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Stefan und Lotte Zweig
Südamerikanische Briefe

Stefan Zweig nahm sich zusammen mit seiner zweiten Frau Lotte am 22. Februar 1942 im brasilianischen Petrópolis das Leben. Seine letzten Jahre im südamerikanischen Exil und vor allem das Verhältnis des Ehepaares zum Gastland Brasilien beleuchten zwei gerade erschienene Bücher.

Von Angela Gutzeit |
    Das undatierte Handout zeigt Schriftsteller Stefan Zweig (l) und seine zweite Frau Lotte auf einem Bild von etwa 1940.
    Stefan Zweig und seine Frau Lotte um 1940 (picture alliance / dpa / Casa Zweig)
    Stefan Zweig war wohlhabend und, wie es heißt, der wohl meistübersetzte deutschsprachige Autor des 20. Jahrhunderts. Und dennoch führte er von 1933 an, als er Österreich Richtung England verließ, stärker noch, als er ab 1940 auf dem amerikanischen Kontinent versuchte Fuß zu fassen, ein Leben auf Abruf. Der weltberühmte und auch in seinen Exilländern gefeierte Schriftsteller verbrauchte und verzehrte sich zwischen rastlosen Vortragsreisen und Phasen des zunehmend resignativen Stillstands.
    Nach George Prochniks Buch über Zweigs Exiljahre, in dem der Amerikaner auch die Fluchtgeschichte seiner eigenen österreichischen Großeltern verarbeitete, vertieft jetzt insbesondere der Band "Stefan und Lotte Zweigs südamerikanische Briefe" die Sicht auf die letzte Lebensphase dieses großen Novellisten und Biografen. Wobei nun zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum die Stimme Lotte Zweigs hinzutritt. Die beiden amerikanisch-britischen Herausgeber Darién J. Davis und Oliver Marshall richten den Fokus auf die umfangreiche Korrespondenz, die das Ehepaar insbesondere mit Manfred und Hannah Altmann, dem Bruder und der Schwägerin Lotte Zweigs führte, die ebenso wie ihre Mutter im immer stärker kriegsbedrohten London ausharrten.
    Lotte war auf Gedeih und Verderb von ihrem Mann abhängig
    Was ist nun diesen Briefen zu entnehmen? Sie zeigen die 27 Jahre jüngere Lotte Zweig als eine tatkräftige und intelligente Frau, auch sie übrigens jüdischer Herkunft, die selbstbewusst und mehrsprachig, die unzähligen Reisen ihres Mannes organisierte und die wohl bis zuletzt versuchte, selbst schwer asthmakrank, so etwas wie Alltag im Exilleben zu gewährleisten. Aber dennoch war sie auf Gedeih und Verderb von ihrem berühmten, aber zunehmend depressiven Mann abhängig. Sie tippte seine Manuskripte ab, sie kümmerte sich um das Hauspersonal, sie sorgte für österreichisches Essen zwischen all den Empfängen und Hotelaufenthalten in New York, in Buenos Aires, in Uruguay. Dass sich beide gemeinsam, Lotte aber erst einige Stunden später als Stefan Zweig, das Leben nahmen, ist deshalb durchaus nachvollziehbar. Ihre Abschiedsbriefe an die Familie sind im Band nachlesbar.
    "Liebe Hanna, wenn ich auf diese Weise von Dir Abschied nehme, wünsche ich nichts sehnlicher, als dass du verstehst, dass dies das Beste für Stefan ist, der ja schon seit so vielen Jahren mit all jenen leidet, die der Qual der Nazi-Herrschaft ausgeliefert sind. Mit meinem ständigen Asthma ist dieser Schritt auch für mich das Beste."
    In der brasilianischen Oberschicht pflegte man einen ausgeprägten Antisemitismus
    Der vielleicht interessanteste Aspekt in diesem Band ist das Verhältnis des Ehepaares zum Gastland Brasilien. Stefan Zweig unterhielt beste Kontakte zu Regierungsmitgliedern des Diktators Getúlio Vargas, der in den 30er-Jahren damit begann, die jüdische Einwanderung drastisch zu reduzieren. In der brasilianischen Oberschicht pflegte man einen ausgeprägten Antisemitismus. Die ausführlichen und gut recherchierten Zwischenkommentare von Davis und Marshall beleuchten diesen Hintergrund, vor dem sich ein eher unpolitischer oder besser gesagt dem Politischen abgeneigter Autor abhebt. Denn in den Briefen erwähnt Zweig diese Judenfeindlichkeit mit keinem Wort. Ja, er und auch seine Frau schwärmen sogar von Brasilien als einem "mythischen Ort", von der herrlichen Landschaft, vom angeblich zufriedenen Leben der Schwarzen als Feldarbeiter und Dienstboten:
    "Die Umgebung ist noch sehr urwüchsig und deshalb wie im Bilderbuch. Die Menschen sind arm aber so nett, wie man es sich nur vorstellen kann. Unser schwarzes Dienstmädchen ist ein stilles Wesen (…), fleißig, sauber und uns dankbar, dass sie Dinge kennenlernt, die sie noch niemals zuvor in ihrem Leben gesehen hat."
    Rücksichtnahme auf die bedrängte Familie im fernen England
    Zweig preist Brasilien als friedfertiges, multikulturelles Vorbild für Europa und die Welt. Aber aus den Briefen wie aus den Kommentaren lassen sich nicht nur politische Ignoranz oder Naivität ableiten, sondern vielleicht auch folgende Einsichten: Zweig hatte durch seine Kontakte zu den Mächtigen unglaublich vielen Flüchtlingen ins sichere Exil verholfen und sie finanziell unterstützt. Ohne diese Verbindungen wäre das nicht möglich gewesen. Zudem hasste er abgrundtief die US-amerikanische Lebensart und wollte daher weder in Kalifornien bei den anderen Exilgrößen wie Thomas Mann weilen noch im turbulenten und von Flüchtlingen überfüllten New York. Das stille brasilianische Petrópolis ermöglichte ihm die Arbeit an seinen letzten Büchern und die dringend erwünschte Erholung.
    Überhaupt – das Wort "Erholung" beziehungsweise "erholen" kommt in seinen wie Lotte Zweigs Briefen dutzendfach vor. Die Verwandtschaft wird ermahnt, sich zu erholen, und sie selbst schreiben immer wieder über ihre eigene Sehnsucht danach. Stefan und Lotte Zweig wollten in ihren Briefen spürbar Rücksicht nehmen auf die bedrängte Familie im fernen England. Und doch äußerte sich der Schriftsteller immer skeptischer: "Ich frage mich nun, ob ich nach dem Krieg noch die Kraft und den Mut haben werde, mich des Lebens zu erfreuen", schreibt er Ende des Jahres 1941. Mit seinen 60 Jahren hatte Zweig in Wahrheit diesen Mut längst verloren. Wahrscheinlich war er ihm bereits zu Beginn seines südamerikanischen Exils abhandengekommen. Die gleichzeitig erschienene sehr aufschlussreiche Publikation "Stefan Zweig und sein Freundeskreis. Sein letztes Adressbuch 1940-1942" zeigt, dass viele Namen, die ihn mit Europa verbunden hatten, in diesem Büchlein nicht mehr auftauchten. Zweig hatte wohl früh den Gedanken aufgegeben, die Heimat wiederzusehen – und wenn, dann wäre es nicht mehr die seine gewesen.
    Darién J. Davis und Oliver Marshall (Hg.): "Stefan und Lotte Zweigs südamerikanische Briefe. New York, Argentinien und Brasilien 1940 – 1942"
    Verlag Hentrich & Hentrich 2017. In der Übersetzung aus dem Englischen von Karin Hanta. 335 Seiten. 27,90 Euro.

    Albertino Dines, Israel Beloch und Kristina Michahelles (Hg.): "Stefan Zweig und sein Freundeskreis. Sein letztes Adressbuch 1940-1942"
    Verlag Hentrich und Hentrich 2017. 270 Seiten, 108 Abb., 27,90 Euro