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Spieltheorie "Gamification"
Motivation und Manipulation im Alltag

Gamification bedeutet: Spielprinzipien werden in den Alltag und auf die Arbeitswelt übertragen. Unternehmen wollen Mitarbeiter so für ein bestimmtes Verhalten belohnen und motivieren. Allerdings lassen sich Menschen von vermeintlich harmlosen Spielen auch manipulieren - und geben viele Daten von sich preis.

Von Anja Reinhardt |
    Treppe gehen statt Rolltreppe fahren: Piano-Stufen in Nanjing in China.
    Treppe gehen statt Rolltreppe fahren: Piano-Stufen in Nanjing in China. (picture alliance / dpa / Imaginechina)
    Werfen wir einen Blick in die Zukunft, in der ein Großteil der Menschen Google Glass tragen wird - eine Schnittstelle in Brillenform zwischen realer und virtueller Welt. Das Aufstehen gelingt selbst Morgenmuffeln ohne Mühe, denn statt des immer gleichen Prozederes - Zähne putzen, anziehen, Frühstück machen - ist die Morgenroutine ein einziges Spiel: Die Brille zeigt in Sekundenschnelle verschiedene Outfit-Möglichkeiten vor dem Kleiderschrank, der Weg zur Küche wird zum Hindernislauf, bei dem man Punkte sammeln kann, Obst schneiden wird zum Geschicklichkeitstest, und der Weg zur Arbeit gestaltet sich wie ein Video-Spiel, bei dem es darum geht, finstere Gestalten so schnell wie möglich abzuschütteln.
    Das Ergebnis: Ein Morgen wie in einem Indiana Jones-Film mit Belohnungen in Form von virtuellem Applaus und Geschicklichkeitspunkten für richtiges Verhalten. Und ein Mitarbeiter, der überpünktlich zur Arbeit erscheint. Das Prinzip heißt Gamification: Die Prinzipien des Spiels werden sowohl in den Alltag als auch in die Arbeitswelt übertragen.
    Vorbild "Farmville"
    "Die Karriere-App von Bayer - jetzt in Deinem App Store!"
    Beim Großkonzern Bayer, der rund 115.000 Mitarbeiter hat, wird spielerisch versucht, die Geschichte, die verschiedenen Zweige des Unternehmens und ein positives Firmenimage an sowohl Bewerber als auch Mitarbeiter zu vermitteln.
    "Dann ist es höchste Zeit, jetzt unsere neue App zu installieren und ihr habt ab sofort alle Infos zu uns in der Tasche."
    Mithilfe der App "Bayercareer" treten zwei Spieler im Stil von "Trivial Pursuit" beziehungsweise "Wer wird Millionär" gegeneinander an und messen sich im Wissen um die Kernkompetenzen und Errungenschaften des Pharma- und Chemiegiganten. Bei einer amerikanischen Tochtergesellschaft von Siemens verfolgten die Entwickler des Spiels "Plantville" ähnliche Ziele. Nur dass hier noch deutlicher die Spielprinzipien von Games wie "Farmville", einem virtuellen Bauernhof, den man strategisch geschickt bepflanzen und führen muss, übernommen wurden, um sich für hoch qualifizierte Jobeinsteiger als Arbeitgeber interessant zu machen.
    Arbeit mit Belohnungseffekt
    "Hi everyone, I'm Pete."
    Gamification taucht als Motivationsprinzip in den letzten Jahren immer häufiger auf. Dabei ist der Ansatz des spielerischen Bewältigens von Alltags- oder Arbeitsaufgaben mit anschließender Belohnung nicht neu, meint die Wirtschaftswissenschaftlerin und Unternehmensberaterin Nora Stampfl:
    "Das Prinzip gibt es schon sehr lange, das ist weiß Gott nichts Neues, 'Weight Watchers' benutzt das schon seit den 60ern. Ein gutes Beispiel sind auch die Flugmeilenprogramme, die Sammelprogramme, weil sie da eine Vielzahl von Spielmechanismen drin haben, aber kein Mensch wird das als Spiel bezeichnen oder als amüsant oder unterhaltsam empfinden. Es geht dabei einfach darum, Menschen für ein bestimmtes Verhalten zu bezahlen, ihnen Belohnungen in Aussicht zu stellen."
    Der Soziologe Stefan Selke setzt sogar noch früher in der Geschichte des Menschen an, wenn es um die Anfänge von Gamification geht - auch wenn der Begriff selbst erst 2002 von Nick Pelling, einem britischen Entwickler von Computerspielen, erfunden wurde.
    Eine 13-jährige Jugendliche spieltauf ihrem Smartphone das Spiel "Candy Crush".
    Spielen auf dem Smartphones ist für viele junge Menschen Alltag. (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    "Wenn man sich mal ein bisschen in der Geschichte umblickt und schaut, wo kommen eigentlich diese Ideen her der Selbsttechniken und Selbststeuerung und Selbstoptimierung, dann ist das uralt. Dann haben das immer schon bestimmte Eliten und Personenkreise gemacht, die haben sich mit ihren Entscheidungen beschäftigt, mit ihrem Körper beschäftigt, mit ihrem Leben, haben das versucht, zu verbessern, haben ein Regelsystem entwickelt, haben das natürlich in der analogen Welt ganz anders gemacht. Was wir jetzt haben ist ein Transfer dieser Möglichkeiten, dieser Gedanken der Lebensregulierung, der Optimierung von Lebensführung in eine digitale Welt."
    Gespielt wurde schon immer
    "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt", so Friedrich Schiller. Und der Kulturhistoriker Johan Huizinga stellte 1938 in seinem Werk "Homo Ludens" fest:
    "Ich behaupte nicht, dass die Kultur aus dem Spiel hervorgeht, sondern dass sie in dem Spiel wächst, und außerdem dass sie in manchen Fällen ihren Spielcharakter bewahrt, wo man es nicht erwartet oder sich bewusst ist, kurz wie öfters Spiel und Ernst in der Kultur untrennbar sind oder in einander übergehen."
    Gespielt wurde schon immer. Neu ist, dass zum ersten Mal eine Generation in den Arbeitsmarkt einsteigt, die mit Konsolenspielen sozialisiert wurde und die seit dem frühen Erwachsenenalter die rasende Entwicklung von Smartphones, Tablets und der vernetzten Welt als selbstverständlich erlebt hat. Und auch die Generation der 30- bis 50-Jährigen ist mit Computer- oder Videospielen vertraut. Mehr als ein Drittel der Deutschen spielt am Computer, so der Branchenverband Bitkom. Waren es früher fast ausschließlich Männer, erobern die Spielehersteller seit ein paar Jahren mit Apps auch die weiblichen Gamer. Da scheint es eine logische Konsequenz der Wirtschaft zu sein, genau diese Mittel und den Spieltrieb auch ökonomisch zu nutzen, um den arbeitenden Menschen effizienter und motivierter sein Pensum erledigen zu lassen. Stefan Humer, Internetsoziologe von der Akademie der Künste in Berlin:
    "Wir hatten ja eher in unserem Kulturkreis eine asketische Einstellung dazu, man soll seine Arbeit vernünftig und pragmatisch machen, das hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert. Spiel, Computerspiele sind ein Kulturgut und sind auch anerkannt. Und das merkt man dann auch, warum soll ich mich mit der Ernsthaftigkeit des Lebens motivieren, das kann ich auch spielerischer haben und das macht natürlich auch viel mehr Spaß und deswegen ist es auch entsprechend erfolgreich."
    So erfolgreich, dass eine Gruppe von Gamern vor vier Jahren mithilfe des Computerspiels "Fold It" innerhalb von zehn Tagen die Proteinstruktur eines AIDS-Virus' entschlüsselte, wofür Wissenschaftler vorher 15 Jahre mit herkömmlichen Methoden gebraucht hatten. "Fold It" erinnert an den Spiele-Klassiker "Tetris", statt komplizierter und trockener Theorie werden virtuelle Proteinstrukturen spielerisch aufgebaut.
    Virtuelle Strategien für den realen Markt
    Bayer nutzt schon seit 25 Jahren die eigens entwickelte Management-Simulation "BIMS Online"
    "BIMS online. Meet Nina, one of Bayer´s employees (...), to help faster teamwork and a better understanding in how to run a business."
    Das virtuelle Spiel simuliert sieben Geschäftsjahre eines global auf den Märkten Europas, Asiens, Süd-Amerikas und der USA agierenden Unternehmens. Davon profitieren die Teilnehmer - oft noch Studenten, die auf einen Job hoffen - aber auch der Konzern, der die virtuellen Strategien für die realen Märkte anwenden kann, erklärt Xenia Fritzler von der Bayer-Fortbildungsabteilung.
    "Das Spiel beginnt mit der ersten Periode, es gibt insgesamt sieben Perioden, das sind sieben Geschäftsjahre, die werden innerhalb von vier Monaten durchgespielt, und man beginnt damit, dass man sein Unternehmen aufbaut, man guckt wo man Kapital herbekommt, und dass man die Materialien beschafft und die Firma aufbaut."
    Manipulation und Motivation
    Also, alles wunderbar in der schönen neuen Spielwelt? Statt protestantischem Arbeitsethos darf der Mensch endlich wieder Spaß bei der Arbeit, bei den lästigen Alltagserledigungen und beim Sport haben. So zumindest der erste Anschein. Als Fortschritt könnte auch gelten, dass im Spiel alle gleichgestellt sind, soziale Herkunft und Status verlieren hierbei ihre Bedeutung. Aber so einfach ist es natürlich nicht, meint Nora Stampfl.
    Eine Hand hält ein Smartphone, auf dem die Quizduell-App geöffnet ist.
    Wer ist der Klügste? Spiele machen Spaß, fördern aber auch Konkurrenzsituationen. (dpa/picture alliance/Ole Spata)
    "Wenn der Nutzer immer weiß, zu jedem Zeitpunkt, worauf er sich da einlässt, wer vor allem ihn motiviert, dann sehe ich da kein Problem. Gamification ist immer so eine Gratwanderung zwischen Manipulation und Motivation. Wenn der Nutzer dann eben nicht mehr weiß, wer welches Verhalten erreichen möchte mit dieser Anwendung, dann ist das schon eine Gefahr. Da sind wir dann im Bereich von Marketing zum Beispiel, wo seit jeher manipuliert wird, wo ganz bestimmte Verhaltensweisen hervorgerufen werden sollen von Nutzern, Käufern und Kunden. Und die Frage ist dann eben, ob der Nutzer auch weiß, was mit ihm passiert, wenn er das Spiel spielt und sich auf so eine Gamification-Anwendung einlässt."
    Das Marktforschungsinstitut Gartner geht davon aus, dass in diesem Jahr 70 Prozent der 2.000 weltweit größten Konzerne Spielprinzipien nutzen werden, um Mitarbeiter zu motivieren und so die Produktivität zu steigern. Das hat allerdings auch durchaus problematische Seiten. Der Soziologe Stefan Selke meint, dass man den eigentlichen Sinn und Zweck des Spiels sehr schnell aus den Augen verlieren kann.
    "Das haben wir ja in ganz vielen anderen Gesellschaftsbereichen jetzt schon, dass man anfängt, die Mittel, die Instrumente in den Vordergrund zu schieben, die dann diese Punkte, diese Listen, diese Rankings erzeugen, um dann da zu landen auf diesem Platz und die Bestätigung da rauszuziehen. Und das eigentliche Ziel in diesem Spiel geht dabei verloren."
    Permanente Konkurrenzsituation
    Microsoft führte vor ein paar Jahren das Programm "vitality curve" ein, das die Mitarbeiter des Konzerns in die Kategorien top, mittelmäßig oder erbärmlich einstufte. Schon nach wenigen Monaten wurden Beschwerden laut, diese Ranglisten seien destruktiv, weil sie eine permanente Konkurrenzsituation schüfen. Ein Jahr später wurde "vitality curve" abgeschafft. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nora Stampfl:
    "Ich sehe gerade in Unternehmen auch wirklich die Gefahr, dass es ein Problem darstellt, alle Mitarbeiter mit ins Boot zu nehmen, denn anders kann es nicht funktionieren, aber das ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, weil Spielen immer freiwillig bleiben muss, sonst ist es kein Spiel mehr. Und alle Personen gleichermaßen anzusprechen ist einfach sehr schwierig. Ein weiteres Problem ist auch, dass es verschiedene Spielertypen gibt, dass nicht jeder Mensch auf die gleiche Art und Weise durch ein Spiel angesprochen wird. Aber vor allem eben der Aspekt der Freiwilligkeit ist in Unternehmen ein ganz, ganz großer."
    Zur Freiwilligkeit gehört auch die Frage, welche Daten man wem preisgeben will. Unsere virtuelle Alltagswelt übergeht diese Frage sehr oft. Sei es im Privaten über soziale Netzwerke, bei unserem Einkaufsverhalten, beim Punktesammeln mit Bonuskarten oder in der Arbeitswelt via Gamification. Facebook, Google, Amazon & Co. wissen immer detaillierter über ihre Nutzer Bescheid und Arbeitgeber könnten in Zukunft ihre Mitarbeiter immer besser kontrollieren und manipulieren. Der Internetsoziologe Stefan Humer warnt: Gerade in Deutschland gäbe es für das Thema Datenschutz kein ausreichendes Bewusstsein.
    "Also Deutschland ist da schon, und ich mache das jetzt zehn Jahre hauptberuflich, ein wirklich sehr, sehr negatives Beispiel. Wir haben eigentlich inhaltlich keine Lust, uns mit Digitalisierung nennenswert auseinanderzusetzen, weder im wirtschaftlichen noch im kulturellen, noch im sozialen Bereich, da gibt es teilweise sehr absurde Diskussionen, Stichwort Killerspiele, wo wir Unmengen an Energie drauf verschwenden, diese Themen irgendwie abzublocken. Die Leute meinen immer so allgemein, ich klapp den Laptop zu und dann ist das Internet weg, ich habe dann kein Problem mehr - das ist völlig absurd."
    Verschmelzung von Realität und Fiktion
    Neben der Datenproblematik birgt das Gamification-Prinzip ein weiteres Risiko, eine Verschmelzung von Realität und Fiktion, vor allem bei der jungen, spieleaffinen und spielesozialisierten Generation. Das müsse man allerdings nicht gleich problematisieren, findet Nora Stampfl.
    "Spiele haben die Eigenheit, Dinge zu vereinfachen. Sie abstrahieren, machen Realität überschaubarer und das nutzen Menschen eben aus. Und wenn ich Gamification hier als Werkzeug sehe, um gewisse Dinge leichter zu bewerkstelligen, dann sehe ich da erst mal kein Problem. Ich denke jetzt zum Beispiel an ‚Epic Win', wo man sich Alltagslisten als To-Do-Listen erschafft und die dann eben spielerisch abarbeitet. Vielen Menschen hilft das, gewisse Dinge in den Griff zu bekommen, ihren Alltag zu strukturieren, und ja, wenn es ihnen dann leichter von der Hand geht, warum soll man es dann nicht auf diese Art und Weise tun."
    Nichts ist mehr dem Zufall überlassen, wir werden hartnäckig an Verabredungen und Geburtstage erinnert, wer in den nächsten Stau gerät, ist selbst schuld, denn er hat sein Smartphone nicht richtig eingerichtet. Permanente Verfügbarkeit und Aufmerksamkeit sowie Selbstoptimierung sind gefragt. Und Spiele helfen dabei, sich einem solchen Diktat mit Leichtigkeit zu unterwerfen.
    Spiele zur Flucht aus dem Alltag
    Auf der IFA gibt es auch ganz neue Computer-Brillen zu sehen
    Versunken im Spiel - Gamification ermöglicht eine kleine Flucht aus dem Alltag. (picture-alliance / dpa / Rainer Jensen)
    "Zombies lauern auf dem Weg des Joggers."
    Wem das tägliche Laufen zum Fitbleiben nicht reicht, der lässt sich mit der App "Zombies, Run!" von Zombies verfolgen, um noch schneller zu laufen. Warum es so leicht ist, uns mit den Mitteln des Spiels zu steuern, dafür hat Stefan Selke eine offenkundige Erklärung:
    "Wenn ich da in die diagnostische Werkzeugkiste der Gesellschaftsdiagnose greifen darf, dann ist für mich auffallend, dass wir so eine Art Verinnerlichung von Risikomanagement betreiben, das heißt, wir merken als Bürgerinnen, als Bürger, als Menschen, dass wir die großen Risiken unserer Welt nicht mehr in den Griff bekommen, Finanzkrise ist nur ein Beispiel, aber auch andere, globale Bedrohungen, alles ist unsicher geworden, Prekarität ist eigentlich ein Normalzustand. Das hat nicht nur was mit einer wirtschaftlichen Situation oder Berufsbiografie zu tun, Soziologen sprechen davon, dass letztendlich alles prekär geworden ist, also: Unsicherheit als Kerndiagnose."
    Und in der Unsicherheit und Unüberschaubarkeit lassen wir uns gerne einerseits vom Spiel ablenken und andererseits überlassen wir die Verantwortung lieber anderen. Was ist nun die Konsequenz aus dieser Diagnose? Wie kann sich der Mensch in der digitalen Welt der Manipulation und der Datenkrake entziehen? Wohl kaum, indem er sich im Wald eine Holzhütte baut und sich der vernetzten Computerwelt entzieht. Kulturpessimismus hat als probates Mittel noch nie wirklich funktioniert. Die schöne, immer noch neue digitale Welt hat ihre Reize. Und es ist verständlich, dass man sich gern davon verführen lässt.
    Spaß kann Verhalten ändern
    Wenn das Treppensteigen mit Musik leichter gelingt, kann daran kaum etwas Verwerfliches sein. Volkswagen startete unter der Überschrift Spaß-Theorie einen Versuch in einer U-Bahn-Station. Die Treppenstufen wurden zu einer Klaviertastatur umgebaut und plötzlich mehr genutzt als die Rolltreppe daneben. Spaß kann offensichtlich das Verhalten verändern, so das Fazit. Bleibt das Problem der Datenpreisgabe. Auch hier kann das Spiel, das Experiment für mehr Aufmerksamkeit sorgen. Der Nutzer müsse sich gegen die Datensammelwut von Internetgiganten wehren, findet Stefan Humer, aber mit den Mitteln der digitalen Welt - im Sinne des Freiheits- und Autonomiegedankens.
    "Verstören, verstören, verstören! Und den Alltag irritieren und immer wieder darauf hinweisen, bis es auch dem letzten in den Schädel eingedrungen ist, dass er da was tun muss. Aus seinem Wohlfühlmodus muss man abrupt herausgerissen werden dann scheint das am besten zu funktionieren."
    Auf dem Weg zum Datentotalitarismus
    Dass das geht, zeigt die Geschichte des Spiels "Phone Story", das den Herstellungsprozess des iPhones überzogen nachstellt - mit Kinderversklavung im Kongo, ausgebeuteten Arbeitern in China und kaufwütigen Konsumenten vor Apple-Stores, wenn ein neues Produkt erscheint. Apple hat das Spiel übrigens fünf Stunden nach der Veröffentlichung blockiert. Sein Ziel, nämlich die Produktionsbedingungen transparent zu machen, hat es trotzdem erreicht.
    "Over the span of a few months more than twenty workers committed suicide out of extreme desperation."
    Im Spiel heißt es, dass sich innerhalb weniger Monate mehr als 20 Arbeiter das Leben genommen hätten - aus Verzweiflung über die katastrophalen Arbeitsbedingungen. Solche Verstörungen auf der Spielebene sind allerdings eher die Ausnahme. Kritik an der digitalen Welt, also auch der Gamification kommt eher aus dem Bereich der netzaffinen Intellektuellen oder der Kulturtheoretiker. Der Soziologe Stefan Selke mahnt mehr überlegten Umgang mit dem Spieltrieb an. Gegen einfache Motivationsmechanismen für den Alltag ist nichts einzuwenden. Die Gefahr lauert eher darin, das Spielprinzip für nahezu alle Lebensbereiche anzunehmen und dementsprechend viele Daten preiszugeben.
    "Da sind wir auf dem Weg tatsächlich in so eine Art Datentotalitarismus. Ich glaube, an dem Punkt kann man gar nicht genug aufpassen, weil es eben so schön verpackt ist, um noch mal auf das Gamification zurückzukommen, es sieht eben so spielerisch aus und da wird natürlich Wert drauf gelegt, dass es so spielerisch aussieht. Die Ideologie ist ja am perfidesten, die überhaupt nicht mehr als Ideologie wahrgenommen wird, sondern eben nur noch als Spiel. Und das ist, glaube ich, der Punkt, wo das dystopisch wird."