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Sterbende Dörfer
Fest in rechter Hand

Der Ort Tröglitz hatte kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, weil der Bürgermeister vor den Drohungen rechtsextremer Demonstranten kapitulierte. Im Osten wie im Westen Deutschlands sind viele sogenannte sterbende Dörfer fest in rechter Hand, dort bilden sich für Rechtsextreme ideale Rückzugsorte. Sie gestalten den Alltag - bieten Fahrdienste an, organisieren Kinderfeste.

Von Almuth Knigge |
    Eine Reichsflagge hängt im Hof des "Braunen Haus" in Jena, aufgenommen am Mittwoch (16.11.2011).
    Eine Reichsflagge hängt im Hof des "Braunen Haus" in Jena, aufgenommen am 16.11.2011. Das Haus gilt als Treffpunkt der rechten Szene. (Jan Woitas, dpa picture-alliance)
    Es könnte so schön sein in Borken, einem idyllischen Dorf mit 250 Einwohnern, inmitten der riesigen vorpommerschen Weiden unweit der polnischen Grenze. Hier laicht der seltene Moorfrosch im geschützten Randowbruch. Ursprüngliche Landschaften, unberührte Natur. Doch die Ruhe ist trügerisch.
    "Es ist idyllisch, wenn man sich wirklich nur die Rehe vor der Tür anguckt. Aber wenn man hier lebt, dann kann man nicht umhin zu bemerken, was für Autos hier lang fahren, was für Nummer die haben, und wenn man dann nach und nach begreift, was eine Kameradschaft ist, dann entsteht fast so eine innere Spaltung."
    Die Autos, die waren Claudia Feldmann und ihrem Mann Thomas ziemlich bald aufgefallen, als sie vor einigen Jahren aus Berlin in die vorpommersche Provinz zogen. Auf den Nummernschildern sehen sie seitdem merkwürdig oft die 88. Ein Code aus der rechten Szene: Der achte Buchstabe im Alphabet ist das H, 88 steht also für HH, Heil Hitler. Auch die 18 gibt es auffällig häufig, für AH, Adolf Hitler oder das Buchstabenkürzel WP, White Power. Auf vielen Autos klebt obendrein die schwarz-weiß-rote Reichsflagge – die Fahrer zeigen damit, dass sie die Oder-Neiße-Grenze als Ostgrenze Deutschlands nicht anerkennen und noch immer von einem Großdeutschland träumen. Claudia und Thomas Feldmann, die Zugezogenen aus Berlin, sie Tänzerin, er Programmierer, heißen eigentlich anders, doch ihren richtigen Namen wollen sie ungern preisgeben, um sich wenigstens ein bisschen vor den Schikanen aus der rechten Szene zu schützen. Schikanen wie Mobbing auf Facebook, rechtsextremer Post im Briefkasten – oder auch – wie in anderen Dörfern, tote Ratten über dem Gartenzaun, Provokationen auf der Straße.
    "Wir leben hier in der Region und unser Anliegen war und ist immer noch, wir möchten mit den Leuten ins Gespräch kommen über unser Umfeld. Und dieses Umfeld birgt sehr viel rechtes Gedankengut in sich."
    Völkische Feste und Wehrsportübungen im Wald
    Ein Bauwagen am anderen Ende des Dorfes ist Hauptquartier der Kameradschaft Borken. Es sind nicht mehr als zehn, vielleicht 15 junge Männer. Früher hat man sie noch an ihren Springerstiefeln und Bomberjacken erkannt. Heute fallen sie rein äußerlich nicht mehr auf. Sie treffen sich meist ungestört mit national gesinnten Freunden aus der Region, etwa mit der national-germanischen Bruderschaft Ueckermünde oder der völkischen Kampfgemeinschaft Eggesin. Sie machen Wehrsportübungen im Wald, feiern völkische Feste wie die Sonnenwendfeier oder veranstalten Konzerte mit rechtsextremen Bands.
    "Und da kam dann die Idee, ein Sommerfest zu machen, ausgerechnet in der Hochburg. Es ist eine Hochburg, das haben wir dann begriffen, wie besetzt dieser Ort ist, das wussten wir vorher nicht und wollten dieses Willkommensfest organisieren."
    Das Sommerfest im vergangenen Jahr sollte ein Fest der Begegnung werden, Flüchtlinge aus dem Landkreis wurden eingeladen und Gäste aus Polen: Die Grenze liegt ja nur gut 20 Kilometer entfernt. Ein großes Konzert sollte es geben, Ponyreiten, Spiele für Kleine, Unterhaltung für Große, ein leckeres Buffet – nur Grillen mit der Feuerwehr, das wollten die Initiatoren nicht:
    "Da ging dann der Ärger eigentlich los."
    Die Borkener Feuerwehr, das wussten die Feldmanns und ihre Mitstreiter, ist unterwandert von rechtsextremen "Kameraden". Und auf einmal zogen immer mehr Leute ihr Angebot zurück, das Fest zu unterstützen – aus Angst vor der Kameradschaft. Frauen aus der Gemeinde wollten zwar Kuchen backen, ihn aber nicht mehr selber verteilen. Im Internet gab es mehr oder weniger offene Ankündigungen der rechtsextremen Kameradschaft, das Fest besuchen zu wollen. Eines Morgens hatten alle Dorfbewohner einen Zettel im Briefkasten, auf dem vor linksextremen Übergriffen auf die Gemeinde gewarnt wurde, namentlich vor den Feldmanns.
    "Da haben wir begriffen, jetzt haben wir ihr Territorium betreten. Weil es gab auch Sprühungen auf der Straße 'Borken bleibt braun'. Also, das war dann Drohung perfekt und die ging uns auch in die Knie, also muss ich gestehen."
    Das Fest hat zwar stattgefunden, jedoch ohne Ponyreiten, ohne Treckerfahren und fast ohne Dorfbevölkerung. Die Feldmanns haben daraus gelernt.
    "Es ist so was wie eine aufgegebene Region hier, aber von allen Seiten."
    "Das ist das Problem, die Deutungshoheit haben die demokratischen Parteien verloren."
    Ideale Rückzugsorte für Rechte
    Blick auf den ausgebrannten Dachstuhl der zukünftigen Unterkunft für Asylbewerber in Tröglitz
    Blick auf den ausgebrannten Dachstuhl der zukünftigen Unterkunft für Asylbewerber in Tröglitz (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    Borken in Vorpommern ist ein typisches Beispiel. Es gibt viele solcher Dörfer, im Osten wie im Westen Deutschlands, die fest in rechter Hand sind. Der Ort Tröglitz in Sachsen-Anhalt hatte kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, weil ein Flüchtlingsheim brannte und der Bürgermeister vor den Drohungen rechtsextremer Demonstranten kapitulierte. Klar ist: Wo viel Platz ist für immer weniger Menschen, wo Dörfer fast sterben, weil immer mehr Leute wegziehen, da entstehen ideale Rückzugsorte für die Rechten. Mehrere Studien der vergangenen Jahre belegen das, der Politologe Dierk Borstel war einer der ersten, der zu diesem Ergebnis gekommen ist:
    "Das heißt, das ganze Problem der sterbenden Dörfer, des demografischen Wandels, der fehlenden Perspektive für den peripher ländlichen Raum, dieses peu à peu strukturellen Abbaus von demokratischer Struktur, das kriegen sie mit ein bisschen Engagement und mit ein bisschen guten Willen und mit ein bisschen Solidarität alleine eben doch nicht bekämpft, das ist Aufgabe von Politik. Und die Frage, die wir uns stellen müssen, was sind die Mindestbedingungen für diese abgelegenen Räume, die wir als demokratischer Staat zur Verfügung stellen. Das heißt, also, wie weit wollen wir unsere Kinder zur nächsten Schule fahren, wie viel Krankenbetten wird es geben, wie viel Krankenbetten, wie viel Geldautomaten und so weiter und so fort - und darüber müssen wir debattieren, wo ist die Grenze nach unten – dass die Menschen sich dort auch entscheiden können und sagen 'ja, wir gehen das ein, das ist es uns wert' oder auch 'wir machen es nicht' – und da brauchen wir ein Riesenmaß an Ehrlichkeit – und da wird es Löcher geben und in diese Löcher gehen die Nazis."
    Geduldeter Teil der Dorfgemeinschaft
    Borstel ist Professor für praxisorientierte Politikwissenschaft an der Fachhochschule Dortmund. Zuvor hat er lange in der ostdeutschen Provinz gewohnt – auch um herauszufinden, warum es in dieser Region offenbar besonders leicht ist, die Menschen für rechtsextreme Propaganda zu gewinnen. Sein Eindruck: In den Dörfern leben die Menschen eng zusammen, es gibt viele Abhängigkeiten, die es Rechtsextremen leichter machen, sich ins Dorfleben einzubringen. Sie helfen gerne, gestalten den Alltag – werden schnell als gute Nachbarn angesehen. Erst nach und nach offenbaren sie ihre Gesinnung. Das macht Gegenwehr schwierig, denn eines gibt es auf den Dörfern nicht - anonymen Widerstand. Jeder kennt jeden. Auch die neuen Rechten sind meist akzeptierter oder zumindest geduldeter Teil der Dorfgemeinschaft. Sie sind gute Nachbarn, organisieren Fahrgemeinschaften, engagieren sich im Kindergarten – und drücken auch so dem Dorfleben ihren Stempel auf. Und doch gibt es Ausnahmen, Leute also, die den Mund aufmachen.
    "Nehmen wir mal das Beispiel Torgelow – da ist dieser junge Abgeordnete, der total engagiert ist."
    Dieser junge Abgeordnete ist Patrick Dahlemann, 26 Jahre alt, Landtagsabgeordneter der SPD. Er hat genaue Vorstellungen davon, wie er die demokratische Zukunft seiner Heimat und seines Wahlkreises in Mecklenburg-Vorpommern gestalten will. Den Rechtsruck stillschweigen, ignorieren, wie es die Verantwortlichen in vielen Regionen lange Zeit praktiziert haben, aus Angst, Touristen oder Investoren könnten wegbleiben, das sei ein großer Fehler, ist Dahlemann überzeugt.
    "Bitte fallen sie nicht rein auf diese platten Plattitüden, die die NPD hier vor uns drischt, bitte fallen Sie nicht darauf rein, dass menschenverachtende Parolen bei uns in Torgelow verbreitet werden."
    Mit diesem Auftritt bei einer NPD-Veranstaltung hatte Dahlemann bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Er hatte mutig zum Mikrofon gegriffen und gegen die rechten Parolen argumentiert.
    "Wir haben es nicht unkommentiert stehengelassen, was die Braunen versuchen zu verbreiten."
    Seine Heimat ist Torgelow im Landkreis Vorpommern-Greifswald, ganz am Ende der Republik, ein paar Kilometer weiter ist schon Polen. Knapp 9.000 Menschen leben hier. Die NPD und rechtsextreme Bürgerinitiativen feiern seit den 90er-Jahren regelmäßig Wahlerfolge – dem will Dahlemann etwas entgegensetzen.
    "Ich glaube, wir sind überall da erfolgreich, wo wir kontinuierlich dem etwas entgegensetzen, wo wir jedes Jahr ein Maifest feiern, wie in Torgelow. Da werden die Braunen niemals auf die Idee kommen, am ersten Mai zu marschieren, weil das würde ein Riesen-Flop werden. Überall da, wo wir Kinderfeste organisieren, wo wir Bürgersprechstunden stattfinden, wo das tatsächliche Kümmern auf der Tagesordnung steht, da werden die Nazis niemals reingrätschen, weil sie da schwach sind, weil Politik sich kümmert. Ich hab zu meiner Büroeröffnung gesagt, wenn kümmern zur politischen Floskel verkommt, dann haben wir in diesem Land was falsch gemacht."
    Seine Partei, die SPD, hat im ganzen Nordosten nicht einmal 3.000 Mitglieder. Sehr viel besser geht es den anderen demokratischen Parteien allerdings auch nicht.
    "Die Parteien haben es sich lange leicht gemacht. Wir werden keine Zeiten haben, wo die Leute uns die Bude einrennen, und alle sagen, wir wollen mit Masse ein Parteibuch der SPD in der Hand halten, sondern die SPD muss wieder auf die Menschen zugehen, die SPD muss auf die Menschen zugehen, die bei uns Gesellschaft gestalten. Schulleiter, Unternehmer, Vereinsvorsitzenden, all die, die in unserem gesellschaftlichen Leben sich jeden Tag einbringen."
    Bündnis gegen Rechts
    Doch 2011 hat sich etwas verändert in der demokratischen Kultur, ganz am Rande der Republik. Die NDP wollte ihr jährliches Pressefest in der kleinen Gemeinde Viereck bei Pasewalk abhalten. Auch das Dörfchen Borken, in das die Feldmanns gerade gezogen waren, gehört dazu. Normalerweise, so die Erfahrung der Rechtsextremen, die selber sagen, Vorpommern sei ihr Aufmarschgebiet, können die Neonazis dort ungestört feiern. Doch dieses Mal war etwas anders, wie der Bericht im ARD-Morgenmagazin erzählt:
    "Ein paar Kilometer entfernt vom NPD-Fest in der Nähe von Viereck beginnt die Gegendemo. Sie kommen aus der ganzen Gegend, für viele ist es die erste Demonstration Omas mit Kindern, Schüler und Studenten, 2000 Leute sind dabei, wir spüren ihren stolz, das erstmals alle Orte der Umgebung sich gemeinsam gegen die Rechtsextremen stellen. Dass die Leute jetzt wirklich auf die Straße gehen, dass sie ihre Angst überwunden haben, das ist glaube ich ein Zeichen, das ganze lange nachhält und jetzt können wir anfangen, die Problematik richtig ernsthaft anzugehen."
    Dahlmann: "Alle hatten ein großes Ziel – wir wollten nicht weiterhin der rechte Osten sein, der sich nicht mehr wehrt, wenn aus der ganzen Bundesrepublik Rechtsextreme hier einfliegen. Und deswegen waren wir uns einig, dagegen gemeinsam etwas zu tun, und ich glaube, das war auch gut, dass von vorneherein alle mit dabei waren. Anmelder waren die demokratischen Parteien und das schönste, das muss man einfach sagen, an diesem Pressefest und an dieser Menschenkette war, dass etwas so Nachhaltiges draus gewachsen ist. Aber man darf auch nicht sich der Illusion ergeben, dass es nicht aufwendig ist, ein solches Bündnis zu halten."
    Der SPD-Politiker Patrick Dahlemann aus Torgelow kämpft gegen die Neonazi-Szene in Vorpommern. (aufgenommen 2014)
    Der SPD-Politiker Patrick Dahlemann aus Torgelow kämpft gegen die Neonazi-Szene in Vorpommern. (picture alliance / dpa / Daniel Naupold)
    Das Bündnis "Vorpommern, demokratisch, weltoffen, bunt". Ursula Heldt ist eine von denen, die damals in der Menschenkette standen - und die sich seitdem im Bündnis engagiert.
    "Also im Grunde ist es ein Platzkampf, es kommt mir immer vor wie so ein Schachspiel, welche Plätze haben wir uns erobert und welche Plätze sind noch Vakuum. Und in diese Vakuum-Plätze ziehen sich die Rechten zurück und versuchen da Fuß zu fassen. Natürlich sind sie in den Organisationen, sie sind in den Kitas aktiv, in den Elternsprechräten und so weiter in der Feuerwehr. Aber sie sehen, dass wir eine ganze Menge mobilisieren und sie trauen sich nicht. Wären wir jetzt hier nicht so aktiv, dann würden sie natürlich auch unsere Asylbewerber angreifen."
    Kürzlich im Bürgerbüro von Patrick Dahlemann – der SPD-Abgeordnete eröffnet eine Ausstellung von Pro Asyl.
    "Ich begrüße Sie ..."
    An diesem Abend bekochen Flüchtlinge aus Eritrea, der Ukraine und Afghanistan die Gäste mit landestypischen Gerichten – Lokalpolitiker sind da, Ehrenamtliche, Vertreter der Kirche. Auch Ralf Gottschalk, der parteilose Bürgermeister von Torgelow, ist gekommen. Einige Wochen nach dem Rücktritt seines Amtskollegen in Tröglitz ist dieser Fall immer noch Thema:
    "Ja, einerseits kann ich das menschlich ein Stückweit verstehen, andererseits, ich denke, man öffnet damit ja immer mehr irgendwelche Felder, wenn die, die ein Amt haben und möglicherweise gut machen, wenn die dann zurückweichen, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn sich das immer weiter verschiebt, ne."
    Immer mehr Menschen nähmen bloß die Publikumsrolle ein, wenn es um die Gestaltung der Gesellschaft geht, bemängelt Gottschalk. Zuständig seien andere, Staat und Polizei. So hört der Bürgermeister es oft, wenn er mit Bürgern seiner Stadt spricht.
    "Ich hab auch nicht die Lösung in der Tasche und schon gar nicht eine perfekte. Aber ich frag mal so provokant, welche Ziele propagiert unsere Bundesrepublik Deutschland in den letzten 10-20 Jahren. Außer Reformen, die immer finanziell begründet sind, also wo es um Reduzierung geht - welche Ziele propagieren wir. Ich kenn keine Staatsziele, es sei denn, es sind Ziele, die Notwendigkeiten erzwingen. Aber nicht eigenen Gestaltungsspielraum. Und dann kommt diese vollkommen ausbordende Bürokratie dazu, wo die Sonntagsrede das eine und die erlebte Wirklichkeit das andere ist, und das ergibt genau die Mischung, wo die Leute nach Opposition suchen."
    Eine Verwaltung vor dem Burn-out
    Welche Ideen gibt es für diese Regionen, die langsam entvölkern und deindustrialisieren. Wo man wunderschön Urlaub machen kann, aber der Bus nur einmal in der Woche fährt und der Arzt 50 km weit entfernt ist. Wo sich die Menschen abgehängt fühlen. Und wo sich Rechtsextreme angesiedelt haben und die Kümmerer-Rolle übernehmen, Fahrdienste und Hartz-IV-Sprechstunden anbieten, Kinderfeste organisieren. In der Region steckt Potenzial – davon sind viele überzeugt, die sich im Bündnis organisieren. Die Region sehen Wissenschaftler beispielsweise als Garten der Metropolen. Der Garten der Metropolen steht für die Region zwischen Hamburg, Berlin und Stettin – hier soll, so die Vorstellung, ausprobiert werden, wie abseits von Agrarindustrie und Windkraftfeldern ländliche Räume genutzt werden können. Die Politik tut sich allerdings noch schwer mit dieser Idee.
    "Das fängt bei uns an, Visionen fehlen, das fängt bei uns vor der Tür an, klar. Das ist nicht nur der Finger auf Schwerin oder Berlin, neenee, das ist überall. Das ist im Kreistag ... und irgendwo hat uns auch schon ein bisschen die Kraft verlassen, nicht nur die finanzielle. Immer nur sparen, immer noch weniger Personal, immer noch mehr Bürokratie, das Ergebnis ist, man hat gar nicht mehr die administrative Kraft, noch zu gestalten, das ist gar nicht die Frage, ob man will, man kann nicht mehr."
    Eine Verwaltung vor dem Burn-out – die immer mehr Aufgaben auf die Gesellschaft abschiebt. Weil sie sie nicht bezahlen kann oder darf. Weil die öffentlichen Haushalte unter Aufsicht stehen – weil die schwarze Null das Staatsziel ist – das ist, sagt der Politikwissenschaftler Dierk Borstel, demokratiegefährdend.
    "Ich werbe ja in meinen Politikseminaren für politisches Engagement. Aber stellen sie sich mal vor, sie werben in Vorpommern, 'werden sie Dorfbürgermeister' – der hat kaum noch finanzielle Mittel, schon gar nicht für freiwillige Ausgaben, also Gestaltungsmöglichkeiten, also dass, was man in der Politik eigentlich denkt ich tu was für meine Gemeinde, hat der ja zumindest mit finanziellen Rahmengebungen in der Regel nicht mehr. Der muss aber den Kopf hinhalten und dafür einen Menschen zu gewinnen, der dann seine Freizeit damit verbringt, den Kopf hinzuhalten ohne selbst viel verändern zu können, das ist ein mutiges Engagement."
    Er sagt, im ländlichen Raum, Ost wie West, gebe es die Tendenz, Demokratie eher ab- als aufzubauen – aufgrund finanzieller Engpässe.
    Das wissen auch die Abgeordneten im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Vincent Kokert, der Fraktionschef der CDU und sein sozialdemokratischer Kollege Norbert Nieszery ziehen bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus an einem Strang. Ein Tröglitz wie in Sachsen-Anhalt werde es in Mecklenburg-Vorpommern nicht geben, sind beide überzeugt. Das Land sei auf dem richtigen Weg, mit Windkraft und erneuerbaren Energien, mit Agrarindustrie und Tourismus. Aber – empfinden die Bürger das auch so?
    "Sie sollten auch mal mit einem Blick auf das gucken, was erreicht wurde, das erwarte ich von diesen Menschen auch und ich erwarte von den Menschen dort vor Ort auch und da gibt es ja genug Beispiele, es ist ja nicht so, dass sie alle so sind wie sie jetzt hier beschrieben werden, da gibt es auch Leute, die eine gewisse Eigeninitiative ergreifen, um ihr Umfeld zu gestalten. Sie verharren immer noch in der Erwartung, der Staat wird es schon richten, der Staat ist in der Verantwortung. - Nein, wir können nicht alles richten, wir müssen auch davon ausgehen, dass die Leute vor Ort in ihrem kleinen Bereich, in ihrem Mikrokosmos Verantwortung übernehmen für die Ausgestaltung von gesellschaftlichem Leben."
    Zivilgesellschaft im Osten regt sich
    Verantwortung übernehmen bei der Gestaltung des täglichen Lebens – das wollten auch die Feldmanns, die sich auch im Bündnis Vorpommern engagieren. Das Sommerfest war zwar ein Misserfolg:
    "Wir sind beleidigt worden, behindert worden, den DJs ist in ihr Arbeitsmaterial gegriffen worden, die sind beschimpft worden und wir haben es ertragen weil wir genau gespürt haben, wenn jetzt von unserer Seite etwas kommt, dann ..."
    ... dann eskaliert die Situation.
    "Also was ähnlich wie in Tröglitz ist, dass im Prinzip die Zivilgesellschaft sich davon so tief beeindrucken lässt, dass die Fenster geschlossen bleiben, dass ein Dorf ausgestorben ist an einem Tag, an dem man eigentlich zusammen feiern wollte - das ist das Bedenkliche."
    Aufgeben will er dennoch nicht. Die Zivilgesellschaft im Osten regt sich – und Thomas Feldmann hat seine eigene Vision, wie die vergessene Region belebt und demokratisiert werden könnte.
    "Ja, ich hoffe ja drauf, dass dieser Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge innerhalb von Deutschland, dass das irgendwann mal aufgehoben wird und dass dann die Flüchtlinge danach verteilt werden, wo Platz ist und wo freie Wohnungen sind und dass dann hier irgendwann zehnmal so viele Flüchtlinge wohnen wie Nazis und dazu dann noch die Polen und dann könnte das hier eigentlich ganz lustig werden."