"Untersuchungshaft, das ist die schwerste Zeit überhaupt, weil man nicht weiß, was kommt auf einen zu: Wie lange muss man bleiben?"
Vollzugsbeamtin:
"Dieses Einsperren, das ist ja nun nicht, dass die Freiheit weg ist, sondern Sie müssen sich ja auch mit dieser Tat auseinandersetzen. Und das ist schon sehr brutal für manche."
Häftling:
"Man kriegt das hier mit, regelmäßig. Entweder gibt es hier - umgangssprachlich nennt man das hier - den Hänger oder den Schlitzer. Man weiß, morgens zwischen sechs Uhr und sechs Uhr fünfzehn werden die Hafträume aufgeschlossen und wenn dort dann Alarm ertönt im ganzen Haus, weiß man wieder: Es ist wieder soweit."
Das heißt: Es gibt wieder einen Toten oder Verletzten - nach einem Suizidversuch. Mike, einer der 970 Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit, hat das öfter erlebt und auch die Vollzugsbeamtin Silke Jonas.
Vollzugsbeamtin:
"Die sind in Haft und aufgrund der Haft kommen sie auf solche Gedanken. Und müssen sich damit auseinandersetzen. Und von diesen Gedanken den Menschen wegzuholen – ich meine, der wäre ja sonst nicht da, dieser Gedanke. Das ist unsere Pflicht. Das ist unsere einfache Pflicht. Der ist ja nicht inhaftiert, damit er sich umbringt."
53 Menschen haben sich im vergangenen Jahr in deutschen Gefängnissen das Leben genommen, die meisten in der Untersuchungshaft. Die Suizidprävention im deutschen Strafvollzug ist dennoch erfolgreich: Immerhin ist die Zahl der Selbstmorde seit dem Jahr 2000 um die Hälfte gesunken. Seit einigen Wochen aber ist der Schutz vor Häftlings-Suizid wieder in den Schlagzeilen: Die Anwälte des früheren Arcandor-Chefs Thomas Middelhoff beklagten, ihr Mandant sei über mehrere Wochen nachts geweckt worden, um sicherzugehen, dass er sich nichts angetan habe, und zwar alle fünfzehn Minuten.
Die Strafverteidiger sprachen von Folter und verglichen diese Praxis mit dem Schlafentzug im US-Gefangenenlager Guantanamo. Die Vorwürfe waren wohl stark zugespitzt - gleichwohl: Haftanstalten gehen unterschiedlich weit beim Schutz der Häftlinge vor sich selbst. Immer aber bedeutet Suizidprävention Aufmerksamkeit von Anfang an. Auch in Moabit.
"Diese Geräuschkulisse, dieser Ausschnitt ist das Erste, was die Gefangenen zu sehen bekommen."
Gelb-weiße Wände und schwere Türen entlang des fünf Meter breiten Gangs. Zwischen den Balustraden der oberen Stockwerke ist Maschendrahtzaun gespannt – bisher, sagt Silke Jonas, sei noch keiner gesprungen, möglicherweise wegen der Netze. Die freundliche Frau hat die roten Haare zum Pferdeschwanz gebunden, dunkelblaue Uniform, auf dem Kragen des hellen Hemdes ist das Wort „Justiz" eingestickt. Seit 25 Jahren ist sie oft dabei, wenn neue Häftlinge ankommen.
"Wir holen ja den ab, die Zugänge, und begleiten sie ins Haus."
Viele Suizide im Gefängnis
Und zum Warteraum. Der Neuankömmling kann sich in kaltem Zigarettenrauch auf eine schäbige Bank setzen, gegenüber, neben der von außen verriegelten Tür, das schmutzige Waschbecken und die notdürftig von einer winzigen spanischen Wand verborgene Toilette.
"Wir halten ein Gespräch, die Anamnese, ein Vorgespräch, und dann bekommt man ja schon ein Gefühl für die Menschen und hat schon den ersten Eindruck. Man bekommt schon mit, wer das erste Mal da ist und wo es überhaupt nicht gut ist, dass er alleine ist."
Auch der Anstaltspsychologe Andreas Terhedebrügge wirkt zugewandt, das hellbraune Haar ist etwas länger, statt Uniform trägt er kariertes Hemd und Jeans.
"Also in den ersten 14 Tagen ist eine Hochrisikosituation. Und die Suizide hier im Gefängnis sind allgemein vier Mal so hoch wie in der Normalbevölkerung."
2009 lag der traurige Rekord in Moabit bei sechs Toten, in den vergangenen Jahren waren es drei, in diesem hat sich noch keiner das Leben genommen. Viel, viel höher ist die Zahl der Versuche. Die Ankunft in der Untersuchungshaft ist für viele traumatisch, der Anstaltspsychologe spricht vom "Erstschock". Es ist nicht das wenig einladende Ambiente, das ihn verursacht, sagt der Anstaltsleiter, Wolfgang Fixson.
"Jemand, der völlig aus dem Familienverbund herausgerissen ist - dann sich hier in so einem geschlossenen System zu orientieren, das ist die zentrale Frage, und das muss inhaltlich-organisatorisch gelöst werden."
Und das, fügt der Psychologe hinzu, immer wieder in menschlichen Ausnahmesituationen.
"Im Zugangsbereich - die Sozialarbeiterin redet dann mit dem Gefangenen und dann guckt sie in den Haftbefehl rein, und dann steht da Mord. Mord steht da. Und das ist schon mal eine hochkarätige Straftat - oder sexueller Missbrauch von Kindern. Und dann sagt sie mir: Der ist komisch. Der ist irgendwie komisch, der redet nicht mehr."
Am Wochenende ist kein Sozialarbeiter da und kein Psychologe. Vollzugsbedienstete wie Silke Jonas haben ihre eigenen Erfahrungen.
"Na ja, das sind meistens die Personen, sag ich mal, die sehr ruhig, sehr in sich gekehrt wirken. Menschen die sehr lebhaft wirken, die sich mitteilen, haben weniger die Absicht. Es hat mich immer wieder bestätigt zu versuchen, die ganz Ruhigen aus der Reserve zu locken, mit denen ins Gespräch zu kommen, um einfach mal zu sehen, wie die so unterwegs sind und einfach auch mal reden lassen. Viele Gefangene sind einfach auch sehr überrascht, wenn wir dann mal fertig sind mit unserer Anamnese, dann kommt immer mal die Bemerkung: Das habe ich mir irgendwie anders vorgestellt."
Gefängnis als Schock
Auch Häftling Mike, etwa vierzig Jahre alt, hat die erste Zeit im Gefängnis als Schock erlebt. Vor allem die Verhaftung, die Nacht auf der Pritsche in der Polizeiwache, die Vorführung beim Haftrichter. Er sagt aber auch: Angekommen in der Zugangsstation in Moabit, seien die Mitarbeiter nett, sogar herzlich.
"Man beruhigt einen. Man hat einen Fernseher in dem Haftraum. Sodass man erst mal den Gedanken gar nicht so rafft, also merkt, dass man hier hinter Schloss und Riegel ist. So nach und nach kommt man dann langsam an. Jeder geht damit auch anders um. Manche fallen in ein schwarzes Loch. Ja. Man muss das Beste daraus machen. Man arrangiert sich quasi mit der ganzen Situation."
Mittlerweile ist er seit acht Monaten in Moabit.
"Das zermürbt einen auch ganz langsam. Das macht einen fertig. Ich hab immer das Gefühl, man sieht es mir an, auch an den Augen. Man braucht mir nur ins Gesicht gucken und man sieht, was das für ein Typ ist."
Ein anderer Untersuchungshäftling, dunkler Typ, Ende fünfzig, sitzt seit zwei Jahren in Moabit - das ist lange für eine Untersuchungshaft, es passiert aber immer wieder, wenn sich Berufung und Revision hinziehen. An Herzlichkeit kann er sich nicht erinnern. Seine Eindrücke vom ersten Tag sind geprägt von den Stunden vor Moabit, von der Festnahme und der Polizeistation.
"Ich fühlte mich als wäre ich in der Hölle. Am ganzen ersten Tag. Es war ein Schock für mich, bei der Festnahme wird zu viel Druck ausgeübt."
Auch in dieser besonderen Abteilung kann nicht alles nett ablaufen. Nach einem Tag, am Wochenende auch mal nach dreien, geht es auf die Station, und das heißt erst einmal: zur Kontrolle. Durch drei Justizvollzugskräfte - wie Wilfried Fruck:
"Ja, die Zugangskontrolle ist für die meisten Gefangenen natürlich ein bisschen unangenehm. Weil das ist hier gesetzlich geregelt, dass sie sich einmal komplett entkleiden müssen. Da werden die Gefangenen kontrolliert, da werden Körperbeschreibungen durchgeführt und auch eine Personenkontrolle."
Wilfried Fruck, ruhig, kräftig, macht den Job seit 34 Jahren. Am Wochenende nimmt er auch die Neulinge, die sogenannten Zugänge, auf.
"Problem ist: Es ist nicht nur zu entscheiden von mir, ob ich den Gefangenen annehmen darf. Ich muss auch entscheiden, ob der Gefangene psychisch stabil ist, ob er labil ist, ob er Alkoholentzug, BtM-Entzug hat."
BtM - Betäubungsmittel. Probleme mit synthetischen Drogen sind nicht immer gleich zu erkennen. Viele Gefangene haben ein Sucht- und damit im Gefängnis ein akutes Entzugsproblem. Unerkannt kann auch das gefährlich sein.
Dass sich im Gefängnis mehr Menschen das Leben nehmen als draußen, das kann auch daran liegen, dass sie noch ganz andere Probleme mit ins Gefängnis bringen, sagt der Psychologe Andreas Terherdebrügge. Und menschliches Verhalten sei ohnehin nicht klar vorherzusehen.
"Es kann mir echt passieren - ich rede mit einem Gefangenen und bin der festen Überzeugung, der ist nicht suizidal, ich habe alles überprüft. Und am anderen Morgen lese ich im Frühbericht, dass er einen Suizidversuch begangen hat. Also da wird einem schon ganz schwindelig von dieser Arbeit hier. Aber es gibt auch manipulative Suizide, wo die Leute zum Beispiel eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, wo die so verletzt sind von der Verurteilung, von der Familie, dass sie sagen: So. Jetzt töte ich mich und Ihr habt mich in den Tod getrieben. Das sind Sachen, an diese Sachen kommen Sie nicht ran."
Silke Jonas:
"Selber ist mir dann das passiert nach sechs Jahren, nachdem ich hier im Dienst bin. Ich hab diese Abendbrotausgabe mit einem Kollegen zusammen gemacht. Ich war die Erste an der Tür, hab aufgeschlossen. Und da stand dieser Mensch am Fenster. Ich habe ihn aber erst so wahrgenommen als wenn er da oben auf dem Tisch steht und rausguckt. Und im zweiten Blick kam dann dieser Gedanke: Ne, der steht ja gar nicht. Der hat ja ein Bettlaken um den Hals. Und guckte mich dann an. Der guckte gar nicht raus."
Automatisch machte die Vollzugsbedienstete Silke Jonas all das, was sie zum Umgang mit dem Suizid gelernt hatte.
Ein Selbstmord zieht andere nach sich
Silke Jonas:
"Na ja, ich musste zu Ende arbeiten. Das hört ja nicht auf. Nach einer Stunde hatte ich gleich den zweiten Vorfall. Aber den konnten wir dann retten."
"Zum Glück, ja."
Wilfried Fruck:
"Einer von vielen, die wir gerettet haben."
Ein Selbstmord zieht andere nach sich, das ist eine Erfahrung in allen Gefängnissen. Und manchmal, sagen Wilfried Fruck und Silke Jonas, sei ein solcher Versuch auch kaum zu erkennen. Wie bei einem Neuzugang, der sich am zweiten Tag - unter der Decke versteckt - die Halsschlagader durchtrennte.
Fruck:
"Da waren damals noch zwei Mann zusammen und der andere Gefangene hat das nicht mitgekriegt."
Jonas:
"Wir haben ja morgens auch noch die Zelle aufgeschlossen, ich hab dann das Frühstück reingegeben, da war alles noch gut. Wir haben nicht gesehen, dass das Blut da hinten so runterlief. Das kam erst später, als Willie noch mal die Tür aufgemacht hat und da ging es los, ja."
Fruck:
Und ich habe ihn gerade so noch gerettet gekriegt. Und im Nachhinein, als der Gefangene dann – der wird dann ja ins öffentliche Krankenhaus verlegt, dann ins Haftkrankenhaus. Und wenn er dann genesen ist, geht er dann in den Vollzugsalltag zurück. Und dann kam er hier an, und fragt mich, wer ihn gerettet hat. Und ich sage: Ich. Dankeschön, sagt er.
Viele bedankten sich, sagt der Psychologe Terhedebrügge. Alle wollten leben.
"Meistens befinden sich die Leute vier Wochen bis acht Wochen in einer schweren Persönlichkeitskrise. Und wenn sie diese Krise überlebt haben - mit Gesprächen, wie auch immer - dann sind sie alle froh. Ich bin jetzt schon mindestens 25 Jahre dabei. Ich hab noch nie einen gehört, der einen Suizidversuch zum Beispiel überlebt hat, den ich dann gefragt hab: Wie geht's Ihnen jetzt? Der sagt: Ich bin froh, dass nichts passiert ist. Und jeder, wenn er die Krise überstanden hat, sagt: Nein, ich bin doch froh, dass ich lebe."
Schwere Persönlichkeitskrise überwinden
Der Gefängnispsychologe will Zweifel an der Schutzpraxis deshalb nicht gelten lassen. Die autonome Entscheidung zum Freitod im Gefängnis hält er für Theorie. Im Fall des früheren Topmanagers Thomas Middelhoff, der die Diskussion über Suizidprävention in der Haft ausgelöst hat war die Begründung für die sehr engmaschige Überwachung: Gefahr des Bilanzselbstmordes. Soll heißen: Der Betroffene zieht nüchtern Bilanz über sein Leben. Vielleicht in einem Prozent der Fälle gebe es das, sagt Terhedebrügge. Er habe es noch nicht erlebt.
"Auch Leute mit einer miserablen Lebensbilanz wollen leben. Auch wenn jemand zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird, der weiß, dass er die nächsten fünfzehn Jahre erst mal nicht mehr rauskommt, der könnte auch. Aber die Gefangenen wollen trotzdem noch leben. Aber dann müssen sie ihre Krise durchleben und dann müssen sie geschützt werden."
Der Anstaltsleiter Wolfgang Fixson kennt Bilanzselbstmorde. Er spricht von dem hohen Stasi-Offizier, dessen Ideale nach dem Ende der DDR zerbrochen waren. Aber auch er glaubt, gerade im Gefängnis seien solche Suizide aus wirklich freiem Willen extrem selten. Trotzdem - auch wenn er über die Verzweiflungstaten spricht, klingt es bei ihm anders als beim Anstaltspsychologen.
"Das ist uns schon, auch mir von meinem Grundverständnis, ganz wichtig, dass die Menschenwürde des Einzelnen geachtet wird. Und das ist ja Menschenwürde zu sagen: Ich möchte alleine sein, ich möchte selbst entscheiden."
Gemeint ist nicht die Entscheidung für den Freitod, sondern gegen bestimmte Präventionsmittel. In diesem Fall: Gegen Gemeinschaftsunterbringung. Die sogenannte Notgemeinschaft mit einem anderen Gefangenen ist der erste naheliegende Schritt, wenn ein Neuankömmling gefährdet scheint.
"Bei allen Verhinderungsmaßnahmen, die wir machen und bei allem, was wir planen - solange ich in der Anstalt hier die Gesamtverantwortung habe, war mir immer wichtig, dass dieses Gleichgewicht gewahrt wird zwischen unserem Bemühen, aber auch die Würde des Gefangenen zu respektieren. Und aus dem Grunde zum Beispiel haben wir - obwohl wir eine Fülle von Einzel-Kleinmaßnahmen haben - aber nie flächendeckend gesagt: Gefangene müssen bei der Aufnahme ihre Schnürsenkel abgeben, sie müssen ihre Gürtel abgeben."
"Sondern dass wir gesagt haben: Das wollen wir nicht. Es muss für den Gefangenen eben einfach erträglich sein."
Die Schnürsenkel muss in Deutschland kein Gefangener abgeben, in anderen Ländern gehört das zum Normalfall. Aber auch in Deutschland unterscheiden sich die Anordnungen zum Schutz vor Selbstmord ganz erheblich. In Moabit gibt es verschiedene Bestimmungen, wenn ein Gefangener einen labilen Eindruck macht:
"Dann kriegt er an die Haftraumtür so einen kleinen roten Punkt, dass der Vollzugsbedienstete weiß, dass dieser Mann suizidgefährdet ist. Und wenn es ganz schlimm ist und der Mann nicht mehr alleine sein kann, oder wenn ich rausgehe, könnte er sich vielleicht umbringen, dann sage ich mir: Ok, der braucht eine Notgemeinschaft. Das heißt, der muss mit einem Menschen zusammen sein, der wenigstens Nähe zu ihm hat. Und die beiden sitzen dann da in ihrem gemeinschaftlichen Haftraum und reden miteinander. Das ist für uns erst mal die wichtigste Möglichkeit, den Mann erst mal zu schützen."
Mit anderen Gefangenen zu sprechen, das sei ohnehin das Wichtigste, glaubt Michael, ein weiterer Häftling. Er selbst rechnet damit, noch lange in Moabit zu sitzen, das Verfahren zieht sich hin. Als einem guten Bekannten eine lange Strafe drohte, sagte der: Damit käme er nicht zurecht. Dann habe er lange mit ihm geredet.
"Dann sind wir eigentlich auf den Nenner gekommen, dass es keinen Sinn machen würde, egal wie. Und dass er das Thema erst mal beiseitegelegt hat - hoffen wir mal."
In der Notgemeinschaft kennen sich die Männer vorher meist nicht, zumindest nicht gut. Aber, sagt Andreas Terherdebrügge:
"Da entwickeln sich auch manchmal Freundschaften, weil das eine gewisse Nähe gibt und die beiden haben ähnliche Probleme. Und der andere ist eher stolz darauf, dass er mit dem reden kann und er ist stolz darauf, dass ich ihn frage. Ich sage: Ich brauche jetzt Ihre Hilfe."
Regelmäßige Zellenkontrolle
Ist die Gefahr groß, dann bleibt auch mal ein Beamter mit im Zimmer wenn der Mithäftling die Zelle verlässt, für die Freistunde zum Beispiel.
Allein oder gemeinsam in der Zelle - immer bedeutet der rote Punkt: Regelmäßige Zellenkontrolle.
"Dann wird in unregelmäßigen Abständen reingeschaut, ob es ihm gut geht. Im Tagesdienst geht das relativ gut, da gehen die Türen häufig auf. Und diese Beobachterrunde geht wirklich los um 18 Uhr. Ab 18 Uhr haben wir so einen Turnus, dass wir alle zwei Stunden die ganzen Stationen bestreifen und die roten Punkte in Augenschein nehmen. Da gibt es vorne eine Stationstafel, da steht genau drauf, wer beobachtet wird, warum er beobachtet wird und die Hafträume. Und die gehen wir dann halt alle ab."
Wer einen roten Punkt hat, darf den Spion, das winzige runde Fenster in der Zellentür, nicht von innen verdecken. Silke Jonas streicht bei ihrem Rundgang den tropfenförmigen Metallschutz zur Seite und schaut in die Zelle. In der Regel reicht das.
"Wenn nicht, haben wir hier einen Außenschalter. Dann wird das Licht angemacht. Wir haben eine zweite Lampe drinnen, die den ganzen Haftraum ausleuchtet."
Alle zwei Stunden wird Licht gemacht? Der Gefangene muss sichtbar sein, sagt Silke Jonas, aber wer damit Schwierigkeiten hat, könne einfach ein Licht anlassen. Über so etwas könne man ja reden.
"Wir treffen da eine Einvernehmlichkeit. Er weiß, inwiefern er das abdunkeln kann. Manche hängen ein bisschen was vor, ein kleines Tuch oder so etwas, dann strahlt es ihm nicht direkt ins Gesicht, und das ist dann ok."
Geöffnet wird die Tür in aller Regel nach achtzehn Uhr nicht mehr. Schon weil dafür zwei oder drei Beamte nötig wären, so sind die Regeln.
"Bei den Nachtrunden habe ich mir auch angewöhnt, eine Weile stehen zu bleiben, zu gucken, ob sich der Brustkorb noch hebt, dass sich derjenige ein bisschen bewegt. Wenn es mir komisch vorkommt, dann klopfe ich auch schon mal, dann bewegen sie sich schon, geben ein Zeichen. Sie wissen ja, dass sie beobachtet werden, sie müssen irgendein Lebenszeichen von sich geben."
Alle Viertelstunde sei ihr Mandant geweckt worden, hatten Middelhoffs Anwälte im Nachhinein gesagt - konkret beschwert hatte er sich während dieser Beobachtung offenbar nicht. Aber klar ist: In Nordrhein-Westfalen, wo es vor einigen Jahren noch besonders viele Häftlings-Suizide gab, ist die Überwachung engmaschiger als zum Beispiel in Berlin. Das ist gewollt, sagt der Berliner Anstaltsleiter Wolfgang Fixson.
"Natürlich wissen wir, wenn wir eine besondere Beobachtung nachts anordnen, dass wenn wir einen eineinhalb- bis zweistündigen Rhythmus haben, dass in der Zwischenzeit etwas passieren kann. Aber wir machen das ja unregelmäßig, das kann auch zwei Mal hintereinander passieren. Aber da muss nach unserem Verständnis eine gewisse Ausgewogenheit der Maßnahme sein. Oder aber ich bin einer so besonderen Situation – dann muss der Gefangene in diesen Beobachtungshaftraum."
Den besonders gesicherten Haftraum nennt das die Vollzugsbeamtin. Da ist vor dem Fenstergitter bruchsicheres Plexiglas montiert, sodass nirgends ein Bettlaken als Strick zu befestigen wäre, das Bett ist fest montiert, die Türen sind besonders gesichert. Und in zwei Ecken des Raumes hängen Videokameras, die nur nach richterlicher Entscheidung eingeschaltet werden dürfen. Es ist die Extremste - und deshalb eine seltene, kurze Suizidprävention, der schwerste Eingriff in die Rechte und die Würde des Gefangenen.
Auch das kann manchmal nötig sein, sagt der Anstaltsleiter. Wichtiger als Maßnahmen sind aber Menschen.
"Gerade in Zeiten einer überbelegten Anstalt wird ja nicht das Personal verstärkt, sondern es wird dem Personal Mehrarbeit abverlangt. Und dann ist natürlich weniger Zeit, sich zu einem Gespräch mit den Gefangenen zusammenzusetzen, oder überhaupt schnell zu reagieren. Es muss ausreichend Vollzugspersonal - und zwar aus allen Berufsgruppen - den Anstalten zur Verfügung gestellt werden. Und es muss entgegengewirkt werden, das Personal durch Videoanlagen zu ersetzen. Eine Videoanlage kann eben nicht erkennen, ob der Mensch gefährdet ist oder nicht.