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Stasi-Spitzel Sascha Anderson
"Ich kann doch nicht hingehen und sagen: Entschuldigt"

Er war der einstige Star der Ostberliner Dissidentenszene, bis ihn 1991 Jürgen Fuchs und Wolf Biermann öffentlich als inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Stasi enttarnten. In ihrer Dokumentation "Anderson" lässt Annekatrin Hendel nicht nur Sascha Anderson selbst, sondern vor allem ehemalige Freunde und Weggefährten zu Wort kommen.

Von Josef Schnelle |
    Der ehemalige Stasi-Spitzel Sascha Anderson.
    "Fremd bin ich mir selbst", sagt Sascha Anderson in der Dokumentation und nimmt allen Anschuldigungen dadurch gleich die Spitze. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    "Also wenn sich ein paar Leute hier am Prenzlauer Berg trafen, war es ein ganz normales Gespräch, dass man ne halbe Stunde über Sascha Anderson gesprochen hat." – "Wie er aufgetreten ist mit der Band, das war so stark. Er hatte so ne erotische Körpersprache." – "Er hatte eine starke Ausstrahlung, die direkt ins Unterbewusstsein ging."
    Star und Verräter zugleich
    Er war der Star der Ostberliner Dissidentenszene und dann der größte aller Verräter. 15 Jahre lang hatte er in den Wohnzimmergalerien und an den Kneipentresen am Prenzlauer Berg alle belauscht und unter verschiedenen IM-Identitäten an die Stasi verraten.
    Sascha Anderson, die Poesieturbine, der charismatische Sänger und Dichter, begnadeter Organisator und Paradiesvogel der Szene in Ostberlin wurde 1991 von Jürgen Fuchs und Wolf Biermann öffentlich entlarvt. Die westdeutschen Literaturpreise, die Sascha Arschloch – so nennt ihn Biermann – bekam, machten ihn nicht glücklich.
    Die Dokumentaristin Annekatrin Hendel setzt mit ihrem Film über ihn ihre "Verrats-Trilogie" fort, die sie mit "Vaterlandsverräter" 2011 begonnen hatte. Ausgerechnet mit diesem Obergockel der Szene, den alle bewunderten und der doch alle betrog. Sie befragte dazu ehemalige Freunde, Weggefährten und Nachbarn. Irgendwie haben dann doch alle gewusst, das nicht sein konnte, was zu schön war, um wahr zu sein – ein unerschrockener, makelloser ostdeutscher Held der Regimekritik.
    "Irgendwann hab' ich gemerkt, dass das regelmäßig ist. Er morgens früh aufstand, sich zwei Spiegeleier briet und dann verschwand. Dann kam er nachmittags um drei, um vier wieder. Ich dachte, er hat ´ne Geliebte, wo er nur morgens erscheinen darf. Jetzt weiß ich, dass das seine Führungsoffizierstreffen waren." – "Er hat immer gelogen. Aber das gehörte dazu. Sascha ist ´ne Person, die setzt sich aus Wahrheit und Lüge zusammen."
    Eine kluge Entscheidung der Regisseurin ist, man kann auch sagen ein Glücksfall, dass sie Sascha Anderson nicht einfach umkreist, sondern ihn selbst in den Film einbezieht. Anderson, der heute in der Nähe von Frankfurt lebt, spielt Schach mit sich selbst und präsentiert ein heilloses chaotisches Durcheinander von Opportunismus, Eitelkeit, krimineller Energie und sozialistischer Restpassion.
    "Ich kann doch nicht hingehen und sagen: Entschuldigt. Ich bereue, entschuldigt."
    So leicht machen es ihm die Freunde von einst nicht, sich aus der Falle des Doppellebens davon zu schleichen. Der enttarnte Verräter vermisst die Bewunderung und den Status eines Gurus und Stars dann doch. Die ehemaligen Freunde würden ihm gerne verzeihen. Aber zu viel Bitterkeit versteckt sich oft in ihren Beschreibungen einer Kultfigur, die keine war. Manchmal blitzt sogar kalter Hass auf.
    "In anderen Gesellschaften hätte man ihn nicht überleben lassen. Da steht auf Freundesverrat der Tod."
    Begegnungen der besonderen Art
    Um nach 25 Jahren Entfremdung trotzdem einige Wiederbegegnungen zu ermöglichen, lädt Annekatrin Hendel Anderson nicht in die Wohnungen ihrer Gesprächspartner ein, wozu er bereitgewesen wäre. Sie baut einstige Begegnungsstätten vielmehr als Kulissenkästen auf und inszeniert im bis zur letzten Tasse rekonstruierten Ambiente Begegnungen der ganz besonderen Art.
    Anderson verliert sofort jegliche Aura eines Bösewichts. Er wirkt seltsam fremd und unerlöst. Das Schwarz ist nicht mehr Schwarz, das Weiß ist nicht mehr Weiß. "Fremd bin ich mir selbst", sagt Anderson einmal und nimmt allen Anschuldigungen dadurch gleich die Spitze.
    Er repräsentiert neben seiner persönlichen Schuld auch die Schizophrenie der DDR-Dissidenten-Szene, die die Stasimacht beklagte, gleichzeitig aber doch im "besseren" Deutschland zu leben glaubte. Da kam ihr ein Taschenspieler vom Schlage Anderson gerade recht. Und das zeigt diese eindrucksvolle und kluge Dokumentation sehr deutlich. So schwingt noch in der kritischsten Kritik an dem Mann, der alle narrte, eine Prise Bewunderung mit.
    "Absoluter Spielertyp, der mit seinen Freunden spielte, mit Journalisten spielte, mit Diplomaten spielte und mit der Stasi auch."