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Sterbehilfe-Gesetz
Zypries fordert Angebote, keine Verbote

Die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will heute im Bundestag gegen eine Neuregelung der Sterbehilfe stimmen. "Wir haben seit 1871 Straffreiheit für Beihilfe zur Selbsttötung und ich sehe keinen Grund, warum man das ändern sollte", sagte die SPD-Politikerin im Deutschlandfunk. Nötig seien aber Angebote für Menschen in Notlagen.

Brigitte Zypries im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Brigitte Zypries (SPD), ehemalige Justizministerin und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie
    Brigitte Zypries (SPD), ehemalige Justizministerin und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie (imago/stock&people)
    Die ehemalige Ministerin sagte im DLF, es werde "zu einer Vielzahl von Prozessen kommen". Zu ungenau seien Formulierungen wie die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe oder was ein dokumentiertes Beratungsgespräch sei.
    Zypries sagte, in den vier im Parlament eingebrachten Gesetzentwürfen sei das Wesentliche aus dem Blick geraten. "Ich habe eine Sorge, dass dieser ganze Bereich in eine juristische Diskussion kommt, die Menschen verunsichert werden." In keinem der Entwürfe sei eine verlässliche Möglichkeit für Sterbende vorgesehen, sich Hilfe zu organisieren. "Es bleibt dabei, dass es eine Entscheidung des Arztes ist, ob er etwas tut. Es gibt keinen Anspruch der Menschen auf Medikamente."
    Die SPD-Politikerin sagte, notwendig seien eine bessere Palliativmedizin und bessere Aufklärungsgespräche. Mit Blick auf jährlich rund 10.000 Selbstmorde in Deutschland sagte Zypries: "Es gibt da eine Gruppe von Menschen, die sich da in der Not sieht. Und für die müssen wir Angebote schaffen, die jenseits der Möglichkeit liegen, dass man sich vor den Zug werfen muss."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Norbert Lammert dürfte recht behalten. Von einer der schwierigsten Entscheidungen in dieser Legislaturperiode hat der Bundestagspräsident gesprochen und von einer der wichtigsten. Es geht im buchstäblichen Sinne um Leben und Tot beziehungsweise um das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens und um die Rolle von Ärzten und anderen Helfern, wenn sich Betroffene mit diesem Lebensende quälen. Die Vorschläge im Bundestag reichen von einem völligen Verbot jeder organisierten Beihilfe zum Suizid bis zu einer ausdrücklichen Erlaubnis für Ärzte.
    Am Telefon ist die SPD-Politikerin Brigitte Zypries. Schönen guten Morgen.
    Brigitte Zypries: Ich grüße Sie. Guten Morgen.
    Barenberg: Sie gehören ja auch zu der Gruppe derjenigen, die, alle vier Vorschläge vor Augen, sagen würde, die müssen wir alle ablehnen, und wir sagen, besser kein Gesetz als ein schlechtes. Erklären Sie uns, wie Sie dazu kommen.
    Zypries: Man muss dazu sagen: Der eine Gesetzentwurf, nämlich der von Sensburg und anderen, der ist ja klar formuliert, aber den würde ich ablehnen, weil ich ihn nicht will.
    Barenberg: Die Suizidbeihilfe generell zu verbieten und unter fünf Jahre Strafe zu stellen?
    Zypries: Genau. Wir haben seit 1871 Straffreiheit für Beihilfe zur Selbsttötung und ich sehe keinen Grund, warum man das ändern sollte. Dieser Entwurf hat einen anderen Grund und bei den anderen Entwürfen ist es eigentlich überall so, dass sie in ihrer Formulierung so ungenau sind, dass ich befürchte, oder ich glaube, das ist eine sehr realistische Annahme, dass es zu einer Vielzahl von Prozessen kommen wird. Die Frage, was geschäftsmäßig beispielsweise ist, ist ja doch sehr auslegungsbedürftig. Oder bei Frau Künast in dem Antrag, dass man ein dokumentiertes Beratungsgespräch machen muss, das ist ja dann wiederum ein eigenständiger Akt, der eigenständig beklagbar ist. Das wird alles komplex.
    Barenberg: Nun sagen ja die, die diesen im Moment mehrheitsfähigen Beschluss oder den, dem die größten Chancen eingeräumt werden, vertreten, dass sie sehr genau darauf geachtet haben, chirurgisch genau, so hat es der Abgeordnete Brand gesagt, dass tatsächlich nur unter Strafandrohung gestellt wird, wenn es sich um eine geschäftsmäßige Sterbehilfe handelt. Warum haben Sie Zweifel, dass das gelingen kann?
    Zypries: Ich habe ja nun viele lange Jahre Erfahrung in der Politik und war sieben Jahre Justizministerin, und da ist es mir leider ja auch nicht immer geglückt, ein Gesetz zu machen, wo dann die Gerichte doch was ganz anderes draus gemacht hatten als das, was wir uns als Gesetzgeber vorgestellt hatten und was auch in der Begründung stand. Ich meine, das ist ja hier auch so. Wir haben eine Menge in die Begründung reingeschrieben, um klar zu machen, dass es eben so nicht sein soll. Aber ob es dann tatsächlich im Ergebnis so wird, das weiß ja keiner.
    "Es bleibt dabei, dass es eine Entscheidung des Arztes ist, ob er etwas tut"
    Barenberg: Wollen Sie mit Ihrer Position auch das Land davor bewahren, dass Ärzte in diesen Graubereich reinkommen, wo ihnen mögliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen dann drohen? Ist das Ihnen ein inhaltliches Anliegen?
    Zypries: Genau. Mir ist es ein inhaltliches Anliegen, dass wir nicht in den nächsten bis zu sechs Jahren, würde ich mal schätzen, eine Debatte in Deutschland haben, was ist jetzt eigentlich erlaubt und was ist nicht erlaubt. Denn so lange wird es ja im Zweifel dauern, bis das Bundesverfassungsgericht dann mal was entschieden hat und ob das dann auch so eindeutig sein kann. Die Frage, was geschäftsmäßig ist, ist ja immer auslegungsbedürftig. Da wird der eine sagen, das ist ab zweimal, und der andere wird sagen, das ist erst, wenn man mehr als 50 Prozent seines Umsatzes damit macht oder irgend so was. Da kann man sich ja die unterschiedlichsten Bereiche vorstellen oder Interpretationen vorstellen, und die Sorge treibt mich eben um, dass wir zu einer Vielzahl von Verfahren kommen, weil es natürlich immer wieder geneigte Personen gibt, die das Ganze beklagen werden. Das ist ja eine leidvolle Erfahrung, die wir haben. Man staunt ja da immer wieder.
    Barenberg: Wie wichtig ist Ihnen denn das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen selber? Oder anders gefragt: Warum befürworten Sie denn nicht einen der Anträge, die noch liberaler sind und es generell oder dezidiert Ärzten erlauben wollen, Beihilfe beim Suizid zu leisten?
    Zypries: Mir geht es jetzt weniger um die Frage, was ändere ich dadurch. Ich meine, man muss mal ganz klar sagen: Die gewerbsmäßige Suizidbeihilfe ist in Deutschland im Moment auch nicht erlaubt. Da ändern wir jetzt nichts Entscheidendes. Es gibt keinen gewerbsmäßigen Suizidbeihelfer in dem Sinne. Das heißt, hier gibt es andere Mechanismen, und es gibt keinen der anderen drei Gesetzentwürfe, die nicht in anderer Form eine Verrechtlichung dieses ganzen Prozesses machen. Ich sagte ja schon, auch der Antrag Künast, Sitte und andere sieht auch in bestimmten Bereichen ganz andere Dokumentationspflichten vor, und wenn ich was dokumentieren muss, dann kann ich das auch wieder gerichtlich anfechten und sagen, das ist nicht richtig dokumentiert gewesen. Das kennen wir ja aus den Pflegeheimen, wie viel Prozesse da laufen, dass Dokumentationen nicht ordentlich laufen. Da gibt es wie gesagt eine große Vielzahl und ich habe eine Sorge, dass dieser ganze Bereich in eine juristische Diskussion kommt, die Menschen verunsichert werden, und das, was wir eigentlich doch im Moment ganz gut haben, nämlich eine relativ gute Palliativ-Medizin, die wir gestern mit unseren Gesetzentwürfen ja noch mal deutlich gestärkt haben, mit einem ergebnisoffenen Beratungsgespräch, was dann, wenn es den Menschen die Sorgen nimmt, ihnen auch die Chance gibt zu sagen, na ja, vielleicht habe ich das doch nicht so ernst gemeint mit der Selbsttötung, wenn der Arzt mir das so und so erklärt, dann will ich doch gerne noch leben. Das ist ja doch das, was wir inzwischen in Deutschland ganz gut erreicht haben. Ich habe in meinem Wahlkreis mehrere Veranstaltungen mit Palliativ-Medizinern zu dem Thema gemacht und da war das immer das Thema, und auch die haben gesagt, man kann da eine Menge bewirken und das tun wir auch. Ich glaube, dieses Arzt-Patienten-Verhältnis möchte ich nicht gestört sehen durch diese Art von Gesetzgebung.
    Zypries: Müssen bessere Palliativ-Medizin und bessere Aufklärungsgespräche anbieten
    Barenberg: Wenn aber alles bleibt wie es ist, Frau Zypries, bleibt es dann nicht auch dabei, dass indirekt heute die Regelung so ist, dass es keine verlässliche Möglichkeit für Betroffene, für Sterbende gibt, sich Hilfe zu organisieren, Hilfe zu finden?
    Zypries: Ja die würde es aber hierdurch auch nicht geben, durch diese Gesetzentwürfe.
    Barenberg: Durch keinen der vier Gesetzentwürfe? Auch nicht durch den liberalsten?
    Zypries: Das kann ich wenigstens nicht erkennen, weil das würde ja bedeuten, dass man das Betäubungsmittelgesetz ändern muss und dass man den Menschen Zugang zu den Medikamenten verschaffen muss. Also es bleibt dabei, dass es eine Entscheidung des Arztes ist, ob er etwas tut. Es gibt keinen Anspruch der Menschen auf Medikamente.
    Barenberg: Bleibt die Sorge derjenigen, die sich für ein Verbot aussprechen, dass andernfalls dies sozusagen der Startschuss sein könnte - so hat es im Beitrag ja der Parlamentarier gesagt -, ein Startschuss für Vereine wie die des früheren Justizsenators Kusch in Hamburg, die jedenfalls in der Diskussion sind. Haben Sie die Sorge nicht?
    Zypries: Ich meine, diese Diskussion um Herrn Kusch, die haben wir ja nun schon seit vielen Jahren. Das ist ja nichts Neues und das hat sich ja auch so entwickelt, dass Herr Kusch da relativ isoliert ist. Natürlich gibt es immer wieder Menschen, die in ihrer Not dort hingehen. Das können wir nur verhindern, indem wir bessere Palliativ-Medizin und bessere Aufklärungsgespräche vonseiten der Ärzteschaft anbieten. So sehe ich das wenigstens, denn es gibt ja auch immer wieder Menschen, die in die Schweiz fahren, und wir haben jedes Jahr zehntausend Selbstmorde in Deutschland. Das soll man nun mal auch nicht verkennen. Es gibt da eine Gruppe von Menschen, die sich da so in der Not sieht, und für die, finde ich, müssen wir Angebote schaffen, die jenseits der Möglichkeit liegen, dass man sich vor den Zug werfen muss.
    Barenberg: Die SPD-Politikerin und frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries heute Morgen live hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Frau Zypries.
    Zypries: Ja gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.