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Soziale Netzwerke
"Wenn offizielle Stellen schweigen, sind Social Bots erfolgreich"

Die Technologie von sogenannten Social Bots, also automatisierten Profilen in sozialen Netzwerken, sei an sich nichts Gutes oder Böses, sagte Tabea Wilke, Gründerin der Initiative "Botswatch" im DLF. Gefährlich seien Social Bots dann, wenn sie als Mehrheitsmeinung interpretiert und von seriösen Medien übernommen würden.

Tabea Wilke im Gespräch mit Tanja Runow |
    Social-Media-Icons auf einem Notebook
    Die Initiative "Botswatch" untersucht vor allem jene Profile in sozialen Netzwerken, die in politischen Diskussionen aktiv sind (dpa / picture alliance / Axel Heimken)
    Tanja Runow: Dass soziale Netzwerke die öffentliche Meinung mit prägen, ist eine Binsenweisheit. Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien und der Trump-Wahl in den USA wurde viel über diesen Einfluss diskutiert, und besonders interessant wird es natürlich da, wo eine mögliche Manipulation dieser Meinungen im Raum steht, zum Beispiel durch automatisierte Profile, sogenannte Social Bots, die beispielsweise Debatten an sich reißen, indem sie Nachrichtenkanäle überfluten oder auch Gerüchte in die Welt setzen, die schon Schaden anrichten, bevor sie überhaupt widerlegt werden können. Dass Bots bei politischen Ereignissen zum Einsatz kommen, gilt als gesichert. Noch nicht gut erforscht ist allerdings, wie erfolgreich sie tatsächlich sind. Unter anderem dieser Frage widmet sich die Initiative "Botswatch", ein Team aus Journalisten, Webentwicklern und Digitalstrategen, das sich im letzten Sommer zusammengefunden hat. Und mit der Gründerin, Tabea Wilke, bin ich jetzt verbunden. Guten Tag!
    Tabea Wilke: Guten Tag!
    Runow: Frau Wilke, Sie haben auch Ihrer Homepage schon ein paar erste Ergebnisse Ihrer Analyse aufgelistet. Sie haben zum Beispiel Politikerreden und Talkshows der letzten Zeit untersucht und kamen zu dem Schluss: Knapp 14 Prozent der Kommentare kam nicht von Menschen, sondern von Bots. Das scheint doch ziemlich viel, oder? Hatten Sie mit solchen Ergebnissen gerechnet?
    Wilke: Wir haben unsere ersten Testings im Sommer 2016 gestartet und sehen eigentlich seitdem eine hohe Fluktuation, wie sich Social Bots in Deutschland verhalten. Im Sommer war noch eine sehr hohe Aktivität zu erkennen. Seit die Diskussionen in den USA und in Deutschland über Social Bots stärker geworden sind, sehen wir einen leichten Rückgang in ihrer Aktivität. Es gibt sozusagen Social Bots, die gerade schlafen. Diese Social Bots können aber jederzeit für eine neue Kampagne wieder aufwachen. Die Gefahren, die wir darin sehen, sind eigentlich drei Gefahren. Das erste ist, Social Bots sind dann besonders erfolgreich, bei unklaren Nachrichtenlagen. Unklare Nachrichtenlagen gibt es beispielsweise kurz nach einem Anschlag, wie jetzt in Berlin auf dem Weihnachtsmarkt im Dezember, nach Flugzeugabstürzen oder nach Naturkatastrophen. Wenn offizielle Stellen schweigen, sind Social Bots erfolgreich im sozialen Netzwerk. Im Grunde gibt es so viele Arten von Social Bots, wie es Menschen gibt. Die Ergebnisse seit dem Sommer, da haben wir ganz unterschiedliche Ergebnisse gefahren, auch mit sehr viel höheren Quoten, mit sehr, sehr viel höheren Quoten als –
    Runow: Aber wenn ich noch mal fragen darf, hatten Sie denn mit solchen Ergebnissen gerechnet. Also bis zu 14 Prozent der Kommentare?
    Wer mehr als fünfzigmal am Tag twittert, gilt als Social Bot
    Wilke: Gefühlt war der Anteil von Social Bots sehr hoch, und da wollten wir einfach gucken, wie sind die konkreten Zahlen. Im Moment arbeiten wir auch mit einem Kriterium der Oxford University. Dieses Kriterium ist, welcher Account gleich oder mehr als fünfzigmal am Tag twittert, gilt als Social Bot.
    Runow: Genau. Da geht es um die Frage, wie erkenne ich überhaupt, was ein Social Bot ist und was nicht? Wie gehen Sie da vor?
    Wilke: Wir haben uns im ersten Schritt für dieses Kriterium entschieden, das sich nach der Aktivität von Accounts richtet. Also nach diesem Kriterium werden Social Bots als hochautomatisierte Accounts verstanden. Wir haben in den Analysen aber festgestellt, dass die meisten Social Bots, die in Deutschland unterwegs sind, hybride Accounts sind, das heißt, sie haben einen hohen Grad an Automatisierung, das heißt, die retweeten automatisch bestimmte Dinge, die retweeten sich auch gegenseitig. Zu bestimmten Zeiten, und das konnten wir in unseren Analysen bei Talkshows sehen oder auch bei anderen politischen Ereignissen werden die dann wieder händisch gepflegt. Es ist aber nach wie vor sehr komplex, Social Bots zu erkennen. Das ist deswegen komplex, weil sie sich auch jeden Tag ändern. Sie verändern ihr Verhalten, sie verändern ihre Eigenschaften. Und das ist auch der Grund, warum wir von Botswatch mehrmals in der Woche unsere Kriterien neu überprüfen und aktualisieren. Unsere eigenen Kriterien wenden wir aber derzeit noch gar nicht an, weil uns schlichtweg die Rechenkapazität dafür fehlt.
    Runow: Durchschnittlich 50 Tweets oder mehr, das schafft natürlich auch so ein Poweruser, oder?
    "Ist das eine seriöse Quelle oder sieht das nur so aus"
    Wilke: Das dachten wir auch. Wie haben dann eine Vergleichsgruppe angelegt und solche Heavy User mal analysiert, von denen wir wussten, dass diese Menschen in der Politik unterwegs sind und sehr oft twittern und sehr aktiv sind, und von denen wir wussten, dass sie keine automatisierten Methoden verwenden. Und da haben wir festgestellt, dass selbst Heavy User in der deutschen Politik um die 20 Mal am Tag twittern. Und das unterscheidet sich schon sehr deutlich von 50 Mal am Tag. Und dann haben wir gesagt, okay, dann nehmen wir jetzt dieses Kriterium der Oxford University für den ersten Schritt und arbeiten weiter an unseren eigenen Kriterien.
    Runow: Wie kann ich denn als Laie Bots erkennen, wenn ich nicht den ganzen Tag vor dem Rechner sitzen will und gucken will, was der noch so alles von sich gibt?
    Wilke: Im Alltag ist es wichtig, genau hinzugucken, und vielleicht auch zwei- oder dreimal hinzugucken, kenne ich diesen Account, kenne ich die Follower dieses Accounts, spricht der Account meine Sprache – noch mal wirklich auf die Quelle gucken, ist das eine seriöse Quelle oder sieht das nur so aus wie eine seriöse Quelle. All das sind erste Anhaltspunkte. Die wirkliche Erkennung ist sehr komplex von Social Bots.
    Runow: Und Sie werten im Moment nur Tweets auf Twitter aus?
    Wilke: Im Moment werten wir nur die Aktivität von Social Bots, von politischen Social Bots auf Twitter aus.
    Runow: Also nicht dieser ganze Bereich Produktwerbung, kommerzielle Anwendung, was man auch noch alles tun könnte.
    Wilke: Es gibt eine ganze Reihe von Social Bots, es gibt auch den Tiny-Care-Bot, der twittert Gute-Laune-Nachrichten und erinnert uns daran, dass wir Menschen sind. Und natürlich gibt es auch Werbe-Social-Bots. Aber wir interessieren uns in unseren Analysen ausschließlich für Social Bots, die in politischen Diskussionen aktiv sind, sogenannte Propaganda-Social-Bots oder politische Social Bots.
    Runow: Und Sie werden öfter mit dem Satz zitiert, an der Technologie an sich sei nichts verwerfliches, es gebe eben gute und böse Bots, aber das Grundprinzip ist doch Täuschung und Manipulation, oder? Es wird was vorgegeben, was so nicht ist, und die Folgen können ja durchaus gefährlich sein, wenn dadurch Mehrheiten künstlich erzeugt werden zum Beispiel, die es so gar nicht gibt.
    "Macher dieser Social Bots wissen genau, wie die deutsche Öffentlichkeit funktioniert"
    Wilke: Die Technologie von Social Bots ist erst mal nichts Gutes oder Böses. Die Technologie begegnet uns jeden Tag. Google verwendet Bots, ganz viele Apps verwenden Bots. Bots sind eine der wesentlichen Technologien und wird viele andere Technologien schon in den nächsten Jahren ersetzen. Das Wichtige ist aber, das zu unterscheiden auch von Social Bots, und da ist immer die Frage, wie man dieses Wissen oder diese Technologie anwendet. Es gibt Social Bots, die erst mal nichts Schlimmes verursachen, wie zum Beispiel diese Werbe-Social-Bots. Das ist eigentlich nur Spam. Es gibt aber auch die Social Bots, die versuchen, Einfluss zu nehmen auf politische Debatten. Und wir können in Deutschland sehen, dass die Macher von Social Bots versuchen, Debatten oder Diskurse und Diskussionen in Deutschland zu beeinflussen, sehr intelligent vorgehen. Und das unterscheidet sie auch von vielen anderen Ländern, zum Beispiel den USA oder auch Frankreich. Die Macher dieser Social Bots wissen sehr genau, wie die deutsche Öffentlichkeit funktioniert, und das können wir auch in unseren Analysen sehen.
    Runow: Haben Sie an Beispielen gesehen, wie erfolgreich diese Bots mitunter sind?
    Wilke: Den Erfolg von Social Bots können wir gar nicht messen. Wir können nicht in die Köpfe der Menschen hineingucken. Social Bots sind dann eine Gefahr, wenn sie als Mehrheitsmeinung interpretiert werden und wenn ihre Fakten oder ihre Informationen auch von seriösen Medien übernommen und weiter verbreitet werden. Das sind die Gefahren von Social Bots.
    Runow: Was wir ja in den USA im Wahlkampf durchaus gesehen haben.
    Wilke: Das haben wir auch in Deutschland schon gesehen. Auch in Deutschland ist es passiert, dass Fake News, die über Social Bots verbreitet wurden, in seriösen Medien wiedergegeben und weiterverbreitet wurden.
    Runow: Der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat ja gestern gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" gefordert, die Betreiber der Netzwerke müssten die Verbreitung oft falscher Nachrichten durch Bots unterbinden. Ist so was realistisch? Mit Ihrem Toll vielleicht, das Sie entwickelt haben.
    Wilke: Botswatch kann einen Beitrag dazu leisten, Transparenz zu schaffen. Was Social Bots im Web tun oder in den sozialen Netzwerken tun. Wie sie sich verhalten, was sie twittern und wie sie miteinander vernetzt sind. Ich persönlich glaube nicht, dass der Weg die Regulierung ist. Gleichzeitig glaube ich aber dennoch, dass soziale Netzwerke auch eine gewisse Verantwortung haben.
    Runow: Gibt es denn so Konjunkturen für Social Bots? Haben Sie so was feststellen können, dass zu besonderen Zeiten besonders viele Bots aktiv sind?
    Schlafende Social Bots können jederzeit wieder aufwachen
    Wilke: Wir konnten jetzt im Verlauf der letzten Monate beobachten, dass seit Beginn der Diskussionen über Social Bots in den USA und in Deutschland ihre Aktivität zurückgegangen ist. Das heißt, Social Bots, die uns im Sommer aufgefallen sind, schlafen im Moment. Diese Social Bots können aber jederzeit wieder aufwachen und für die nächste Kampagne aktiv werden.
    Runow: Zum Wahljahr zum Beispiel.
    Wilke: Im Wahljahr. Wir konnten auch Ende Dezember eine neue Aktivität von mehreren Accounts feststellen, die in Kontakt treten vor allen Dingen mit Bundestagsabgeordneten, Journalisten und politischen Influencern. Wir gehen im Moment davon aus, dass das ein neues Botnetz ist, das heißt, eine ganz Gruppe, eine miteinander vernetzte Gruppe von Social Bots. Im Moment schläft diese Gruppe noch. Aber wir beobachten sie, und wir werden sehen, wie sie sich dann in diesem Jahr, in diesem Wahljahr verhalten.
    Runow: Und was fangen Sie dann an mit den Ergebnissen? Im Moment gibt es die ja auf Ihrer Webseite zur freien Verfügung. Das Team arbeitet ehrenamtlich, habe ich gelesen. Ist geplant, das auch mal kommerziell anzubieten, so als Beratungsleistung, Analysewerkzeug, mit dem dann Parteien zum Beispiel ihren Wahlkampf optimieren können?
    Wilke: Für uns von Botswatch ist wichtig, dass wir einen Beitrag dazu leisten, Transparenz zu schaffen. Und dieser Teil wird auch immer bleiben. Gleichzeitig können wir uns auch vorstellen, diese Analysen oder Analysen auch eben anzubieten als Dienstleistung. Aber im Moment arbeiten wir wirklich ehrenamtlich.
    Runow: Ist ja auch eine gute Werbung.
    Wilke: Uns liegt einfach die Transparenz von dem, was Social Bots im Internet tun, am Herzen.
    Runow: Sie selbst sind ja Mitglied der CDU und auch im "C-Netz" aktiv, einem Netzpolitikverein, der CDU und CSU nahesteht. Haben Sie da von der eigenen Partei schon Aufträge bekommen für entsprechende Analysen, oder vielleicht auch von anderen Parteien?
    Wilke: Bei uns haben sich sehr schnell eine ganze Reihe von Interessenten aus den unterschiedlichsten Bereichen gemeldet. Ich bitte aber um Verständnis, dass ich dazu nichts Weiteres sagen kann.
    Runow: Ja, das kann ich mir schon vorstellen. Aber dann wird das auf jeden Fall ein turbulentes Jahr für Sie, davon kann man ausgehen. Wie viele Mitarbeiter haben Sie denn überhaupt?
    Wilke: Wir haben ein gutes Kernteam, und dieses Kernteam, mit dem habe ich auch vor Jahren schon große IT-Projekte umgesetzt, und wir kennen uns ganz gut.
    Runow: Gut, dann werden Sie diese Herausforderung auch annehmen. Viel Erfolg wünsche ich, und das war Tabea Wilke, Gründerin der Initiative Botswatch. Seit letzten Sommer erforscht sie mit ihrem Team die Rolle und die Effizienz von sogenannten Social Bots, automatisierten Nutzerprofilen in sozialen Medien und bislang vor allem auf Twitter. Vielen Dank für das Gespräch!
    Wilke: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.