In den Semesterferien 2013 fing es an: In nur wenigen Wochen ließ die Sehkraft beider Augen dramatisch nach. Am Ende blieb Marcel Wienands nur noch ein Prozent der ursprünglichen Sehfähigkeit. Durch einen Bluttest kam heraus, dass dies an einem angeborenen Gen-Defekt lag.
"Viele Sachen kann ich schon nicht mehr alleine machen. Schon beim Essen in der Mensa, da greife ich schon auf die Hilfe meiner Freunde zurück, die sehr hilfsbereit sind und vorlesen, was es überhaupt zu essen gibt."
Aus seiner Zeit als Sehender kennt der 22-Jährige noch gut die Wege zwischen den einzelnen Institutsgebäuden. Obwohl er Konturen nur noch aus nächster Nähe erkennt, kam für ihn ein Studienabbruch nie infrage!
"Der Sport hilft einem schon enorm viel, Kraft zu schöpfen. Sich allein dem Körper etwas Gutes zu tun, ist die eine Sache. Und dann noch eine Mannschaftssportart wie Blindenfußball mit Gleichgesinnten ausführen, ist noch mal ein enormer Wert für einen selber."
Augenbinden für sehende Kommilitonen
Seit letztem Jahr spielt Marcel Wienands bei den Kölner Bundesligisten.
"Das Spiel ist sehr schnell, was man am Anfang so nicht denkt. Somit ist die Orientierung sehr schwer. Das heißt, die Spieler laufen vor einem weg. Man versucht, da hinter her zu kommen und muss auch noch die Banden beachten, dass man da nicht gegen knallt."
Das ABC des Blindenfußballs vermittelt er mittlerweile auch sehenden Kommilitonen. Er hilft ihnen die Augenbinden anzulegen und erklärt die Technikübungen. Dazu der Rektoratsbeauftragte für Studierende mit Behinderung Thomas Abel:
"Er ist ein wunderbarer Dozent! So etwas finde ich spannend - wir sind weit entfernt von Mitleid und Caritas. Wir sind bei einem respektvollen Miteinander. Hier ist jemand, der kann für andere etwas mitbringen. Ich finde total irre, mit welchem Lebensmut er da rangeht!"
Inzwischen studieren rund dreimal so viele körperbehinderte Menschen an der Sporthochschule Köln wie noch vor fünf Jahren. Zu den Gründen Sportwissenschaftler Tobias Vogt:
"Der Gedanke ist sympathisch, dass aufgrund der paralympischen Spiele mehr Studierende mit Beeinträchtigungen Sport studieren möchten, ganz sicher. Ich glaube eher, dass es eine grundsätzliche Öffnung der Gesellschaft ist. Wir als Sporthochschule haben auch den Anspruch zu sagen: Klar wollen wir paralympische Sportler als Studenten haben."
Die unumgängliche Aufnahmeprüfung
Etwa 25 bis 30 Studierende meistern in Köln trotz körperlicher Handicaps das Sportstudium. Meist sind es Leistungssportler, die sich ein Sportstudium zutrauen. Sie sind es gewöhnt, an ihre körperlichen Grenzen zu gehen. Marcel Wienands hingegen zählt eher zu den Breitensportlern. Egal, welches Handicap die Anwärter haben: Sie müssen zunächst die Aufnahmeprüfung, die an sich für alle gleich ist, bestehen.
"Grundsätzlich ist es so, dass es immer von der Beeinträchtigung abhängt, wie der Aufnahmetest gestaltet wird. Man spricht da von Prüfungsersatzleistungen, die man sich überlegen muss."
Ein Beispiel: Weil Solveig Konrad von Geburt an der linke Unterarm fehlt, durfte sie bestimmte Dinge in der Aufnahme-Prüfung auslassen.
"Beim Turnen war ich ziemlich eingeschränkt. Den Auf- und Umschwung am Reck, den musste ich nicht machen. Beim Turnen wurden einfach Halte- und Sprungkraft getestet, um zu sehen, ob ich auch genug Rumpfstabilität habe, um das Studium zu absolvieren. Anderes Beispiel: Beim Schwimmen hatte ich auch ne andere Zeitvorgabe für 100 Meter."
In Absprache mit dem Prüfungsamt und den Rektoratsbeauftragten bestimmen die Fachprüfer, welche Ersatzübungen erfüllt werden müssen. Inzwischen hat Solveig Konrad das Diplom in der Tasche und arbeitet als Referentin beim Deutschen Behindertensportverband. Der sehbehinderte Marcel Wienands hat noch ein paar Semester vor sich.
"Ich habe eine kleine Gruppe von Leuten, die mir gerne helfen, das fängt damit an, dass wir Bücher ausleihen und sie die einscannen, damit ich mir die am Computer vorlesen lassen kann. Es geht soweit, dass wir Vorlesungen nachbearbeiten."
An seinem Berufsziel hat sich, seitdem er blind ist, nichts geändert: Marcel Wienands will unbedingt ins Sportmarketing gehen.