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Spoiler
Eine Hassliebe für echte Serienfans

"Der Halstuchmörder ist Dieter Borsche." Den Täter im Krimivierteiler "Das Halstuch" zu verraten, brachte dem Kabarettisten Wolfgang Neuss in den 60ern Mordrohungen ein. Heute nennt man sowas "Spoilern" - aber immer noch ist es ein todsicherer Weg, sich bei vielen Leuten unbeliebt zu machen.

Von Benedikt Wischer |
    Ein Werbebild der Serie «Game of Thrones» (undatiertes Handout). Die deutsche TV-Ausstrahlung der zweiten Staffel der Erfolgs-Serie startete am 8. März 2013 auf RTL II.
    Werbebild der Erfolgsserie "Game of Thrones" (dpa / 2011 Home Box Office)
    "Ich wurde bei einem Film gespoilert. Da stirbt eine Figur und ich wusste im Vorfeld nicht, welche Figur stirbt. Als ich dann im Film saß, der mir sehr gut gefallen hat, wusste ich, als diese bestimmte Szene kam wie sie ausgehen würde. Ja, und das hat mich gestört."
    Johannes ist noch immer verärgert. Sein Vater hat ihm ein wichtiges Ereignis aus einem Kinofilm verraten, bevor er ihn selbst sehen konnte. So konnte Johannes den Film nicht unvoreingenommen genießen. Die Spannung war raus. Schuld daran ist der Spoiler. So nennt man eine Information, die die Handlung eines Kinofilms oder einer Serie vorwegnimmt. Ob im Bekanntenkreis oder in Filmforen im Netz - die Reaktion auf Spoiler ist mitunter heftig.
    "Spoiler haben eine Halbwertszeit"
    "Uh, also da hatten wir glaube ich schon alles. Also von extrem sauer glaube ich, soweit man das identifizieren kann an der Schreibweise des Posts oder des Kommentars, das man da bekommt. Wir haben auch Leute schon gehabt, die sich furchtbar aufgeregt haben und auch fast irgendwie Worte benutzt haben, die geblockt wurden, weil das wirklich so extrem war. Viele sind auch irgendwie traurig und empfinden Trauer, ich glaube, wir alle kennen ja dieses Gefühl. Man regt sich am Anfang irgendwie furchtbar auf und nachher ist man fast traurig, dass man jetzt Bescheid weiß", so Hanna Huge.
    Sie ist Marketingleiterin des Portals serienjunkies.de, einer Onlineplattform mit Rezensionen und Informationen zu aktuellen Fernsehserien. Im Zeitalter der Mediatheken, der Streaming-Dienste und sozialen Medien ist das Spoilern zu einem Massenphänomen geworden. Viele sehen Filme und Serien nicht linear, sondern zeitversetzt und sind so nicht auf demselben Stand wie ihre Freunde. Durch den Austausch von Informationen im Internet steigt die Gefahr gespoilert zu werden. Deshalb haben die Macher von serienjunkies.de Regeln aufgestellt, wie in Rezensionen mit Spoilern umzugehen ist. Dabei gibt es eine Kernregel, sagt Hanna: Die Spoiler haben eine Halbwertszeit.
    "Die eigentliche Regel bei uns lautet, dass sobald eine Serie in Deutschland im Free-TV gelaufen ist, die Spoiler freigegeben sind in dem Sinne. Natürlich ist das auch immer so ein bisschen schwierig, wir variieren diese Regel auch immer. Wenn ein Todesfall passiert zum Beispiel oder eine Storyline, eine Geschichte in einer Serie ganz krass verändert wird, dann versuchen wir natürlich das nicht im Bild oder in der Überschrift zu platzieren. Auch wenn es schon im Free-TV gelaufen ist."
    Das Verraten des Plots verändert meine eigene Erzählwelt
    "Extrem verärgert hätte ich reagiert. Das will man nicht vorher hören. Man will nicht vorher gespoilert werden", sagt Moritz Baßler, Literaturprofessor an der Universität Münster und leidenschaftlicher Seriengucker. Er unterscheidet zwischen Spoilern bei Episodenserien und Spoilern bei Fortsetzungsserien. Bei einer Episodenserie, in der alle Charaktere von Episode zu Episode unverändert bleiben ist ein Spoiler für ihn kein Tabu.
    "Bei Simpsons wäre das kein Problem. Also wenn Sie mir eine Simpsons-Folge spoilern, dann bin ich nicht böse."
    Bei einer langlaufenden Serie mit kontinuierlicher Handlung ist das anders. Aber nicht etwa nur deshalb, weil hier der Plot verraten wird, sagt Baßler. Sondern weil das Verraten des Plots meine eigene Erzählwelt einschneidend verändert. Hanna Huge:
    "Wenn Sie mir aber bei so einer langlaufenden Serie ein wichtiges Event spoilern, dann liegt es glaube ich inzwischen gar nicht mehr so sehr daran, dass der Plot so wichtig ist, sondern es liegt eigentlich daran, dass die wichtigen Ereignisse eben diese Welt verändern in der ich mich so gerne aufhalte. Und wenn mir das gespoilert wird, dass da was passiert. Dann ist das sozusagen ein echter Einschnitt. Dann ist das eine echte Kränkung."
    Eine echte Kränkung - zumindest für die meisten Film- und Serienfans. Aber es gibt auch solche, die genau das wollen. Weil sie die neusten Ereignisse in der Lieblingsserie vor allen anderen wissen möchten. Vielleicht um sie selbst weiterzuerzählen. Hanna Huge:
    "Wir haben wirklich Serienjunkiesleser bei uns, die wollen gespoilert werden. Und es gibt auch Leute, die bewusst Spoilernachrichten lesen. Also wir bedienen diese Menschen auch, indem wir jedes Wochenende ein sogenanntes SpoilMe produzieren, wo einfach alle Spoiler drin sind, die so in der Woche passiert sind. Und das wird gelesen und manche freuen sich einfach riesig drauf."
    Filme und Serien werden ein wichtiger Teil unseres Lebens
    "Ich weiß, dass das bei Kriminalgeschichten natürlich immer ein Problem war. Also so dieses hinten Gucken. Schonmal Spickeln. Das haben ja auch viele Leute auch gemacht. Die haben erst hinten geguckt, wer war's und dann das Buch gelesen. Und andere wieder fanden das ganz unmöglich", so Blaßer.
    Das Spickeln und das Spoilern sind eine Art mit Spannung umzugehen. Aber es ist wohl so, dass die meisten Rezipienten es immer noch vorziehen, diese Spannung auszuhalten, damit sie sich beim Buchlesen oder Seriengucken entfalten kann. Eine Spannung, die uns in andere Welten entführt. Moritz Baßler:
    "Es sind diese Parawelten, also diese Welten in denen wir aus unserer Eigenen reingehen können. In denen man sich ja zum Teil wirklich sehr viele Stunden seines Lebens aufhält und wichtige Stunden auch. Quality-Time verbringt man ja sozusagen in diesen Serien und den Computerspielen und so, dass das einfach ein wichtiger Teil von unserem Leben geworden ist, klar. Das ist total wichtig."
    Der Ärger über Spoiler ist also deshalb so groß, weil Filme und Serien ein wichtiger Teil unseres Lebens geworden sind. Und das ist ein schöner Gedanke.