"Die Kinder werden relativ aufdringlich immer mehr, die Jugendlichen auch", sagte die bayerischen Regionalbischöfin. "Man wird quasi wie von Straßenräubern überfallen." Sie selbst lasse sich "ungern von der Industrie verladen" und feiere auch nicht Valentins- und Muttertag. "Es ist ja wirklich ein Superkommerz!"
Kinder feierten lieber Halloween, weil es sehr gegenständlich sei und dem St.-Martins-Umzug ähnele,sagte Breit-Keßler. Hier sei die Kirche gefragt, "neue kreative Ideen zu entwickeln und den Kindern vielleicht auch so ein paar Kekse zu schenken". Ein Fest mit Spuk wie im Mittelalter sei rückwärtsgewandt. "Diese Welt ist so gebaut, dass wir eigentlich das Böse nach allen Kräften vertreiben sollten und uns überlegen sollten, was ist denn eigentlich ein Mensch."
Die Reformationsgottesdienste müssten den Gedanken der Befreiung von der Vorherrschaft anderer in den Vordergrund rücken, sagte die Regionalbischöfin. "Ich muss mich nicht abhängig machen, weder von einer Süßwaren- noch von einer Kostümindustrie." Dieser Tag müsse "wirklich festlich und fröhlich" begangen werden, "weil wir sind ja keine Spaßmuffel". Eine zunehmend säkulare Gesellschaft schaffe sich ihre Feiertage selbst, "vor allem mit der Betonung auf Spaß, alles muss irgendwie lustig sein, Spaß machen, fröhlich sein". Aber auch "viele kirchliche Feiertage sind hochattraktiv und haben auch gewonnen in den letzten Jahrzehnten", zum Beispiel das Erntedankfest oder der Buß- und Bettag. Die Kirche müsse den existenziellen Bezug der religiösen Feste klarer machen. Dann kämen mehr Menschen in die Kirchen.
Hier das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Die Frage und die Drohung sind ja frech: Alle Jahre wieder vor Allerheiligen stehen viele an der Haustür vor der Entscheidung "Süßes oder Saures". Heute Abend ist es wieder soweit: Halloween-Partys finden statt, die Kleinen kommen und klingeln, und daran scheiden sich die Geister. Denn Spaß oder Ärgernis: Wer Eier von der Hauswand kratzen muss, dem fällt die Entscheidung nicht schwer. Die Kirchen sind auch nicht begeistert, argumentieren etwa so wie Günther Oettinger eben. "Kommerz ohne Geist" kritisieren sie, jedenfalls ohne Heiligen Geist, anders etwa als die Bräuche, die an die Heiligen Martin oder Nikolaus erinnern, wo es ja auch Süßes gibt, allerdings ohne Saures. - Am Telefon ist jetzt Susanne Breit-Keßler. Sie ist Regionalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Frau Breit-Keßler, werden Sie öffnen heute Abend, wenn kleine Geister klingeln?
Susanne Breit-Keßler: Ich kann gar nicht öffnen, weil ich im Gottesdienst bin und dort zu predigen habe. Wir feiern natürlich den Reformationstag.
Heinemann: Würden Sie öffnen, wenn Sie nicht im Gottesdienst wären?
Breit-Keßler: Ehrlich gesagt nein. Ich habe keinen Sinn für Halloween und ich finde auch, dass das ziemlich ausartet. Die Kinder werden relativ aufdringlich, immer mehr, die Jugendlichen auch. Bei uns werden teilweise Schnüre über die Straße gespannt, wo man dann weder mit dem Fahrrad, noch mit dem Auto durchfahren kann. Man wird quasi wie von Straßenräubern überfallen. Da fehlt mir, ehrlich gesagt, der Sinn dafür.
"Es ist ein Superkommerz"
Heinemann: Haben Sie noch nie Halloween gefeiert?
Breit-Keßler: Nein!
Heinemann: Warum nicht?
Breit-Keßler: Ich kann damit einfach nichts anfangen. Ich lass mich so ungern von der Industrie verladen und mich dazu treiben, bestimmte Dinge zu tun. Ich feiere auch nicht den Valentinstag oder den Muttertag, sondern ich erkläre meinen Lieben jeden Tag, wenn es möglich ist, dass ich sie gerne habe, und ich lass mich da nicht so hintreiben, nur damit ich Geld ausgebe, weil es ist ja wirklich ein Superkommerz.
Heinemann: Ist aber Karneval oder Fasching im Prinzip auch.
Breit-Keßler: Ja! Da ist meine Zurückhaltung auch bekannt inzwischen. Als junges Mädchen habe ich gerne Fasching gefeiert, aber da war es auch so, dass man sich seine Kostüme selber gebastelt oder geschneidert hat und das nicht gekauft hat. Wenn ich mir denke, dass, wenn ich es richtig gelesen habe, nach Weihnachten und Ostern für die Süßwarenindustrie Halloween das drittwichtigste Fest ist, dann lange ich mir schon ein bisschen an den Kopf.
Heinemann: Und für die Zahnärzte wahrscheinlich auch. - Wie sollte die Kirche, wie sollten Christinnen und Christen generell mit Halloween umgehen? Was raten Sie?
Breit-Keßler: Ich würde sagen, man soll die Reformationsgottesdienste so machen, dass die Leute gerne hingehen, dass sie das wirklich als Fest und als Befreiung von der Vorherrschaft anderer verstehen, denn das ist ja der Sinn des Reformationsfestes. Gott ist mein Herr, der hat mich lieb und ich darf ein freier Mensch sein, ich muss mich nicht abhängig machen, weder von einer Süßwaren-, noch von einer Kostümindustrie, sondern ich kann meine Tage gestalten, wie mir zumute ist. Und dann sollten diese Gottesdienste vielleicht auch mit Empfängen versehen werden, dass man nicht einfach nur bei trocken Brot und Wasser herumsteht, sondern dass man gerne auch was trinkt, was Gutes isst und beieinander bleibt und diesen Tag vor Allerheiligen wirklich festlich und fröhlich begeht, weil wir sind ja keine Spaßmuffel, sondern wir wollen ja das Leben feiern. So muss man es gestalten.
"Spaß ohne Sinn ist wirklich sinnfrei"
Heinemann: Wenn man Kinder vor die Alternative stellt, Halloween oder Gottesdienst, was sagt Ihnen Ihre Erfahrung? Wo gehen die lieber hin?
Breit-Keßler: Kinder neigen dann dazu, Halloween zu feiern, weil es sehr gegenständlich ist. Man kann den Kürbis schnitzen und Kerzchen reinstellen. Das hat ja dann durchaus Verwandtschaft für die Kinder mit dem Martinsumzug, wo sie ja auch begeistert mit Laternen hingehen. Aber warum könnte man nicht zum Beispiel diese Laternen basteln und zum Gottesdienst ziehen und dort ein Lichterfest machen? Da, finde ich, sind wir einfach gefragt, noch neue kreative Ideen zu entwickeln, um den Kindern dort vielleicht auch ein paar Kekse zu schenken oder so was.
Heinemann: Da wird kein katholisches Kind hinkommen, aber das macht jetzt nichts. - Neue kreative Gedanken, haben Sie gerade gesagt. Schafft sich eine zunehmend säkulare Gesellschaft ihre neuen Feiertage?
Breit-Keßler: Ja, und zwar vor allen Dingen mit der Betonung auf Spaß. Es ist so: Alles muss irgendwie lustig sein, Spaß machen, fröhlich sein, und dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Luther war ja zum Beispiel auch ein fröhlicher Mensch, der Bier getrunken hat und gerne gegessen hat, und er war ja auch ein bisschen mopsig, wenn man die Bilder anschaut. Er hat gewiss nicht furchtbar oft gefastet. Aber ich denke, Spaß ohne Sinn ist wirklich sinnfrei, das bringt gar nichts. Und wenn man an das Mittelalter denkt, wofür Luther auch wichtig war, die Leute von allerlei Spuk und Ängsten, Todesängsten, Geisterängsten zu befreien, dann finde ich das relativ albern, diese Gespenster jetzt wieder aus der Kiste zu ziehen und sich spaßeshalber mal davor zu fürchten. Diese Welt ist so gebaut, dass wir eigentlich das Böse nach allen Kräften vertreiben sollten und uns überlegen sollten, was ist denn eigentlich ein Mensch wert.
Bezug kirchlicher Feste deutlicher machen
Heinemann: Sie haben Martin Luther angesprochen und den handfesten Charakter, die körperlichen Rundungen und so weiter. Sind Sie sicher, dass Luther nicht mit Halloween gefeiert hätte?
Breit-Keßler: Ja, da bin ich mir sicher, weil er keinen Sinn darin entdeckt hätte. Er hat gerne gefeiert, wenn es einen Sinn ergeben hat, die kirchlichen Feste, Ostern, Weihnachten. Da gab es ja auch Geschenke und er hat ja auch gerne getafelt. Ich glaube, Halloween ist wirklich sinnfrei, und es wird ja auch immer wilder, wenn man schaut, dass Leute verprügelt werden, dass es Sauforgien auch auf dem Friedhof gibt. Das ist doch nicht schön! Das kann man nicht schön finden!
Heinemann: Und warum ist es so schwierig, diese Botschaft der Attraktivität von kirchlichen Feiertagen noch mal rüberzubringen?
Breit-Keßler: Na ja. Viele kirchliche Feiertage sind hoch attraktiv und haben auch gewonnen in den letzten Jahrzehnten. Ich denke an das Erntedankfest. Da werden die Gottesdienste immer voller, weil Menschen zunehmend das Bewusstsein haben, es ist sehr wichtig, in welcher Umwelt wir leben und was wir auch alles essen. Ich glaube, wenn man klar macht, welchen existenziellen Bezug unsere kirchlichen Feste haben, wenn man das noch klarer macht und da interessantere Ideen noch entwickelt, dann werden noch mehr Menschen in die Kirchen kommen, wie jetzt schon Ostern oder Weihnachten oder am Erntedankfest. Auch der Buß- und Bettag wird immer voller bei uns.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.