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Strahlenschutz
Wirkstoff aktiviert Selbstheilungskräfte des Darms

Medizin. - Bis heute gibt es kein Medikament, das vor der so genannten Strahlenkrankheit schützt, obwohl weltweit Labors danach suchen. Wissenschaftler der US-amerikanischen Stanford-Universität präsentieren jetzt einen Wirkstoff, der den Darm vor den Folgen extrem hoher radioaktiver Strahlung schützen kann. Das wäre eine Hilfe nicht nur für Strahlenopfer, sondern auch für Krebspatienten.

Von Marieke Degen |
    Eine Besucherin steht am 27.03.2013 in einem acht Meter langen begehbaren Darm-Modell im Foyer des Geraer SRH Waldklinikums. Hier beantworten Ärzte Fragen zum Thema Darmkrebs und seine Vorstufen. Die Veranstaltung findet im Rahmen des bundesweiten Darmkrebsmonats März statt.
    Blick in ein begehbares Darmmodell im Geraer Waldklinikum. (picture alliance / dpa / Bodo Schackow)
    Die Strahlendosis, die der Krebsforscher Amato Giaccia seinen Versuchsmäusen verpasst hat, war tödlich.
    "Normalerweise bekommen die Mäuse dann Durchfall, verlieren viel Flüssigkeit und entwickeln eine Sepsis. Nach zehn Tagen sind alle tot."
    Doch diesmal haben die Mäuse überlebt. Nicht alle, aber immerhin zwölf von fünfzehn. Das Team von der Stanford University hatte die Mäuse vor der Bestrahlung mit einem Wirkstoff namens DMOG behandelt – ihr Magendarmtrakt war daraufhin geschützt. Die Versuche sind mittlerweile über eineinhalb Jahre her, und drei der Mäuse sind immer noch quicklebendig: die Strahlung hat nur ihr Fell ergrauen lassen.
    "Wenn ein Körper einer extrem hohen Strahlendosis ausgesetzt ist, wird er auf vielfache Weise geschädigt – es kommt zur so genannten Strahlenkrankheit. Unter anderem wird das Knochenmark zerstört; am gefährlichsten sind jedoch die Schädigungen im Darm, weil sie sehr schnell auftreten und innerhalb kürzester Zeit zum Tod führen."
    Die radioaktive Strahlung zersetzt die Darmschleimhaut. Sie wird durchlässig, der Flüssigkeitshaushalt gerät völlig durcheinander. Außerdem wandern Darmbakterien in die Blutbahn und lösen eine Sepsis aus. Der Wirkstoff DMOG kann im Darm offenbar wichtige Selbstheilungskräfte aktivieren.
    "Die Darmschleimhaut regeneriert sich, weil die Stammzellen im Magendarmtrakt mobilisiert werden. Außerdem wird verhindert, dass sich die Zellen selbst umbringen."
    In einem anderen Versuch haben die Forscher den Wirkstoff sogar erst hinterher, also nach der Bestrahlung, verabreicht. Und selbst da habe er noch gewirkt, sagt Amato Giaccia: Drei von acht Mäusen haben sich wieder erholt. Allerdings war es mit DMOG allein nicht getan: Um zu überleben, brauchten die Mäuse zusätzlich eine Knochenmarktransplantation.
    "Wir hoffen, dass das Mittel auch beim Menschen eingesetzt werden kann, die einer hohen Strahlung ausgesetzt waren – wie etwa nach dem Reaktorunglück in Fukushima. Möglicherweise wären sie dann besser geschützt."
    Auch David Kirsch, Krebsforscher von der Duke University, ist von den Ergebnissen angetan. Er hat die Arbeit der Kalifornier im Fachmagazin "Science Translational Medicine" kommentiert.
    "Es ist ziemlich schwer, Medikamente für den Magendarmtrakt zu finden, die auch dann noch wirken, wenn das Gewebe durch die Strahlung bereits zerstört ist."
    Vielleicht könnte das Mittel auch Krebspatienten helfen, die im Bauchraum bestrahlt werden müssen. Es könnte das intakte Darmgewebe schützen – und so die Nebenwirkungen der Strahlentherapie verringern. Kirsch:
    "Das muss man sicherlich noch genauer untersuchen: Das Mittel dürfte natürlich nicht den Tumor vor den Strahlen schützen, sondern nur das umliegende gesunde Gewebe. Es gibt aber schon erste Hinweise, dass das funktionieren könnte."
    DMOG ist nicht der erste Wirkstoff, der Versuchsmäuse vor der Strahlenkrankheit schützt. Auch andere Labors arbeiten an potentiellen Strahlenmedikamenten. Doch bislang ist keines davon zugelassen. DMOG habe da einen großen Vorteil, sagt Amato Giaccia: Es wird in einer ganz ähnlichen Form bereits am Menschen getestet – als Mittel gegen Anämie. Zur Zeit laufen größere Zulassungsstudien.
    "Wenn es die Zulassung erhalten sollte – und das ist sehr wahrscheinlich – dann haben wir ein Mittel, das nicht nur bei einer Anämie eingesetzt werden könnte. Sondern auch bei der Strahlenkrankheit."