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Staatsbürger in Uniform

Zehn Jahre nach Kriegsende sollte die Bundesrepublik ihren Beitrag zur Verteidigung des Westens leisten. Auch wenn das Projekt bis zum Schluss politisch höchst umstritten war, ließ Adenauer schon 1950 den Aufbau der westdeutschen Armee planen. Am 7. Juni 1955 wurde aus der Behörde das neue westdeutsche Verteidigungsministerium.

Von Matthias Rumpf |
    " Draußen im Gelände des Ausbildungslagers Andernach sind jetzt hier die Freiwilligen der ersten Lehrkompanie angetreten und der Kompaniechef Major Busch wird gleich begrüßen. Noch mal abzählen, ein, zwo, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf. "

    Es klang etwas unbeholfen, als Anfang 1956 die ersten Freiwilligen der Bundeswehr ins Ausbildungslager Andernach, südlich von Bonn, einrückten.

    " Ich weiß natürlich, sie können es nicht, verlange es auch nicht, aber wenn ich Herrn Major melde, bitte ich alle Kameraden Herrn Major anzusehen. "

    Und allen war klar, dass gut zehn Jahre nach der Kapitulation der Wehrmacht an ein glorreiches Soldatenleben nicht zu denken war.

    " Kameraden, ich möchte Sie, die Sie sich nun zu diesem Entschluss durchgerungen haben, trotz aller Anfeindungen, die über uns ergangen sind, an dem Aufbau der deutschen Streitkräfte mitzuarbeiten, beglückwünschen. "

    Der Aufbau der Streitkräfte war eine Herkulesaufgabe. Denn aus den 1000 Freiwilligen sollte schon in fünf Jahren eine Armee von 500.000 Mann werden. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundesrepublik überhaupt erst seit sieben Monaten einen Verteidigungsminister. Theodor Blank wurde am 7. Juni 1955 ernannt und beschrieb einige Tage später im Bundestag, was er sich vorgenommen hatte.

    " Wir stehen vor einer neuen und schweren Aufgabe. Wir müssen Streitkräfte aus dem Nichts heraus neu aufbauen, ohne jede Anknüpfung an bestehende Truppeneinheiten. Wir bauen sie zudem in einem Staat auf, der an einer kaum bewältigten Vergangenheit zu tragen hat, in einer jungen Demokratie, die um ihr Ansehen im eigenen Volk noch zu ringen hat. "

    Er selbst, der Arbeitersohn und ehemalige Gewerkschaftsfunktionär, hatte da schon ein halbes Jahrzehnt am Aufbau der deutschen Armee gearbeitet - als Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen. So hieß die Dienstelle "Blank" mit offiziellem Namen, die 1955 mit über 500 Mitarbeitern schon längst die Größe eines Ministeriums hatte. Der Name wurde gewählt, weil Besatzungsstatut und Grundgesetz bis zum Mai 1955 kein deutsches Militär zuließen. Die Trockenübungen in Sachen Bundeswehraufbau gingen an Blank nicht spurlos vorüber.

    Seine fahrigen Gesten deuteten schon an, was wenig später bei der Vereidigung offenbar werden sollte. Seine mörderische Anstrengung, eine neue Armee zu schaffen, die hektische Atmosphäre seines Hauses, in dem seit vier Jahren unproduktiv in die Panzerschränke hineingeplant wird und in dem Intrigen wie in einem Kessel ohne Abzug brodeln, die Ungewissheit, bis zum letzten Tag, ob er sein großes Ziel erreichen würde, Minister zu werden - alles dies hat diesen Mann zu einem Nervenbündel gemacht,

    schrieb der Spiegel anlässlich der Vereidigung Blanks am 8. Juni im Bundestag. Als frisch gebackener Minister musste Blank möglichst schnell eine Wehrverfassung auf den Weg bringen und mit der Aufstellung der Truppe beginnen. Waffen und Uniformen wurden zunächst von den USA gestellt. Doch es fehlte am Anfang vor allem an Kasernen, um die Soldaten unterzubringen. Und es galt, soldatische Tugenden wieder hoffähig zu machen. Ein neues Bild des Soldaten musste her. Wolf Graf von Baudissin schrieb das Konzept für den "Staatsbürger in Uniform"

    Als Verteidiger kann nur der überzeugte und handwerklich hochwertige Einzelkämpfer bestehen, der sich aus Einsicht ein- und unterordnet. Die Streitkräfte müssen also alles tun, die Persönlichkeitswerte zu entwickeln, d. h. dem einzelnen weitgehend Raum zur persönlichen Verantwortung und Initiative zu gewähren.

    Erstmals in der deutschen Geschichte durften Soldaten auch an Parlamentswahlen teilnehmen. Auch die Pflicht, höhere Dienstgrade auf der Straße zu grüßen, wurde abgeschlafft. Dennoch blieb die Abgrenzung zur Wehrmacht schwierig.

    Weil der Bundestag dem neuen Verteidigungsministerium nicht traute, setzte er selbst einen Ausschuss zur Auswahl der Offiziere ein, die aus der Wehrmacht übernommen werden sollten. Der Aufbau der Bundeswehr auf die Sollstärke von 500.000 Mann dauerte schließlich fast doppelt so lange wie geplant. Theodor Blank musste bereits nach einem guten Jahr als Verteidigungsminister gehen und wurde durch Franz-Josef Strauß ersetzt.