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Starke D-Mark, starker Euro

Die D-Mark ging als starke Mark in die Nachkriegsgeschichte ein. Ihre viel zitierte Karriere "vom Besatzungskind zum Weltstar" hat sie auch der Bereitschaft der Bundesbank zu verdanken, ihre politische Unabhängigkeit zu nutzen und sich allein der Geldwertstabilität verpflichtet zu fühlen. Die Europäische Zentralbank schreibt seit zehn Jahren diese Tradition fort - auch wenn sich der Euro erst das Vertrauen der Bürger erwerben musste.

Von Michael Braun und Brigitte Scholtes |
    Gerade einmal 48 Stunden vor dem entscheidenden Tag wurden die Bürger informiert. Am Freitag, dem 18. Juni 1948, setzte sich der amerikanische Kontrolloffizier von Radio Frankfurt, Robert Lochner, vor das Mikrofon und gab bekannt, dass die Währungsreform unmittelbar bevorstehe.

    "Das erste Gesetz zur Neuordnung des deutschen Geldwesens ist von den Militärregierungen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs verkündet worden und tritt am 20. Juni in Kraft. Das neue Geld heißt die Deutsche Mark."

    Dahinter stand eine logistische Meisterleistung. Schon seit 1947 war das neue Geld in Amerika gedruckt worden. Es gab zunächst nur Papiergeld. Weil in die Reichsmarkmünzen das Hakenkreuz eingeprägt war, durften auch die Münzen nicht mehr verwendet werden. Stattdessen gab es Fünf- und Zehn-Pfennig-Scheine, etwa so groß wie Streichholzschachteln. Das Geld, 1.100 Tonnen schwer, verpackt in 23.000 Holzkisten, kam mit dem Schiff nach Bremerhaven und wurde dort - ähnlich wie die amerikanischen Lebensmittelhilfen - auf die Bahn umgeladen:

    "Auch Frankfurt am Main ist ein wichtiger Verteilungsplatz." (Ausschnitt Wochenschau)

    Dort waren die Tresore der Reichsbank und der IG Farben noch weitgehend intakt. Und sie waren auch weitgehend geräumt von Reichsbankgold, das die Nazis aus Frankfurt in ein Kalibergwerk in Thüringen verbracht hatten. Dort hatten es amerikanische Truppen entdeckt und wieder nach Frankfurt geschafft.

    Der frühere Präsident der Landeszentralbank Hessen und der Bundesbank, Ernst Welteke, hat in einer Ansprache zum 50. Jahrestag des Bestehens des Zentralbankrates vor zehn Jahren beschrieben, wie die gut 235 Tonnen Reichsbankgold sich zusammensetzten:

    "Die Gegenstände stammten ursprünglich aus dem Tresor des Berliner Führerbunkers und aus den Tresoren der Berliner Reichsbank. Es handelte sich um Schmuck, Gold und andere Wertgegenstände aus den überfallenen Gebieten und aus den Vernichtungslagern. Darunter unter anderem Hitlers Uhren, Eva Brauns Besteckkasten, Wertsachen des Ehepaar Göring, 35.000 Eheringe aus Vernichtungslagern in Polen und Hunderte von Goldbarren, auch aus Zahngold hergestellt."

    Die Bundesbank hat in den 1980er Jahren zu klären versucht, wo das Gold geblieben ist. Zum größten Teil wurde es den Staaten zurückgegeben, die nachweisen konnten, dass deutsche Truppen ihnen Gold gestohlen hatten.

    In einem Vermerk der Bundesbank vom 23. April 1990 mit dem Titel "Zum Verbleib des 'Reichsbankgoldes' nach dem 2. Weltkrieg" heißt es, es sei nicht bekannt, "welchen Gesamtumfang das zu verteilende Gold hatte und wie es tatsächlich verteilt worden ist". Bundesbank-Historiker Harald Pohl ist sich aber sicher, dass die Bundesbank und ihre Vorläuferin davon nichts abbekommen haben:

    "Die D-Mark startete ohne Goldreserven. Erst 1951 mit EZU und 1952 mit Beitritt zum IWF wurden Goldbestände aufgebaut. Die Bundesbank hatte kein Reichsbankgold in ihren Reserven."

    Die D-Mark hatte also nichts, worauf sie ihren Wert stützen konnte, als die Währungsreform am 20. Juni 1948 in Kraft trat. Gar nichts? Doch, sie war begleitet von einem ordnungspolitischen Konzept, das Ludwig Erhard lediglich mit dem Militärgouverneur der amerikanischen Zone, Lucius D. Clay besprochen hatte. Und das Erhard damals ausschließlich in der Bizone, der britischen und amerikanischen Zone, umsetzte. Und zwar bewusst an einem Sonntag, wie der frühere Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer später erzählte:

    "Große Leistung von Erhard: Er ließ ohne vorherige Konsultation der Alliierten seinen Pressesprecher am 20. Juni das weitgehende Ende der Bewirtschaftung verkündigen. An einem Sonntag, wie Erhard später verschmitzt schrieb, weil da keine Bürokratie aktionsfähig ist, selbst jene der Besatzungsmächte nicht. Es gibt da jene berühmte Story, dass Erhard einbestellt wurde und von Lucius Clay konfrontiert wurde mit der Bemerkung: 'Alle meine Berater sagen mir, dass das, was sie vorhaben, falsch ist.' Und Ludwig Erhard antwortete: 'Das sagen mir meine Berater auch.'"

    Am folgenden Montag, dem 21. Juni 1949, waren die Läden voll. Die zuvor gebunkerten, nur auf dem Schwarzmarkt vertriebenen Waren, kamen in die Schaufenster, wurden auf dem regulären Markt angeboten. Für viele, besonders ältere Menschen, die sich mit Bargeld und vermeintlich sicheren Staatsanleihen für ihr Alter vorgesorgt hatten, war die Währungsreform allerdings eine Katastrophe: Ihr Vermögen schmolz um 90 Prozent, weil Reichsmarkguthaben nur im Verhältnis zehn zu eins in DM-Guthaben umgewandelt wurden.

    So wurde Geld knapp. Dass das neue, knappe Geld mit einem freien Markt verbunden wurde, das gilt als das eigentliche Erfolgsgeheimnis der Währungsreform. Hartmut Kliemt, Professor für Philosophie und Ökonomik an der Frankfurt School of Finance & Management:

    "Sie hat in wesentlichen Punkten ihren Erfolg dem Umstand zu verdanken, dass Ludwig Erhard relativ selbstherrlich in der Nacht zur Einführung der Währung hat verkünden lassen, dass auch die Preise frei gestaltet werden dürfen. Und diese ordnungspolitische Maßnahme zusammen mit der währungspolitischen Maßnahme hat den Erfolg der D-Mark und der deutschen Wirtschaft begründet - keineswegs die neue Währung als solche."

    Dass die Währung stark blieb, die viel zitierte Karriere "vom Besatzungskind zum Weltstar" schaffte, hing auch mit der Bereitschaft der Bundesbank zusammen, ihre politische Unabhängigkeit zu nutzen, sich allein dem Auftrag der Geldwertstabilität verpflichtet zu fühlen.

    Das führte im Oktober 1950 zum ersten großen Konflikt mit der Regierung Adenauer, die anhaltend niedrige Notenbankzinsen einforderte. Die frühen Konflikte der Bank deutscher Länder, der Vorläuferin der Bundesbank, mit der Bundesregierung beeindruckten und - man kann wohl sagen - prägten den aktuellen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, bis heute:

    "Ich möchte Sie daran erinnern, dass Preisstabilität und Zentralbank-Unabhängigkeit tatsächlich Tag für Tag verteidigt werden müssen, da sie immer wieder auf die Probe gestellt werden: 1956, noch vor der formellen Gründung der Bundesbank, forderte Bundeskanzler Adenauer, man solle die Erhöhung der Leitzinssätze um ganze 100 Basispunkte verschieben. Die deutsche Zentralbank ließ sich jedoch darauf nicht ein und überzeugte die deutsche Bevölkerung von ihrer Politik sowie davon, dass sie dafür sorgen würde, dass der Geldwert erhalten bleibt." (Rede vom 20.9.07)

    Bis zum heutigen Tag hält sich der gute Ruf der Deutschen Mark, obwohl sie seit sechseinhalb Jahren aus dem Portemonnaie der Bürger verschwunden ist: Nach einer Umfrage des Bundesverbands deutscher Banken, die Anfang Mai veröffentlicht wurde, würde heute noch jeder dritte Deutsche lieber wieder mit der D-Mark bezahlen als mit dem Euro. Danach sprachen sich 34 Prozent der Befragten für eine Abschaffung des Euro und eine Wiedereinführung der D-Mark aus - eine Minderheit, aber eine große. Professor Hartmut Kliemt von der Frankfurt School of Finance & Management erklärt das anhaltend hohe Image der D-Mark so:

    "Wir verbinden mit der D-Mark natürlich die Erfahrung des Aufstieges nach dem Zweiten Weltkrieg und goldene Jahre, in denen es immer aufwärts ging. Das hat sich tief im Bewusstsein eingeprägt. Mit der neuen Euro-Währung verbinden wir das noch nicht. Denn die hat in Jahren vorgeherrscht, in denen es eher zäh war.

    Sollte man jetzt die nächsten fünf oder zehn Jahren wieder eine Aufstiegserfahrung machen mit relativ stabilen Preisen, dann glaube ich, würde ein ähnliches Gefühl sich gegenüber dem Euro entwickeln. Ich glaube also nicht, dass es die D-Mark als solche ist, die wir zurückhaben wollen, sondern eher die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten, die sich so ausdrückt."

    Diese "guten alten Zeiten" aber kann man nicht mehr zurückholen: Die Zeiten wären auch nicht mehr so gut, wenn alles beim Alten geblieben wäre, wenn es also die DM weiter gegeben hätte. Davon sind Volkswirte überzeugt. Denn das einheitliche Euro-Währungsgebiet, das zum 1. Januar 1999 geschaffen wurde, hat vor allem für die Wirtschaft große Vorteile mit sich gebracht. Währungsschwankungen wie die des Dollar hätten sonst weit stärkere Auswirkungen gehabt, meint Torsten Windels, Chefvolkswirt der Norddeutschen Landesbank:

    "In der Vergangenheit hat es immer auch Verwerfungen zwischen den europäischen Währungen gegeben, das heißt der Franc wäre aus Frankreich kommend mit dem Dollar nach unten gegangen. Wir hätten erhebliche Exportprobleme gehabt, auch nach Frankreich. Dadurch, dass wir eine Währungszone haben -und das ist nun einmal unsere Hauptexportregion: Euroland - haben wir da Währungsstabilität.

    Unsere Exporteure können sehr stabil kalkulieren und sind nicht jedes Mal von Störungen berührt. Das sind Faktoren, die sich langfristig auch sehr deutlich bemerkbar machen, sodass die emotionalen Schwierigkeiten - die werden dauern, das kennen wir aus anderen Währungsumstellungen. Das dauert Jahrzehnte, das wird eine Rolle spielen. Aber ich glaube nicht, dass der Euro im Portemonnaie irgendjemandem weh tut."

    Emotional mag der Euro noch nicht bei allen angekommen sein. Diese Schwierigkeiten hatten die Väter des Euro durchaus im Blick. Deshalb gestalteten sie die EZB, die am 1. Juni 1998 ihre Arbeit aufnahm, auch nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank, zumindest wollten sie deren Unabhängigkeit sichern und die Ausrichtung an der Preisstabilität.

    Trotz dieser Grundvoraussetzungen musste sich die junge EZB aber zunächst einmal das Vertrauen der Bürger und der Finanzmärkte erwerben. Denn sie wurde mit viel Skepsis begleitet, als sie vor zehn Jahren gegründet wurde und mit ihr das Europäische System der Zentralbanken. Schließlich war das der erste Schritt in die Währungsunion.

    Die nationalen Notenbanken wussten also, dass sie ihre geldpolitische Macht würden abgeben müssen. Das war auch dem ersten Präsidenten der EZB, dem Niederländer Wim Duisenberg bewusst. Bei der Gründungsfeier im Juni 1998 sagte er:

    "Die vielleicht wichtigste Herausforderung für das System der Europäischen Zentralbanken ist es, das Vertrauen der Bürger Europas zu gewinnen. Der Euro ist ihre Währung, und sie sollten Vertrauen haben können, dass er seinen Wert behält. Der beste Weg für die EZB, diese notwendige Glaubwürdigkeit zu erlangen, ist zu zeigen, dass sie ihre Aufgabe, Preisstabilität zu erhalten, sehr ernst nimmt."

    Das hat die EZB in den vergangenen zehn Jahren bewiesen. Das dauerte allerdings einige Zeit. Denn zunächst rutschte der Euro bis zum Oktober 2000, 22 Monate nach seiner Einführung an den Finanzmärkten, auf sein bisheriges Tief von 0,83 Dollar. Seither aber ist er fast beständig gestiegen - sein Hoch sah er Anfang Mai bei 1,60 Dollar.

    Die Einführung des Euro war die erste Hürde, die die EZB zu meistern hatte. Nachdem er am 1. Januar 1999 als Buchwährung in 11 Mitgliedsländern gestartet war, wurde er drei Jahre später als Bargeld ausgegeben. Bei der Vorstellung der Euro-Banknoten im August 2001 war Duisenberg sichtlich bewegt:

    "Im Allgemeinen sollen Zentralbanker keine Gefühle zeigen oder Träume haben. Aber vergeben Sie mir, wenn ich heute eine Ausnahme mache. Denn dies ist ein Moment, in dem der Hauch der Geschichte weht."

    Die Politiker haben die Bedeutung einer gemeinsamen Währung erkannt und setzen auf sie als friedensstiftendes Element, so auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel:

    ""Viele weise Männer und Frauen hatten bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs darauf hingewiesen, dass Völker, die durch eine gemeinsame Währung verbunden werden, nie wieder Krieg gegeneinander führen werden."

    Diese Verbindung vieler Völker aber bringt für die Geldpolitik auch Schwierigkeiten mit sich. Denn die inzwischen 15, bald 18 Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion unterwerfen sich zwar einer gemeinsamen Geldpolitik. Doch die Entwicklungen in den nationalen Wirtschaftsräumen verlaufen nicht gleichförmig. Diese unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen Mitgliedsstaaten hätte vor einigen Jahren fast schon einmal zum Scheitern der Währungsunion geführt: Italien nämlich liebäugelte vor drei Jahren wegen seiner hohen Inflationsrate mit dem Austritt, nahm dann aber doch wieder Abstand von solchen Erwägungen.

    Im Rahmen der Finanzpolitik der EU hat es durchaus Versuche gegeben, eine harte Geldpolitik der EZB zu konterkarieren. So ist vor drei Jahren der Stabilitätspakt reformiert worden. Die Stabilitätskriterien gelten zwar weiterhin, vor allem die Grenze der Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts besteht weiter. Doch werden nun unter anderem mehr Ausnahmen von der Drei-Prozent-Regel zugelassen.

    Trotz dieser Aufweichung aber habe man in den letzten Jahren signifikante Fortschritte in der Haushaltspolitik der Mitgliedsländer verzeichnet, meint Josè Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission:

    "Derzeit gibt es kein Land im Euroraum mit einem exzessiven Defizit. Das durchschnittliche Budgetdefizit der öffentlichen Haushalte lag unter einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dies sind Leistungen, die die EZB sicher würdigen wird."

    Inzwischen sind die Mitgliedsstaaten wohl einsichtiger geworden, sehen eher die Vorteile eines gemeinsamen Währungsraums, meint auch Torsten Windels, Chefvolkswirt der NordLB:

    "Ich glaube nicht, dass es die Sprengkraft kriegt, dass - wie die Kritiker behaupten -, dass solange keine politische Union hergestellt ist, dass dann historisch noch nie eine Währungsunion dauerhaft gestartet ist. Ich glaube, die Einsicht in die Kompromissstruktur, in die Notwendigkeit einer gemeinsamen Politik, ist sehr stark gewachsen in den letzten Jahren."

    Diese Einsicht ist vielleicht auch gewachsen, weil die EZB sich hohes Ansehen erworben hat: So steuerte sie die Geldpolitik sowohl durch die unruhigen Zeiten nach dem Platzen der New-Economy-Blase als auch durch die Krise nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001.
    Die größte Herausforderung aber muss sie seit dem letzten Sommer meistern: In der Finanzmarktkrise hat sie ihren Ruf einer Hüterin der Geldwertstabilität weiter gestärkt, meint Thomas Meißner, Rentenmarktexperte der DZ-Bank:

    "Wenn wir uns nur anblicken, wie andere Notenbanken auf die gegenwärtige Finanzmarktkrise reagiert haben - England, USA - hat es die EZB genau richtig getan: Die hat die Märkte geflutet mit Geld, ohne Leitzinsen zu senken. Das Signal lautet: Wir werden nicht davon abrücken, wenn Not am Mann ist, wenn die Preise steigen, wenn die Inflation ansteigt. Wir stehen da Gewehr bei Fuß, als Hüterin der Preisniveaustabilität, und wir wollen davon nicht ablassen. Und ich glaube, das ist genau das Signal, das wir brauchen, an alle hier."

    Die Finanzmarktkrise aber ist derzeit nicht die einzige Herausforderung für die Notenbank. Das Ziel der Preisstabilität wird in den letzten Monaten stark gefährdet durch die gestiegenen Preise für Lebensmittel, vor allem aber für Energie, und diese Preissteigerung ist unter anderem auf die höhere Nachfrage aus den Schwellenländern zurückzuführen. Eine schwere Aufgabe für die EZB, meint auch Claudia Windt, Volkswirtin der Helaba:

    "Der Job, den die EZB vor zehn Jahren aufnahm, wo wir noch von einem Desinflationseffekt der Globalisierung gesprochen haben, also wo die Globalisierung als Stabilitätsimporteur galt, der kehrt sich ja nun ins Gegenteil um. Das wird tatsächlich eine sehr schwere Herausforderung für die EZB werden."

    Diese Herausforderung treibt europäischen Politikern derzeit die Sorgenfalten auf die Stirn, denn von hohen Lebensmittel- und Energiepreisen werden die ärmeren Bevölkerungsschichten überproportional stark getroffen. Deshalb denken sie über Möglichkeiten nach, die Teuerung abzufedern. So meint Joaquín Almunia, EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung:

    "Diese Sozialtransfers müssen klar auf die schwächsten Glieder der Gesellschaft ausgerichtet sein, und sie müssen von vorübergehender Art sein, um die Marktsignale nicht zu beeinflussen. Wir dürfen Energie nicht so weiter nutzen, wie wir es in der Vergangenheit getan haben."

    Preisstabilität - das ist für die EZB auch Sozialpolitik für die 320 Millionen Einwohner des Euro-Währungsgebiets. In den zehn Jahren ihres Bestehens hat sie die jährliche Inflation bei 2,1 Prozent halten können. Nahe zwei Prozent - das ist ihr erklärtes, mittelfristiges Ziel, das sie auch in diesen Zeiten nicht gefährden will. Zweifel daran hat Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Premierminister und Präsident der Eurogruppe, nicht:

    "Die jüngste Inflationswelle zeigt uns zwar, dass dies herausfordernde Zeiten für die Europäische Zentralbank und den Euroraum insgesamt sind. Doch die starke Glaubwürdigkeit der EZB hat die Verankerung der Inflationserwartungen erhalten, die entscheidend ist, damit die Rückkehr zu geringeren Inflationsraten gelingt, die mit ihrer Definition von Preisstabilität auf mittlere Sicht übereinstimmen."

    Deshalb dürften in zwei Wochen die Zinsen steigen. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat es Anfang Juni in seltener Deutlichkeit angekündigt:

    "Es ist nicht ausgeschlossen, dass - nach sorgfältiger Analyse – wir bei unserem nächsten Treffen entscheiden könnten, unsere Zinsen in einem kleinen Schritt nach oben zu bewegen, um die solide Verankerung der Inflationserwartungen sicherzustellen."

    Es scheint, als wolle die Europäische Zentralbank mit dem Euro die Tradition der D-Mark fortschreiben.