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Studie
Sonnenstrahlung kann lebensverlängernd wirken

Bei zu viel Sonne droht Sonnenbrand oder sogar Hautkrebs. Doch schwedische Forscher haben in einer Studie festgestellt, dass Sonnenstrahlung trotz der Gefahren auch lebensverlängernd wirkt. Einige Epidemiologie sehen die Studie allerdings kritisch.

Lennart Pyritz mit Christian Floto |
    Ein Mann liegt in einer Hängematte und genießt das warme Wetter.
    Wie immer ist auch bei der Sonnenstrahlung die Dosis von Sonne entscheidend. (picture-alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Martin Winkelheide: Jetzt in den Sommermonaten reisen wieder Viele in den Süden, um die Sonne zu genießen. Dass bei zu sorglosem Verhalten im Urlaub Sonnenbrand oder – auf längere Sicht – Hautkrebs drohen, ist lange bekannt. Doch die Sonne hat nicht nur Schattenseiten: Schwedische Forscher berichten etwa in einer Studie, dass Sonnenstrahlung trotz dieser Gefahren lebensverlängernd wirken kann. Was dahinter steckt und wann welche Effekte überwiegen – darüber hat sich Lennart Pyritz informiert. Herr Pyritz, lassen Sie uns mit den Risiken anfangen: Welche Gefahren gehen von Sonnenstrahlung aus?
    Lennart Pyritz: Also Effekte hat vor allem die UV-Strahlung: Das ist ein kurzwelliger, für den Menschen unsichtbarer Teil der Sonnenstrahlung. Zu den akuten, kurzfristigen Reaktionen des Körpers auf zu viel UV-Strahlung zählen Sonnenbrand oder Schäden an der Linse und Netzhaut im Auge. Starke Sonneneinstrahlung kann außerdem ein Risikofaktor für Herpes sein, indem sie Immunzellen in der Haut unterdrückt.
    Eine wissenschaftlich gut dokumentierte langfristige Folge ist die Hautalterung, etwa der Verlust von Elastizität. Und langfristig kann UV-Strahlung auch Zellen entarten lassen, also zu Hautkrebs führen. Das kann unter Umständen lebensbedrohlich sein.
    Winkelheide: Die Sonne hat aber auch positive Wirkungen?
    Pyritz: Sicher, der einzelne Mensch braucht Sonnenlicht, um Vitamin D in der Haut zu bilden. Das ist sehr wichtig zum Beispiel für den Knochenaufbau. Darauf hat am Telefon Hajo Zeeb verwiesen, Professor am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Etwa vier Fünftel des Bedarfs decken wir demnach mithilfe des UV-Lichts. Dann weist eine Studie von Medizinern der Universität Münster darauf hin, dass moderate Sonnenstrahlung den Aufbau eines gesunden Immunsystems unterstützt und beim Schutz des Zentralen Nervensystems hilft – also eventuell bei Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose helfen könnte.
    Ich habe vor der Sendung auch mit Alexander Katalinic telefoniert, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Universität zu Lübeck. Er hat noch auf die psychische Wirkung hingewiesen: Bei Vielen hellt Sonnenlicht die Stimmung auf. In Skandinavien werden sogar Tageslichtlampen in Schulen und an Haltestellen eingesetzt.
    Winkelheide: Bleiben wir in Skandinavien: Was hat es genau mit dieser schwedischen Studie auf sich, derzufolge Sonnenlicht lebensverlängernd wirken kann?
    Pyritz: Die Studie ist im "Journal of Internal Medicine" erschienen. Darin haben Forscher Informationen über knapp 30.000 Schwedinnen über etwa 20 Jahre ausgewertet: Ausbildung, familiärer Status, Alkohol- und Tabakkonsum, Erkrankungen usw. Und: Wie oft, wann und wo nehmen die Frauen Sonnenbäder oder besuchen sie ein Solarium. Das Ergebnis: Frauen, die sich regelmäßig der Sonne aussetzen, leben bis zu zwei Jahre länger als solche, die die Sonne meiden. Sie haben zwar ein höheres Hautkrebsrisiko, dafür aber ein geringeres Risiko für andere Erkrankungen. Im Fazit: Sonne-Meiden erhöhe das Sterberisiko in ähnlichem Maße wie Rauchen.
    Die Ursachen wurden in dieser Studie nicht untersucht. Die Autoren vermuten, dass die Vitamin D-Bildung eine wichtige Rolle spielt gegen Diabetes, Multiple Sklerose und Schlaganfälle. Und UV-Strahlung könnte den Blutdruck senken.
    Winkelheide: Wie plausibel sind die Befunde dieser Studie?
    Pyritz: Beide Epidemiologen, mit denen ich gesprochen habe, sehen die Studie kritisch. Zum einen sind die Ursachen, die ich gerade aufgezählt habe, eben reine Vermutungen. Und dann gebe es viele Einfluss-Faktoren, die die Autoren nicht vom Faktor Sonne trennen können: Etwa wie gesund die Frauen tatsächlich gelebt haben, Ernährung, Bewegung, ob die Frauen Sonnenschutz benutzt haben. Beide kritisieren auch die Definition vom Sonnenvermeiden über Sonnenbäder und Solarien. Damit wären sie – zu Unrecht – selbst auch unter die Sonnen-Vermeider gefallen.
    Alexander Katalinic warnt zudem davor, dass die falsche Botschaft hängen bleiben könnte, nämlich: "Ich hab heute eine halbe Schachtel Zigaretten geraucht, mich dafür aber auch in die Sonne gelegt". Das ist natürlich Unsinn.
    Hajo Zeeb hat auf eine Studie verwiesen, die 2013 auch den Zusammenhang zwischen UV-Strahlung und Lebensdauer in den USA untersucht hat. Und da war das Ergebnis: keine gesundheitsfördernde Wirkung durch Sonnenlicht.
    Winkelheide: Was die Sonne alles beeinflusst, ist also noch unklar. Auf jeden Fall kann sie positive und negative Effekte haben. Wie soll man sich also der Sonne gegenüber verhalten?
    Pyritz: Alexander Katalinic verweist da auf eine Empfehlung des Bundesamtes für Strahlenschutz und des UV-Schutz-Bündnisses vom Dezember 2015. Dafür haben Wissenschaftler unterschiedlicher Richtungen diskutiert, um positive und negative Effekte von Sonnenlicht zu berücksichtigen. Da sind die wichtigsten Ratschläge:
    Es genügt, Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnenschutz zwei- bis dreimal pro Woche ungefähr 15 bis 20 Minuten der Sonne auszusetzen. Bei längeren Aufenthalten in der Sonne sollte man sich durch Kleidung und Sonnenbrille schützen. Besonders bei Kindern und Jugendlichen sollten hohe UV-Belastungen ganz vermieden werden. Und es wird abgeraten von starken, nicht ärztlich kontrollierten UV-Bestrahlungen, auch im Solarium um sich zu bräunen. Fazit also: Auf die Dosis kommt es an.