Lucian Cazanescu setzt sich auf den Behandlungsstuhl. Einer seiner sechs noch verbliebenen Zähne schmerzt mal wieder. Vor wenigen Tagen war er deswegen in einer staatlichen Klinik. Man wollte ihm den Zahn ziehen - für 25 Euro. Es wäre die billigste Behandlungsmethode gewesen. Der Langzeitarbeitslose hat aber nicht einmal dafür das Geld:
"Ich habe vor Schmerzen geschrien, so dass der Zahnarzt die Polizei gerufen hat. Und die hat mir Recht gegeben. Die Beamten sagten: ‚Dieser Mann hat Schmerzen, behandeln sie ihn!‘ Da ist mir der Zahn immerhin gratis gesäubert worden."
Kein Geld, keine Krankenversicherung
Nun sind die Schmerzen wieder da und an Cazanescus Problem hat sich nichts geändert: Als Langzeitarbeitsloser hat er in Rumänien weder eine Krankenversicherung, noch das Geld für den Zahnarzt. Ein Freund hat dem 47-jährigen Bukarester deshalb die Sozialpoliklinik "Baba Novac" empfohlen:
"Jetzt bekomme ich hier eine kostenlose Zahnbehandlung. Ich bin selbst verwundert, dass es so etwas gibt. Die Ärzte hier tun den Leuten etwas Gutes."
Während Cazanescu eine Zahnprothese bekommt, untersucht der Kardiologe Wargha Enayati eine herzkranke Patientin. Der Arzt stammt aus einer iranischen Familie, die in den 1960er Jahren nach Deutschland kam. Um Medizin zu studieren, ging Enayati nach Rumänien. Er ist geblieben, weil sich dort noch mehr bewegen lässt, als in Deutschland, sagt er. Vor fünf Jahren hat er in Bukarest die erste Sozialklinik des Landes gegründet:
"Ich war schon immer der Ansicht, dass in jedem Beruf, in dem Du bist oder in jeder Firma, die Du aufbaust, der soziale Charakter da sein muss, und dass man mit seiner Arbeit, die Umgebung, in der man lebt, verändern kann."
Ärzte arbeiten ehrenamtlich
Rund 30 Patienten sitzen täglich im Wartezimmer. Ambulant versorgt wird, wer nicht krankenversichert ist. Rund 17 Ärzte arbeiten in Baba Novac, wie Enayati tun sie das in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Auch die Medikamente sind gratis. Finanziert werden die Kosten über Spenden und aus dem Privatvermögen von Enayati.
Der 52-Jährige ist nicht nur Arzt und Helfer, sondern auch millionenschwerer Unternehmer. In den vergangenen 20 Jahren hat Enayati ein Netzwerk von Privatkliniken aufgebaut, in denen jeder Rumäne gern versorgt werden würde. Aber nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kann sich diese Behandlung auch leisten.
Zum Beispiel die 31-jährige hochschwangere Adriana. Die Bukarester Managerin hat eine gesetzliche Krankenversicherung, sie könnte ihr Kind in einer staatlichen Geburtenklinik zur Welt bringen. Laut Gesetz ist das auch kostenlos. Doch lieber entbindet sie in der Privatklinik "Regina Maria", wo die Geburt über 1.000 Euro kostet. Sie wartet gerade auf ihre letzte Voruntersuchung:
Rumänisches Gesundheitssystem chronisch unterfinanziert
"Im staatlichen Krankenhaus müsste ich den Ärzten Schmiergeld zahlen. Dafür bin ich nicht der Typ. Deshalb bin ich lieber in eine Privatklinik gegangen, wo man mit Respekt behandelt wird, anders als im staatlichen Krankenhaus. Dort es wird noch lange dauern, bis sich etwas ändert."
Das öffentliche Gesundheitssystem in Rumänien ist chronisch unterfinanziert. Seit Jahren fordern Experten, gegen Misswirtschaft, Korruption und Verschwendung vorzugehen. Geschehen ist wenig. Wer eine gesetzliche Krankenversicherung hat, muss lange Warteschlangen in Kauf nehmen und hohe Zuzahlungen bei Medikamenten. Chronisch kranke Patienten geraten damit immer wieder in schwere Finanzierungsnöte.
Sozialklinik versorgt nur einen Bruchteil der Bevölkerung
Drei Millionen Rumänen - gut 15 Prozent der Bevölkerung - können sich nicht einmal den Gang zum Arzt leisten, weil sie keine Krankenversicherung haben, auch wenn die obligatorisch ist. Sie alle wären potenzielle Kandidaten für Enayatis Sozialklinik. Im vorigen Jahr hat er eine zweite in Bukarest eröffnet. Versorgen kann er aber nur einen Bruchteil. Es sei denn, sein Beispiel macht Schule:
"Das ist auch ein bisschen rumänisch, dass wir alles dem Staat in die Schuhe schieben, statt die Sache selbst anzupacken. Wir müssen auch lernen, selbst unser Schicksal in die Hand zu nehmen."