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Stühlerücken in deutschen Konzernen

Ehemals war ein Vorstandsposten in einem börsennotierten Unternehmen ähnlich sicher wie ein Beamtenjob. Da konnte sich mancher auch gröbste Fehler erlauben. Doch die neue Aktionärs- und Aktienkultur hat dem ein Ende bereitet.

Von Michael Braun und Dorothee Holz |
    18. November 1996 auf dem Frankfurter Börsenplatz - morgen also vor zehn Jahren: Sphärenklänge waberten durch die Luft, magentarot schimmerte es schon im morgendlichen Halbdunkel vor dem klassizistischen Gebäude der Börse, in dem Ludwig Erhard als Wirtschaftsdirektor der Bizone die Soziale Marktwirtschaft das Laufen lehrte. Jetzt sollte die Aktienkultur in Deutschland das Laufen lernen. Und das Vehikel dazu hieß Deutsche Telekom. Sie sollte die neue Volksaktie werden, sollte den Menschen ein Vehikel an die Hand geben, mit dem private Altersvorsorge machbar war. Die Telekom-Aktie sollte die Deutschen zu einem Volk von Aktionären machen.

    Drinnen in der Börse, am Tag als der erste Kurs ermittelt wurde, herrschte Partystimmung: Postminister - den gab es damals noch - und Finanzminister – Theo Waigel war das – rotierten mit im Medienrummel rund um den Börsengang der Telekom und wussten schon, wie am nächsten Tag die Zeitungen aussehen würden:

    "Die bringen das morgen mit unserem Bild."

    Und in einem anderen Pulk von Journalisten sprach der, der das Ganze angezettelt hatte: Ron Sommer, der damalige Vorstandschef der Deutschen Telekom. Sein Job war es, Begeisterung für die Telekom-Aktie zu erzeugen. Ökonomische Rationalität war dabei, dem Zeitgeist entsprechend, nur rudimentär erkennbar:

    "Das ist eine Aktie, auf die Sie nicht emotional reagieren sollten. Die, die sie haben, sollten sie halten. Die, die sie noch nicht haben, sollten sie kaufen. Das ist die einzige Empfehlung, die ich Ihnen geben kann. Wenn Sie daran denken, dass wir das wertvollste Untenehmen heute in Deutschland sind – zu diesem Preis sind wir es -, dass wir das Unternehmen sind, das im Zentrum Deutschlands im 21. Jahrhundert im Informationszeitalter ist, wenn Sie an die Dividende und die Zukunftsaussichten dieses Unternehmens denken, sowohl Wachstum als Produktivitätsverbesserungspotenzial und vieles mehr berücksichtigen, dann wüsste ich nicht, wo Sie besser Ihr Geld anlegen könnten."

    Fünf Jahre später tauchte die Telekom in einer unrühmlichen Liste auf, die Klaus Schneider, der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft der Kleinanleger, wie die SdK damals noch hieß, alljährlich aufstellt. Es war die Hitliste der Kapitalvernichter des Jahres 2000:

    "Da ist einmal das Traditionsunternehmen DaimlerChrysler mit enormen Kapitalvernichtungen, dann eben auch Telekom als ganz besonders herausgehobener Vertreter, der ja die Aktie populär machen sollte, mit einer enormen Kapitalvernichtung. Und dann der Neue Markt in der Summe mit einer Kapitalvernichtung in dreistelliger Milliardenhöhe."

    Von gut 14 auf knapp 105 Euro war die Telekom-Aktie im Telekom-, Internet- und Medienhype der Jahre 1999 und 2000 nach oben geschossen. Noch etwas schneller als der Anstieg war der Fall auf rund acht Euro. Und mit dem Kurs fiel Ron Sommer. Er musste im Juli 2002 zurücktreten. Seinem Nachfolger, Kai Uwe Ricke, gelang es nicht, den Aktienkurs nachhaltig zu steigern. Die Folge: Rücktritt am vergangenen Montag. Damit nicht genug des Stühlerückens bei großen deutschen Aktiengesellschaften: Wenige Tage zuvor hatte Bernd Pischestrieder bei VW das Handtuch geschmissen. Bei TUI wackelt der Stuhl von Konzernchef Michael Frenzel, bei Siemens kommen immer wieder Gerüchte auf, Klaus Kleinfeld habe den Ruf des Unternehmens mit blauäugigen Verkaufsverhandlungen für die Mobilfunksparte und mit Gehaltserhöhungen für den Vorstand zur Unzeit beschädigt. Der Eindruck scheint nicht falsch, dass in den Chefetagen heute schneller gefeuert wird als noch vor zehn Jahren. Und selbst ein neuer Vorstandsvertrag, wie ihn Bernd Pischetsrieder noch im Mai dieses Jahres für eine Amtszeit bis 2012 ausgehändigt bekam, schützt nicht vor einer Entlassung. Das lässt den Frankfurter Professor Theodor Baums, der sich mit Fragen der Unternehmensführung und –kultur beschäftigt, an der Glaubwürdigkeit der Unternehmenskultur zweifeln:

    "Was mich stört, ist, dass jemand zuerst noch einen Vertrag für fünf Jahre bekommt und dann nach einem Jahr - obwohl damals schon gemunkelt war bei der Vertragsverlängerung, dass er gehen sollte –, dass er dann alsbald abgelöst wird. Das sieht ein bisschen so aus, als sollte jemandem ein problemfreier Golden Handshake geboten werden."

    Und das ist nichts, was Aktionären gefallen kann. Klaus Nieding, Repräsentant der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz am Finanzplatz Frankfurt, bringt die Art, wie VW mit Bernd Pischestreider umgegangen ist, jedenfalls auf die Palme:

    "Die Vertragsverlängerung soll ja bis zum Jahr 2012 gehen. Das heißt, bei einem jährlichen Gehalt von drei Millionen Euro ohne gerundete Zusatzleistungen ist das schon ein ganzer Batzen, über den wir hier reden. Dann kommt noch Abgeltung für Dienstfahrzeug und Dienstvilla, für Sekretärin et cetera. Wir haben es im Fall Neukirchen gesehen, ehemals MG Technologies, wo das hinführt. Dort sind 13,3 Millionen Euro bezahlt worden. Und das ist alles Aktionärsgeld, über das da entscheiden wird."

    Solche Ausgaben, auch solcher Umgang miteinander, ist umso schwerer zu verstehen, wenn es keine greifbaren sachlichen Gründe für einen Vorstandswechsel gibt. Die VW-Aktie ist gestiegen, ein Sanierungsprogramm ist aufgelegt, die Modellvielfalt hat zugenommen, die Zulassungszahlen steigen - all das ist unter Pischetsrieder bei VW geschehen. Und doch, so Uwe Treckmann, Autoanalyst der Dresdner Bank, musste er gehen:

    "Eines der Argumente war mit Sicherheit, dass er es sich in der Vergangenheit bei der Rotlichtaffäre mit den Arbeitnehmervertretern verdorben hat. Das hat auch Herr Piech ihm übel genommen. Und als er ihm dann noch sein Lieblingsspielzeug, den Phaeton, genommen, den Verkauf des Phaeton in den USA abgesetzt hat, war mit Sicherheit der Krieg zwischen diesen beiden Herren endgültig offen zu Tage getreten. Das sind mit Sicherheit die Nachwehen noch davon."

    Ob es bei VW unter Martin Winterkorn nun deutlich besser werden kann, ist offen. Die Rahmenbedingungen sind schwierig: Der frühere Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piech präsidiert nun dem Aufsichtsrat. Die Gefahr ist groß, dass hier Familieninteressen mit Unternehmensinteressen verwischt werden. Der kritische Beobachter der Unternehmensführung, Professor Theodor Baums, hat seine Zweifel. Und er begründet sie im Falle VW auch damit,

    "dass ich nichts davon halte, dass Vorstandsvorsitzende, die vielleicht gar nicht besonders erfolgreich waren als Manager, dann sofort in den Aufsichtsratsvorsitz wechseln und da eben sich den neuen Vorstandsvorsitzenden danach aussuchen, ob er ihre Linie verfolgt oder ob er vielleicht der Linie des alten Vorstandschefs kritisch eingestellt ist. So werden Fehler perpetuiert, in die Zukunft fortgeschrieben."

    Der Führungswechsel bei der Deutschen Telekom diese Woche war nicht ganz so willkürlich. Der Kurs der Telekom-Aktie hat sich in der Amtszeit Kai-Uwe Rickes in der Tat kaum bewegt. Immer noch kostet die Aktie weniger als vor zehn Jahren, als sie zum ersten Mal an die Börse kam. Wertsteigerung sieht anders aus. Und das hat Ricke wohl auch das Amt gekostet, ohne dass sichergestellt wäre, der Nachfolger könne es besser machen. Telekom-Analyst Chris-Oliver Schickentanz:

    "Man sollte jetzt nicht erwarten, dass wir eine große strategische Kehrtwende bei der Telekom sehen, dass Herr Obermann etwas völlig anders macht als Herr Ricke. Ich glaube, er wird möglicherweise bei kleinen bis mittelgroßen Akquisitionen etwas aggressiver vorgehen als Herr Ricke, er wird möglicherweise beim Personalabbau noch mal einen Tick drauflegen. Ich glaube auch, dass er in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften vielleicht etwas resistenter und robuster sein wird als Herr Ricke. Aber er wird sicherlich die Deutsche Telekom nicht neu erfinden. Die strukturellen Probleme bleiben. Und da wird auch Herr Obermann nichts so schnell dran ändern können."

    Wenn er diese nicht löst, kann auch für den Neuen der Chefsessel zum Schleudersitz werden. Fast geht es Vorstandsvorsitzenden so wie Fußballtrainern, sie werden bei erster Gelegenheit gefeuert, so geschehen im vergangenen Jahr mit dem ehemaligen Chef der Deutschen Börse, Werner Seifert. Und auch der Ex-Chef von Airbus, Christian Streiff, hat dies vor kurzem am eigenen Leib erfahren.

    Eine Studie der Personalberatung Kienbaum hat die zunehmende Kurzlebigkeit der höchsten Ämter in großen Konzernen ebenfalls bestätigt. Nach dieser Studie ist die durchschnittliche Amtszeit der Vorstandschefs in den großen Konzernen auf deutlich weniger als acht Jahre gesunken. Zu Zeiten der alten Deutschland AG war ein Vorstandsposten in einem börsennotierten Unternehmen ähnlich sicher wie ein Beamtenjob. Da konnte sich mancher auch gröbste Fehler erlauben. Doch die neue Aktionärs- und Aktienkultur hat dem bequemen Leben ein Ende gemacht. Aktionärsschützer Klaus Nieding:

    "Man kann durchaus feststellen, dass in den letzten Jahren die Vorstandssessel doch mehr zu Schleudersitzen geworden sind, als sie dies früher waren. Diese Entwicklung setzte ein im Wesentlichen mit der Ablösung von Ron Sommer und allen folgenden Wechseln an deutschen Unternehmensspitzen."

    Der Frankfurter Professor Theodor Baums sieht zwei Gründe für die schnelleren Wechsel:

    "Unsere Medienlandschaft kreiert heute ihre Helden, auch in der Wirtschaft. Der Held ist der Vorstandschef, und wenn sie kein Held sind, kein Heldenimage verbreiten, dann muss der CEO den Hut nehmen. Das ist eine Art politische Verantwortlichkeit. Ich glaube auch, dass die Anpassungs- und die Umstellungsprozesse drängend geworden sind."

    Unternehmen verdienen nicht mehr das Geld im Inland, sie wachsen fast nur noch im Ausland. Und dort müssen sie sich mit viel mehr Konkurrenten messen, entsprechend groß ist der Druck. Auch die Geldgeber sind internationaler geworden. Zu Zeiten der Deutschland AG, als die Konzerne über gegenseitige Beteiligungen eng miteinander verflochten waren, ließ es sich mit einer Bank und einer Versicherung als Großaktionär noch äußerst ruhig wirtschaften. Heute diktieren amerikanische Pensionsfonds ihre Renditevorstellungen. Internationale Beteiligungsgesellschaften und Hedge Fonds erwerben große Aktienpakete und fordern vom Management unmissverständlich Gewinnmaximierung. Klaus Nieding von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz:

    "Manager, Vorstände stehen erheblich stärker unter Druck als dies noch vor zehn Jahren der Fall war. International agierende Hedge Fonds setzen doch ganz andere Erwartungen in ihr Investment und auch in die Vorstände. Und wenn bestimmte Renditekennziffern dann nicht erreicht werden, wenn sie vielleicht nicht in dem zeitlichen Horizont erreicht werden, in dem man sie hatte erreichen wollen, dann ist der Vorstand eben doch sehr viel schneller von seiner Tätigkeit entbunden als dies früher der Fall war."

    Wer sich gerade zur Wehr setzen muss, ist der Chef von TUI, Michael Frenzel. Fondsgesellschaften üben massiv Druck auf ihn aus, wollen, dass er die gerade verstärkte Schifffahrtssparte abspaltet. Denn sie fährt zur Zeit Verluste ein. Frenzel sieht in einer Abspaltung aber eine große Gefahr, fürchtet die Vernichtung von Vermögenswerten und Arbeitsplätzen. Er sucht Rückhalt beim Aufsichtsrat, die Frage ist nur, wie lange der ihm noch den Rücken stärkt.

    Die Fokussierung auf Gewinne und Rendite hat aber nicht nur Folgen für die Manager. Sie hinterlässt ihre Spuren auch in der Unternehmensstruktur und bei den Mitarbeitern. Die verlieren die Motivation, sich mit ihrem Arbeitgeber, ihrem Unternehmen zu identifizieren, wenn sie ihre Chefs, die Vorstände, häufig wechseln sehen. Und wenn sie sehen, dass in der Unternehmensführung Rendite alles ist. Dass alles andere zweitrangig geworden zu sein scheint, hat auch der Ökonom Professor Reinhard Schmidt von der Universität Frankfurt beobachtet:

    "Ein zunehmender Teil der Spitzenmanager versteht seine Rolle so wie in angelsächsischen Ländern: Man geht davon aus, dass nur die Verantwortung gegenüber den Aktionären zählt. Alles andere gibt es natürlich auch, aber immer mit einer Einschränkung. Also: Rücksichtnahmen auf Interessen der Mitarbeiter oder der Kommune oder politische Rücksichtnahmen sind eigentlich nur gerechtfertigt in den Augen vieler Manager, solange es dazu dient, Aktionärsinteressen zu fördern, also den Aktienkurs zu steigern."

    Auch der Hamburger Soziologieprofessor Jürgen Hoffmann wirft den Unternehmenslenkern vor, sich zu sehr den Gesetzen der Aktienmärkte zu unterwerfen, die Forderungen der Geldgeber in vorauseilendem Gehorsam zu erfüllen. Das hänge damit zusammen, dass die Loyalität der Manager gegenüber ihren Unternehmen sehr stark nachgelassen habe:

    "Die Personalstruktur ändert sich. Früher war ein Manager praktisch von der Pike an im Unternehmen groß geworden, war in der Regel auch Techniker. Heute ist er meistens ein Betriebswirtschaftler, der sich auch mit den Aktienmärkten auskennt und der stärker der Logik der Aktienmärkte folgt."

    Und der auch im eigenen Interesse auf Kurssteigerungen aus ist, weil er nämlich zu einem Gutteil mit Aktienoptionen bezahlt wird. Geht die Rechnung aber nicht auf, kommt der Kurs nicht von der Stelle oder machen die Aktien gar Verluste, dann wird der Daumen über dem Vorstandsvorsitzenden ganz schnell gesenkt. Die Hoffnung ist, dass der Neue alles besser macht, vor allem für steigende Kurse sorgt. Diese Hoffnung trügt aber, weiß Aktionärsschützer Klaus Nieding:

    "Das, was wir bislang gesehen haben, waren eigentlich immer nur Strohfeuer. Nehmen Sie die Ablösung von Ron Sommer und seine Ersetzung durch Herrn Ricke: Weder ist der Kurs nachhaltig in der Höhe geblieben, als Sommer abgelöst wurde, noch ist er nachhaltig nach oben gegangen, als Herr Ricke ins Amt kam. Das zeugt, dass die Personalie an der Spitze immer nur für einen kurzfristigen Ausschlag gut ist."

    Eine weitere neue Unart ist die Art und Weise, in der über den Abgang der Manager entschieden wird. Im Fall des ehemaligen Telekom-Chefs Ricke, aber vor allem bei VW-Chef Pischetsrieder, hatten die Vorsitzenden der Aufsichtsräte die Entscheidung offenbar vorher im kleinen Kreise ausgehandelt und gefällt. Das Plenum wurde erst im Nachhinein informiert. Professor Theodor Baums sieht das als schweren Verstoß gegen die gute Unternehmensführung, also die Corporate Governance, an. Denn formaljuristisch ist das gesamte Aufsichtratsplenum für eine Entscheidung solcher Tragweite zuständig. Aber das korrekte Vorgehen scheitert oft an der Größe der Deutschen Aufsichtsräte, da müssen sich bis zu 30 Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter treffen und einig werden:

    "In großen Gremien, das weiß jeder, haben Sie spezifische Probleme, die sind schwerfälliger, es kommt weniger offene, kritische strategische Diskussion heraus. Sie treffen sich seltener, und die Verschwiegenheitspflicht ist nicht so gewahrt. Das alles führt in der Praxis dazu, dass wichtige strategische Entscheidungen oder auch Entscheidungen wie die Auswechslung des Vorstandsvorsitzenden, das trägt man nicht im Aufsichtsratsplenum breit, sondern das wird vorgesprochen, vorentschieden."

    In angelsächsischen Ländern ist ein solches Vorgehen undenkbar. Hier sind die mit dem Aufsichtsrat vergleichbaren Boards allerdings auch viel kleiner. Versuche, auch in Deutschland die Größe herunterzuschrauben, sind gescheitert – hauptsächlich am Widerstand der Gewerkschaften. An den jüngsten Entlassungsfällen kann man also einige Studien betreiben. Der Hamburger Professor Jürgen Hoffmann glaubt sogar, dass sich diese schnellen Wechsel negativ auf das Produkt auswirken. Hoffmann hat jüngst ein Buch über den rheinischen Kapitalismus veröffentlicht und hält viel von der typisch deutschen Nachhaltigkeit.

    "Dieses Produktionssystem ist die Basis des berühmten Exportweltmeisters Deutschland. Das ist der Maschinenbau, der Automobilbau. Das sind langfristig entwickelte Produkte, die Schritt für Schritt weiterentwickelt werden, aus der Innovationsforschung ist das bekannt, während das angloamerikanische Modell viel stärker kurzfristig ausgelegt ist."

    Diese Nachhaltigkeit und die Qualität der deutschen Industrieprodukte hängt seiner Meinung nach auch mit dem typisch deutschen Arbeitnehmerschutz zusammen. Der Vorteil ist, dass die Unternehmen auf langfristig engagierte Facharbeiter zurückgreifen können, die sich wiederum dem Unternehmen verbunden fühlen und sich dafür einsetzen. Die Unternehmen ihrerseits wissen, dass sie in ihre Mitarbeiter investieren können, und dass dieses Kapital so schnell nicht verloren geht. Er sieht deshalb Gefahren in einer zu kurzfristigen Orientierung, also auch im schnellen Wechsel an der Unternehmensspitze. Die Qualität leide, und man konkurriere dann mit Niedriglohnökonomien. Ein Hochlohnland wie Deutschland kann da natürlich nur verlieren.

    "Solche Bedingungen, wie wir sie langfristig schon im Kaiserreich entwickelt haben, können sehr schnell verloren gehen, aber es ist schwierig, sie wiederzugewinnen."

    Die Logik der Kurzfristigkeit führt dazu, dass man sich sehr schnell auf das Kerngeschäft konzentriert, Randbereiche abstößt und Quersubventionierungen unterlässt. Das hat Siemens gerade beispielhaft vorgeführt. Dabei hat der Konzern aber auch einen Teil seines Know-hows aufs Spiel gesetzt - mit dem Verkauf der Mobilfunksparte.

    Sicher liegen in einem Wechsel an der Spitze auch Chancen. Die Aktionäre sind wacher geworden und schauen nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu, bis der Vorstand sich völlig verrannt hat. Doch auf der anderen Seite bleibt auch keine Zeit, um zu sehen, ob die eingeschlagene Strategie doch längerfristig in die richtige Richtung führt. Aktionärsschützer Klaus Nieding:

    "Das kann man vergleichen mit einem Supertanker, den kann ich auch nicht auf der Stelle wenden. Aber diese Zeit ist der Kapitalmarkt nicht mehr bereit, dem Unternehmensführer zu geben, mit der Folge, dass die abstruse Situation eintreten kann, es kommt jemand Neues ins Amt, plötzlich werden die Zahlen automatisch besser, obwohl noch gar keine neue Strategie eingeschlagen worden ist, sondern nur die Früchte dessen geerntet werden, was der arme Mann oder die arme Frau, die in die Wüste geschickt worden sind, angestellt haben. Unter dem Strich muss man sich dann betriebswirtschaftlich oder auch volkswirtschaftlich fragen, welchen Sinn macht das eigentlich?"

    Ricke und Pischetsrieder – die Opfer der Jagd nach der Rendite – müssen einem aber nicht leid tun. Sie fallen weich, im Falle von Pischetsrieder besonders weich, sagen Kritiker. Auf der Strecke bleiben aber häufig die Interessen der Anleger, die langfristig engagiert sind, der Mitarbeiter und des Unternehmens selbst, wenn nur noch ein rudimentäres Kerngeschäft übrig bleibt und das Wissen der Mitarbeiter mit ihrer Entlassung ebenfalls verloren geht. Das heißt aber nicht, dass der Kapitalmarkt nur rüde agiert und rein von Gewinn geleitet wird. In vielen Fällen haben die Eingriffe deutsche Unternehmen auch im positiven Sinne aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen.