Es ist Freitagmorgen, Yom Shishi, kurz vor halb elf. Die Verheißung der nahenden Shabbat-Ruhe liegt in der Luft. Ich laufe auf der Ness laGoyim Straße, einer unbedeutenden Durchgangsstraße in Yafo und suche nach der Hausnummer 15. "Uri Maglad" heißt der Treffpunkt, zu dem ich geladen bin, ein Laden für Zierfische und Aquarien. Ich frage mich, ob ich die Einladung richtig verstanden habe, die ich zwei Tage zuvor per Email bekommen habe: "Die Georges freuen sich, mit Dir einen lichten Sonnenstrahl zu teilen", stand darin. "Bei einem besonderen Freitagsspaziergang". Darunter ein Foto von zwei Herren mit beigen Anzügen, grünglänzenden Krawatten, dunkelbraunen Schnurrbärten und Perücken. Gezeichnet George & George.
Treffen im Aquarien-Laden
Auch Eli wartet vor "Uri Maglad". Wir sind verunsichert. Aber dann, biegen sie um die Ecke, die beiden Herren in beige. Elegant und etwas steif wie sonst keiner hier in der Gegend. Eli ist erleichtert. Wir haben uns nicht geirrt. Wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
- Eli: "Hi. Good morning. Morning, what’s going on?"
- George: "Good morning, George! It’s so good to see you, George."
- Eli: "Likewise!"
- George: "It’s just lovely and lucky to have you this morning, George."
- Eli: "I feel the same."
- George: "It’s jolly good to have you this morning George."
- George: "It’s a jolly good time to spend together."
- Eli: "They’re wonderful!"
- George: "It’s beautiful to spend a special friday walk with you, isn’t it George?"
- George: "It’s extremely wonderful to be together. Extremely lucky, wonderful, amazing."
- George: "Thank you George."
- George: "Thank You George."
George und George steuern auf den Eingang des Ladens für Zierfische und Aquarien zu. Sie setzen einen Schritt vor den anderen. Geschmeidig und synchron. Sie wollen gleichzeitig durch die schmale Eingangstür gehen, passen nicht durch, bleiben stecken, drehen sich einmal um ihre eigene Achse und sind drin. Miri ist Verkäuferin bei "Uri Maglad". Sie freut sich an den beiden verkleideten Schauspielerinnen.
Miri kennt die Georges, denn seit etwas mehr als zwei Jahren haben die beiden israelischen Schauspielerinnen Claudia Dulitchi und Karine Shtang, die hinter George & George stecken, um die Ecke der Ness-LaGoyim-Straße in Yafo ein Studio, in dem sie ihre Projekte entwerfen und proben.
"So nah das Studio ist, so anders ist es dort auch im Vergleich zu meinem sonstigen Umfeld. Am Anfang haben wir uns sehr vorsichtig in unserem Viertel bewegt. Am Anfang waren wir vor allem drin und nach und nach haben wir mehr und mehr Verbindungen zu unserer Umwelt aufgebaut", sagt Karine Shtang.
Karine Shtang wohnt in Herzliya Pituach, einem mondänen Vorort von Tel Aviv, in dem jüdische Israelis wohnen, ein paar Hundert Philippinos und internationale Diplomaten und Geschäftsleute mit ihren Familien. In ihrem Viertel in Yafo ist das Einkommensniveau sichtlich niedriger, der Ruf des Muezzins rhythmisiert den Tag. Claudia Dulitchi wohnt im Zentrum von Tel Aviv, unweit des Rabin-Platzes. Auch für sie war Yafo zunächst eine fremde Welt:
Osmose mit der Umwelt
"Je mehr wir gefühlt haben, dass wir Teil der Nachbarschaft werden wollen und uns nicht in unserem Studio verbarrikadieren oder verstecken möchten, erschien uns auch unser Viertel immer einladender und offener uns gegenüber. Schritt für Schritt und langsam haben wir erlebt, dass es möglich ist, uns auf eine Osmose mit unserer Umwelt einzulassen. Auf eine ganz natürliche Weise."
"Wir haben das Gefühl, dass wir Teil der Stadtlandschaft in Yafo geworden sind. Nicht in dem Sinne, dass es viele Gespräche gibt und alle ganz genau Bescheid wissen, was wir machen. Sondern eher in dem Sinn, dass die Leute unsere Gesichter kennen und wir die Gesichter der Leute. Wir sind keine Fremden mehr", so Karine Shtang.
Die beiden Georges gehen langsam durch den Laden, in dem ein Aquarium neben dem anderen steht. Sie betrachten alles, was sie umgibt mit gespannter Aufmerksamkeit: die Algen, die Fische, die Reinigungsanlagen. Auch ich beginne mir alles genau anzusehen, nehme wahr wie viele verschiedene Arten von Wasserblubbern und Wassergurgeln es gibt.
Gemeinsam mit dem Schauspieler und Theatergründer Dudi Maayan, der auch der künstlerische Leiter des Theaterfestivals Akko ist, gründeten Claudia Dulitchi und Karine Shtang 2014 das Projekt "The Nile". Sie suchen nach einer neuen Form der Interaktion mit ihrer Realität, ihrem sozialen Umfeld, dem, was sie den Mikrokosmos ihres Viertels in Yafo nennen. Dudi Maayan:
Neue Form der Interaktion
"Die Georges sind wie zwei Außerirdische, die von einem anderen Stern kommen und auf ganz andere Weise auf das Leben schauen. Und indem sie da sind, bringen sie eine alternative Sicht hervor, zu der alle, die auf dem Spaziergang dabei sind, dann auch Zugang bekommen und durch die auch die Menschen, die sie treffen, in neuem Licht erscheinen."
In einer Zeit, in der immer wieder jüdische Israelis auf offener Straße von Palästinensern mit angegriffen werden, mischen sich die beiden Georges unter die Leute.
Kurz vor der Ecke der Hauptstraße von Yafo, dem Jerusalem-Boulevard, bleiben George & George vor einer Häuserwand stehen, auf der ein farbiges Graffito Scheichs und ihre Kamele an einer Oase in der Wüste zeigt.
"Arthur, King Tony, King Adam, King Adam, King David, King George, King Nestor. Hm, wonderful day, beautiful day to you, George. King Philipp, King Louis, King Louis, King Antoine, King Assad, King Abdallah, King Muhammed."
Ein paar Schritte weiter dann, treffen George & George auf dem Jerusalem-Boulevard auf Hassan.
- Hassan: "Wie geht’s?"
- George & George: "Wie geht’s?"
- Hassan: "Sprichst Du Englisch? Wie heißt Du? Ich heiße Hassan Arsallah. Hallo. Wie geht’s? Sie sprechen Englisch. Ich spreche Arabisch. Willkommen in unserem Land Israel. Wir sind das auserwählte Volk. Das Volk Israel lebt."
- George & George: "Schön, Dich kennenzulernen, Ahlan Wasahlan. Das Volk Israel lebt."
- Hassan: "Wir wollen heiraten. Aber wann? Wann? Ich möchte eine ordentliche Hochzeit. Nicht vor dem Rabbinat. Wie schön Du bist!"
- George & George: "Tank you, you are beautiful too!"
Hassan möchte sich gar nicht mehr trennen von George & George. Aber die beiden englischen Herren überqueren schon die Straße. Sie biegen in eine der Nebenstraßen ein, wo einer der Georges auf ein Gebäude zeigt, das noch aus der Zeit des britischen Mandats zu sein scheint:
Improvisation zum "Islamischen Rat"
"That was the Islamic Council. The Islamic Council. The Conference of the Council of the national Islamic Council. That was the universal council, the Islamic comic Council. Of the Congo Nation. The United Conference. I love you George, I love you too George."
Während der George’schen Improvisation auf das Thema "Islamischer Rat" begeistert sich eine Passantin für die beiden englischen Herren:
"Sind die süß! ... Was für eine schöne Verkleidung!"
George & George betreten eine Fleischerei in der HaBarzel Straße. Es entwickelt sich ein Dialog in Yiddisch, Hebräisch und Englisch - bis George & George eine staubige Skulptur auf einem der Kühlschränke entdecken und in Französisch verfallen:
"Diese Ausstellung ist toll. Chagall hätte sie gut gefunden. Das ist sehr schön, das ist das Fleisch des Babys, das ist eine wunderbare Ausstellung. Oh lala, dieser Picasso ist großartig. Das ist ein Gaudi, ja, ein Gaudi …oder ein Gauda. Das ergibt einen Gauda. Am Ende ergibt das einen Gauda. Toll, ich habe Hunger. Hast Du Lust, etwas Kleines zu naschen?"
Zwei Hälften eines Ganzen
George & George verlassen die Fleischerei und spazieren die HaBarzel Straße weiter hinunter. Sie steuern Abu Hassan an. Einen der beliebtesten Humus-Läden der Stadt. Ganz und gar synchron, wie zwei Hälften eines Ganzen, gehen die beiden eleganten Herren an den Tresen und bestellen eine Portion Humus für 35 Schekel und zehn Pita-Brote zum Mitnehmen. Sie werden von drei Mitarbeitern gleichzeitig umsorgt.
"Take away. 35 and a little bit of bread. Humus Ful, Masabaha. Yes please. Jumbo Sabaha. Pita, pita, bread. Four, five, six, seven, five, six, seven, eight. Ashara, Abu Hassan. Fascinating. Abu Hassan. Abu le vert. A son Plaisir, ashara and pickles. Chamutzim. Batzal. Basal. Asara bassal. Beautiful, beautiful, amazing. Where did you buy your apron? You speak english. Where did you buy your yellow apron, where? You don’t know? He doesn’t know. Chamsa, chamsa basar chamsa arbaim. Have a great day. Thank you very much! Bye, bye! Now we take a picture with Abu Hassan. That’s so nice!"
Am Ende will sich das ganze Mitarbeiter-Team von Abu Hassan noch mit George & George photographieren lassen. Ich lege mein Mikrofon aus der Hand und bediene nacheinander drei verschiedene Smartphones.
"Have a beautiful tata day.” "Now we take a foto." "Yes of course!”
Zauber löst sich auf
Es ist zwölf Uhr mittags. Die Sonne steht hoch am Himmel, es ist heiß. Eli und ich verabschieden uns von George und George und biegen rechts in die Yehuda Hayamit Straße ab. Wir kehren zurück in die Welt ohne Georges. Ich fühle mich wie Aschenputtel nach dem Mitternachts-Glockenschlag. Der Zauber von George & George löst sich auf und die Yehuda haYamit-Straße ist nicht mehr von Zärtlichkeit, Achtsamkeit, Surrealismus und Humor verzaubert. Sie ist wieder einfach nur diese Straße, auf der ich schon unzählige Male gegangen bin.
George und George biegen links ab in die Yehuda Hayamit Straße und gehen mit ihrem großen Topf Humus und den zehn Pita-Broten von Abu Hassan noch zu ihrer Freundin Tony nach Hause. Drei ihrer Gäste gehen mit.
Später erfahre ich, dass George & George sich erst um zwei Uhr nachmittags von ihren letzten Gästen getrennt haben, die sie an diesem Freitag zu ihrem Spaziergang eingeladen haben. Sie haben mir erzählt, sie seien gar nicht müde gewesen und hätten auch noch viele Stunden weitermachen können. Ihre Anzüge haben sie zum Lüften aufgehängt. Dort hängen sie so lange bis Keren Shtang und Claudia Dulitchi wieder in sie hineinschlüpfen, ihre Schnurrbärte ankleben, ihre Perücken aufsetzen, sich eine nicht mehr ganz aktuelle Ausgabe des Guardian unter den Arm klemmen und summend, staunend und scherzend durch die Straßen von Yafo zu flanieren.
Momentaufnahme
Der Blick von George & George auf ihr Viertel ist eine Momentaufnahme. Aber etwas von ihm bleibt: Die Erinnerung an das Potenzial der Menschen, Straßen, Häuser und Geschäfte in Yafo, sich in diesen George & George-Kosmos zu verwandeln. Und alle, die einmal mit ihm in Berührung gekommen sind, können danach nicht behaupten, das, was sie erlebt haben, habe sich nicht zugetragen.