Schon von Ferne hören wir dumpfes Trommeln, Stampfen und rhythmische Gesänge. Dann, am Rande des Dorfes, entdecken wir auf einer Wiese rund 300 Tipis, in der Mitte ist der Festplatz. Barbusige Frauen sitzen in offenen Zelten um eine Kochstelle herum. Kinder spielen, zwei Mädchen in indianischen Kostümen reiten vorbei. Am Waldrand proben etwa 50 Leute einen Tanz. Sie tragen aufwändig gefertigte Gewänder, Mokassins und Federn im Haar.
Was anmutet wie eine Szene aus einem Westernfilm beobachteten die Autoren Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer im Jahr 2007 in der Nähe von Cottbus. Und es war beileibe kein einmaliges Ereignis: die "Indian Weeks", wie diese offiziellen Treffen der Indianisten - also der ostdeutschen Indianerfreunde - genannt werden, finden bereits seit 1973 jedes Jahr statt.
Die jahrhundertealte Faszination der Deutschen für den Wilden Westen war in Zeiten der DDR naturgemäß gar nicht gern gesehen. Schließlich galten die USA hier als Inbegriff des "imperialistischen Klassenfeindes". Dennoch wurde 1956 im sächsischen Radebeul der erste Westernclub, "Old Manitou", gegründet. Ausführlich stellen die Autoren dar, wie die sozialistischen Indianer allmählich ins DDR-System integriert wurden.
Die Indianisten erhielten nach dem Bau der Berliner Mauer eine offizielle Legitimation und eine Funktion beim Aufbau des Sozialismus: Sie repräsentierten die Opfer des US-Imperialismus und trugen so zur sozialistischen Bildungsarbeit bei. -
Die Mitglieder von Old Manitou entwickeln ausgefeilte Showprogramme. Jedes Wochenende absolvieren sie mehrere Auftritte. Mit ihren Unterhaltungsprogrammen sind sie ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens der DDR.
Die Indianistenszene versammelte die verschiedensten Gruppierungen unter ihren Tipi-Dächern. Die ersten Indianerfreunde waren noch konservative Karl-May-Fans mit eher folkloristischem Indianerbild. Der folgenden sozialistisch erzogenen Generation ging es zunehmend um Authentizität in Kleidung und Verhalten sowie allgemein um die Hebung des kulturellen Niveaus des Arbeiter- und Bauernstaates.
Ab den 1970er Jahren traten verstärkt politisch engagierte Indianisten in Erscheinung, die sich mit den US-amerikanischen Indianern solidarisierten. Und dann gab es noch eine Art Aussteiger.
Die exotische Szene zog viele an, die eine Alternative zur Tristesse der realsozialistischen Industriegesellschaft suchten: Ein Leben ohne Staat. Diesen Aussteigern bot das Hobby die Möglichkeit, den american dream von Freiheit, Weite und Abenteuer im "Reservat" zu verwirklichen. So entstand eine indianische Gegenkultur. Das Tipi wurde zum Freiraum, in dem offen über die Aktivitäten der Gewerkschaft Solidarnosc in Polen und die Politik von Michail Gorbatschow diskutiert wurde.
Die Antwort der DDR-Oberen auf die Indianisten war die Staatssicherheit. Wie die Autoren recherchiert haben, war die Hobbyszene Bbereits kurz nach ihrem Entstehen war die Hobbyszene, wie die Autoren recherchiert haben, von Spitzeln durchsetzt. Es traf die konservativen Old Manitou-Mitglieder mit West-Kontakten, die Kontakte in den Westen pflegten ebenso wie die engagierten Solidaritätsindianer. Man erkannte ihre gute Absicht, hielt sie aber auch, so ein Stasivermerk, für "schlecht berechenbar".
Ausführlich und plausibel stellen von Borries und Fischer dar, welche Gratwanderung das Wochenendleben mit Federhaube zuweilen bedeutete. Die Begeisterung für die Weite Amerikas war nur gestattet, wenn man sich mit den unterdrückten Indianern identifizierte; die ebenfalls vorhandenen Cowboy-Fans konnten sich erst zu ihrem Hobby bekennen, nachdem es ihnen gelungen war, Cowboys als ausgebeutetes Landproletariat darzustellen; das Engagement für die Freiheit der amerikanischen Ureinwohner durfte nicht im Zusammenhang mit Debatten über die Einschränkungen im eigenen Reservat DDR stehen; und als ab 1984 die Zahl der Ausreiseanträge stark anstieg, beschlossen die Indianisten auf einem Chiefpalaver, dass alle Ausreisewilligen umgehend aus ihren Indianistikclubs ausgeschlossen werden sollten.
Von Borries und Fischer resümieren:
Cowboy- und Indianer-Spielen war in der DDR also viel mehr als eine extravagante Freizeitbeschäftigung. In diesem Milieu spiegelten sich die kulturellen und politischen Besonderheiten des SED-Staats: Die Wildwest-Fans wurden von der Stasi überwacht und unterwandert, sie waren staatlichen Repressionen ausgesetzt, wurden jedoch auch gefördert und politisch instrumentalisiert. Der "Wilde Westen" in Ostdeutschland zeugt von der Zerrissenheit zwischen Widerständigkeit gegen die Diktatur, Anpassung an das System und Begeisterung für den Sozialismus.
Die Autoren wollen nicht nur klären, wie der Wilde Westen in den Osten kam und von ihm vereinnahmt wurde. Sie wollen auch anhand der Darstellung der DDR-Westernszene nachzeichnen, wie das Leben in der DDR wirklich war und welche Folgen das bis heute für die Bevölkerung Ostdeutschlands hat. Das ist ein unterhaltsamer, nichtsdestotrotz keineswegs vollständig überzeugender Ansatz. Denn ob die Westernszene überhaupt repräsentativ war, muss sich zuallererst an der Anzahl ihrer Mitglieder ablesen lassen. Zwar hat die Hälfte aller DDR-Bürger die ab Mitte der 1960er Jahre gedrehten "sozialistischen Western" mit dem DEFA-Chefindianer Gojko Mitic begeistert verfolgt. Doch gab es nur etwa 1000 bis 3000 echte Indianisten, die aus ihrer Begeisterung ein zeitintensives Hobby machten - letztlich zu wenig, um für 16 Millionen DDR-Bürger stehen zu können.
Dennoch bleibt Friedrich von Borries‘ und Jens-Uwe Fischers "Sozialistische Cowboys" absolut lesenswert. Auf nur 200 Seiten stellen sie facettenreich dar, dass selbst im rigiden System der DDR Freiraum in den sonderbarsten Nischen zu finden war - und sei es, indem man als "Roter" eine "Rothaut" spielte.
Friedrich von Borries, Jens-Uwe Fischer:
Sozialistische Cowboys. Der Wilde Westen Ostdeutschlands.
Edition suhrkamp 2008, 201 Seiten, Preis 10,00 Euro
Was anmutet wie eine Szene aus einem Westernfilm beobachteten die Autoren Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer im Jahr 2007 in der Nähe von Cottbus. Und es war beileibe kein einmaliges Ereignis: die "Indian Weeks", wie diese offiziellen Treffen der Indianisten - also der ostdeutschen Indianerfreunde - genannt werden, finden bereits seit 1973 jedes Jahr statt.
Die jahrhundertealte Faszination der Deutschen für den Wilden Westen war in Zeiten der DDR naturgemäß gar nicht gern gesehen. Schließlich galten die USA hier als Inbegriff des "imperialistischen Klassenfeindes". Dennoch wurde 1956 im sächsischen Radebeul der erste Westernclub, "Old Manitou", gegründet. Ausführlich stellen die Autoren dar, wie die sozialistischen Indianer allmählich ins DDR-System integriert wurden.
Die Indianisten erhielten nach dem Bau der Berliner Mauer eine offizielle Legitimation und eine Funktion beim Aufbau des Sozialismus: Sie repräsentierten die Opfer des US-Imperialismus und trugen so zur sozialistischen Bildungsarbeit bei. -
Die Mitglieder von Old Manitou entwickeln ausgefeilte Showprogramme. Jedes Wochenende absolvieren sie mehrere Auftritte. Mit ihren Unterhaltungsprogrammen sind sie ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens der DDR.
Die Indianistenszene versammelte die verschiedensten Gruppierungen unter ihren Tipi-Dächern. Die ersten Indianerfreunde waren noch konservative Karl-May-Fans mit eher folkloristischem Indianerbild. Der folgenden sozialistisch erzogenen Generation ging es zunehmend um Authentizität in Kleidung und Verhalten sowie allgemein um die Hebung des kulturellen Niveaus des Arbeiter- und Bauernstaates.
Ab den 1970er Jahren traten verstärkt politisch engagierte Indianisten in Erscheinung, die sich mit den US-amerikanischen Indianern solidarisierten. Und dann gab es noch eine Art Aussteiger.
Die exotische Szene zog viele an, die eine Alternative zur Tristesse der realsozialistischen Industriegesellschaft suchten: Ein Leben ohne Staat. Diesen Aussteigern bot das Hobby die Möglichkeit, den american dream von Freiheit, Weite und Abenteuer im "Reservat" zu verwirklichen. So entstand eine indianische Gegenkultur. Das Tipi wurde zum Freiraum, in dem offen über die Aktivitäten der Gewerkschaft Solidarnosc in Polen und die Politik von Michail Gorbatschow diskutiert wurde.
Die Antwort der DDR-Oberen auf die Indianisten war die Staatssicherheit. Wie die Autoren recherchiert haben, war die Hobbyszene Bbereits kurz nach ihrem Entstehen war die Hobbyszene, wie die Autoren recherchiert haben, von Spitzeln durchsetzt. Es traf die konservativen Old Manitou-Mitglieder mit West-Kontakten, die Kontakte in den Westen pflegten ebenso wie die engagierten Solidaritätsindianer. Man erkannte ihre gute Absicht, hielt sie aber auch, so ein Stasivermerk, für "schlecht berechenbar".
Ausführlich und plausibel stellen von Borries und Fischer dar, welche Gratwanderung das Wochenendleben mit Federhaube zuweilen bedeutete. Die Begeisterung für die Weite Amerikas war nur gestattet, wenn man sich mit den unterdrückten Indianern identifizierte; die ebenfalls vorhandenen Cowboy-Fans konnten sich erst zu ihrem Hobby bekennen, nachdem es ihnen gelungen war, Cowboys als ausgebeutetes Landproletariat darzustellen; das Engagement für die Freiheit der amerikanischen Ureinwohner durfte nicht im Zusammenhang mit Debatten über die Einschränkungen im eigenen Reservat DDR stehen; und als ab 1984 die Zahl der Ausreiseanträge stark anstieg, beschlossen die Indianisten auf einem Chiefpalaver, dass alle Ausreisewilligen umgehend aus ihren Indianistikclubs ausgeschlossen werden sollten.
Von Borries und Fischer resümieren:
Cowboy- und Indianer-Spielen war in der DDR also viel mehr als eine extravagante Freizeitbeschäftigung. In diesem Milieu spiegelten sich die kulturellen und politischen Besonderheiten des SED-Staats: Die Wildwest-Fans wurden von der Stasi überwacht und unterwandert, sie waren staatlichen Repressionen ausgesetzt, wurden jedoch auch gefördert und politisch instrumentalisiert. Der "Wilde Westen" in Ostdeutschland zeugt von der Zerrissenheit zwischen Widerständigkeit gegen die Diktatur, Anpassung an das System und Begeisterung für den Sozialismus.
Die Autoren wollen nicht nur klären, wie der Wilde Westen in den Osten kam und von ihm vereinnahmt wurde. Sie wollen auch anhand der Darstellung der DDR-Westernszene nachzeichnen, wie das Leben in der DDR wirklich war und welche Folgen das bis heute für die Bevölkerung Ostdeutschlands hat. Das ist ein unterhaltsamer, nichtsdestotrotz keineswegs vollständig überzeugender Ansatz. Denn ob die Westernszene überhaupt repräsentativ war, muss sich zuallererst an der Anzahl ihrer Mitglieder ablesen lassen. Zwar hat die Hälfte aller DDR-Bürger die ab Mitte der 1960er Jahre gedrehten "sozialistischen Western" mit dem DEFA-Chefindianer Gojko Mitic begeistert verfolgt. Doch gab es nur etwa 1000 bis 3000 echte Indianisten, die aus ihrer Begeisterung ein zeitintensives Hobby machten - letztlich zu wenig, um für 16 Millionen DDR-Bürger stehen zu können.
Dennoch bleibt Friedrich von Borries‘ und Jens-Uwe Fischers "Sozialistische Cowboys" absolut lesenswert. Auf nur 200 Seiten stellen sie facettenreich dar, dass selbst im rigiden System der DDR Freiraum in den sonderbarsten Nischen zu finden war - und sei es, indem man als "Roter" eine "Rothaut" spielte.
Friedrich von Borries, Jens-Uwe Fischer:
Sozialistische Cowboys. Der Wilde Westen Ostdeutschlands.
Edition suhrkamp 2008, 201 Seiten, Preis 10,00 Euro