio arbeitet. Beim Thema Kriminalität, Rocker und Straßengangs kann sich der 23-Jährige richtig in Rage reden.
"Die Politik hat hier in Duisburg bzw. im Ruhrpott versagt. Was sollen die Jugendlichen denn hier machen? Hier gibt es Spielhallen! Ist das etwas Gutes? Nein! Für die Jugendlichen ist es das Schlechteste. Und glauben Sie mir: Wenn die es schaffen, in einer Gruppe drei, vier Jungs zu retten. Dann wird die andere Gruppe direkt mitkommen."
Abseits der Hauptstraße wird es ungemütlich. Zerbrochene Fensterscheiben, grau-verrottete Fassaden, ein Kiosk ist wegen der vielen Einbrüche mit einem Gitterkäfig gesichert wie Fort Knox. Müll liegt in den Büschen. Ein alteingesessener Duisburger Passant wirkt traurig.
"Wenn das so weitergeht, dann können wir hier Planierraupen nehmen und alles zumachen. Das Schlimmste ist die Verwahrlosung der Straßen und Häuser. Grausig, grausig, grausig."
Verwahrlosung der Straßen und Häuser
An einer Bushaltestelle in der Nähe sorgt sich eine Dame um ihre Sicherheit: "Abends würde ich hier nicht mehr stehen, weil es ja viel unter den Ausländern Auseinandersetzungen gibt, vor allen Dingen zwischen den Libanesen und Türken."
92 unterschiedliche Bevölkerungsgruppen leben in Marxloh. Knapp die Hälfte der Einwohner ist von Sozialleistungen abhängig. Probleme, die seit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet bekannt sind. Doch man muss es so deutlich sagen: Eine zarte Tendenz zum Besseren wurde auch zunichtegemacht, weil der Zuzug von mittlerweile rund 15.000 Rumänen und Bulgaren Duisburg nun endgültig überfordert. Viele von ihnen gehören der Minderheit Roma an und haben weder eine Ausbildung noch Jobchancen. Viele werden straffällig. Der SPD-Oberbürgermeister der Ruhrpott-Stadt, Sören Link, fühlt sich allein gelassen.
"Unterm Strich sind vom Bund knapp 25 Millionen Euro insgesamt bundesweit verteilt worden, die sind nicht annähernd dazu geeignet, dieses Problem in den Griff zu kriegen. Wir brauchen hier erheblich mehr Hilfe. Insbesondere brauchen wir mehr Druck auf Rumänien und Bulgarien, sich um ihre Staatsangehörigen zu kümmern. Denn das tun diese Länder bisher überhaupt nicht."
Doch auch Duisburg hat seine Hausaufgaben über Jahrzehnte nicht gemacht. Die Armutsflüchtlinge kommen letztlich auch, weil es der Stadt so dreckig geht. Denn sie drängen in billige und marode Wohnungen.
Der Rat der notorisch klammen Kommune hat ein Handlungskonzept für den Brennpunkt Marxloh verabschiedet. Es wirkt ein wenig hilflos. Als erste Maßnahme wird nun ein neuer Quartiersplatz gebaut, um das Sicherheitsgefühl zu stärken. Doch was Duisburg braucht, sind Jobs, Bildung und vermutlich eine Armee von Sozialarbeitern.
Am katholischen Gemeindezentrum in Marxloh versuchen Freiwillige, das offensichtliche Versagen der Politik irgendwie aufzufangen. Sylvia Brennemann zum Beispiel - die hier als Kinderkrankenschwester bei der ehrenamtlichen Sprechstunde hilft.
"Die Dimension von Armut, die wir hier inzwischen erreicht haben, nimmt schon katastrophale Ausmaße an. Und das ist tatsächlich ein Problem. Und es sind nicht die Menschen, die hier Probleme machen, sondern die Menschen haben Probleme. Und Armut ist glaube ich eines der schwerwiegendsten Probleme, die man haben kann."
Perspektivlose Migranten, verarmte EU-Zuwanderer und Kriminalität. Hinzu kommt die Betreuung von tausenden Flüchtlingen. Duisburg geht auf dem Zahnfleisch. Angesichts der vergleichsweise brummenden Wirtschaft in Deutschland wirkt Marxloh wie der Kollateralschaden einer globalisierten Welt. Die Frage bleibt, wie lange das noch mehr oder weniger gut geht. Schon im vergangenen Jahr fürchtete sich die Stadt in einem Bericht für den Rat um den sozialen Frieden.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben das in der früheren Version verwendete Foto entfernt.