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Studie "Die Transformers"
"Normal ist das neue Cool"

Ein konfliktfreies aber unbeteiligtes Nebeneinander - so leben die verschiedenen Generationen in unserer heutigen Gesellschaft. Gerade die Jungen wollen nicht auffallen und scheuen davor zurück, sich klar zu positionieren. Keine ideale Grundlage für eine gemeinschaftliche Vision für unsere gesellschaftliche Zukunft, meint die Soziologien Beate Großegger.

Beate Großegger im Gespräch mit Fabian Elsäßer |
    Ein Mädchen sitzt in seinem Zimmer auf dem Boden und macht Selfies.
    Kreist um sich und ist wenig politisch: eine Studie widmet sich den 16 bis 29-Jährigen (imago / Felix Jason)
    Fabian Elsäßer: Was wollen junge Menschen, was denken sie? Das ist für Meinungsforscher ein großes Thema. Auch für das Generationenlab des österreichischen Instituts für Jugendkulturforschung. Das wollte allerdings auch noch genau wissen: Was unterscheidet die junge Generation von ihren Eltern?
    1000 Österreicher und Österreicherinnen im Alter von 16 bis 29 Jahren wurden dazu befragt in der Studie "Transformers - Wie Jugendliche Kultur und Gesellschaft verändern."
    Und dann ergibt sich folgendes Bild: Ein Drittel der 16 bis 29jährigen unterscheidet sich in der Lebensführung nicht wesentlich von seinen Eltern. Die anderen zwei Drittel schon. Und dann gibt es da nochmal zwei Gruppen: Diejenigen, die zwar anders als die Eltern leben, aber nicht wirklich anders als die Gleichaltrigen. Es sind dann überwiegend unkritische Konsumenten, die in der Masse mitschwimmen. Zeitgeistsurfer nennt sie die Studie. Das ist die Mehrheit.
    Und dann gibt es da noch die sogenannten Kontrast-Akteure, die wollen sich ganz klar von den Eltern absetzen. Aus Wien zugeschaltet ist und jetzt die Leiterin der Studie Beate Großegger. Willkommen zum Corsogespräch.
    Beate Großegger: Hallo nach Köln.
    Fabian Elsäßer: Jetzt habe ich das schon einmal Umrissen, was es da für Gruppen gibt. Ich habe ihnen ein bisschen Arbeit abgenommen. Aber was verbindet diese drei Gruppen der 16 bis 29 Jährigen.
    Großegger: Eine Grundstimmung in der heutigen Jugendgeneration. Es ist eine tiefe Verunsicherung. Und jetzt muss man fragen, woher kommt das? Wir haben neue gesellschaftliche Krisenszenarien, wirtschaftliche Krisenszenarien, die Flüchtlingskrise und wir haben einen sehr dynamischen Arbeitsmarkt. Einen Arbeitsmarkt, der sich ständig verändert und auch immer wieder neue Qualifikationen von den Erwerbstätigen fordert. Das schafft Verunsicherung. Und Jugend reagiert, wie wir gesehen haben, einerseits mit Anpassung, andererseits mit Planlosigkeit.
    Elsäßer: Wo steht diese Generation politisch? Steht sie überhaupt irgendwo?
    "Den breiten Mainstream prägt die Normalarbeitsplatznostalgie"
    Großegger: Was auffällt an dieser Generation ist, dass sie sich aus der politischen Debatte sehr stark zurückzieht. Sie geht in die eigenen kleinen Welten. Sie praktiziert "Cocooning", sie umgibt sich mit ihren Freunden, sie widmet sich ihren Interessen. Sie hat den politischen Gestaltungsanspruch eigentlich an der Tür abgegeben.
    Elsäßer: Und wie sieht das beruflich aus? Das sind ja so große Lebensthemen: Was denkt man politisch oder wie steht man zu Arbeit? Was hat sich da geändert? Wie sieht es da aus?
    Großegger: In der öffentlichen Debatte spricht man viel über die Generation Y. Und man hört immer wieder das wären Selbstverwirklicher, die die Zukunft der Wirtschaft sichern. Wir sehen das in unserer Studie nicht. Den breiten Mainstream prägt so etwas wie Normalarbeitsplatznostalgie, so haben wir das genannt. Das sind Leute, die nach einem sicheren, gutbezahlten Job, fair bezahlten Jobs streben und eine sehr klare Trennlinie machen zwischen Arbeit und Freizeit. Sie wollen klare Vorgaben, Wirtschaft nicht mitgestalten. Das sind nicht die großen Innovatoren. Es gibt natürlich eine kleine Gruppe, die anders denkt. Aber das ist eine wirklich kleine Gruppe. Grade in diesem Segment der digital Arbeitenden, der digitalen Freiberufler findet man diese jungen Leute sehr stark. Das sind Leute mit Visionen, die leider Gottes nicht immer die entsprechenden arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen vorfinden, um ihre großen beruflichen Visionen dann längerfristig umsetzen zu können.
    Elsäßer: Sie sprachen gerade vom Wunsch nach Normalität. Da hätten wir wahrscheinlich eine recht große Übereinstimmung mit der Elterngenerationen.
    Großegger: Ja und Nein. Das, was wir beobachten, ist, dass die Luft aus dem Konflikt der Generationen draußen ist. Den Generationenkonflikt als solches gibt es eigentlich nicht mehr. Wir sehen eine kulturelle Verinselung. Das heißt, jede Generation lebt so in ihrer eignen Generationenblase. Die Unterschiede zeichnen sich auf der kulturellen Stilebene ab. Und was neu ist: Die Jungen reiben sich nicht mehr an den Stilen der Alten. Sie suchen nach ihrem eigenen Ding. Es kommt nicht zum Konflikt, auch nicht zum Dialog. Sondern zu Rückzug, kultureller Verinselung. Das macht schon ein klein wenig hellhörig. Man fragt sich, was bedeutet das für den gesellschaftlichen Zusammenhalt längerfristig?
    Elsäßer: Dass er sich auflöst, oder?
    Großegger: Ja. Es ist ein konfliktfreies, freundliches Nebeneinander. Es ist sicherlich keine ideale Grundlage um gemeinsame Visionen, um gemeinsam Visionen für die gesellschaftliche Zukunft zu formulieren.
    Elsäßer: Trifft da so ein bisschen auch die Textzeile von Kraftklub zu: "Unsere Eltern kiffen mehr als wir, wie soll man rebellieren."?
    Großegger: Also rebellieren ist draußen. Was wir beobachten derzeit ist Normcore. Normal ist das neue Cool. Man hat nicht mehr den Anspruch expressiver, schriller, provokativer zu sein, als die Elterngeneration. Sondern, man versucht sich so im eigenen gleichaltrigen Umfeld das für sich passende raus zu picken und bleibt eine Zeit lang dran und geht dann wieder ganz in eine andere Richtung. Die soziale und politische Debatte läuft heute ganz anders, als in Vorgängergenerationen. Alles bleibt in der Blase. Und die Gefahr, die ich sehe: Diese Blase ist eine Filterblase. Das heißt, man lässt etwas Anderes, andere Perspektiven gar nicht an sich heran. Was wir ganz stark beobachten bei den Jugendlichen ist, dass sie nicht mehr bereit sind, sich ganz klar zu positionieren. Sie sagen: Dieser Politiker oder diese Politikerin, die ist aber interessant, oder der ist aber sympathisch. Aber sie sagen nicht, ich findet ihn oder sie gut oder schlecht.
    Elsäßer: Oder: Ich stehe für dieses oder jenes.
    Großegger: Ja.
    Elsäßer: Wie sieht das kulturell aus? Sie sprachen gerade vom Ausbleiben der schrillen Töne. Also, wie sind diese 16- bis 29-Jährigen? Wie ticken die popkulturell? Was ist die Stimme dieser Generation?
    Eine Generation ohne gemeinsame Message
    Großegger: Diese Stimme der Generation ist nicht sichtbar. Diese Generation glaubt, dass sie keine gemeinsame Message hat. Wir haben mit den Jugendlichen zu dem Thema gearbeitet: "Musik eurer Generation. Was ist die Botschaft?" Und die Jugendlich sagen: Wir haben keine gemeinsame Botschaft. Wir hören sehr gerne elektronische Musik. Wir hören Musik, aber wir tanzen vor allem auch. Wir tanzen zur Musik, um zu vergessen. Und das ist, glaube ich, der Knackpunkt zum Verständnis der Popkultur dieser Generation.
    Elsäßer: Ein Beispiel, was ich gelesen habe, war AnnenMayKantereit.
    Großegger: Eine typische Normcore-Band. Neue Rollenmodelle. Jungs von Nebenan. Unspektakuläre Jungs. Sympathisch. Das ist diese Sehnsucht nach Normalität. Nach Nicht-ausgeflippt-sein-müssen. Nach einer Welt, in der niemand Utopien formulieren muss. Das ist ganz klar gegeben und spiegelt sich auch in der Identifikation mit neuen Rollenmodellen wie AnnenMayKantereit.
    Elsäßer: Ich erlebe so im persönlichen Umfeld unter 20-Jährigen so eine Mischung aus, ich würde sagen Postmateriellem, dieser Sicherheitswunsch, was sie sagten. Aber: Man braucht kein eigenes Auto, Car Sharing genügt. Man muss auch keinen teuren Cluburlaub machen, wenn man Couchsurfer sein kann. Wenn ich ihre Studie richtig verstehe, ist dieser Eindruck nicht die Mehrheit.
    Elsäßer: Es ist ein kleines Segment, ein überschaubares Segment in den Bildungseliten. Was wir hier beobachten bei diesen jungen Postmaterialisten ist, dass sie Postmaterialismus seit den 1980ern-Jahren, als das zum ersten mal so richtig Thema wurde, in der Kinder- und Jugendkultur, sehr massiv verändert hat. Sie haben das richtig angesprochen. Es ist eigentlich ein sehr angepasster, ein affirmativer Postmaterialismus. Vormals war Postmaterialismus subversiv. Und auch mit dem Anspruch verbunden, neue Ideen in die Welt zu setzen. Gesellschaftspolitisch etwas in Gang zu setzen. Heute haben wir es, dass man Car Sharing praktiziert und dass man fair gehandelte Lebensmittel einkauft, dass man sich vielleicht bei Recycling oder Upcycling Projekten beteiligt. Aber das war es dann auch schon. Der große Weltentwurf fehlt selbst in diesem eher kleinen, überschaubaren Segment der jungen Postmaterialisten.
    Elsäßer: Jetzt haben Sie neben all diesen Erkenntnissen noch eine andere Studie gemacht. Sie haben die Elterngeneration dieser 16- bis 29-Jährigen - das sind ja nicht nur die Post-68er - Sie haben die aber mal hergenommen, haben die verglichen mit den 55- bis 65Jährigen. Wo ist da der größte Unterschied? Zum Beispiel, was Politik begrifft?
    Großegger: Was Politik betrifft, das war für uns ein ganz, ganz interessantes Ergebnis: wenig Unterschied. Jung wie auch alt sind extrem politikskeptisch. Das heißt, man hat ganz, ganz großes Misstrauen in die Zukunftskompetenz der Politik. Bei den Maßnahmen, die vorgeschlagen wurden, liegen die Generationen weit auseinander. Da sieht man wieder, dass jeder in seiner Generationenfilterblase vor sich hinexistiert. Weiter war es interessant zu beobachten, dass das große Miteinander der Generationen in der Arbeitswelt nicht mehr ist, als ein populäres Märchen. Also diese Intergenerationen-Teams als Produktivitätsfaktor. Das spielt zumindest für die Jungen überhaupt keine Rolle. Die bleiben lieber unter sich. Auch hier haben wir wieder die Generationenblase. Jung bleibt unter seinesgleichen und Alt ebenso.
    Jeder bleibt lieber für sich
    Elsäßer: Sie sagten eben, dass die Generationen sich nicht verstehen, obwohl sie an einander durchaus Interessiert sind. Woran liegt das?
    Großegger: Jede Generation ist durch Schlüsselerfahrungen, die im Jugendalter gesammelt wurden, geprägt. Das heißt, die heute Jungen machen ganz andere Erfahrungen als die Elterngeneration. Die Elterngeneration wurde durch die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche der 1970er Jahre geprägt. Autonomiewerte wurden da ganz stark akzentuiert. Man wollte nicht angepasst sein. Man lernte, dass das als neue Normalität, als von jungen Menschen mitdefinierte, neue Normalität kennen und hat all das in seinen Lebensentwurf integriert. Die Jungen leben in einer ganz anderen Zeit. Die finden andere Dinge normal. Und nachdem der Austausch zwischen den Generationen, also weder Konflikt noch Dialog, klappt, gibt es keine Verhandlungen über diese Lebensphilosophien und Werte. Und so bleibt jede Gruppe unter sich.
    Elsäßer: "Transformers - wie Jugendliche Kultur und Gesellschaft verändern" ist der Titel einer Studie über die Einstellungen Österreicher im Alltag von 16 bis 29 Jahren. Und darüber sprachen wir mit Beate Großegger vom Institut für Jugendkulturforschung in Wien.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.