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Stefan Moritz: Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich

Von Schuld und Sühne der Katholiken, diesmal allerdings in Österreich, handelt auch ein Band von Stefan Moritz. "Grüß Gott und Heil Hitler" ist er überschrieben.

Beatrix Novy |
    Im Sommer 1938, etwa drei Monate nach dem "Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich, veranstaltete die Hitlerjugend von Schwadorf einen Propagandazug. Dabei erscholl aus vielen jungen Kehlen ein Lied mit diesem Refrain:

    "Hängt die Juden, stellt die Pfaffen an die Wand".

    Es wurde dies eine der Gelegenheiten, bei denen die Kirche den neuen Machthabern mutig entgegentrat; der Wiener Kardinal Theodor Innitzer wandte sich empört an den Gauleiter Josef Bürckel und protestierte:

    "gegen das Absingen solcher die katholische Kirche verunglimpfenden Lieder."

    Der erste Teil des Refrains, der mit der Drohung gegen die Juden, blieb ungerügt. Als das Lied wenig später auch in Krems bei einem SA-Aufmarsch gesungen wurde, erregte sich der dortige Stadtpfarrer, und zwar über die Zumutung

    "mit den Juden auf eine Stufe gestellt zu werden".

    Ausdrücklich verwies er auf die Gefühle der katholischen Bevölkerung, die durch den "zweiten Teil des Refrains" schwer verletzt würden, und forderte ohne Wenn und Aber ein Ende

    "solcher tiefen Beleidigungen der Priesterschaft".

    Es ist anzunehmen, dass die Kirchenvertreter sich nicht mal Böses dabei dachten. Ihre pastorale Berufung galt nur den eigenen Schäfchen, für andere fühlten sie sich nicht zuständig, schon gar nicht für das Volk der Christusmörder: Diese Sicht auf die Juden ist ein Leitmotiv, das immer wieder auftaucht in der Fülle der Dokumente, die Stefan Moritz in Diözesanarchiven und im Österreichischen Staatsarchiv gesichtet hat.

    Die lauen und taktierenden Richtlinien des Vatikans, die auf Besitzstandswahrung erpichten österreichischen Bischöfe, die Mentalität vieler Kleriker: Das alles führt Stephan Moritz zusammen zu einem traurigen Bild kirchlichen Verhaltens in Österreich. Sein Urteil steht fest von der ersten Seite an. Das, was es auch gab, Widerspruch und Widerstand von Katholiken, findet in diesem Buch wenig Platz, und es kommt vor, dass der Autor eine Textstelle vorschnell im Sinne seiner Thesen interpretiert.

    Eine These lautet: Die Mehrheit im österreichischen Klerus suchte und bejahte die Parallelen zwischen nationalsozialistischer und kirchlich-katholischer Weltanschauung. Wichtiger als der Kampf für christliche Werte war ihm der Kampf gegen Bolschewismus und "Weltjudentum". Für diese Behauptungen finden sich Beweismittel in Hirtenbriefen, Pfarrmitteilungen, Korrespondenzen und auch in offiziellen Erklärungen. Ein Beispiel aus dem Erdberger Pfarrblatt:

    Die deutschen Tugenden Wahrhaftigkeit, Treue, Fleiß, Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Reinheit und Sauberkeit des inneren und äußeren Menschen sind auch dieselben Tugenden, die die Kirche als ihre sittlichen Forderungen aufstellt. Der deutsche Mensch ist immer Idealist. Er strebt nach dem Höchsten. Auch die Kirche strebt nach den höchsten Dingen und zeigt die idealen Seiten des Lebens. Eine alles verflachende und auf die bloßen Daseinsgüter eingestellte Bolschewisierung des Lebens hat in der Kirche und im deutschen Volke keinen Raum.

    Hier geht es um einen Punkt, in dem die katholische Kirche mit den kirchenfeindlichen Nazis schon mal keine Probleme zu haben schien. Die Nazis nahmen ihr nach dem Anschluss zwar die Sonderrolle weg, vergrätzten sie durch Einführung der Zivilehe, reformierten das Scheidungsrecht, griffen auf den Religionsunterricht und auf kirchlichen Besitz zu – alles Kampffelder, auf denen sich die Kleriker tapfer schlugen. Vergleichbare Angriffslust findet sich selten, wo es um Juden, Deserteure oder Euthanasieopfer geht.

    Es gibt ein inzwischen halbwegs eingestandenes Versagen der Amtskirche im Dritten Reich. Und es gibt das Versagen vieler einzelner. Nichts unterscheidet die herzhaften Bekenntnisse zum Antisemitismus, wie Stefan Moritz sie in Pfarrblättern fand, von jenem selbstverständlichen und unbefangenen Antisemitismus, wie er sich an Österreichs Stammtischen oft bis heute noch findet. Einen offen nationalsozialistischen Geistlichen erklärten die Amtsbrüder später entschuldigend zu einem "Kind seiner Zeit" – Kinder ihrer Zeit waren anscheinend viele, die das ewige Himmelreich verkünden sollten.

    Der Pfarrer hat aus den Einnahmen für die so genannten "arischen Nachweise" ein neues Messgewand anfertigen lassen. (Es wurde am 4. Oktober zum ersten Male getragen)

    So nahm ein Wiener Pfarrer der Kritik, die Kirche bereichere sich noch am Ausstellen der Ariennachweise, den Wind aus den Segeln. Einem "Nicht-Arier" hier durch Manipulation der Urkunden zu helfen, fiel nur ganz wenigen Geistlichen ein. Natürlich war der Grat nicht breit zwischen Protest und Anpassung, wenn Kirchenleute sich, ihre Arbeit und ihre Gemeinden nicht gefährden wollten. Aber was Stefan Moritz an enthusiastischen Aussagen von Geistlichen zu Deutschtum, Volkstum, zu Führer, Krieg und Vaterland zusammengetragen hat, das ist weit jenseits von Strategie und Taktik.

    Der beleidigte Ton, in dem man oft, wenn es Konflikte mit den Nazis gab, auf die eigene, so oft demonstrierte Staatstreue verwies, vermittelt einen erschütternden Eindruck: als habe die katholische Kirche Österreichs nach nichts mehr gedürstet als nach der verdienten Anerkennung durch die Nationalsozialisten. Nach Kriegsende ließ sich deren Ausbleiben allen Ernstes so darstellen:

    Keine Gemeinschaft hat in diesen Jahren mehr Opfer an Hab und Gut, an Freiheit und Gesundheit, an Blut und Leben bringen müssen als die Kirche Christi.

    Stefan Moritz: "Grüß Gott und Heil Hitler - Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich". Der Band ist im Wiener Picus Verlag erschienen, 496 Seiten zu 24,90 Euro.