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Sterbehilfe-Gesetz
Zum Drama der Selbsttötung

Der Bundestag will per Gesetz einen sehr intimen Lebensbereich regeln, das Recht am eigenen Leben - eine Gewissensfrage für jeden Abgeordneten. Zur Abstimmung stehen vier Gesetzentwürfe. Sie reichen vom Verbot der Suizid-Beihilfe bis zur ausdrücklichen Erlaubnis. Kommt das Gesetz, wartet wohl schon die nächste Hürde.

    Ein grauer Novembertag im Berliner Reichstagsgebäude: "Wir wollen, dass am Sterbebett nicht Staatsanwälte stehen, sondern Angehörige und Ärzte", sagt Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU). "Zum Grundrecht gehört nicht nur Leben, sondern auch Sterben", sagt Petra Sitte (Linke). "Wir halten das Geschäft mit dem Tod von Menschen für nicht tragbar", sagt Kerstin Griese (SPD). "Wir brauchen Assistenz im Leben und keine Assistenz im Suizid", sagt Patrick Sensburg (CDU).
    Beim ersten Hinhören klingt es nicht nach einem großen Widerspruch. Doch im Parlament liegen vier sehr unterschiedliche Entwürfe - in einer sehr ungewöhnlichen Abstimmung. In drei Runden wird nach der Regel gesucht, hinter der die meisten Abgeordneten stehen. Der "Bestplatzierte" ist angenommen, wenn er mehr Ja- als Nein-Stimmen auf sich vereint. Ist das nicht der Fall, bleibt es bei der bisherigen Rechtslage: Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland nicht strafbar.
    Der Favorit
    Der aussichtsreichste Entwurf wird von Volksvertretern aller Parteien unterstützt. Er sieht ein Verbot der "geschäftsmäßigen" Sterbehilfe vor und meint damit wiederholtes, organisiertes Handeln. Verstöße sollen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Das Angebot schaffe eine Nachfrage, sagte Mitinitiator Michael Brand (CDU). Es gehe auch um den Schutz von Patienten vor einem gefährlichem Druck, diese geschäftsmäßigen Angebote anzunehmen. Kerstin Griese von der SPD widerspricht den Kritikern, dass mit dem Entwurf eine Kriminalisierung von Ärzten stattfinde.
    Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte, er unterstütze diese "Regelung mit Maß und Mitte". Die Straffreiheit für individuelle Beihilfe müsse erhalten bleiben. Es sei ein Unterschied, ob ein zur Selbsttötung entschlossener Menschen mit jemandem über seinen Wunsch spricht oder mit Organisationen, die das als Dienstleistung anbieten. "Es ist richtig, dass unsere Rechtsordnung zum Drama der Selbsttötung schweigt."
    Die Alternativen
    Daneben gibt es drei weitere Vorschläge, die jedoch nicht von Abgeordneten aller Parteien getragen wird. Der Entwurf der Gruppe um Patrick Sensburg (CDU) ist schärfer gestaltet und strebt ein weitgehendes Verbot der Hilfe bei der Selbsttötung an - mit bis zu fünf Jahren Haft bei Anstiftung oder Hilfe bei der Selbsttötung. "Sterbehilfe darf keine Alternative zur Pflege und Sterbebegleitung sein." Aufgabe von Ärzten sei es, Leben zu erhalten und nicht zu beenden.
    Die Gruppe um Bundestagsvizepräsident Hintze, Karl Lauterbach und Carola Reimann (beide SPD) will für sterbenskranke, schwerst leidende Menschen die Möglichkeit des ärztlich begleiteten Suizids legalisieren. "Niemand muss ins Ausland fahren oder sich an medizinische Laien wenden", sagte Reimann. "Der Gesetzgeber sollte sich gut überlegen, welche staatlichen Eingriffe er verantworten kann." Die fraktionsübergreifende Regelung sei kein Weg der Mitte, weil sie auf das Strafrecht zurückgreife und Ärzte einer ernsthaften Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aussetze.
    Die Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) hat den liberalsten Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem nur eine ausdrücklich kommerzielle Suizidbeihilfe geahndet werden soll. Künast verwies darauf, dass viele Menschen sagten: "Der Staat soll sich da 'raushalten, wie ich gehe". Wenn Ärzte Strafe für eine auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe fürchten müssten, sei ein offenes und ehrliches Gespräch für den Patienten nicht mehr möglich. Die Abgeordnete Sitte sagte, es bedürfe keines Verbots- oder Verschärfungsgesetzes. "Menschen wollen ihre Selbstbestimmung leben."
    Gegen eine Neuregelung
    Am Ende der Abstimmung ist auch möglich, dass gar kein Entwurf im Parlament gebilligt wird. So sieht es ein Antrag der Abgeordneten Katja Keul (Grüne) vor. Es gebe keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, sagte sie - und vertritt damit die Position der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Wir haben seit 1871 Straffreiheit für Beihilfe zur Selbsttötung und ich sehe keinen Grund, warum man das ändern sollte", sagte die SPD-Politikerin im Deutschlandfunk. Sie fordert Angebote für Menschen in Notlagen statt Verbote.
    Die Neuregelung scheitert aber auch, wenn die Novelle, die es in den dritten Wahlgang schafft, gar keine Mehrheit erreicht. Und wird doch ein Gesetzentwurf verabschiedet, ist nach Zypries' Ansicht immer noch fraglich, ob dieser eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalte. Zu ungenau seien Formulierungen wie die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe oder was ein dokumentiertes Beratungsgespräch sei.
    (sdö/tzi)