Wenn Ulrike Hörchens vom wichtigen deutschen Stromnetzbetreiber Tennet erklären soll, wie das deutsche Stromnetz in der Balance gehalten wird, sagt sie: "Man kann sich das vorstellen wie auf einer Autobahn."
Aber im Gegensatz zu einer Autobahn darf es im Stromnetz keinen Stau geben, das Netz würde überlastet und zusammenbrechen. Deswegen müssen Betreiber von Atom- und Kohlekraftwerken täglich melden, wie wie Strom sie am Folgetag produzieren wollen; dazu kommen Wind- und Sonnenvorhersagen. Deutet sich dabei an, dass beispielsweise im Norden mehr Strom produziert werden wird als die Überlandleitungen nach Süden verkraften können - wo aber dringend Strom gebraucht wird - muss der Netzbetreiber eingreifen:
"Wir sagen konventionellen Kraftwerken oberhalb des Staus, dass sie weniger produzieren sollen. Damit entlasten wir die Leitung. Und Kraftwerke unterhalb des Staus müssen eben das, was oben weggenommen ist, neu produzieren."
Netzwerkbetreiber müssen Stromerzeuger entschädigen
Fachleute nennen das Redispatch. Erst wenn Kohle- und Atomkraftwerke soweit gedrosselt sind, wie es geht, dürfen die Netzbetreiber laut Gesetz auch Windmühlen und Sonnenkraftwerke abschalten, um das Netz in der Balance zu halten. Wenn Kraftwerke hochgefahren werden müssen oder runter, obwohl sie produzieren könnten, kostet das Geld.
Nach festgelegten Regeln zahlen die Netzbetreiber eine Entschädigung an die ausgebremsten Stromerzeuger, Kosten, die weitgehend auf die privaten Haushalte als Stromverbraucher abgewälzt werden.
"Im letzten Jahr sind bei uns in der Tennet-Regelzone die Kosten für diese netzstabilisierenden Maßnahmen auf 1 Milliarde Euro angewachsen. Das ist ein neues Rekordhoch."
Heftig gestritten wird daher, wie die Kosten gesenkt werden können. Die Netzbetreiber sagen: Wir brauchen mehr Stromleitungen von Nord nach Süd. Die sind im Bau, werden aber erst in einigen Jahren fertig sein. Kritiker entgegnen: Schleppender Netzausbau sei nicht das Problem. Auch nicht zu viel Windenergie, sagt Oliver Krischer, Energieexperte der Grünen im Bundestag.
Alte Kohlekraftwerke als Problembären
"Die Ursache ist einfach, dass wir sehr viele alte Kohlekraftwerke haben, die 40, 50 Jahre alt sind. Die sind zu unflexibel. Die kann man nicht kurzfristig runterregeln. Die brauchen Tage, mitunter Wochen, bis sie an- und abgeschaltet werden können. Und deshalb laufen die immer weiter."
Auch wenn sie einen Stau im Netz verursachen. Die Folge: Statt wie vorgeschrieben fossile Kraftwerke immer zuerst zu drosseln, werden immer öfter die klimafreundlichen Windräder angehalten. Im vergangenen Jahr drohten dem Netzbetreiber Tennet im Norden 8.300 Gigawattstunden zu viel Strom. Gut die Hälfte der drohenden Überlastung konnte Tennet abwenden, indem fossile Kraftwerke im Norden abgeschaltet und andere fossile Kraftwerke im Süden angeschaltet wurden. Die andere Hälfte der nicht transportierbaren Strommenge wurde Tennet los, indem es Windräder anhalten ließ.
Ökostrom, der nicht produziert wurde - weil behäbige Kohlekraftwerke nicht runterregelt werden konnten? Oder sollten? Das Handeln der Netzbetreiber sei nicht immer nachvollziehbar, kritisiert der Grüne Oliver Krischer.
"Und wir brauchen bei dem Thema, gerade weil da immer so viel Panik mit geschürt wird, dringend Transparenz, Bereitstellung der Daten, damit das auch überprüfbar ist. Wir sind hier schließlich in einem Monopolbereich, und da kann es nicht sein, dass ein paar Netzbetreiber entscheiden, wie welche Kosten entstehen und wer welche Reservekraftwerke in Betrieb setzt."
Kontrolle durch die Bundesnetzagentur
Der Netzbetreiber Tennet entgegnet, sein Handeln werde penibel von der Bundesnetzagentur kontrolliert. Ein Sprecher der Bundesnetzagentur sagte, laut Energiewirtschaftsgesetz seien die Übertragungsnetzbetreiber für das Netzmanagement zuständig. Seine Kontrollbehörde greife nur ein, wenn ihr Gesetzesverstöße bekannt werden.
Der stiftungsfinanzierte Thinktank Agora Energiewende sieht neben Stromnetzausbau und Kohleausstieg noch einen schnelleren und kostengünstigeren Weg, um Stromstaus und Windrad-Bremsungen zu vermeiden. Christoph Podewils von Agora Energiewende regt an, vorhandene Stromleitungen schlicht anders zu befestigen, damit sie weniger durchhängen und dadurch mehr Strom transportieren können:
"Durch das Umhängen auf auf sogenannte Hochtemperatur-Leiterseile können Sie die Kapazität um bis zu 100 Prozent erhöhen."
Der Netzbetreiber 50Hertz habe auf diese Weise seine Netzkosten erheblich senken können.