Sandra Pfister: Das wollen wir vertiefen im Gespräch mit dem Schreibcoach Prof. Hans Peter Krings von der Uni Bremen. Herr Krings, Sie bieten eine Schreibberatung an, eine elektronische Schreibberatung im Netz, da geht es ganz systematisch um Arbeitstechniken, wie gliedert man eine Hausarbeit, wie liest man richtig und so weiter. Trifft denn eine solche technische Beratung im engeren Sinn überhaupt den Kern des Problems, oder liegt der eher darin, dass viele Studierende auch Angst haben, mit der Abschlussarbeit fertig zu werden, weil sie nicht wissen, wie es nach dem Studium weitergeht?
Hans Peter Krings: Sicherlich fragen sich viele Studierende, insbesondere auch in den Geisteswissenschaften, was nach dem Studium kommt. Ich habe aber den Eindruck, das ist nicht die Hauptursache für diese Tendenz zur Aufschieberitis. Da ist die Ursache, glaube ich, eher ein schlechtes Projektmanagement, also zu wenig Kompetenz in Sachen: Wie manage ich dieses schwierige Schreibprojekt, insbesondere Abschlussarbeiten, die ja nun wirklich die Studierenden auch sehr herausfordern? Das scheint mir eher die Ursache zu sein. Und in diesem Schreibcoach, den wir entwickelt haben, geben wir nicht nur zu den technischen Aspekten Ratschläge, sondern wir vermitteln auch Wissen darüber: Was ist eine Schreibblockade? Wie komme ich aus einer Schreibblockade wieder raus? Wann muss ich mir Hilfe holen? Und wo kann ich durch ein besseres Projektmanagement oder wir nennen es auch gerne Schreibprozessmanagement diesen Prozess effektiver und auch weniger belastend gestalten?
Pfister: Und, wie kommt man aus einer Schreibblockade wieder raus?
Krings: Also dazu gibt es natürlich sehr viele verschiedene Ratschläge. Der wichtigste Punkt ist, dass man die Ursache feststellt. Die kann außerhalb des Schreibens liegen, die kann in persönlichen Problemen liegen, dann muss man sich natürlich Hilfe von außen holen. Wenn sie im Schreiben selber liegt, dann ist nach unseren Erkenntnissen die Ursache meistens die, dass die Schreiber sich zu viel abverlangen, sie wollen zu viel gleichzeitig. Der Prozess des Schreibens eines längeren Textes ist ein sehr komplizierter, der muss in Teilprozesse zerlegt werden, die müssen in eine bestimmte Reihenfolge gebracht werden, man muss sich in jeder Phase auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren, zum Beispiel auf das Materialsammeln oder auf das Erstellen einer Rohfassung oder auf das systematische Aufspüren der Mängel, die noch im Texte sind, oder auf die Rechtschreibung oder die Zeichensetzung, aber nicht alles gleichzeitig. Und das ist das, wo wir auch in unseren Coachings meistens ansetzen: Zu lernen, diese Prozesse auseinanderzudividieren und der Reihe nach abzuarbeiten – das ist meist schon die halbe Miete zu einem erfolgreichen Schreibprojekt.
Pfister: Also dieses Zerlegen eines Schreibprozesses in kleine Einheiten, das hört sich sehr plausibel an, aber ist es nicht erstaunlich, dass Studierende also dass eigens bei Ihnen quasi noch mal lernen und nachlesen müssen und dass man das an der Uni nicht inzwischen systematisch lernt?
Krings: Ja, also da hat Deutschland vielleicht tatsächlich noch einen gewissen Rückstand. In den USA, wo auch die Schreibforschung sehr viel früher in die Gänge gekommen ist, hat man auch sehr viel früher durch die Gründung von Schreibzentren an Universitäten dafür gesorgt, dass diese Probleme systematisch angegangen werden. Was im Moment noch viel zu sehr passiert, ist, dass man einfach ältere Studenten als Tutoren einstellt und die erklären dann den jüngeren, wie es geht. Das ist eine mögliche Maßnahme, aber das ist natürlich nicht der professionelle Kern der Sache.
Pfister: Noch mal ganz kurz zum Grundsätzlichen: Kann es denn nicht auch sein, dass diese Aufschieberitis, über die wir reden, dass die auch deswegen so inflationär zunimmt, weil es heute auch so leicht ist, sich ablenken zu lassen, zum Beispiel durch das Internet?
Krings: Ablenkung ist sicherlich eine mögliche Ursache von Aufschieberitis, aber sicherlich nicht die einzige. Ich glaube, die meisten sehen diese Schwierigkeiten voraus und haben nicht die geeigneten Strategien, um damit fertig zu werden. Und deshalb ist die Kenntnis von Strategien wichtig. Natürlich - wenn ich die nicht habe, und weiß, ich werde wieder in Probleme reinrennen, dann sind die Möglichkeiten, sich dann auch systematisch ablenken zu lassen, heute um einiges größer als früher. Aber ich glaube, das ist dann eher die Folge davon und nicht die Ursache.
Pfister: Ist denn das straffere Bachelor-Master-Studium nicht eigentlich eine Hilfestellung in sich, weil ja viel kleinschrittiger und kleinteiliger ständig Leistungen abgefordert werden? Da kommt man doch gar nicht mehr zum Aufschieben.
Krings: Es ist sicherlich eine Hilfe insofern, als die Curricula, also die Lehrpläne innerhalb der Studiengänge, heute strukturierter sind. Da musste man früher sich was zusammensuchen, heute ist sehr vieles vorgegeben. Aber das hilft natürlich nicht bei der Bewältigung der eigentlichen Aufgabe. Die Schreibaufgabe, also das Abfassen einer Hausarbeit, ist ja dadurch nicht automatisch leichter – im Gegenteil, sie wird vielleicht in der Tendenz sogar schwerer, weil die Zeiträume dafür enger sind und der Druck, in der Regelstudienzeit fertig zu werden. Ich sehe sogar eher noch eine umgekehrte Wirkung: Es sind heute durch die Bachelorstrukturen sehr viele Prüfungen, die früher auf Hausarbeiten beruhten, durch Klausuren ersetzt worden. Das führt in einigen Studiengängen dazu, dass die Studenten erst spät in der Studienphase, manche sogar erst in der Abschlussphase, größere Texte, also größere Arbeiten, sprich, ihre Bachelorarbeit schreiben. Und die haben das dann gar nicht mehr geübt, Und die rennen natürlich dann erst recht in massive Schwierigkeiten, weil sie dann erst merken, wie schwer ihnen das fällt und wie wenig Hilfe sie bis dahin erhalten haben.
Pfister: Weitere konkrete Tipps gegen Schreibblockaden und Aufschieberitis gibt es von Prof. Hans Peter Krings von der Uni Bremen auf der Seite www.bremer-schreibcoach.uni-bremen.de.
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