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Studie zu Vorurteilen
Selbst Atheisten misstrauen Atheisten

Gläubige Menschen gelten als vertrauenswürdiger als ungläubige und Atheisten wird eher zugetraut, ein Verbrechen zu begehen - das ist das Ergebnis einer weltweiten Studie. Warum aber gilt das auch für weltliche, aufgeklärte Gesellschaften?

Von Volkart Wildermuth |
    Ein steinernes Kreuz an der Kreuzung der Calle de Toledo und der Calle de los Cuchilleros im Zentrum der spanischen Hauptstadt Madrid.
    Selbst in Zeiten leerer Kirchen gelten gläubige Menschen eher als moralisch integer als Atheisten (imago / Mangold)
    Die zehn Gebote im Christentum oder die fünf Silas im Buddhismus bieten den Gläubigen Orientierung für ein gutes Leben. In vielen Gesellschaften gibt es diese enge Verbindung zwischen Religion und Moral. Die Kehrseite: ein gewisses Grundmisstrauen gegenüber Atheisten.
    "Es gab große Umfragen: Würden sie jemand als Präsident oder Premierminister wählen, wenn er Atheist wäre? Und es zeigt sich: Atheisten sind viel unpopulärerer als andere Vergleichsgruppen," erklärt Will Gervais, Psychologe von der University of Kentucky in Lexington, USA.
    "Ein Serienkiller kann nicht an Gott glauben"
    Die Umfragen stammen aus den USA. Gervais wollte wissen: Wie sieht es im Rest der Welt aus? Er hat 3.000 Personen in 13 Ländern auf fünf Kontinenten auf unbewusste Vorurteile untersucht. Die Details sind kompliziert, aber letztlich wurden die Teilnehmer indirekt gefragt, ob sie einen Serienkiller eher für einen gläubigen Menschen oder für einen Atheisten halten.
    "Es war, wie wir erwartet hatten", so Gervais. "In den meisten Ländern nehmen die Leute an, ein Serienkiller kann nicht an Gott glauben."
    Religion als Basis der Moral
    Der Effekt war am stärksten in Ländern wie Indien, Singapur, den Vereinigten Arabisch Emiraten und den USA, wo Religion eine große Rolle in der Gesellschaft spielt. Aber auch in eher weltlichen Ländern wie den Niederlanden, der Tschechischen Republik oder China gibt es erhebliche Vorbehalte gegenüber Atheisten. Gervais: "Ich glaube, die Leute nehmen an, dass die Religion die Basis der Moral darstellt." Diese Vorstellung sei sehr weit verbreitet. So verbreitet, dass sie sogar von Atheisten geteilt werde.
    "In unserem Experiment misstrauten selbst Atheisten den Wertmaßstäben von Atheisten. Das ist interessant: Hier gibt es ein Vorurteil gegen die eigene Gruppe", berichtet Gervais. "Das liegt an den seit langem festgeschriebenen, kulturellen Normen. Selbst Gesellschaften, die heute weltlich geprägte sind, waren ja einmal religiös, und deshalb gibt es diese pro-religiösen Normen, die selbst Atheisten übernehmen."
    Ausnahmen bestätigen die Regel
    Nach der Theorie der großen moralischen Götter hat in der Frühgeschichte erst der gemeinsame Glaube die Kooperation in größeren Menschengruppen und damit die ersten Gesellschaften ermöglicht. Aber diese Zeit liege lange zurück, betont der kanadische Sozialpsychologie Ara Norenzayan, der diese These aufgestellt hat. Heute verhielten sich gläubige Menschen in Untersuchungen zu moralischem Verhalten nicht anders als Atheisten.
    "Heute braucht man die Religion nicht mehr als Grundlage für die weitverzweigte Kooperation - es ist eher umgekehrt", so Norenzayan, der an der University of British Columbia in Vancouver forscht. "Sehr weltliche Länder, mit effektivem Rechtssystem sind kooperativer als traditionell religiöse Gesellschaften." Das verändert ganz langsam auch die unbewussten Vorbehalte in diesen Gesellschaften, wie die Ausnahme in den Daten von Will Gervais belegt. Im weltlichen Finnland gibt es keine Vorurteile gegenüber Atheisten. "Die kulturellen Normen haben sich dort bereits angepasst", so Gervais.
    Starke unbewusste Vorbehalte
    Allerdings nur in Finnland und ein wenig auch in Neuseeland. In den anderen untersuchten Staaten sind die unbewussten Vorbehalte nach wie vor sehr stark, wobei Will Gervais betont, dass das kaum Folgen habe: "In unseren Experimenten und den Umfragen sind die Atheisten die unbeliebteste Gruppe. Trotzdem hört man wenig von Hassverbrechen gegen Atheisten."
    Wohl auch, weil Atheisten nicht auffallen. Der Glaube ist viel privater, als etwa das Geschlecht oder die Hautfarbe. Solange Atheisten aber unsichtbar bleiben, wird sich an den Vorurteilen wenig ändern. In den USA plädiert die Gruppe "Openly Secular" ("Offen Weltlich") deshalb dafür, zu seinem Unglauben zu stehen. Schließlich handelten Atheisten objektiv betrachtet weder mehr noch weniger moralisch als gläubige Menschen.