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Studium ohne Abitur
Rheinland-Pfalz erleichtert Hochschulzugang

Ohne Abitur ein Bachelor-Studium beginnen? Bisher ist das eher unüblich - muss man doch meist einen hochschulqualifizierenden Abschluss vorweisen können. Seit 20 Jahren können sich auch Nicht-Abiturienten mit mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in Rheinland-Pfalz auf einen Studienplatz bewerben. Das Land hat den Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte jetzt noch einmal deutlich erleichtert.

Von Ludger Fittkau | 12.08.2015
    Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Vera Reiss (SPD) hält eine steigende Zahl beruflich Qualifizierter im Studium zunächst einmal für einen Gewinn für die Hochschulen selbst. Denn wer nach einer Berufsausbildung das Studium aufnimmt, verändere auch die Kultur an den Hochschulen zum Positiven, glaubt Vera Reiss:
    "Ich möchte ein Beispiel geben. Wir haben in Rheinland-Pfalz den höchsten Anteil der Medizinstudierenden ohne Abitur. 15 Prozent. Und es ist unglaublich beachtlich, was das auch mit der Gesamtheit der Studierenden macht. Pfleger, Krankenschwestern, Pflegerinnen, die vorher eine gestandene Ausbildung haben im Gesundheitswesen, die sich dann für ein Medizinstudium entscheiden, bringen noch einmal eine ganz andere Perspektive in das Studium ein. Mir sagen die Lehrenden, sie verändern auch Lehre in den Hochschulen und zwar zum Positiven."
    Nicht nur Pflegekräfte bringen ihr Praxiswissen vom Krankenbett in Rheinland-Pfalz verstärkt mit ins Studium ein, sondern seit längerem etwa auch Handwerksmeister. Die können nach der Meisterprüfung in Rheinland-Pfalz sofort ein Masterstudium aufnehmen. Viktor Piel, der Leiter des Geschäftsfelds Weiterbildung bei der IHK Rheinhessen verweist darauf, dass auch die Kultusministerkonferenz die Vorreiterrolle vor Rheinland-Pfalz in diesem Bereich festgestellt hat:
    "Es gibt eine Synopse der Kultusministerkonferenz über die Zugangsregelungen für beruflich Qualifizierte in Deutschland und da kann man sehr schön vergleichen, wie die einzelnen Bundesländer da stehen. Und da übertrifft Rheinland-Pfalz die anderen Bundesländer bei den Standards, die 2009 verabredet wurden. Und jetzt mit dieser neuen Regelung noch mal etwas."
    Elf Millionen Euro für Brückenkurse
    Die Neuregelung besagt, dass beruflich Qualifizierte künftig sofort nach dem Abschluss der Ausbildung in ein Bachelorstudium wechseln können, wenn sie eine gute Abschlussnote bei der Berufsprüfung erzielen. Elf Millionen Euro stellt ihnen das Land Rheinland-Pfalz für Brückenkurse zur Verfügung, mit denen sie vor dem Studium dann Defizite etwa in Mathematik oder bei den Sprachen ausgleichen können. Ihnen fehlt ja in der Regel die Oberstufe, so Vera Reiss, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin:
    "Wenn jetzt beruflich Qualifizierte an die Hochschulen gehen, dann gehen sie mit einem anderen Startgepäck an die Hochschulen. Mit beruflichen Erfahrungen, sie stehen mitten im Leben, aber sie haben nicht gerade noch letzte Woche Mathe-Leistungskurs gehabt beispielsweise. Und insbesondere, wenn sie sich für einen Mintstudiengang, also Ingenieurswissenschaften, Mathematik, Naturwissenschaften entschieden haben, brauchen sie natürlich eine gute mathematische Vorbildung."
    Beruflich Qualifizierten mit Studium stehen fast alle Wege offen
    Gerade beruflich Qualifizierte, die in einem Industriebetrieb bleiben und parallel dazu ein Studium aufnehmen, sind von Politik und mittelständischer Wirtschaft insbesondere in ländlichen Regionen zurzeit schwer umworben. Viktor Piel von der Industrie- und Handelskammer Rheinhessen:
    "Rheinland-Pfalz hat das glaube ich sehr früh verstanden, dass diese Gleichwertigkeit der Berufszugänge ganz wichtig sind hier auch für die mittelständischen Betriebe. Wir sind ja ein Flächenland und wir sind darauf angewiesen, dass wir auch gute Leute hier im Land halten. Und duale Studiengänge beispielsweise, wo Studierende sowohl im Betrieb sind, als auch an der Hochschule studieren, tragen dazu bei, dass eben der Kontakt zu den Betrieben bestehen bleibt, so dass auch Betriebe in der Region gute Leute halten können. Während wenn jemand erst einmal aus dem Land auswandert und dann noch woanders studiert, dann ist die Chance, dass jemand zurückkommt, relativ gering."
    Die Botschaft, die Wirtschaft und Politik in Rheinland-Pfalz aussenden wollen, richtet sich schließlich insbesondere an Eltern und Schüler. Sie lautet: Wer sich zunächst nach der mittleren Reife für einen Lehrberuf entscheidet und erst später Lust aufs Studium bekommt, dem stehen alle Wege offen. Künftig nach dem Berufsabschluss auch ohne jede Zeitverzögerung.