Gerd Breker: Es sollte die größte Demonstration werden seit der Wende. Am Ende gab es mehr Gegendemonstranten als Anhänger der Legida-Bewegung, die sich auf die Straßen Leipzigs trauten. Zudem wurden die Demonstrationen in Leipzig von einer Meldung aus Dresden überschattet, dass nämlich gegen einen der Organisatoren der Pegida wegen Volksverhetzung ermittelt werde und er sich daraufhin zurückgezogen hat.
Mitgehört hat Johannes Kiess, Sozialwissenschaftler am Kompetenzzentrum Rechtsextremismus und Demokratieforschung. Guten Tag, Herr Kiess!
Johannes Kiess: Guten Tag.
Breker: Kann man das so sagen, Legida ist eindeutig rechter als Pegida?
Kiess: Ja. Ich denke, das kann man durchaus so sagen. Wenn wir gucken, was der Begriff Rechtsextremismus, Rechtsextrem eigentlich bezeichnen soll, dann sind das ja rassistische und antidemokratische Einstellungen oder dann auch Taten, wenn es zu solchen kommt, und wir haben sowohl in dem sogenannten Positionspapier von Legida als auch bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Legida durchaus sehen können, dass das sehr viel weiter rechtsextrem ist, wie es meine Vorrednerin schon gesagt hat: geschichtsrevisionistisch, klare völkische Botschaften, die da vertreten werden, und auch auf der Demo gestern waren unter anderem Mitglieder der Jungen Nationalen, also der NPD-Jugendorganisation, und ein ehemaliges Mitglied der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen und auch das neonazistische Hooligan-Spektrum war stark vertreten, also ein großes Gewaltpotenzial auch vorhanden bei Legida.
"Antidemokratische Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft"
Breker: Offenbar ist es ja so, dass Pegida in Dresden deutlich mehr Anhänger hat als Legida und auch anderswo. Aber bezogen auf Dresden, bezogen auf Pegida, kann man nicht von einem Rechtsextremismus-Problem reden, oder doch?
Kiess: Na ja, der Begriff Rechtsextremismus - deswegen habe ich ihn gerade auch versucht, etwas zu definieren - ist natürlich auch ein Kampfbegriff. Er ist vom Verfassungsschutz mal eingeführt worden, um klar abzugrenzen, dass etwas rechts von der Mitte nicht mehr zum demokratischen Konsens gehört. Deswegen ist der Begriff etwas irreführend, weil wir immer denken, rechtsextrem kann nicht in der Mitte der Gesellschaft sein.
Diese rassistischen und antidemokratischen Einstellungen, von denen ich gesprochen habe, sind aber ganz offensichtlich in der Mitte der Gesellschaft verankert. Wir finden sie dort auch in unseren Umfragen. Deswegen greift diese Diskussion, ist das jetzt rechtsextrem, ein bisschen zu kurz.
Pegida als Bewegung ist klar rechtspopulistisch. Das Vorgehen ist populistisch, die Strategien, derer sich bedient wird, sind populistisch, und die Themen, die sie aufgreifen, sind rechts. Sie sind anti Einwanderungsdiskurs, sie sind gegen Flüchtlinge, sie bedienen sich völkischen Vokabulars und deswegen trifft diese Einschätzung schon zu, und die Pegida-Bewegung, die Organisatoren müssen sich schon mit diesem Vorwurf auseinandersetzen.
Breker: Ist das, Herr Kiess, ein Problem Sachsens, oder wird Sachsen auf diese Art und Weise zur Anlaufstelle der Unzufriedenen aus der ganzen Republik?
Kiess: Was die Demonstrationen angeht, ist es ja durchaus so, dass Dresden zumindest - in Leipzig ist das vermutlich weniger der Fall gewesen - durchaus auch Anziehung auf andere Bundesländer hat. Es ist einfach eine große Demonstration, ein Event, zu dem sich die Leute auch hingezogen fühlen. Die Einschätzung, dass es sich um ein ostdeutsches oder ein sächsisches Problem handelt, hat durchaus seine Begründungen. Es gibt sehr, sehr wenige Menschen mit Migrationshintergrund, es fehlt eine Selbstverständlichkeit von kultureller Vielfalt hier, Sachsen ist auch durch ein sehr konservatives politisches Klima geprägt in den letzten 20, 25 Jahren.
Auf der anderen Seite macht man sich es natürlich auch sehr, sehr einfach, es einfach nur als etwas Ostdeutsches oder mit DDR-Geschichte zu tun habendes Problem herunterzudefinieren, denn wir sehen, wir haben diese rechtsextremen Einstellungen ja durchaus auch in Westdeutschland. Die Mobilisierungsversuche scheitern dort aber an einem größeren Selbstverständnis kultureller Vielfalt.
Breker: Die Islamisierung, die Sorge vor der Islamisierung, die ist aber nur vorgeschoben, ist nur ein kleiner Grund von vielen.
Kiess: Na ja, vorgeschoben entwertet das so ein bisschen oder spielt das so ein bisschen runter. Diese Angst vor Islamisierung ist in sich ja eine rassistische, eine vorurteilsbehaftete Einstellung, ist schon allein eine Aussage, eine rassistische, und das ist schon ein zentrales Thema von Pegida, von Legida und auch in dem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Milieu, aus dem sich diese Bewegung ganz offensichtlich speist.
"Ein ganz starker autoritärer, antidemokratischer Impuls"
Breker: Lohnt es sich, mit Pegida zu reden, oder wäre es klüger, sie zu ignorieren?
Kiess: Ich denke, mit den Organisatoren und Organisatorinnen von Pegida zu reden, lohnt sich nicht. Es werden von deren Seite ja auch kaum Gesprächs-, zumindest ernst zu nehmende Gesprächsangebote unterbreitet. Die Parolen, das sogenannte Positionspapier, sind keine Diskussionsgrundlage, meiner Meinung nach. Was aber natürlich schon passieren muss ist, dass wir nicht nur das Thema kulturelle Vielfalt stärker in den Blick bekommen, insbesondere in Sachsen, sondern auch die Frage von demokratischer Teilhabe und demokratischer Auseinandersetzung. Ich denke, hier kann man durchaus sehr, sehr viel nachholen und gibt es viel Verbesserungsbedarf.
Breker: Das heißt, Herr Kiess, Sie finden, dass die Menschen, die das Gefühl haben, dass man nicht auf sie hört, zu einem bestimmten Teil Recht haben?
Kiess: Na ja. Es gibt sicherlich viele Dinge und Probleme in Deutschland, über die verstärkt diskutiert werden müsste. Nur bis jetzt haben diese Menschen, die bei Pegida mitlaufen, sich bei sozialen Problemen, sei es das Handelsabkommen mit den USA, seien es die Proteste zu Hartz IV, oder andere soziale Protestbewegungen in den vergangenen Jahren, dort waren diese Leute nicht da. Aber jetzt, wo es gegen Schwächere geht, gegen Flüchtlinge geht, gegen Muslime geht, sind sie plötzlich da, und deswegen tue ich mich da ziemlich schwer, diese Ängste wirklich als Ängste zu identifizieren, diese Furcht wirklich als Furcht zu akzeptieren und auch die dahinter stehende Politikverdrossenheit wirklich nur als Politikverdrossenheit zu verstehen, sondern da ist ein ganz starker autoritärer, antidemokratischer Impuls dahinter und mit dem ist es ziemlich schwierig zu diskutieren.
Breker: Und trotzdem könnte ein Mehr an Bürgerbeteiligung, wenn Politik auf die Bewegung zugeht und die Bürger mehr mitnimmt in ihren Entscheidungen, das könnte helfen?
Kiess: Ich denke, es darf nicht nur um Akzeptanz-Management gehen, also nicht nur diese Rhetorik von man muss die Bürger mitnehmen, man muss mehr erklären. Ich denke, die Politik muss sich oder die Parteien müssen sich klar werden darüber, was für Entscheidungen sie treffen und dass sie diese Entscheidungen auch klar definieren, klar rüberbringen. Ganz oft haben wir es ja schon so, dass Entscheidungen, die in Deutschland gefällt werden, von der Bundesregierung gefällt werden, zum Beispiel auf Brüssel geschoben werden. Entscheidungen in Brüssel werden wieder auf die nationalen Ebenen geschoben. Dieses ewige Versteckspiel ist, denke ich, schon ein Grund und ein auch ernst zu nehmender Grund für die Verdrossenheit der Bürger mit der Politik. Da gibt es sicherlich Stellschrauben, an denen man schrauben müsste. Von reinem Akzeptanz-Management halte ich nicht so viel.
Breker: Der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess vom Kompetenzzentrum Rechtsextremismus und Demokratieforschung in Leipzig war das im Deutschlandfunk. Herr Kiess, ich bedanke mich für das Gespräch.
Kiess: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.