Schon vor drei Jahren wurde diese Anthologie erstmals angekündigt. Jetzt ist das 700 Seiten starke, zweisprachige Buch publiziert, und man glaubt zu verstehen, warum es so lange gedauert hat. Die vom irakischen Dichter und Verleger Khalid Al-Maaly herausgegebene Anthologie ist ein Fanal der Trauer, eines der schwärzesten Gedichtbücher seit Langem. Die letzten Zeilen des Bandes aus der Feder des 1973 geborenen, heute in München lebenden Abbas Khider lesen sich wie ein Fazit.
"Liebste
Das Blau deiner Augen ist
Nicht wie das Blau der Flecken bei mir daheim
( ... )
Liebste,
laß unsere Unterwäsche
nicht zu lang auf der Leine
die Sonne wird niemals
unsere Alpträume trocknen, die im Bett
sich fortgepflanzt haben."
Wenn man den deutschen Wortlaut im Vergleich mit dem arabischen liest, fragt man sich, ob sogar den Übersetzern die Gedichte am Ende zu unheimlich geworden sind. Denn statt "das Blau der Flecken bei mir daheim", hätte man auch viel deutlicher übersetzen und sagen können: "das Blau der Blutergüsse in meiner Heimat."
Seit ihrer Blüte um die Mitte des 20. Jahrhunderts ist das Exil die conditio sine qua non der irakischen Lyrik, es gäbe sie nicht ohne die Exilierten, oder was es gäbe von ihr, wäre des Aufbewahrens kaum wert. Die wenigen begabten Dichter, die im Land blieben oder bleiben mussten, haben am äußersten Rand der Gesellschaft gelebt. Wendungen wie "zurückgezogen", "außerhalb des offiziellen Literaturbetriebs", "mehrmals verhaftet", "obdachlos", "veröffentlichte im Untergrund" ziehen sich durch die Biografien der Daheimgebliebenen.
Im Exil und im Wechselspiel mit dem Schaffen der übrigen arabischen Welt und der westlichen Moderne ist es den Irakern bis in die 80er Jahre hinein gelungen, unter den arabischen Poeten eine Vorreiterrolle einzunehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass die kulturelle und ethnische Vielfalt, die das Land heute zerreißt, in ruhigeren Zeiten das Ferment für die poetischen Höhenflüge war.
In vieler Hinsicht steht diese Anthologie daher auch für die arabische Gegenwartslyrik insgesamt. Es sind zwei Iraker gewesen, die die moderne arabische Dichtung sozusagen erfunden haben: Die 1923 geborene, erst in diesem Jahr verstorbene Nazik Al-Mala'ika und Badr Shakir As-Sayyab, der zwischen 1926 und 1964 lebte. Sie entwickelten eine neue, "freie Dichtung" genannte Form, die mit der rigiden Poetik klassischer Zeit brach. Wer das vorliegende Buch von Anfang bis Ende auf Arabisch liest, kann die von As-Sayyab und Al-Mala'ika losgetretene Lawine hin zur völligen formalen Entfesselung des arabischen Gedichts genau verfolgen.
Der aufs Deutsche angewiesene Leser bekommt von diesen Unterschieden nichts mit. Die Übersetzung ist schmucklos und konzentriert sich ganz auf den Gehalt. Immerhin, die frühen, aus der Jahrhundertmitte stammenden Gedichte atmen auch in ihrer deutschen Fassung einen romantischen Geist mit sozialrevolutionärem Anstrich, etwa in dem berühmtesten Gedicht der modernen arabischen Literatur, As-Sayyabs "Regenhymne". Der Regen steht nicht wie in unseren Breiten als Symbol für die Trauer, sondern für Hoffnung und Revolution.
"Seit unseren Kindheitstagen
Pflegt der Himmel sich winters mit Wolken zu überziehen
Und der Regen strömte
Doch jedes Jahr, wenn die Ernte ergrünte
Hungerten wir
Kein Jahr verging im Irak ohne Hunger
Regen
Regen
Regen
Jeder Tropfen birgt als Keim
Das Rot und Gelb der Blumen
Jeder Träne der Hungernden und Nackten
Jeder vergossene Tropfen vom Blut der Sklaven
Ist ein Lächeln in Erwartung eines neuen Mundes
Oder eine Brust, die sich am Mund des Säuglings rötet
In der jungen Welt des Morgen, der Spenderin des Lebens!
Regen
Regen
Regen
Grün wird der Irak sein vor Regen!"
Trotz der Hoffnung, die solche Verse ausdrücken, ist die Resignation über die Zustände im Irak von Beginn an spürbar, treibt die Dichter von Generation zu Generation zu immer neuen Ausformulierungen des Unglücks, surrealistischen, saloppen, banalen, heroischen, verzweifelten. Beim Lesen wird einem irgendwann schwindlig vor so viel Schmerz, der im übrigen unabweisbar authentisch wirkt. Sogar Sargon Boulus, ein 1944 in Kirkuk geborener assyrischer Christ, der in den 60er Jahren in Amerika in die Schule der Beat-Lyriker gegangen war und früher Gedichte im Stil von Allen Ginsberg schriebt, thematisiert neuerdings in seinen Gedichten die Folter:
"Sie marterten den Leichnam ...
und als die Henker endlich müde wurden
schlug er die zugeschwollenen Augen auf
und murmelte etwas vor sich hin.
Verlangte er nach Wasser? Oder wollte er Brot?
Verfluchte er sie, oder forderte sie zum Fortfahren auf?
Was wollte der Leichnam wohl?"
Einer der wenigen Dichter, die einen helleren, ja bisweilen augenzwinkernden und heiteren Ton in die irakische Lyrik tragen, ist der in Berlin lebende, auch als Romancier bekannten irakische Turkmene Fadhil Al-Azzawi, der 1940 geboren wurde. Auch in seinen Gedichten ist die Trauer noch spürbar, aber sie bekommt doch eine andere, letztlich ermutigende Färbung. Sehr schön zeigt sich das in seinen lyrischen "Trinksprüchen".
"Obwohl ich betrunken und traurig bin und außerstande zu sprechen
erlaubt mir, ein letztes Mal mein Glas zu erheben und zu trinken:
( ... )
Auf die Götter, die beim nächsten Mal eine bessere Welt erschaffen werden
Auf das Opfer, das aufsteht trotz seiner Qual
Auf das Exil, das unseren Willen nicht geschwächt hat
Auf die Tyrannen, die wir als Museumswärter anstellen
Auf den Mond, der sich die Klagen der Liebenden anhört,
Auf dies kurze, schöne Leben!"
Solche Verse darf man ohne Weiteres großartig nennen, aber wie großartig es wirklich ist, teilt sich wohl nur dem mit, der die Weite der irakischen Trauer zur Gänze durchmessen hat. Nun ist diese Anthologie, wie der Herausgeber betont, größtenteils zusammengestellt worden, bevor die Ereignisse der letzten Jahre den Schrecken noch einmal vervielfacht haben. Ein Leid aber, das größer wäre als das schon in diesem Buch vor uns ausgebreitete, muss unweigerlich zum Verstummen führen. Die vorliegende Textsammlung könnte uns als letzter Gruß vor dem endgültigen Übertritt in die Hölle noch lange im Gedächtnis bleiben.
Khalid Al-Maaly (Hg.): Rückkehr aus dem Krieg. Neue irakische Lyrik
Übersetzt von Khalid Al-Maaly und Heribert Becker
Kirsten Gutke Verlag, Köln-Frankfurt 2007
681 Seiten, gebunden, 24 Euro
"Liebste
Das Blau deiner Augen ist
Nicht wie das Blau der Flecken bei mir daheim
( ... )
Liebste,
laß unsere Unterwäsche
nicht zu lang auf der Leine
die Sonne wird niemals
unsere Alpträume trocknen, die im Bett
sich fortgepflanzt haben."
Wenn man den deutschen Wortlaut im Vergleich mit dem arabischen liest, fragt man sich, ob sogar den Übersetzern die Gedichte am Ende zu unheimlich geworden sind. Denn statt "das Blau der Flecken bei mir daheim", hätte man auch viel deutlicher übersetzen und sagen können: "das Blau der Blutergüsse in meiner Heimat."
Seit ihrer Blüte um die Mitte des 20. Jahrhunderts ist das Exil die conditio sine qua non der irakischen Lyrik, es gäbe sie nicht ohne die Exilierten, oder was es gäbe von ihr, wäre des Aufbewahrens kaum wert. Die wenigen begabten Dichter, die im Land blieben oder bleiben mussten, haben am äußersten Rand der Gesellschaft gelebt. Wendungen wie "zurückgezogen", "außerhalb des offiziellen Literaturbetriebs", "mehrmals verhaftet", "obdachlos", "veröffentlichte im Untergrund" ziehen sich durch die Biografien der Daheimgebliebenen.
Im Exil und im Wechselspiel mit dem Schaffen der übrigen arabischen Welt und der westlichen Moderne ist es den Irakern bis in die 80er Jahre hinein gelungen, unter den arabischen Poeten eine Vorreiterrolle einzunehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass die kulturelle und ethnische Vielfalt, die das Land heute zerreißt, in ruhigeren Zeiten das Ferment für die poetischen Höhenflüge war.
In vieler Hinsicht steht diese Anthologie daher auch für die arabische Gegenwartslyrik insgesamt. Es sind zwei Iraker gewesen, die die moderne arabische Dichtung sozusagen erfunden haben: Die 1923 geborene, erst in diesem Jahr verstorbene Nazik Al-Mala'ika und Badr Shakir As-Sayyab, der zwischen 1926 und 1964 lebte. Sie entwickelten eine neue, "freie Dichtung" genannte Form, die mit der rigiden Poetik klassischer Zeit brach. Wer das vorliegende Buch von Anfang bis Ende auf Arabisch liest, kann die von As-Sayyab und Al-Mala'ika losgetretene Lawine hin zur völligen formalen Entfesselung des arabischen Gedichts genau verfolgen.
Der aufs Deutsche angewiesene Leser bekommt von diesen Unterschieden nichts mit. Die Übersetzung ist schmucklos und konzentriert sich ganz auf den Gehalt. Immerhin, die frühen, aus der Jahrhundertmitte stammenden Gedichte atmen auch in ihrer deutschen Fassung einen romantischen Geist mit sozialrevolutionärem Anstrich, etwa in dem berühmtesten Gedicht der modernen arabischen Literatur, As-Sayyabs "Regenhymne". Der Regen steht nicht wie in unseren Breiten als Symbol für die Trauer, sondern für Hoffnung und Revolution.
"Seit unseren Kindheitstagen
Pflegt der Himmel sich winters mit Wolken zu überziehen
Und der Regen strömte
Doch jedes Jahr, wenn die Ernte ergrünte
Hungerten wir
Kein Jahr verging im Irak ohne Hunger
Regen
Regen
Regen
Jeder Tropfen birgt als Keim
Das Rot und Gelb der Blumen
Jeder Träne der Hungernden und Nackten
Jeder vergossene Tropfen vom Blut der Sklaven
Ist ein Lächeln in Erwartung eines neuen Mundes
Oder eine Brust, die sich am Mund des Säuglings rötet
In der jungen Welt des Morgen, der Spenderin des Lebens!
Regen
Regen
Regen
Grün wird der Irak sein vor Regen!"
Trotz der Hoffnung, die solche Verse ausdrücken, ist die Resignation über die Zustände im Irak von Beginn an spürbar, treibt die Dichter von Generation zu Generation zu immer neuen Ausformulierungen des Unglücks, surrealistischen, saloppen, banalen, heroischen, verzweifelten. Beim Lesen wird einem irgendwann schwindlig vor so viel Schmerz, der im übrigen unabweisbar authentisch wirkt. Sogar Sargon Boulus, ein 1944 in Kirkuk geborener assyrischer Christ, der in den 60er Jahren in Amerika in die Schule der Beat-Lyriker gegangen war und früher Gedichte im Stil von Allen Ginsberg schriebt, thematisiert neuerdings in seinen Gedichten die Folter:
"Sie marterten den Leichnam ...
und als die Henker endlich müde wurden
schlug er die zugeschwollenen Augen auf
und murmelte etwas vor sich hin.
Verlangte er nach Wasser? Oder wollte er Brot?
Verfluchte er sie, oder forderte sie zum Fortfahren auf?
Was wollte der Leichnam wohl?"
Einer der wenigen Dichter, die einen helleren, ja bisweilen augenzwinkernden und heiteren Ton in die irakische Lyrik tragen, ist der in Berlin lebende, auch als Romancier bekannten irakische Turkmene Fadhil Al-Azzawi, der 1940 geboren wurde. Auch in seinen Gedichten ist die Trauer noch spürbar, aber sie bekommt doch eine andere, letztlich ermutigende Färbung. Sehr schön zeigt sich das in seinen lyrischen "Trinksprüchen".
"Obwohl ich betrunken und traurig bin und außerstande zu sprechen
erlaubt mir, ein letztes Mal mein Glas zu erheben und zu trinken:
( ... )
Auf die Götter, die beim nächsten Mal eine bessere Welt erschaffen werden
Auf das Opfer, das aufsteht trotz seiner Qual
Auf das Exil, das unseren Willen nicht geschwächt hat
Auf die Tyrannen, die wir als Museumswärter anstellen
Auf den Mond, der sich die Klagen der Liebenden anhört,
Auf dies kurze, schöne Leben!"
Solche Verse darf man ohne Weiteres großartig nennen, aber wie großartig es wirklich ist, teilt sich wohl nur dem mit, der die Weite der irakischen Trauer zur Gänze durchmessen hat. Nun ist diese Anthologie, wie der Herausgeber betont, größtenteils zusammengestellt worden, bevor die Ereignisse der letzten Jahre den Schrecken noch einmal vervielfacht haben. Ein Leid aber, das größer wäre als das schon in diesem Buch vor uns ausgebreitete, muss unweigerlich zum Verstummen führen. Die vorliegende Textsammlung könnte uns als letzter Gruß vor dem endgültigen Übertritt in die Hölle noch lange im Gedächtnis bleiben.
Khalid Al-Maaly (Hg.): Rückkehr aus dem Krieg. Neue irakische Lyrik
Übersetzt von Khalid Al-Maaly und Heribert Becker
Kirsten Gutke Verlag, Köln-Frankfurt 2007
681 Seiten, gebunden, 24 Euro