Raus aus Kohle und Strom und möglichst auch weg von Öl und anderen fossilen Brennstoffen. Das ist das große Ziel der Energiewende. An welchen Stellschrauben dafür gedreht werden muss, das hat die gemeinnützige Denkfabrik "Agora Energiewende" in einer Studie untersucht. Dabei kam heraus: Deutschlands Anteil an den weltweiten Emissionen beträgt gerade einmal zwei Prozent. Können andere Länder aufgrund dessen von Deutschland lernen, wenn es um die Energiewende geht?
Das Interview in voller Länge:
Patrick Graichen: Das ist richtig. Deutschland hat nur zwei Prozent der globalen Emissionen, aber wir sind dann doch das Land mit den sechstmeisten Emissionen auf der Welt und die viertgrößte Industrienation. Und deswegen guckt die Welt schon sehr genau, was hier passiert, denn das kann ein Modell sein für den Rest der Welt, sein Energiesystem umzubauen in Richtung Wind und Solar.
"Rückkehr zur Kohle wird nicht stattfinden"
Römermann: Nun wollen die USA aussteigen, Donald Trump spricht von einer Rückkehr zur Kohle. Inwiefern hat das denn dann überhaupt noch einen Sinn, wenn wir jetzt hier unser Ding durchziehen?
Graichen: Eine Rückkehr zur Kohle auch in den USA wird nicht stattfinden, weil die Kohle in den USA überhaupt nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Wir sehen vielmehr, dass Kalifornien und auch China jetzt aggressiv in diesen Markt für erneuerbare Energien einsteigen. Die Kalifornier haben uns inzwischen bei den Zielen sogar überholt und haben gesagt, bis zum Jahr 2045 wollen wir hundert Prozent erneuerbare Energien. Das Gleiche hört man auch von den Bundesstaaten an der Ostküste der USA. Insofern ist das, was Trump macht, im Grunde für das, was global passiert, ziemlich egal.
Römermann: Auf der anderen Seite sieht es momentan auch so aus, als ob Deutschland seine Klimaschutzziele verfehlt. An welchen Stellen müsste denn da die Bundespolitik jetzt noch deutlich nachjustieren.
Graichen: Ja, in der Tat, es ist zu erwarten, dass wir das 2020er-Ziel nicht erreichen. Und deswegen haben wir jetzt mit "The big picture – Energiewende 2030" ein Papier vorgelegt, damit jetzt die Weichen gestellt werden, damit die 2030er-Ziele erreicht werden. Denn drei Jahre kurz vor knapp noch umzusteuern, ist immer schwierig, gerade weil wir uns in einem Bereich bewegen, wo Investitionen notwendig sind.
Und insofern kann man nur sagen, bis 2020 kann man noch einiges tun, indem man die ältesten Kohlekraftwerke abschaltet. Bis 2030 müssen wir aber jetzt die Weichen stellen, damit wir bei Strom, Wärme und Verkehr vorankommen.
Römermann: Die Kohlekraftwerke sind also das Eine. Das andere große Projekt der Bundesregierung ist ja Elektromobilität. Wird das denn Ihrer Meinung nach tatsächlich 2030 eine große Rolle spielen, oder ist das eigentlich verpulverte Energie?
Graichen: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Elektromobilität ihren Siegeszug antreten wird. Wir haben deswegen auch hier geschrieben, dass wir von zehn bis zwölf Millionen Elektroautos im Jahr 2030 ausgehen. Das hilft, weil die Städte werden dadurch sauberer, leiser, die CO2-Emissionen gehen runter. Es ist aber auch nur ein Teil der Geschichte. Wir müssen auch an den Güterverkehr ran.
Römermann: Der Güterverkehr, der zurzeit zum großen Teil auf der Straße fließt, muss der dann auch elektrisch werden, oder wie sieht das dann aus?
Graichen: Im Grunde sind es da drei Möglichkeiten. Das eine ist, mehr Güter auf die Schiene. Davon reden wir schon seit Langem, aber wenig ist passiert. Dabei geht es darum, die Schienenstrecken auszubauen. Das Zweite ist, man kann auch Lkw elektrifizieren. Eine Teststrecke in Schweden ist jetzt gerade mit Oberleitungs-Lkw eingeweiht worden, und entsprechende Teststrecken soll es ja jetzt auch in Deutschland geben. Das kann man sich auch an großen Autobahnen im Jahr 2030 in Deutschland vorstellen. Und das Dritte ist, dass man auch darüber nachdenken muss, ob der Treibstoff grün werden kann, nämlich über strombasierte Treibstoffe, "Power to liquid" heißt da das Stichwort.
"Die Kosten nicht in den Himmel schießen lassen"
Römermann: Sie haben auch Mittel und Wege untersucht in Ihrer Studie, wie man zukünftige Klimaschutzmaßnahmen evaluieren kann, wie man auswerten kann, ob die wirklich zielführend sind? Wie kann man das denn machen?
Graichen: Es geht natürlich darum, dass man nicht die Kosten in den Himmel schießen lässt. Natürlich haben wir auch in der Vergangenheit manche Technologie zu früh gefördert. Bei der Fotovoltaik haben wir sehr früh sehr viel Geld reingesteckt und schleppen jetzt noch einen Kostenrucksack mit uns rum. Da geht es darum, glaube ich, dass wir diesen Kostenrucksack abbauen müssen. Und, wenn man in die Zukunft guckt, muss man eben auch bei jedem Instrument dafür sorgen, dass wir da keine unnötigen Kosten produzieren. Aber ich bin da sehr zuversichtlich, denn wir sehen, wie billig jetzt Wind- und Solarenergie geworden ist. Die letzten Ausschreibungen für Wind und Solar waren alle zwischen sechs und sieben Cent die Kilowattstunde. Das sind Werte, von denen wir vor zehn Jahren nur geträumt haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.