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Streiks in Frankreich
"Kraftprobe für Macron"

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot seine ersten Reformschritte ohne Gegenwind durchgezogen. Mit den Streiks im Zugverkehr baue sich jetzt aber die Front derjenigen auf, die ihm nicht mehr alles durchgehen lassen wollten, sagte Guérot im Dlf.

Ulrike Guérot im Gespräch mit Silvia Engels |
    Ulrike Gúerot, Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung, zu Gast in einer Talksendung.
    "Es ist schon eine relativ wichtige Machtprobe, die ihm jetzt bevorsteht", sagte Politologin Gúerot im Dlf (imago)
    Silvia Engels: Seit fast einem Jahr ist der französische Präsident Macron im Amt. Im Wahlkampf hat er nicht nur eine europapolitische Erneuerung versprochen, sondern auch angekündigt, Frankreich selbst zu reformieren. Seitdem hat er Gesetze zur Liberalisierung des Arbeitsmarkts auf den Weg gebracht. Viele Beobachter rechneten seitdem damit, dass es früher oder später zur Machtprobe Macrons mit den starken französischen Gewerkschaften kommen könnte. Nun könnte es so weit sein. Gestern fiel in Frankreich durch einen massiven Warnstreik 80 Prozent des Zugverkehrs aus, auch heute und in den nächsten Wochen sollen die Aktionen weitergehen. Am Telefon ist Ulrike Guérot. Sie ist Frankreichkennerin und Professorin für Europapolitik an der Universität Krems in Österreich. Guten Morgen, Frau Guérot!
    Ulrike Guérot: Guten Morgen!
    Engels: Hinter den Streiks steht ja das Ziel Macrons, den Personenverkehr ab 2020 für Wettbewerb zu öffnen. Ist das nun die generelle Machtprobe, ob Macron seinen marktliberalen Kurs in Frankreich durchsetzen kann?
    Guérot: Ja, ich glaube, es ist schon eine relativ wichtige Machtprobe, die ihm jetzt bevorsteht. Das Ganze ordnet sich natürlich auch ein in europäische Maßnahmen des Bahnverkehrs. Der soll ja generell liberalisiert werden, also dass wie im Flugverkehr demnächst also alle Anbieter auch auf allen Schienen unterwegs sein können. Und da möchte Macron natürlich jetzt liefern, und das führt jetzt schon in eine gewisse Machtschlacht mit dem SNCF.
    "Konvergenz der Kämpfe"
    Engels: Neben der Bahn gab es ja auch Streiks bei der Müllabfuhr und bei Air France. Wie geschlossen ist denn die CGT, also der allgemeine Gewerkschaftsbund, in der Ablehnung dieser Politik Macrons?
    Guérot: Ja, dazu müsste man auch die Studenten nehmen, die jetzt auch noch ganz wichtig in diesem Kampf zu sein scheinen. "La Convergence des Luttes" ist ja jetzt auch der Schlachtruf, möchte man fast sagen, der jetzt durch die französischen Zeitungen geht, also die "Konvergenz der Kämpfe". Da scheint sich jetzt schon eine Front aufzubauen, wo man sagt, die Gewerkschaft, die Studenten, alle, die jetzt sozusagen eine Anti-Macron-Agenda haben, die bisher noch nicht gezogen hat – wir haben ja eigentlich schon im letzten Herbst ein bisschen drauf gewartet, ob Macron bei den ersten Schritten der Reformen, ob er da sozusagen Gegenwind bekam. Und das hat er nicht bekommen. Er hat die ersten Sachen ja eigentlich so durchgezogen, die Arbeitsmarktreform, die Abschaffung der "Impots sur les Grandes Fortunes" und so weiter. Und jetzt scheint man aber zu sagen: Moment mal, einer, der so durchzieht, so mit Siebenmeilenstiefel eigentlich seine Reformagenda abhakt, irgendwann müssen wir dem was entgegensetzen. Und das scheint sich jetzt aufzubauen.
    Engels: Gewerkschaft und studentische Gruppen sind da offenbar zusammen. Wie steht es denn mit dem Rest der Bevölkerung? Ist da auch eine Ablehnung der Macron-Linie zu spüren?
    Guérot: Die Restbevölkerung ist nach Umfragen ziemlich gespalten. Es gibt in Frankreich immer große Sympathien für Streiks. Das ist anders als in Deutschland. Es gibt eine große Streiktradition. Wir erinnern uns alle an den großen Generalstreik von 1996. Aber in diesem Fall kann man nicht behaupten, dass jetzt so die gesamte Bevölkerung hinter diesem Streik steht, was eben auch die Voraussetzung für den Erfolg eines Streiks ist. Sondern es gibt schon in Frankreich auch im Grunde so eine Teilung von denen, die jetzt Modernisierungsbefürworter sind und die einfach sehen diese Ambition von Macron, in diesem Land wirklich alte Besitzstände aufzuräumen und frischen Wind einziehen zu lassen. Und es gibt natürlich die klassische Streikfront. Wobei man sagen muss, dass es da immer auch ganz viel um Symbolwerte geht. Also, noch mal zurück auf die SNCF: Es geht ja jetzt ganz zentral über dieses "Statut de Cheminot", also sozusagen um den Berufsstand der Lokomotivführer. Und das ist in Frankreich fast mythisch besetzt. Das ist wie diese "Impots sur les Grandes Fortunes". Das ist so einer der ganz großen Klassiker, an die man eigentlich nie rühren durfte.
    "Da geht es natürlich auch um Daseinsvorsorge"
    Engels: Das betrifft also dann den früheren Renteneintritt beispielsweise für Lokführer, die sie dann noch erlaubt bekommen – diese Themen?
    Guérot: Ganz genau, also Privilegien, früher Renteneintritt mit 53 Jahren. Aber zum Beispiel auch, wenn man bei der SNCF arbeitet, darf praktisch die ganze Familie frei fahren mit Zugtickets. Das sind auch so Sachen, die da gerade wild diskutiert werden.
    Engels: Und das ist genau das, wo die Bevölkerungsmehrheit, die ja solche Privilegien nicht genießt, nicht mehr mitzieht, obwohl es so ein Mythos ist?
    Guérot: Das ist da, wo die Bevölkerung nicht mehr mitzieht, weil man eben schon sagt, Moment mal, warum die, warum nicht ich? Also, das gehört jetzt schon dazu, zu sagen, dann muss man auch mal – es ist ja das eine, zu sagen – das eine sind die Privilegien, da wo die Bevölkerung nicht mitgeht, das andere sind, glaube ich, die großen gesellschaftlichen Debatten. Bei der SNCF ist ja jetzt die andere Frage, wo wird modernisiert, wo wird investiert? Nur in die TGVs oder auch auf dem Land? Da geht es natürlich auch um Daseinsvorsorge. Da geht es tatsächlich auch um verschiedene Einstellungen verschiedener Teile der Bevölkerung zu dem, was da jetzt gemacht wird. Und dahinter steht, das muss man auch mal sagen, eine völlig marode Struktur des französischen Schienensystems, das einfach seit Jahren unterfinanziert ist – also ein bisschen wie in Deutschland, wo wir ja auch eine Debatte haben über öffentliche Investitionen. Das ist natürlich auch das Problem der SNCF. Und das ist auch eine gesellschaftliche Debatte, die sozusagen dahinter steht. Also zum Beispiel Nahverkehr – muss man den erhalten, muss der liberalisiert werden? Ist das, was Macron macht, jetzt so ein bisschen Thatcher, also Privatisierung des Schienenverkehrs im Bereich Nahverkehr, ja oder nein? Und das alles ist schon auch in diesem Streik mit drin.
    "Das wird kein Ponyritt"
    Engels: Am Donnerstag ist ein Treffen zwischen Gewerkschafts- und Regierungsvertretern geplant, und Mitte April soll dann die umstrittene Bahnreform in erster Lesung ins Parlament eingebracht werden. Wie wahrscheinlich ist denn, dass auf dem Weg dorthin doch noch Macron Kompromisse machen muss, einlenken muss?
    Guérot: Ich kann das wirklich – ich war am Montag noch in Paris – schlecht einschätzen. Es ist tatsächlich geteilt. Es gibt wirklich eine Modernisierungsfront gegen eine Besitzstandsfront, und natürlich wird es hoch politisiert. Wir dürfen ja nicht sehen – also gerade bei den Studenten, natürlich eher linksradikale Studenten, die das jetzt auch so hochkochen in dieser Convergence des Luttes. Da hat Mélenchon eine Agenda, also der bei den Präsidentschaftswahlen ja gegen ihn angetreten ist und der bei den jüngeren Leuten vor allen Dingen ein großes Standing hat. Ich glaube schon sagen zu können, es geht um mehr als nur diesen Streik. Es gibt seit gestern auch das geflügelte Wort, da hat einer dieser Gewerkschaftschefs gesagt, das wird das "Stalingrad von Macron". Es gibt also jetzt schon so einen Aufbau in dieser Streikfront, wo man sagt, wir lassen Macron nicht alles durchgehen. Und das könnte schon eine Kraftprobe sein, die für ihn – das soll ja auch drei Monate dauern, dieser Streik – das wird kein Ponyritt, sagen wir es mal so.
    "Eine große innenpolitische Schlacht"
    Engels: Dann weiten wir den Fokus. In den vergangenen Monaten galt Macron ja auch wegen der schleppenden deutschen Regierungsbildung als tonangebend auch in Europa. Ist das nun vorbei, weil er sich nun wieder auf Innenpolitik konzentrieren muss?
    Guérot: Könnte gut sein, dass Macron jetzt erst mal eine innenpolitische Agenda hat. Wie gesagt, der Streik ist auf drei Monate angesetzt, also nicht jeden Tag, sondern nur an speziellen Tagen, die ausgesucht sind, aber meistens an Wochenendtagen. Das heißt, das geht bis in die Urlaubszeit hinein. Da könnte man auch schon davon ausgehen, dass da eine Unruhe in Frankreich entsteht. Und die Frage ist eben, wie diese Convergence des Luttes, also diese Konvergenz der Kämpfe, wie das zusammenkommt und an wie vielen Fronten es da brodelt. Im Moment sind es jetzt eher die Studenten, also Universitäten, die sollen ja auch reformiert werden, also Zugang zu Universitäten soll erschwert werden, und eben die SNCF mit dem gesamten Thema Infrastruktur-Liberalisierung. Aber darüber hinaus geht es tatsächlich um eine ganz große Reformagenda auch noch. Wo geht das Geld hin, das staatliche Geld? Kriegt die Gewerkschaft, die SNCF was zur Renovierung des Schienensystems? Geht das alles in künstliche Intelligenz? Frankreich schlägt da jetzt schon - oder Macron. Das ist schon eine große innenpolitische Schlacht. Und ich glaube, dass das Macron beschäftigen wird, dass er nicht ganz so auf Europa gucken kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.